Startseite » Verbindungstechnik »

Verbindungstechnik: Nachhaltigkeit profitiert vom Schrauben

Reparaturen werden mit der richtigen Verbindungstechnik einfacher
Nachhaltigkeit profitiert vom Schrauben

Schraubverbindungen sind lösbar – und genau das ist ihr Vorteil, wenn Reparaturen anstehen. Das Kleben mag Vorteile im Montageprozess bieten – aber wer je versucht hat, ein verklebtes Gehäuse zu öffnen, weiß: Nach offen kommt kaputt. Konstrukteur:innen sollten also mehr denn je lösbare Verbindungen mit Schrauben bevorzugen, findet unser Autor Thomas Preuß. Sie ermöglichen eine nachhaltigere Wirtschaft und Lebensweise – mit länger haltbaren, reparier- und recycelbaren Produkten.

Thomas Preuß, Fachjournalist in Königswinter, turmpresse.de

Inhaltsverzeichnis
1. Der größte Nachteil einer Schraubverbindung: Sie ist lösbar
2. Der größte Vorteil einer Schraubverbindung: Sie lässt sich wieder lösen
3. Moderne Gesellschaften fordern eine nachhaltige Konstruktion und Produktion
4. Leichtbau befördert das Kleben und Nieten, aber drängt Schrauben und Schweißen zurück
5. EU will Recycling – und wiederverwendbare Konstruktionslösungen – noch stärker fördern
6. Auf Unternehmen warten großen Herausforderungen – und auf Konstrukteur:innen viel Arbeit
7. Mögliche Folgen der WEEE-Richtlinie für die Konstruktion
8. Drei Jahrzehnte recyclingoptimierte Fahrzeugkonstruktion
9. Lesetipps zur Auslegung von Schraubverbindungen

Der größte Nachteil einer Schraubverbindung: Sie ist lösbar

Der größte Nachteil von Schraubverbindungen im Vergleich zu anderen Verbindungstechniken, wie Schweißen, Kleben, Nieten oder Löten, ist: Schraubverbindungen sind – leicht und zerstörungsfrei – lösbar. Leider lösen sich Schrauben oder Muttern im Betrieb manchmal von allein. Oder sagen wir richtiger: „lockern“. Insbesondere, wenn Vibrationen oder dynamische Belastungen auftreten, können Schrauben im Laufe der Zeit locker werden. Daher müssen geschraubte Verbindungen regelmäßig inspiziert und die Fügeelemente gegebenenfalls nachgezogen werden, ehe sich die Schrauben tatsächlich lösen. Das Wartungspersonal muss übrigens geschult sein, um beim Wiederanzug ebenfalls alles richtig zu machen!

Aufwendig also. Abgesehen davon: Für Schraubverbindungen müssen Löcher in die zu verbindenden Bauteile gebohrt werden. Dies verursacht Kosten, braucht Zeit, und die Bohrungen können die strukturelle Integrität der Materialien beeinträchtigen. Im Vergleich zu geschweißten, genieteten oder geklebten Verbindungen weisen Schraubenverbindungen oft eine geringere Festigkeit auf. Die Schraube selbst kann ein Schwachpunkt sein und unter hohen Belastungen brechen. Schraubenverbindungen sind außerdem anfällig für Korrosion, insbesondere wenn die Konstruktionen im Freien oder in feuchten Umgebungen betrieben werden. Auch Korrosion kann die Festigkeit der Verbindung beeinträchtigen und zum Versagen führen.

Der größte Vorteil einer Schraubverbindung: Sie lässt sich wieder lösen

Warum also überhaupt verschrauben? Weil es auch Pluspunkte gibt. Womit wir zum größten Vorteil von Schraubverbindungen kommen: Sie lassen sich wieder lösen! Damit ermöglichen Schraubenverbindungen eine einfache Montage und Demontage von Bauteilen, was wiederum die Wartung, Reparatur und den Austausch von Komponenten erleichtert. Insbesondere bei Produkten, die einem planmäßigen oder nicht auszuschließenden Verschleiß unterliegen, sollten sich Konstrukteure bemühen, die Demontage „lösbar“ zu gestalten. Man denke nur an die Bremsbacken und Beläge am Fahrrad oder Auto, an eine verbogene Felge oder auch ein defektes Haushaltsgerät. Man möchte ja nicht gleich das ganze Fahrzeug oder die ganze Maschine entsorgen, nur weil ein Teil abgenutzt ist.

Da fällt mir gerade unser Wäschetrockner ein: Bei dem war ich kürzlich sehr froh, den Deckel, alle Seitenbleche, das Bedienfeld und einige Innereien mit einem Akkuschrauber – und zugegeben: einigen Spezialbits, aber immerhin – öffnen und das Gerät reparieren zu können. Das lief nicht mehr, weil angeblich der Wasserbehälter voll war. Stimmte aber nicht.
(Wer das gleiche Problem hat: Der kleine Kondensatsammelbehälter war von Flusen zugesetzt, so dass der Füllstandssensor eine Fehlermeldung ausgab. Die Maschine lief nicht mehr an, weil sie vermutete, dass der große Sammelbehälter auch voll sei. Falscher „Fehler“! Schrauben gelöst, Flusensumpf abgesaugt, Sensor geputzt, Maschine wieder zugeschraubt, läuft!)

Brauchen wir in zehn Jahren noch Verbindungstechniken?

Moderne Gesellschaften fordern eine nachhaltige Konstruktion und Produktion

Die Anforderungen an eine einfache Montage und Demontage werden übrigens höher und glücklicherweise seit Jahren schon aus verschiedenen Richtungen befeuert. In einigen Bereichen erfahren Schraubverbindungen dadurch eine Art Revival. Allerdings sind in der Industrie, was die Verbindungstechniken angeht, durchaus auch sich widersprechende Trends zu notieren. So führen die Trends zum Leichtbau und zur Automatisierung der Fertigung zum Teil zu gegenläufigen Entwicklungen als die zunehmenden Forderungen moderner Gesellschaften nach einer nachhaltigen Produktion, nach Ressourcenschonung und Recycling.

Leichtbau befördert das Kleben und Nieten, aber drängt Schrauben und Schweißen zurück

Denn der Leichtbau hat unter anderem in der Automobil- und Luftfahrtindustrie den Einsatz leichter Materialien, wie Aluminiumlegierungen, Kunststoffen und Verbundwerkstoffen, jahrelang befördert. Dadurch wurden und werden die Fahr- und Flugzeuge leichter, die Kraftstoffeffizienz verbessert. (Nicht zwingend verbrauchen die Fahrzeuge weniger Kraftstoff, da sie über die Jahrzehnte auch schwerer wurden, aber das ist ein anderes Thema.) Bei diesen Werkstoffen und Materialkombinationen werden aus verschiedenen Gründen verstärkt Verbindungsmethoden wie Kleben oder Nieten eingesetzt, die die Schraubmontage oder auch das Schweißen anteilig zurückdrängen. Auch der Einsatz des 3D-Drucks, der Konstrukteuren neue Möglichkeiten eröffnet, hat das Potenzial, Schraubenverbindungen in vielen Fällen zu ersetzen.

Parallel dazu steigt weltweit, zumindest in vielen Ländern der „Alten Welt“, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Recycling. Menschen, Regierungen und Unternehmen achten verstärkt darauf, Produkte ganz oder teilweise am Ende ihrer Lebensdauer recyceln zu können, stofflich zu verwerten oder den Kreislauf gar zu 100 % zu schließen. Dieser Trend spricht eher für die Verwendung von mehr Schraubverbindungen, da diese eine einfachere Demontage und Wiederverwendung einzelner Komponenten ermöglichen. Zumal diese Fügetechnik in der Regel sehr kostengünstig ist: Sie erfordert weniger spezialisierte Ausrüstung und Fachkenntnisse als andere Verbindungsmethoden, etwa das Schweißen.

EU will Recycling – und wiederverwendbare Konstruktionslösungen – noch stärker fördern

Auch wenn die „Letzte Generation“ in jüngerer Zeit eine mediale Wucht entfaltet, so ändert sich im Großen doch zumeist erst etwas, wenn es die Gesetze fordern. In Europa gelten schon länger verschiedene Richtlinien, die eine nachhaltigere Wirtschaft zum Ziel haben. So hat die Europäische Union bereits 2012 die „Richtlinie über Elektro- und Elektronikabfälle“ erlassen (Waste Electrical and Electronic Equipment Directive, WEEE), die bis 2014 in nationales Recht umzusetzen war. Die WEEE legt Anforderungen für die Entsorgung und das Recycling von elektronischen Geräten fest. Dazu zählt, dass bestimmte Materialien in den Geräten getrennt und recycelt (können) werden müssen, was letztlich nur erfüllt werden kann, wenn sich diese Produkte leichter demontieren lassen.

Außerdem hat die EU 2020 eine Agenda für die Förderung einer Kreislaufwirtschaft verabschiedet („Circular Economy Action Plan“), die darauf zielt, den Ressourcenverbrauch und die Abfallproduktion insgesamt zu reduzieren. Im Rahmen dieser Agenda werden aktuell und in näherer Zukunft verschiedene Maßnahmen ergriffen, mit denen das Recycling von Produkten gefördert werden soll, einschließlich der Förderung von wiederverwendbaren Konstruktionslösungen.

Böllhoff Ecotech vermittelt Verbindungstechnik-Know-how

Auf Unternehmen warten großen Herausforderungen – und auf Konstrukteur:innen viel Arbeit

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) unterstützt nach eigenen Angaben den „Action Plan“, warnt aber auch, der Plan schlage „zahlreiche Maßnahmen vor, die erheblich in die Gestaltung von Produkten, den Ablauf von Produktionsprozessen sowie die Ausgestaltung von Wertschöpfungsketten eingreifen werden“. Dies gelte etwa für den Ende März 2022 veröffentlichten Entwurf für eine neue Ökodesign-Verordnung, die unter anderem Fragen der Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit oder des Recyclinganteils in Produkten regeln soll.

Ebenso relevant seien verbraucherbezogene Initiativen, wie das geplante „Recht auf Reparatur“, das Auswirkungen auf das allgemeine Gewährleistungsrecht und langfristige Ersatzteil-Verfügbarkeiten haben werde. Das Ziel schadstofffreier Kreisläufe lasse „noch viele Fragen offen“ und werde „erhebliche Umstellungen in der Produktgestaltung und in Produktionsprozessen nach sich ziehen“, so der BDI. Man sehe wohl die Chancen für Unternehmen, mit innovativen und nachhaltigeren Produkten Wettbewerbsvorteile zu sichern. „Allerdings werden viele Unternehmen auf dem Weg dahin große Herausforderungen zu bewältigen haben.“

Mögliche Folgen der WEEE-Richtlinie für die Konstruktion

Zurück zu den möglichen Folgen der WEEE-Richtlinie für die Konstrukteur:innen der westlichen Welt. Die EU wollte mit der Richtlinie die Vermeidung, Verwertung und sichere Entsorgung von Abfällen fördern. Insbesondere bei der Vermeidung kommt das Design ins Spiel. In diesem Zusammenhang spricht die Forschungsgruppe Ecodesign der Universität Wien von „ökointelligenter Produktentwicklung“. Seit 1996 befasst sich die Gruppe mit den Prinzipien des „Ecodesigns“ und der Kreislaufwirtschaft; sie ist am Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung tätig, forscht im internationalen Umfeld.

Die Forscher:innen haben einige Tools entwickelt, mit denen sich Produkte verbessern und ökointelligenter gestalten lassen. Zu den Strategien zählen unter anderem die verwertungsgerechte sowie die demontagegerechte Produktentwicklung, wobei es bei der letzteren auch um die Wahl der geeigneten Verbindungstechnik geht. So sollen sich Konstrukteur:innen die Frage stellen, wie einfach die Demontage abläuft, welche Werkzeuge erforderlich und ob diese gebräuchlich sind oder wie gut die Verbindungsstellen erreicht werden können. Aber auch, wie häufig die Verbindungen im späteren Gebrauch gelöst werden müssen und ob das Verhältnis von Einfachheit und dauerhaft möglicher Lösbarkeit vertretbar ist.

Die Forschungsgruppe gibt Konstrukteuren zahlreiche weitere Tipps, zum Beispiel sollen sie:

  1. Recyclingfähige Werkstoffe wählen
    Schon in der Planungsphase sollen Werkstoffe bevorzugt werden, die in Zukunft wiederverwendet oder verwertet werden können. Konstrukteure benötigen daher spezielles Fachwissen über die Recyclingprozesse.
  2. Werkstofftrennung ermöglichen
    Wenn Werkstoffe, die sich im Prinzip leicht recyceln lassen, aus konstruktiven Gründen (Festigkeit, Steifigkeit) mit anderen Materialien verklebt oder anderweitig untrennbar verbunden werden, können sie zu einem Problem werden. Denn das mache die Wiederverwertung unter Umständen unmöglich. Die konstruktive Gestaltung sollte vielmehr grundsätzlich eine einfache Trennung ermöglichen – was wiederum bei Schraubverbindungen gegeben ist.
Elektronische-Geraete-Recycling-Materialtrennung-Schraubverbindung
Die WEEE legt Anforderungen für die Entsorgung und das Recycling von elektronischen Geräten fest. Dazu zählt, dass bestimmte Materialien in den Geräten getrennt und recycelt (können) werden müssen, was letztlich nur erfüllt werden kann, wenn sich diese Produkte leichter demontieren lassen.
Bild: Natalia/stock.adobe.com

Drei Jahrzehnte recyclingoptimierte Fahrzeugkonstruktion

Dass die Industrie hier zum Teil auf einem guten Weg ist, mögen Beispiele aus der Automobilindustrie belegen. So stellte BMW nach eigenen Angaben bereits 1992 die weltweit erste herstellereigene Werknorm „Recyclingoptimierte Fahrzeugkonstruktion“ vor, 1993 folgten die ersten Handbücher für Verwertungsbetriebe zur ökologischen Demontage.

Das Elektroauto i3 wurde von dem bayerischen Automobilhersteller rundherum mit einer robusten geschraubten/geklippten Kunststoffbeplankung versehen: „Kleine Rempler werden absorbiert, Beschädigungen des Lacks führen nicht zu Korrosion. Einzelne Bauteile der Außenhaut können schnell und kostengünstig (…)ausgewechselt werden“, schrieb BMW in einer Pressemitteilung zur Markteinführung des i3. Die Reparaturkosten lägen dadurch um rund 40 % niedriger als bei konventioneller Bauweise. Auch der Hochvolt-Speicher sei „so konstruiert, dass einzelne Batteriemodule zur Reparatur einfach ausgetauscht werden können“, was wiederum nur via Schraubtechnik möglich ist.

Künftig dürfte so manches Karosserieteil oder manche Innenraumkomponente wieder eher verschraubt statt verschweißt oder verklebt werden, um die Trennung der Materialien für den Recyclingprozess zu erleichtern und den Materialkreislauf zu schließen. Hierzu noch einmal BMW: 100 % seien das Ziel, formulierte der Premiumhersteller Ende 2021 seinen Anspruch an ein nachhaltiges Produkt, und stellte in dem Zusammenhang den BMW i Vision Circular vor, ein nach dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft konzipiertes Auto. Die Studie bestehe zu 100 % aus recycelten Materialien und sei ebenfalls zu 100 % recycelbar. Man darf also davon ausgehen, dass die Schraubmontage noch lange ihre Berechtigung als Verbindungstechnik behalten wird.


Lesetipps zur Auslegung von Schraubverbindungen

Informationen zur Auslegung von Schraubverbindungen finden Sie in unserer Serie Grundlagen der Schraubtechnik, von der bislang die folgenden Teile erschienen sind:

Unsere Whitepaper-Empfehlung
Systems Engineering im Fokus

Ingenieure bei der Teambesprechung

Mechanik, Elektrik und Software im Griff

Video-Tipp

Unterwegs zum Thema Metaverse auf der Hannover Messe...

Aktuelle Ausgabe
Titelbild KEM Konstruktion | Automation 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts
Webinare

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper
Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de