Startseite » Verbindungstechnik »

Kleinteile bestimmen Prozesskosten in der Montagetechnik

Bossard: Verbindungstechnik als Wettbewerbsvorteil
B- und C-Teile definieren Prozesskosten in der Montage

In vielen Produkten sind typischerweise bis zu 50 Prozent Kleinteile verbaut, die vermeintlich ‚nichts‘ kosten, berichtet Bossard-Deutschland-Chef Hans van der Velden. Hier sei eine ganzheitliche Sichtweise gefragt, die auch die dadurch verursachten Prozesskosten berücksichtigt und reduziert. Im Gespräch mit der KEM Konstruktion berichtet van der Velden davon, dass sich diese durchaus halbieren lassen. Der Kunde profitiert von höherer Produktivität als Wettbewerbsvorteil.

Interview: Michael Corban, Chefredakteur KEM Konstruktion

KEM Konstruktion: Herr van der Velden, Bossard dürfte den meisten als Spezialist für Verbindungselemente sowie die B- und C-Teile-Logistik bekannt sein – an welcher Stelle können und wollen Sie Engineering-Know-how einbringen?

Hans van der Velden: Am besten möglichst frühzeitig im Produktentstehungsprozess – denn hier werden die Randbedingungen insbesondere mit Blick auf die folgenden Montageprozesse festgelegt, was wiederum einen großen Einfluss auf die Kosten hat. Ziel ist, einen wettbewerbsfähigen Preis für das jeweilige Produkt zu realisieren. Genau an dieser Stelle setzen wir mit unserem Anwendungs-Engineering an, aufbauend auf der umfangreichen Erfahrung im Bereich der Verbindungselemente. C(ent)-Teile sollten nicht zur Prozesskostenfalle werden.

KEM Konstruktion: Könnten Sie das an einem Beispiel konkretisieren?

van der Velden: Gerne – nehmen wir das eines Lampenherstellers, der eine Dünnblechverbindung realisieren will. In der Vergangenheit wurde dazu eine Einpressmutter von der einen Seite gesetzt, von der anderen eine Schraube mit Sicherungselement montiert. Das hat immer funktioniert, keine Frage, war aber mit drei Bauteilen und zwei Montagerichtungen relativ komplex. Unsere Ingenieure haben sich den Prozess angesehen und dann vorgeschlagen, den Stanzprozess für die Einpressmutter durch Fließlochformen zu ersetzen und mit einer gewindefurchenden Schraube mit Kratznocken unter dem Kopf den elektrischen Kontakt herzustellen. Im Ergebnis reduzieren wir damit den Montageprozess auf ein Bauteil und eine Montagerichtung – was nicht nur die Automatisierung erleichtert, sondern im vorliegenden Fall bezogen auf die Material- und Montagezeiteinsparung auch die Kosten um 60 Prozent senkt.

KEM Konstruktion: Sind diese 60 Prozent ein repräsentativer Wert?

van der Velden: Normalerweise halten unsere Kunden 50 Prozent eher für unrealistisch – aber wie das Beispiel zeigt, lassen sich mit geringen Veränderungen beachtliche Resultate erzielen. Konkret hängt das natürlich vom jeweiligen Anwendungsfall ab und wie das Beispiel ebenfalls zeigt davon, dass bereits in der Designphase entsprechend vorgedacht wird, gerade mit Blick auf die Montageprozesse. Nicht zuletzt ist das auch der Grund, warum wir als Bossard in die 3D-Druck-Technologie eingestiegen sind. Mit einer Beteiligung von 49 Prozent an der 3d-prototyp GmbH im schweizerischen Stans festigen wir unsere Kompetenz in der additiven Fertigung.

KEM Konstruktion: Wie passen 3D-Druck und Verbindungstechnik zusammen?

van der Velden: Wollen wir für unsere Kunden bereits in der Designphase ein Partner sein, braucht man relativ schnell nicht nur Ideen und Skizzen – Entwickler und Konstrukteure wollen etwas in der Hand halten. 3D-gedruckte Prototypen auf Kunststoffbasis sind hier ideal und schnell verfügbar. Anhand dieser Modelle wird die Diskussion verschiedener Befestigungsstrategien sehr erleichtert und zielführender. Ein weiterer Aspekt ist, dass wir im Rahmen unserer strategischen Ausrichtung ja auch in den Verkauf von 3D-Druckern eingestiegen sind; bereits seit dem Frühjahr 2018 existieren Partnerschaften mit drei Herstellern von 3D-Druckern und die Bossard Gruppe hat für die Schweiz Vertretungen und Vertrieb übernommen. Damit wollen wir unseren Kunden die Gelegenheit geben, zu erkunden, ob und welche Bauteile sich zukünftig auch additiv herstellen lassen. Der Fokus liegt auch hier immer auf der Entwicklungsphase und vor allem dem technischen Verständnis! Wir denken, dass der 3D-Druck das Design der Produkte beeinflussen wird – und wenn die Bauteile dann beispielsweise viel mehr Hohlräume aufweisen, muss sich auch die Verbindungstechnik anpassen. Schrauben und Nieten wird dann unter Umständen nicht mehr ausreichen. Auch hier kommt uns unsere Erfahrung zugute, nicht zuletzt bei der Entwicklung neuer Fügetechnologien. Ein Beispiel ist etwa das prozesssichere Verbinden verschiedener Leichtbaumaterialien per MultiMaterial-Welding unserer Tochter KVT-Fastening (Anmerkung der Redaktion: siehe Zusatzinformation im Kasten).

KEM Konstruktion: Vorteile des 3D-Drucks liegen ja ebenfalls in der Reduzierung der Zahl der Bauteile und damit weniger Montagevorgängen. Etwas provokant gefragt: Entzieht sich Bossard damit nicht selbst die Geschäftsgrundlage?

van der Velden: Wir kannibalisieren unser Businessmodell etwas – das machen wir aber schon heute mit der Beratung zu klassischen Verbindungstechniken; am Ende landen wir ja meistens bei weniger Teilen. Entscheidend ist aber der folgende Aspekt: Unseren Kunden verhelfen wir damit zu wettbewerbsfähigeren Produkten, mit denen sie Marktanteile gewinnen können. Das führt zu steigenden Volumina und die Erfahrung zeigt, dass am Ende sowohl Kunde als auch wir besser damit fahren. Fokussieren wir uns zu Beginn ausschließlich auf das Produkt und seine Funktionen, profitieren Kunde und Bossard.

KEM Konstruktion: Wie sieht die Rechnung für das oben angesprochene Lampenbeispiel aus?

van der Velden: Das ist recht spannend, denn unser Umsatz ist kurzfristig um 75 Prozent eingebrochen, weil unter anderem die Einpressmuttern relativ kostenintensiv sind und nun entfallen. Das macht auch die im Vergleich höherpreisigere Sonderschraube nicht wett. Relevant aus Sicht des Kunden ist aber, dass durch die Reduzierung auf ein Bauteil und eine Montagerichtung die Zeiteinsparung im Montageprozess den Gewinn bringt. Anders formuliert: Er kann jetzt deutlich mehr Lampen in kürzerer Zeit fertigen und damit seinen Umsatz steigern. Entscheidend ist der entstehende Wettbewerbsvorteil.

KEM Konstruktion: Aus Sicht des Kunden verständlich, aber kann auch Bossard davon profitieren? Wie bepreisen Sie dann die Engineering-Dienstleistung?

van der Velden: Hier ist ganz wichtig, nicht den klassischen Bottom-up-Ansatz (Materialpreis + Marge = Verkaufspreis) zu wählen, sondern ausgehend von der Ist-Situation detailliert die Gesamtkosten herunterzurechnen. Für uns gibt es dann unterschiedliche Modelle, mit unseren Kunden zu einer Übereinkunft zu kommen. Einflussgrößen sind unter anderem Laufzeit oder Abnahmevolumen – immer unter Berücksichtigung der Produktivitätsziele des Kunden. Diese prozessgetriebene Sicht löst den Druck und stellt das umsetzbare Optimierungspotenzial in den Vordergrund.

KEM Konstruktion: Wie groß ist denn der Erfahrungsschatz, den die Bossard-Entwickler inzwischen aufbauen konnten?

van der Velden: Das ist sicherlich einer unserer größten Vorteile, welcher weit zurückreicht: Bossard wurde bereits 1831 in der Schweiz gegründet und ist bis heute – mittlerweile in der siebten Generation – familiengeführt. Trotz unserer global guten Vernetzung sind wir dabei immer ein überschaubares Unternehmen geblieben. Die fast 200 Entwickler machen weltweit rund zehn Prozent der Belegschaft aus. Alle Projekte werden zudem auf einer eigenen Plattform nachverfolgt – hilfreich insbesondere für junge Konstrukteure. Über die Plattform hat jeder Zugriff auf alle Details, was das schnelle Finden erster Ideen erlaubt basierend auf Beispielen aus verschiedensten Branchen. Der Vorteil ist: Auf diese Weise können wir branchenübergreifend neue Impulse geben und Trends setzen.

KEM Konstruktion: Entscheidend dürfte das prozessorientierte Denken sein – wie lautet Ihr Fazit?

van der Velden: Der Mehrwert entsteht immer aus einer Komplexitätsreduktion – das ist ein ganz wichtiges Thema. Je weniger Artikel zu bewirtschaften sind, desto besser. Hinzu kommt das Thema Qualität: Je weniger Teile verbaut werden müssen, desto weniger kann falsch gemacht werden. Interessant ist zudem aus unserer Sicht, dass viele Rückrufe bezogen auf die Verbindungstechnik auf konstruktiven Fehlern basieren – ein Grund mehr, bereits in frühen Phasen des Produktentstehungsprozesses entsprechendes Know-how einzubinden. Nicht minder wichtig sind folgend Schulungen des Personals, um Anwendungsfehler zu vermeiden. Umso erstaunlicher finde ich, in welch kurzer Zeit das Thema Verbindungstechnik in der Ingenieursausbildung abgehandelt wird. Logischerweise greift man dann auf bewährte Lösungen zurück und geht kein Risiko ein. Aus der Kenntnis um dieses ‚Unwissen‘ planen wir aktuell, unsere bislang nur intern genutzte E-Learning-Plattform auch für Kunden zu öffnen – mit entsprechend angepassten Inhalten und einem breiten Themenspektrum. Damit ergänzen wir die bereits bestehenden lokalen Fachseminarangebote.

KEM Konstruktion: Will heißen: Insbesondere auch in der Ausbildung müsste man das ‚fertigungsgerechte Auslegen‘ weiter stärken?

van der Velden: Exakt – denn bei Betrachtung der eingangs erwähnten Lampe zeigt sich, dass typischerweise zu 50 Prozent Kleinteile verbaut sind, die vermeintlich ‚nichts‘ kosten. Entscheidend ist aber, dass hier die höchsten Prozesskosten anfallen. Dieser wirtschaftliche Aspekt tritt allerdings häufig hinter die technologische Machbarkeit zurück. Gefragt ist eine ganzheitliche Sichtweise, die wir in Seminaren und Workshops aufzeigen.

KEM Konstruktion: Verraten Sie uns abschließend noch, ob Verbindungstechniken wie etwa das Kleben künftig eine sehr viel größere Rolle spielen werden?

van der Velden: Ausgangspunkt muss immer sein, in welcher Weise das Produkt eingesetzt wird. Der Schraubprozess dauert zwar am längsten, ist aber genau richtig, wenn ich später eine Verbindung auch wieder lösen will. In allen anderen Fällen kommen eher Einnieten oder Einpressen in Frage – hier arbeiten wir ständig an neuen innovativen Prozessen wie etwa dem schon erwähnten MultiMaterial-Welding.

www.bossard.com

Ein Überblick über das Engineering-Angebot findet sich hier:
hier.pro/GB7pP


MultiMaterial-Welding

 

Auf der Website der KEM Konstruktion ist die Aufzeichnung eines Webinars zum Thema MultiMaterial-Welding (MM-W) verfügbar, dem prozesssicheren Verbinden verschiedener Leichtbaumaterialien. Die Bossard-Tochter KVT-Fastening adressiert damit dauerhaft kraft- und formschlüssige Verbindungen von Leichtbau- oder Sandwichmaterialien. MM-W ermöglicht ein hohes Maß an Sicherheit sowie Effizienz und ist gleichzeitig so ausgelegt, dass die besonderen Eigenschaften des Trägermaterials sowie die Anforderungen der jeweiligen Anwendungen berücksichtigt werden können. Bei dem Verfahren werden thermoplastische Verbindungselemente per Ultraschallenergie fest mit dem Trägermaterial verbunden – Alternativen wie Nieten, Schrauben oder Kleben können entfallen. Abrufbar unter:

hier.pro/WLRg5

Sichere Befestigung in Wabenstrukturen und/oder porösen Bauteilen bietet die Befestigungs-Variante LiteWWeight
Bild: KVT-Fastening

Zum Unternehmen

Die Bossard-Gruppe bietet eine umfassende Produktpalette für mechanische sowie elektrotechnische Verbindungen wie Schrauben, Muttern, Holzschrauben, Unterlegscheiben und Dübel. Smart-Factory-Logistics-Lösungen ermöglichen die automatisierte C-Teile-Bewirtschaftung. Darüber hinaus werden Engineering- und Consulting-Dienstleistungen angeboten mit dem Ziel, Produktions- und Fertigungsprozesse zu optimieren. Das globale Unternehmensnetzwerk beschäftigt 2500 Mitarbeiter an 77 Standorten.

www.bossard.com

Unsere Whitepaper-Empfehlung


Hier finden Sie mehr über:
Systems Engineering im Fokus

Ingenieure bei der Teambesprechung

Mechanik, Elektrik und Software im Griff

Video-Tipp

Unterwegs zum Thema Metaverse auf der Hannover Messe...

Aktuelle Ausgabe
Titelbild KEM Konstruktion | Automation 3
Ausgabe
3.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts
Webinare

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper
Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de