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Vibroakkustische Metamaterialien erhöhen Schallschutz

Lärmreduktion
Vibroakkustische Metamaterialien erhöhen Schallschutz

Vibroakkustische Metamaterialien (VAMM) können Lärm und Schwingungen stark reduzieren und damit zum Schallschutz beitragen. Das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF in Darmstadt bringt die Technik nun zur Serienreife – von der Autotüre über Lärmschutzwände bis zu Raketen und Satelliten.

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion

Inhaltsverzeichnis

1. Schallschutz von Raumfahrt bis Automotive
2. Erstes Projekt für den Schallschutz bald im Feld
3. Projekt MetaVib untersucht Vorgehensweisen zur Auslegung von VAMM
4. viaMeta nimmt Leichtbaupotentiale von Fahrzeugen ins Visier

Vibroakkustische Metamaterialien können die Amplituden von schädlichen Strukturschwingungen und Lärm so tief und breitbandig reduzieren, wie das mit bisherigen Maßnahmen praktisch nicht umsetzbar ist“, sagt Heiko Atzrodt, Abteilungsleiter Strukturdynamik und Schwingungstechnik am Fraunhofer LBF. Das Konzept dahinter besticht durch seine Einfachheit: Es basiert lediglich auf einer Feder und einer Masse, die zusammen einen Resonator bilden. Von diesen werden viele auf dem zu stark dröhnenden oder schwingenden Bauteil angebracht, wodurch bestimmte Frequenzbereiche eliminiert werden. Die Auslegung kann dabei extrem vielfältig erfolgen: Von klassischen Federn über Gummipuffer in diversen Formen bis hin zu direkt ins Blech gestanzten Resonator-Elementen. Die Grundformel ist dabei ebenfalls simpel: Der Abstand zwischen den für den Einzelfall ausgelegten Resonatoren muss kleiner als die halbe Wellenlänge der zu beeinflussenden Schwingung sein. Dann entsteht ein sogenanntes Stoppband – ein Frequenzbereich, in dem keine freie Wellenübertragung möglich ist – welches die Schwingung reduziert. Resonatoren mit mehreren Resonanzfrequenzen ermöglichen die Erzeugung von zusätzlichen Stoppbändern. Hiermit kann die wirksame Frequenzbandbreite des vibroakustischen Metamaterials vergrößert oder Schwingungen reduziert werden, die durch eine Anregung mit mehreren Ordnungen entstehen.

Werden die Resonatoren um eine geeignete Aktorik, Sensorik und Regelung ergänzt, lassen sich aktive vibroakustische Metamaterialien umsetzen. Diese können breitere, tiefere oder im Betrieb verschiebbare Stoppbänder erzeugen. Hierdurch lassen sich Bauteile an sich verändernde Randbedingungen anpassen oder es kann zusätzlich Masse eingespart werden, was aktive VAMM für Leichtbaustrukturen attraktiv macht.

Schallschutz von Raumfahrt bis Automotive

„Wir haben die Technologie nicht erfunden, sie ist nicht völlig neu. Unser Fokus ist die Industrialisierung und die Adaption auf komplexe Strukturen“, erklärt Atzrodt. Denn für die industrielle Anwendung von VAMM fehlen aktuell noch entsprechende Auslegetools und Herstellungsverfahren. Daher ist das Thema noch immer ein Forschungsbereich, soll aber bereits in den nächsten Jahren reif für die Großserie sein. Das erste Projekt Silent Running war im Bereich Raumfahrt angesiedelt, denn auch bei Raketenkomponenten ist der Leichtbau ein immens wichtiges Feld. Daher werden zunehmend metallische Werkstoffe mit Faser-Kunststoff-Verbünden ersetzt. Dies gehe laut Fraunhofer allerdings mit einer erhöhten Schwingungsbelastung einher. Insbesondere während der Startphase könne das zu Schäden an Struktur und Nutzlast führen. Mit den Projektpartnern MT Aerospace und OHB-System AG entstanden drei Weltraumdemonstratoren. Die Ergebnisse zeigten, dass der Einsatz von vibroakustischen Metamaterialien im Weltraum realisierbar ist.

Klebstoffe für vielfältige Sandwich-Elemente

Auch für Satellitenstrukturen erarbeitete man kürzlich eine entsprechende Lösung: In der Regel werden diese aus Aluminium-Sandwichplatten mit einem Wabenkern zusammengesetzt. Im Betrieb lösen Aggregate wie Reaktionsräder und Kryokühler darin aber Mikroschwingungen aus, die Störungen an optischen Instrumenten verursachen. Forschende aus dem Fraunhofer LBF haben daher passende VAMM entwickelt, die das dynamische Verhalten der Satellitenkonstruktionen verbessern.

Erstes Projekt für den Schallschutz bald im Feld

2021 beauftragte zudem die österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (Asfinag) das Fraunhofer LBF mit der Entwicklung eines Laborprototyps, der zeigen sollte, ob die schwingungsmindernden Materialien in Lärmschutzwänden eingesetzt werden könnten. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Durch die mit VAMM ausgestattete Glas-Lärmschutzwand konnte im Labor eine Übertragungsreduktion von bis zu 20 dB im Vergleich zu einer konventionell absorbierenden Lärmschutzwand erzielt werden. Zur Verdeutlichung: Die Reduktion des Schalldruckpegels um sechs Dezibel bedeutet bereits eine Halbierung der wahrgenommenen Lautstärke. Prinzipiell wird der eintreffende Luftschall in Körperschall gewandelt. Dieser wird durch die Schallschutzwand nicht weiter- oder abgeleitet, sondern absorbiert. „Wir sehen in VAMM ein großes Potenzial in der effektiven Reduktion von Vibrationen und Lärm bei gleichzeitig geringerem Ressourceneinsatz“, so Projektleiter Sebastien Rieß aus dem Fraunhofer LBF. 2025 sollen die ersten Meter in Österreich an der Autobahn aufgebaut werden. Wenn alles gut läuft, könnten dann bald auch größere Strecken folgen.

Projekt MetaVib untersucht Vorgehensweisen zur Auslegung von VAMM

Bis vor kurzem erfolgte die Auslegung und Herstellung vibroakustischer Metamaterialien meist ohne ausreichende systematische Vorgehensweise oder Berücksichtigung wirtschaftlicher Herstellungsprozesse. Diese Aspekte wurden im institutsübergreifenden und inzwischen abgeschlossenen Projekt MetaVib adressiert. Dabei wurden generische Methodiken zur Charakterisierung und numerischen Auslegung von VAMM entwickelt. Mit der Verwendung dieses Auslegungsprozesses wurden Konzepte speziell für die Fahrzeugtür und die Schalldämpferkulissen ausgelegt und gefertigt (meist aus Metallen und Kunststoffen). Die gewonnenen Erkenntnisse aus den gefertigten Demonstratoren werden auch in der virtuellen Entwicklung berücksichtigt. Dies soll in eine virtuelle Toolbox einfließen, die das Design und die Optimierung von Strukturen als VAMM auf unterschiedlichen Detaillierungsstufen ermöglicht. Zudem startet dieses Jahr noch ein Projekt, das die Integration von VAMM direkt im Kunststoff-Spritzguss erforschen soll.

Neue Messe für akustische Lösungen

viaMeta nimmt Leichtbaupotentiale von Fahrzeugen ins Visier

Das aktuelle Projekt viaMeta soll die Leichtbaupotentiale zukünftiger Fahrzeuge erschließen. Dazu werden Strukturen konsequent verschlankt und den daraus resultierenden, strukturdynamischen Herausforderungen mit VAMM begegnet. Die zur Nutzung im Fahrzeugbau fehlenden, anwendungsspezifischen Designkonzepte, Entwurfsprozesse und Produktionsverfahren werden zusammen mit Mercedes-Benz, dem Schwingungstechnik-Spezialisten Boge Elastmetall sowie dem Berechnungsmethoden-Entwickler Novicos und dem Institut für Kraftfahrzeuge der RWTH Aachen entwickelt. „Da für VAMM lediglich Feder und Masse notwendig sind, kann man diese auch wunderbar aus CO2-neutralen oder -positiven Werkstoffen fertigen“, führt Atzrodt weiter aus. Da es sich nur um ein Add-on handelt – also nicht Teil der eigentlichen Struktur ist – können auch grüne Materialien problemlos zum Einsatz kommen, der Auslegeprozess ist nicht anders. Im Vergleich zu Bitumen-Dämmstoffen wäre hier eine Verbesserung der CO2-Bilanz erreichbar.

„Die vibroakkustischen Metamaterialien werden sich neben Isolation, Tilgung und Dämpfung als vierte standardmäßige Maßnahme zur Lärm- und Schwingungsminderung etablieren“, ist sich Atzrodt sicher. Dass das Thema immens wichtig ist, weiß sogar die WHO: Deren Erkenntnissen nach ist Lärm die zweitgefährlichste Umweltgefahr für Menschen, nach der Luftverschmutzung.

www.lbf.fraunhofer.de

Weitere Details zu Anwendungsfällen finden sich auf der Website des Fraunhofer LBF

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