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Softwaredefinierte Fahrzeuge sind Voraussetzung für autonomes Fahren

Fahrzeugbau
Softwaredefinierte Fahrzeuge sind Voraussetzung für autonomes Fahren

Der Trend zum softwaredefinierten Fahrzeug ist nicht mehr aufzuhalten. Das bedeutet, das Auto der Zukunft ist softwaregesteuert, autonom und vernetzt. Im Trendinterview der KEM Konstruktion|Automation erklären Branchenexperten, welche Chancen und Herausforderungen mit dieser Transformation verbunden sind. Zudem erläutern sie, welchen Nutzen Anwender, als FahrerInnen davon haben.

Interview: Johannes Gillar, stellvertretender Chefredakteur KEM Konstruktion|Automation

Inhaltsverzeichnis

1. Software Defined Vehicles umfassen das gesamte Fahrzeug-Ökosystem
2. SDV müssen mit entsprechender Hardware ausgestattet sein
3. SDV-Architekturen verringern die Komplexität
4. Vehicle OS ist ein zentraler Baustein im softwaredefinierten Fahrzeug
5. Cybersecurity ist für SDVs besonders wichtig
6. Konkreter Nutzen von SDVs für den Endkunden ist ein offeneres Ökosystem

Software Defined Vehicles umfassen das gesamte Fahrzeug-Ökosystem

KEM Konstruktion|Automation: Sogenannte Software-defined Vehicles (SDV) gelten als wegweisend für die Zukunft der Mobilität. Was genau muss man sich unter einem softwaredefinierten Fahrzeug vorstellen und welche Funktionen eines Fahrzeugs sind softwaredefiniert? Kann das ‚nur‘ Fahrerassistenz, Infotainment sowie Connectivity-Lösungen oder auch Antrieb und Fahrwerk?

Alexander Bodensohn (Aurora Labs): SDVs gehen über Fahrerassistenz-, Infotainment- und Connectivity-Lösungen hinaus und definieren die gesamte Automotive Industrie neu. Sie umfassen das gesamte Fahrzeug-Ökosystem und lösen die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Softwareentwicklung, -integration und -aktualisierung während des gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs. Dieser umfassende Ansatz ermöglicht Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Vernetzung, insbesondere für anspruchsvolle Anwendungsfälle wie autonomes Parken.

Derek de Bono (Valeo): Das Wichtigste bei einem SDV ist die Entkopplung von SW und HW in einem Fahrzeug. Dies ermöglicht, die SW eines Fahrzeugs kontinuierlich zu aktualisieren und neue Merkmale & Funktionen hinzuzufügen, die auf der vorhandenen HW des Fahrzeugs basieren. Dies erlaubt uns, das Fahrzeug immer frisch zu halten, die Benutzererfahrung des Fahrzeugbesitzers zu aktualisieren oder das Fahrzeug auf die Bedürfnisse des Besitzers zuzuschneiden. Etwa eine höhere Leistung des E-Motors, neue Beleuchtungsfunktionen oder Fahrhilfen und Infotainment.

Sven Kopacz (Keysight Technologies): In der Vergangenheit waren Fahrzeuge Hardware-zentriert. Bei einem softwaredefinierten Fahrzeug werden der Funktionsumfang und das Verhalten stärker durch die Software als durch die Mechanik bzw. verbaute Hardware definiert und das Gesamtfahrerlebnis entsprechend geprägt. Die Software verteilt sich dabei auf Fahrzeug und Cloud und wird über die Lebensdauer des Fahrzeugs aktuell gehalten.

Nicolas Legros (Here Technologies): Zunächst ist das Software Defined Vehicle (SDV) eine softwarebasierte Fahrzeugarchitektur, in der die Software die Hauptrolle spielt, nicht die Hardware. Diese Architektur umfasst nicht nur das Fahrzeug, sondern ein ganzes Ökosystem mit Assistenzsystemen, Infotainment, Vernetzung und Fahrfunktionen. Dazu zählen auch Funktionalitäten außerhalb des eigentlichen Fahrzeugs, wie Cloud-Speicher, Datenbereinigung, Simulationen oder Feedback-Schleifen. Die einzelnen Komponenten eines Software Defined Vehicles lassen sich über den Lebenszyklus des Fahrzeugs fortlaufend aktualisieren. Dies eröffnet dem Fahrzeughersteller neue Umsatzmöglichkeiten und erhöht gleichzeitig die Kundenzufriedenheit. Fahrer:innen profitieren von immer besseren Diensten rund um Navigation, Tempo- oder Spurhalteassistenten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das Fahrwerk oder der Antrieb stehen in diesem Ökosystem eher nicht im Vordergrund. Zu den bestehenden Investitionen in Hardware kommen weitere Investitionen zu Software hinzu. Dabei ersetzt das eine nicht das andere. Die Industrie baut ihre Investitionen in Software immer weiter aus.

Michael Pollner (Cognizant Mobility): Aus unserer Sicht steht im Kern eines jeden SDV die Infrastruktur, um schnell und effizient SW für Fahrzeuge zu entwickeln und ebenso schnell auf das Fahrzeug zu deployen. Die Kernidee dabei ist, neue Features und Funktionen schnell und ohne komplexe Architekturabstimmungen auf das Fahrzeug zu bekommen. Das setzt natürlich eine starke Abstraktion voraus. Und zur letzten Frage: Ja, keine Funktion ist prinzipiell ausgeschlossen. Bei Antrieb und Fahrwerk sind natürlich die Punkte ‚Functional safety‘ und Security besonders wichtig, aber sie sind dennoch Bestandteil des SDV. Ein Beispiel wäre ein neues Feature in einer Assistenzfunktion.

Harald Ruckriegel (Red Hat): Softwaredefiniertes Fahrzeug bedeutet, dass Funktionen, die herkömmlicherweise etwa in Firmware oder ROM fest kodiert sind, in einen Software-Layer überführt werden, der auf standardisierter Hardware läuft. Die Entkopplung der Software von der Hardware ermöglicht neben der Hardware-Unabhängigkeit eine Standardisierung und bietet Vorteile wie eine höhere Skalierbarkeit und Flexibilität, ein vereinfachtes Management und letztlich auch geringere Kosten. Die Abstrahierung der Software von der Hardware unterstützt darüber hinaus die Bereitstellung schnell integrierbarer Softwarekomponenten oder neuer Funktionen. Prinzipiell ist das Software-defined-Konzept für alle Arten von ECUs nutzbar, für QM, Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) und Autonomous Driving (AD) sowie für Infotainment und Digital Cockpit. Im Kontext der ECU-Konsolidierung wird es vor allem stärkere Änderungen bei den HPC-ECUs geben.

SDV müssen mit entsprechender Hardware ausgestattet sein

KEM Konstruktion|Automation: Welche technischen Anforderungen (SW-Updates Over-the-Air, zonale Domänenarchitektur, etc.) müssen Hersteller für ein Software-defined Vehicle umsetzen?

Bodensohn (Aurora Labs): Die Hersteller müssen eine fahrzeugübergreifende Architektur einführen und von einem funktional begrenzten zu einem ganzheitlichen Design übergehen. Zonale Domänenarchitekturen organisieren die Funktionen mit dem Ziel einer höheren Effizienz, und das Lebenszyklusmanagement sichert kontinuierliche Aktualisierungen, während Over-the-Air-Updates (OTA-Updates) Werkstattbesuche ersetzen. Die Unabhängigkeit von Software- und Hardware-Lebenszyklen ermöglicht eine höhere Flexibilität.

de Bono (Valeo): Um das SDV zu realisieren, muss das Auto bereits mit der entsprechenden Hardware ausgestattet sein. Das können zum Beispiel Kameras, Radarsensoren oder Lidarsensoren sein. In zwei oder drei Jahren wird es vielleicht Anwendungen geben, die mit einem Software-Update aktiviert werden können. Das bedeutet auch, dass das Fahrzeug über die Rechenleistung und den Speicher verfügen muss, um die neue SW ausführen zu können.

Kopacz (Keysight Technologies): SDV bietet ein enormes Potenzial für Innovation und Anpassung, bringt jedoch auch neue Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit, Cybersecurity und Datenschutz mit sich, da Fahrzeuge zunehmend vernetzt sind. SDVs basieren auf einem kontinuierlichen Datenaustausch zwischen dem Fahrzeug und dem Hersteller, was die Notwendigkeit sicherer Datenübertragungsprotokolle und einer besseren Transparenz der Datenerfassung mit sich bringt. Die elektronische Fahrzeugarchitektur befindet sich in einem Änderungsprozess: Von einer verteilten ECU-Architektur zu einer Domain Controller-basierten Architektur, bis hin zu einer zentralen Zonenarchitektur. Die Software-Architekturen von neuen E/E-Plattformen ermöglichen eine Entkopplung von Hardware und Software. Diese Entwicklungsschritte erfordern entsprechend angepasste Cybersicherheitslösungen: Intrusion Detection Systems (IDS), Crypto Services und Key Management werden zu Standardlösungen im Fahrzeug.

Legros (Here Technologies): Es gibt verschiedene Anforderungen an die Architektur. Dazu gehören System-on-Chip-Architekturen der Elektronik sowie hohe Rechenkapazitäten. Beim Software Defined Vehicle müssen wir über die Grenzen der Fahrzeugkarosserie hinausdenken und zum Beispiel das Cloud-Backend mit einbeziehen, über das Updates ausgeliefert werden, genauso wie neue Dienste und Funktionalitäten. Die Wolke fährt mit.

Pollner (Cognizant Mobility): Beispielsweise muss das ‚Software Packaging‘ umgesetzt werden. Installierbare Artefakte müssen im Entwicklungsprozess erzeugt werden, die wiederum nicht ein ‚Flashen‘ der Steuergeräte erzwingen dürfen. Das bedeutet, dass die eigentliche Software-Funktion von der Steuergerät-Software getrennt betrachtet werden kann/muss. Darüber hinaus ist eine ‚servicebasierte Infrastruktur‘ eine entscheidende Anforderung. Dies bedeutet, dass die Hardware so weit abstrahiert wird, dass nur auf der Ebene von verfügbaren Services/Microservices gedacht werden kann.

Ruckriegel (Red Hat): Wesentliche Bestandteile eines Software-defined Vehicle sind eine In-Vehicle Runtime, eine verteilte Entwicklungs- und Testing-Umgebung sowie eine Connected Vehicle Platform, die als Grundlage einer Hybrid-Cloud-Umgebung für softwaredefinierte Fahrzeuge fungieren kann. Eine konsistente Hybrid-Cloud-Umgebung schlägt dabei die Brücke von der Cloud-nativen Backend-Entwicklung bis zur Fahrzeug-Software. Damit können OEMs während des gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs Over-the-Air (OTA)-Updates bereitstellen, etwa kontinuierliche Funktionsaktualisierungen oder Sicherheitsupdates.

SDV-Architekturen verringern die Komplexität

KEM Konstruktion|Automation: In der Automobilindustrie haben sich elektronische Steuergeräte (ECUs) zu komplexen Systemen entwickelt, die stark von Software abhängig sind. Die Software-Integration in das Fahrzeugsystem, Zertifizierungs-Updates, mehrere Over-the-Air-Updates (OTA) und kontinuierliche Tests während der gesamten Lebensdauer eines Steuergeräts bringen erhebliche Herausforderungen und Kosten für Fahrzeug-OEMs mit sich. Wie unterstützen Sie Ihre Kunden hierbei?

Bodensohn (Aurora Labs): Aurora Labs adressiert Herausforderungen und Kosten in der Automobilindustrie bei der Entwicklung von Steuergeräten durch das „Shift Left“-Paradigma. Der Fokus liegt auf der frühzeitigen Problemerkennung, wodurch die Kosten zur Behebung sinken. Mithilfe von KI-Tools verbessern wir die Effizienz und Genauigkeit von Entwicklungs-, Test-, Integrations- und Zertifizierungsprozessen für OEMs. Die nahtlose Integration unserer OTA-Updates in den Entwicklungsprozess minimieren die Bereitstellungskosten.

de Bono (Valeo): Auf der IAA gaben wir den Startschuss für ‚Valeo anSWer‘ und die Transformation, um Valeo zu einem softwaredefinierten Unternehmen zu machen. Diese Strategie stützt sich auf drei Säulen: Anwendungen, Kern-SW-Plattformen und SW-Engineering-Services. Hier geht es um Integration, Validierung während der Fahrzeug-Entwicklung und nach dem SOP, wenn wir im Rahmen eines Wartungsdienstes für OEMs neue Updates vorbereiten. Dies ist wichtig, da der Lebenszyklus von SW nicht mit dem von HW vergleichbar ist, sondern noch viele Jahre andauert.

Kopacz (Keysight Technologies): Keysight ermöglicht automatisiertes Testen im Labor als Teil des Entwicklungszyklus. Dies ermöglicht es der Forschung und Entwicklung, Kosten und Zeit auf der Teststrecke zu reduzieren. Viele der Keysight Sensor- und Konnektivitäts-Testlösungen können in eine HIL-Umgebung (Hardware in the Loop) integriert werden, um Regressionstests mit definierten Setups zu ermöglichen. Darüber hinaus deckt Keysight das Thema Cybersecurity sowohl für die Fahrzeugsoftware als auch für das Testen des Backends, das Over-the-Air (OTA) Software-Updates bereitstellt, ab. Mit diesen Lösungen kann das Risiko von Schäden oder Datendiebstahl durch Cyberkriminelle verringert werden.

Legros (Here Technologies): Das Praktische ist ja, dass SDV-Architekturen die Komplexität verringern. Es werden weniger ECUs benötigt, dafür mehr zentralisierte und Cloud-basierte Rechenpower. Here unterstützt seine Kunden mit Location Intelligence und ortsbezogenen Diensten. Damit kontextualisieren wir die Services, die OEMs ihren Kund:inneen anbieten. Mit unseren Kartenprodukten wie der HD LiveMap, der ADAS Map und unserer ISA-Karte ermöglichen wir ein sichereres Fahrerlebnis. Unsere Angebote für E-Fahrzeuge, mit denen sich zum Beispiel die Verfügbarkeit von freien Ladesäulen vorhersagen lassen, helfen, die Reichweitenangst in der E-Mobilität zu mindern. Mit unseren Service Development Kits können OEM-Kund:innen neuartige digitale Cockpits entwickeln und sich als Marke differenzieren. Der Beitrag von Here dreht sich immer um den Einsatz und das Kontextualisieren von ortsbezogenen Informationen. So rücken wir digitale Navigation ins Zentrum des Fahrerlebnisses. Wir sind unabhängig vom konkreten Anwendungsfall SDV-ready, da alle unsere Produkte, Dienste und der gesamte Content semantisch abgestimmt sind. So erreichen wir eine effizientere und nahtlose Integration für unsere Kund:innen.

Pollner (Cognizant Mobility): Wir haben als Embedded-Experten einen durchgängigen Technologieüberblick und können daher immer auf die für den jeweiligen Kunden passendsten Ansätze setzen. Wir unterstützen unsere Kunden in Form von Consulting und Umsetzung in allen Bereichen der effizienten Software-Gestaltung und Embedded-Entwicklung. Zudem helfen wir unseren Kunden auch dabei State-of-the-Art Ansätze verfolgen zu können. So zum Beispiel die Virtualisierung bei der Embedded Entwicklung durch neuartige Entwicklungs-Pipelines.

Ruckriegel (Red Hat): Das softwaredefinierte Fahrzeug ist ein komplexes Thema, das viele Aspekte wie Fahrzeug-Onboard und -Offboard oder Cloud umfasst. Red Hat unterstützt OEMs hierbei auf vielfältige Weise, etwa mit einer Connected Vehicle Architecture als Fundament und Referenzarchitektur einer Automotive Cloud. Die Architektur basiert auf Red Hat OpenShift und verschiedenen Komponenten der Red Hat Application Services, die für eine Cloud-native Nutzung optimiert sind. Prinzipiell kann die Architektur damit als Grundlage einer Hybrid-Cloud-Umgebung für softwaredefinierte Fahrzeuge fungieren, die verschiedene Anwendungsfälle wie OTA-Bereitstellungen, das Fahrer-Monitoring oder KI und ML unterstützt.

Vehicle OS ist ein zentraler Baustein im softwaredefinierten Fahrzeug

KEM Konstruktion|Automation: Das Vehicle OS ist ein zentraler Baustein im softwaredefinierten Fahrzeug. Wie definieren Sie den Begriff Vehicle OS?

Bodensohn (Aurora Labs): Der Begriff ‚Vehicle OS‘ bezieht sich auf das zentrale Betriebssystem innerhalb eines SDV. Dieses lässt sich in die Software-Betriebsebene, einschließlich der Middleware, und in die Anwendungsebene, insbesondere die User Experience (UX), unterteilen. Eine branchenübergreifende Standardisierung der Middleware senkt die Entwicklungs-, Zertifizierungs- und Wartungskosten, was die Effizienz fördern würde. Auf der Anwendungsebene können sich die Hersteller durch eine einzigartige UX differenzieren.

de Bono (Valeo): Ein Betriebssystem besteht aus mehreren Komponenten, Diensten und einer Zeitplanung, es ermöglicht die Ausführung diverser Anwendungen auf einer bestimmten HW. Die Aufgabe eines Betriebssystems für Fahrzeuge besteht darin, dafür zu sorgen, dass diese Anwendungen effizient und sicher laufen und dass wir diese Anwendungen während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs aktualisieren können.

Kopacz (Keysight Technologies): Vehicle OS (Operating System) ist ein Betriebssystem, das auf die speziellen Anforderungen im Fahrzeug ausgerichtet ist und Grundfunktionen für Applikationssoftware bereitstellt. Mit Vehicle OS wird eine einheitliche Software für wenige Zentralrechner geschaffen, die die unterschiedliche, teilweise proprietäre Software auf verteilten Steuergeräten (ECUs) ersetzt. Diese Software Plattform für die Auto-Elektronik stellt neue Funktionalitäten wie OTA-Updates und eine höhere Rechenleistung zur Verfügung.

Legros (Here Technologies): Das Vehicle OS ist die Software-Integrationsplattform des Fahrzeugs. Dort laufen Sensorinformationen zusammen, die auch unsere Karten nutzen, um aktuelle und präzise Informationen über die Fahrzeugumgebung bereitzustellen. Über das Vehicle OS läuft auch die Vehicle2Vehicle- und die Vehicle2Infrastructure-Kommunikation. Und selbstverständlich nutzt das Betriebssystem die Kartendaten. Letztlich betrachten wir jede Karte wie einen weiteren Sensor. Wir sind der Ansicht, dass Location Intelligence ein zentraler Baustein eines wirklich guten Vehicle OS sein muss.

Pollner (Cognizant Mobility): Wir sehen Vehicle OS als einen standardisierten Funktions- und Servicekatalog. Nur wenn fahrzeugübergreifend ein bestimmter Service gleichermaßen angeboten werden kann, dann ist das OS vergleichbar mit einer ‚Vehicle-API‘. Die Vorteile liegen auf der Hand: Neue Service/Microservice lassen sich auf alle Fahrzeuge deployen ohne, dass eine komplexe, fehleranfällige, zeit- und kostenintensive Änderung in den Schichten darunter erfolgen muss.

Ruckriegel (Red Hat): Ein zentrales Vehicle OS bringt mehr Flexibilität in das Software-Ökosystem der Automobilindustrie und ermöglicht es den Fahrzeugherstellern und ihren Partnern, sich auf innovative Anwendungen, Services und Funktionalitäten rund um das Auto der Zukunft zu fokussieren. Das heißt, ein standardisiertes Linux-Betriebssystem kann als eine leistungsfähige Basis für alle darüber liegenden spezifischen Softwareplattformen der OEMs fungieren, mit denen sie sich differenzieren können: vom Hersteller-Betriebssystem über die Middleware und Applikationen bis hin zu den Services.

Cybersecurity ist für SDVs besonders wichtig

KEM Konstruktion|Automation: Wie sehen die Sicherheitsbetrachtungen – Stichwort Cybersecurity – zu Software-defined Vehicles aus?

Bodensohn (Aurora Labs): Die Sicherheit in SDVs ist aufgrund der Connectivity entscheidend. Die Beschränkung offener Ports, die Absicherung der einzelnen Ports und die Verschlüsselung von Softwareübertragungen verringern den unbefugten Zugriff. Ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Connectivity ist wichtig, um die Vorteile der Fahrzeug-zu-Fahrzeug- und Fahrzeug-zu-Infrastruktur-Kommunikation zu bewahren. Eine umfassende Cybersicherheitsstrategie ist unerlässlich und wird durch die UN-Regulation R.155 geregelt.

de Bono (Valeo): Für das SDV gilt der Grundsatz ‚Security by Design‘, wie er in internationalen Vorschriften wie der UN R155 gefordert wird. Der Entwurf sollte erweiterte Möglichkeiten für SW-Updates und -Upgrades beinhalten, mit Prozessen, die an ein höheres Änderungstempo angepasst sind. Die Regelung UN R156 (OTA) bietet ein Mittel zur Gewährleistung der Instandhaltung für SDV. Als Zulieferer entwickeln wir unsere Produkte gemäß der UN R155-Vorschrift und der ISO/SAE 21434-Norm, um die Cybersicherheit sowohl der HW als auch der SW zu gewährleisten. Wir arbeiten eng mit den OEMs zusammen in puncto sichere Produkte als auch in puncto Fahrzeug-SW-Wartungsprogramme.

Kopacz (Keysight Technologies): Cybersecurity ist für SDVs besonders wichtig, um kritische Ereignisse zu vermeiden:

  • Hacker stehlen Daten aus dem Auto (GPS-Standortinformationen, Kontakte, Zugriff auf interne Mikrofone und Kamera)
  • Hacker kontrollieren oder manipulieren Fahrzeugdaten (Sensordaten, ADAS-System, Alarmanlage, Kollisionsvermeidungssysteme).
  • Hacker greifen auf das Infotainmentsystem zu (Standort, Mikrofone, Kamera, WLAN-Verbindungen).
  • Hacker greifen auf ADAS/AV-System zu (führt zu datengesteuerten „schlechten“ Entscheidungen beim autonomen Fahren)

Mit SDVs erfolgt eine permanente Aktualisierung bzw. Änderung der Software über den gesamten Fahrzeug-Lebenszyklus. Besonders herausfordernd sind sich ständig weiterentwickelnde Cyberbedrohungen. Dementsprechend muss die gesamte Fahrzeug-Software kontinuierlich auf neue Sicherheitslücken geprüft werden. Keysight bietet genau für diese Anforderungen eine umfangreiche Testlösung, mit der die gesamte Angriffsoberfläche, also alle Schnittstellen des Fahrzeugs – kabelgebundene Fahrzeug-Kommunikationsnetzwerke wie CAN oder Automotive Ethernet oder drahtlose Verbindungen über WiFi, Bluetooth oder Mobilfunk- auf Cybersicherheit getestet werden können.

Legros (Here Technologies): Mit nur wenigen ortsbezogenen Informationen lassen sich bereits Bewegungsprofile erstellen, die Rückschlüsse auf eine bestimmte Person zulassen. Deshalb ist es wichtig, Daten so zu bereinigen, dass keine Erkenntnisse über einzelne Personen mehr möglich sind. Das ist kein triviales Unterfangen. Auch Fahrzeuge müssen anonymisiert werden, um die Privatsphäre zu schützen. Die Notwendigkeit des Datenschutzes ergibt sich aus der Vernetzung der Software Defined Vehicles. Wir verfolgen daher einen Privacy-by-Design-Ansatz und setzen auf sichere Architekturen. Wir bieten unseren Kund:innen Location Intelligence und unser Geschäftsmodell ist, Privatsphäre in den Mittelpunkt zu stellen. Deswegen verkaufen wir auch keine persönlichen Daten oder lassen Tracking zu. Darüber hinaus muss die Sicherheitsarchitektur von vernetzten Fahrzeugen und der Infrastruktur ständig weiterentwickelt werden.

Pollner (Cognizant Mobility): Die Flexibilität durch SDV muss auch in den Security-Mechanismen aufgegriffen werden. Das heißt, alle Verbindungen und damit mögliche Angriffsvektoren ins Fahrzeug müssen abgesichert werden. So z.B. via Verschlüsselung, Authentifizierung und Signaturen (Echtheit neuer Softwarefragmente). Ein Monitoring muss etabliert werden, um kontinuierlich nach auffälligen Mustern zu suchen. Auch ganz banal klingende Anforderungen sind neu zu etablieren. So zum Beispiel Mechanismen, die immer klären, welcher exakte SW-Stand aller einzelnen Komponenten läuft, gerade auf dem Fahrzeug, welche Libraries werden aktuell genutzt und wo sind bei den verwendeten Libraries bspw. Schwachstellen bekannt geworden.

Ruckriegel (Red Hat): Von entscheidender Bedeutung ist vor allem ein speziell für den Automotive-Bereich ausgelegtes Linux-Betriebssystem. Es muss folgende Anforderungen erfüllen: eine Workload-Orchestrierung, eine sichere Prozessisolierung, eine regelmäßige Aktualisierung und eine Zertifizierung für funktionale Sicherheit. Es gehört zu den Aufgabenschwerpunkten von Red Hat, die Entwicklung hierbei unter anderem in etlichen Gremien, Initiativen, Communities und Projektgruppen aktiv voranzutreiben.

Konkreter Nutzen von SDVs für den Endkunden ist ein offeneres Ökosystem

KEM Konstruktion|Automation: Autos werden zunehmend zu Software Defined Vehicles und zu Computern auf Rädern. Welchen Nutzen haben Anwender, also FahrerInnen davon?

Bodensohn (Aurora Labs): Die Entwicklung von Fahrzeugen zu softwaredefinierten Einheiten verändert die Nutzererfahrung grundlegend. Zuvor lag der Fokus auf dem Fahren, nun richtet er sich auf die Beifahrerrolle. Autos werden zu immersiven Umgebungen mit nahtlosen Software-Updates für neue Funktionen und Dienste. Die bereichsübergreifende Integration und die nahtlose Bereitstellung von Diensten stehen im Mittelpunkt. Diese Verlagerung von Problemlösung zur Verbesserung des Fahrerlebnisses erfordert eine neue Denkweise.

de Bono (Valeo): Der größte Vorteil ist, dass ein SDV ein Fahrzeug ist, das sich mit dem Besitzer weiterentwickeln kann, je nachdem wie sich dessen Bedürfnisse im Laufe der Lebensdauer des Fahrzeugs verändern. Die einzige Einschränkung ist die Fahrzeug HW. Wenn Sie z. B. in der Stadt leben, ist die Standardbeleuchtung Ihres Fahrzeugs vielleicht ausreichend, aber wenn Sie aufs Land ziehen und oft im Dunkeln auf Landstraßen fahren, möchten Sie vielleicht mehr Leistung und intelligentere Beleuchtung hinzufügen. Oder Sie möchten in den Urlaub fahren und wünschen sich mehr Leistung von Ihrem Elektromotor.

Kopacz (Keysight Technologies): SDVs bieten gesteigerten Komfort und höhere Sicherheit durch vernetzte Datennutzung (connected vehicle) und erweiterte Software Funktionen (ADAS bzw. AV). Darüber hinaus können Funktionen, die unabhängig von der verbauten Hardware sind, mittels OTA-Updates kontinuierlich aktualisiert werden. Und nicht zuletzt profitieren die Autofahrenden von einer höheren Flexibilität auch noch nach dem Fahrzeugkauf durch Aktivierung von erweiterten Leistungs-, Sicherheits- und Komfortfunktionen.

Legros (Here Technologies): Das Software Defined Vehicle ist kein Selbstzweck. Vernetzte und softwarebasierte Anwendungen sollen für mehr Komfort und Sicherheit sorgen und das Fahrerlebnis angenehmer gestalten. Der Lebenszyklus einzelner Anwendungen lässt sich leichter managen und es lassen sich neue Features und Funktionalitäten hinzufügen, aus denen Fahrer:innen auswählen können und die natürlich auch den OEMs helfen, sich vom Wettbewerb abzugrenzen.

Pollner (Cognizant Mobility): Ein konkreter Nutzen für den Endkunden kann ein offeneres Ökosysteme sein, als wir es heute kennen. Fremd-Apps und Microservices werden nutzbar. Der größte Nutzen besteht aber sicher in der Möglichkeit das Fahrzeug über einen deutlich längeren Zeitraum up-to-date halten und immer neue Funktionen nutzen zu können ohne das Fahrzeug wechseln zu müssen. Dies hat enormen Impact auf die Nachhaltigkeit von Fahrzeugen, denn das Auto mit der besten CO2 Bilanz ist das Auto, das nicht neu gekauft werden muss.

Ruckriegel (Red Hat): Moderne Autos bieten dem Kunden ein völlig neues Fahrerlebnis, von den bordeigenen Sicherheits- und Infotainment-Systemen bis hin zum Betrieb des Fahrzeugs selbst. Ein Software-defined Vehicle unterstützt zum Beispiel die Umsetzung neuer Dienstleistungen wie Feature as a Service, die Fahrzeugnutzern eine einfache Freischaltung zusätzlicher Leistungsmerkmale ermöglicht. Entwickelt sich das traditionelle Auto hin zu einem intelligenten, vernetzten und softwaredefinierten Fahrzeug, kann es als intelligenter Knotenpunkt und Teil eines breiten Ökosystems fungieren. Es wird so letztlich auch die Basis innovativer Mobilitätskonzepte wie Car-as-a-Service, Mobility-as-a-Service oder Smart City sein. Für den Autokäufer der Zukunft bedeutet das, dass er ein Fahrzeug erhält, das Konnektivität, Personalisierung und Sicherheit bietet.

Mehr Informationen zum Thema Software Defined Vehicles (engl.)

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