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On-the-Fly-Werkzeugintegration im Systems Engineering

On-the-Fly-Werkzeugintegration im Systems Engineering
Anforderungen frühzeitig festlegen und digital nachvollziehen

Anforderungen frühzeitig festlegen und digital nachvollziehen
Marcel Renneke arbeitet beim Werkzeugmaschinenhersteller ELHA am digitalen Engineering Bild: Fraunhofer IEM
Den Entwicklungsprozess überdenken? Neue Tools ausprobieren? Konzerne budgetieren hierfür große Change-Programme, kleinen und mittleren Unternehmen fehlen aber in der Regel die Kapazitäten: Der nächste Liefertermin steht an, das Alltagsgeschäft geht vor. Dem Mittelständler ELHA-Maschinenbau Liemke KG ist es gelungen, neue Prozesse und ein neues Engineering-Tool direkt in einem laufenden Kundenprojekt vorauszudenken. Mit beachtlichen Ergebnissen und Potenzial für weitere Erfolgsgeschichten.

Kirsten Harting, Kommunikation Produktentstehung, Fraunhofer IEM

Inhaltsverzeichnis

1. Skepsis gegenüber Engineering-Tools
2. Gemeinsame Werkzeugentwicklung mit der mittelständischen Industrie
3. Gründung aus dem Spitzencluster it’s OWL
4. Zu dieser Rubrik

 

Ein kniffliger Kundenauftrag aus dem Bereich Automotive gab den Anstoß: Bei einer neuen Maschine für Tieflochbohrungen in Motorenanbauteilen sollte das Team von ELHA-Maschinenbau Liemke mit besonderer Aufmerksamkeit an die Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA) herangehen. Denn auch bei Produkten des Sondermaschinenbaus macht sich eine zunehmende Steigerung der Systemkomplexität bemerkbar. In ihrer Entwicklung müssen viele Disziplinen, wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Regelungstechnik eingebracht und aufeinander abgestimmt werden. Lösungsansatz ist ein Umdenken in den Entwicklungsabteilungen, weg vom fachspezifischen und hin zu einem abteilungsübergreifenden Arbeiten im Sinne des Systems Engineerings. Im Rahmen des Spitzenclusters it’s OWL hat ELHA bereits erfolgreich Ansätze und Methoden des Model-Based Systems Engineering (MBSE) eingesetzt.

Skepsis gegenüber Engineering-Tools

Im vorliegenden Projekt wollte ELHA jedoch einen Schritt weitergehen. Um den Kundenwünschen noch besser gerecht zu werden, sollte kein klassisches FMEA-Tool eingesetzt werden. Stattdessen sollten alle Anforderungen frühzeitig festgelegt werden und damit vollständig digital über den gesamten Entwicklungsprozess nachvollziehbar sein – um dann auf Basis der Systemarchitektur die FMEA durchzuführen. Model-Based Systems Engineering par excellence! ELHA entschied sich für den Einsatz eines eher unbekannten Werkzeugs aus Japan: iQuavis. „Bisher herrschte eine gewisse Skepsis gegenüber den uns bekannten MBSE-Tools. Viele Programme sind aufwendig in der Integration. Außerdem müssten Mitarbeiter erst einmal umfangreich geschult werden, um sie auch effizient nutzen zu können. Hier hatten wir das Gefühl, ohne großen Aufwand starten zu können “, erläutert Hans-Georg Liemke, Geschäftsführer bei ELHA-Maschinenbau Liemke.

Diese Herausforderungen teilen die ELHA-Ingenieure mit anderen mittelständischen Entwicklungsabteilungen, wie die Erfahrung des Spitzenclusters it’s OWL zeigt. Insgesamt 44 Transferprojekte haben sich hier seit 2012 erfolgreich mit Systems Engineering beschäftigt. In Sachen Software-Unterstützung war dies oftmals nicht ganz einfach. Besonders im hiesigen Maschinen- und Anlagenbau sind die Anforderungen an die Werkzeuge immer unterschiedlich und – im Vergleich zum Konzern – tatsächlich oft bescheiden. „Mittelständische Entwicklungsabteilungen benötigen meist gar nicht die gesamte Bandbreite an Werkzeugfunktionen. Lohnt sich also die Anschaffung eines hochkomplexen, teuren Tools? Zweite Hürde: Die Nutzung vieler Werkzeuge ist mit hohem Schulungsaufwand verbunden“, schildert Dr.-Ing. Christian Tschirner, Abteilungsleiter Digital Engineering and Collaboration am Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM seine Erfahrung. „Das Tool muss also intuitiv, ja fast selbsterklärend sein, damit es ‚on the fly‘ in die bestehenden Prozesse integriert werden kann. Es soll die Zusammenarbeit auf ein neues Level heben und keine Last darstellen.“

Gemeinsame Werkzeugentwicklung mit der mittelständischen Industrie

Das Fraunhofer IEM, das das Thema Systems Engineering im Spitzencluster it’s OWL verantwortet, ging also auf die Suche nach einem Werkzeug, das die Prinzipien des modellbasierten Entwickelns auf pragmatische Weise digitalisiert und auch mittelständischen Unternehmen durchgängiges Entwickeln ermöglicht. Am Ende des Prozesses steht eine erfolgreiche Kombination von Tool und Methode: Bereits Ende 2016 integrierten die Wissenschaftler einen ersten MBSE-Prototypen der etablierten Methode CONSENS in das cloud-gestützte Projektmanagement-Werkzeug iQuavis des japanischen Softwareherstellers ISID. Bis heute wurde die Lösung vielen Unternehmen vorgestellt, mit gut 15 Unternehmen intensiv diskutiert und in drei Pilotprojekten angewendet.

ELHA selbst integrierte die Software-Lösung tatsächlich „on the fly“. Von der initialen Strukturierung des Projekts über die Anforderungserhebung bis hin zur Systemspezifikation und Ableitung der FMEA – alle Entwicklungsschritte und Ergebnisse wurden digital hinterlegt. Die Software ermöglicht es mehreren Mitarbeitern, gleichzeitig am Modell zu arbeiten. Die Parameter der FMEA standen zu einem frühen Zeitpunkt der Entwicklung zur Verfügung und konnten regelmäßig mit dem Auftraggeber abgestimmt werden. „Für uns essentiell war, dass wir das Arbeiten mit der Software größtenteils autodidaktisch und intuitiv gelernt haben. Von Beginn an hat das Werkzeug unseren Prozess also nicht verzögert, sondern unterstützt. – wir wollen also gerne weitermachen“, erklärt Marcel Renneke, Entwicklungsingenieur bei ELHA-Maschinenbau Liemke.

Gründung aus dem Spitzencluster it’s OWL

Das erste Querschnittsprojekt Systems Engineering im Spitzencluster it’s OWL ist 2017 erfolgreich abgeschlossen worden. So wie das Thema Systems Engineering bei it’s OWL künftig weitergetrieben wird, so wird auch die Zusammenarbeit von Fraunhofer IEM und ISID weitergeführt. Aber nicht in Japan, sondern in Deutschland. Die heutige Software-Lösung iQuavis wird mit dem Know-how von Fraunhofer IEM kontinuierlich weiterentwickelt und von Ostwestfalen-Lippe aus auch in Projekten in ganz Deutschland Nutzen stiften. „iQuavis, in seiner heutigen Form, entstand aus dem Bedarf der Industrie heraus, Systemarchitekturentwicklung und Projektmanagement integrativ voranzutreiben – was letztlich die beiden Säulen des Systems Engineerings sind. Die Entwicklung und Weiterentwicklung erfolgte und erfolgt noch in stetem Austausch mit den Unternehmen in OWL. Wir glauben, dass dies ein besonderes Erfolgsrezept ist“, sagt Christian Bremer, Wissenschaftler am Fraunhofer IEM. Für ELHA ist iQuavis in Zukunft auf jeden Fall ein starker Partner für das Systems Engineering. Der nächste knifflige Kundenauftrag kann also kommen. ik

www.its-owl.de


Info

Zu dieser Rubrik

Die zunehmende Komplexität von Maschinen und Anlagen stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Für die Produktentwicklung werden ein ganzheitliches Systemverständnis und die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus erforderlich. Im Rahmen des Spitzenclusters it‘s OWL – Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe – wurde 2014 die Fachgruppe Systems Engineering gegründet. Ziel ist es, disziplinübergreifende Methoden für die Entwicklung von intelligenten Maschinen und Anlagen in die Praxis zu bringen. Partner sind

  • das Fraunhofer IEM (ehemals Fraunhofer-
    Projektgruppe Entwurfstechnik Mechatronik),
  • Dassault Systèmes,
  • die Netzwerke OWL Maschinenbau und
  • OWL ViProSim sowie
  • die Gesellschaft für Systems Engineering (GfSE).

Systems Engineering ist ein wichtiges Forschungsgebiet im Technologie-Netzwerk it‘s OWL. Entwurfstechniken unterschiedlicher Disziplinen werden zu einer übergreifenden Entwurfssystematik zusammengeführt, die in Modellierungs- und Simulationsmethoden verfügbar gemacht wird. Dadurch können Unternehmen die Effektivität und Effizienz ihrer Produktentwicklung steigern. Entwicklungszeiten werden verkürzt, Abstimmungsbedarfe und nachträgliche Änderungen entfallen und die Produktqualität steigt.

www.its-owl.de/fachgruppeSE

Hinweis: Veröffentlichungen der Fachgruppe SE in der KEM Systems Engineering finden Sie auch auf der Website der Fachgruppe SE. Zusätzlich besteht für Teilnehmer die Möglichkeit, ein Printabonnement zum ermäßigten Preis zu beziehen. Interessenten wenden sich dazu bitte mit dem Stichwort ‚Abo FG SE‘ an die Redaktion:

kem.redaktion@konradin.de

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