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Elastomere in positionierbaren, ruckfreien und schnellen Aktuatoren

Elastomere in positionierbaren, ruckfreien und schnellen Aktuatoren
Gummi lässt die Muskeln spielen

Elastomere Werkstoffe wurden in der Technik bislang eher zu Dichtzwecken, zur Dämpfung oder zur Kraft-übertragung eingesetzt. Dies könnte sich in absehbarer Zeit ändern: Ingenieure von Festo haben einen vielversprechenden Aktuator vorgestellt, dessen wichtigste Komponente ein Gummischlauch darstellt: den „Fluidic Muscle“.

Der Autor Dr. Stefan Albus, Herne, erstellte den Beitrag im Auftrag der Bayer Polymers AG, Leverkusen

Der künstliche Festo-“Muskel“ ist nicht nur durch sein ungewöhnliches Funktionsprinzip bemerkenswert, sondern auch durch seine Leistungsdaten, die ihn in vielerlei Hinsicht zu einer wertvollen Ergänzung der im Maschinenbau weit verbreiteten Pneumatikzylinder machen.
Das „Muskel“-Prinzip
Im Prinzip handelt es sich bei den Produkten um gasdichte Schläuche aus einem leistungsfähigen Gummiwerkstoff, die sich ausdehnen, wenn ein Me-dium hineinströmt beziehungsweise sie mit Druck beaufschlagt werden. Diese radiale Ausdehnung bedingt eine druck- bzw. volumenabhängige Kontraktion der Schläuche in Längsrichtung, die sich nutzen lässt, um erstaunlich hohe Lasten sicher und rasch zu bewegen. Dabei lässt sich die Kontraktion des Aktuators, der natürlich auch als pneumatische Feder eingesetzt werden kann, durch den anliegenden Druck beziehungsweise das Füllvolumen sehr exakt und dabei ruck- und zitterfrei (kein Slip-Stick-Verhalten) einstellen. Damit lassen sich Lasten – anders als bei Pneumatikzylindern – sehr feinfühlig positionieren.
Die maximale Kontraktion eines solchen Muskel-Aktuators liegt bei rund 25 % seiner Länge im unbelasteten Zustand und kann daher durch einfaches Zuschneiden langer Schläuche justiert werden; bei Bedarf können auch mehrere Produkte hintereinander geschaltet werden.
Unterschied zum Pneumatikzylinder
Aufgrund seines völlig unterschiedlichen Konstruktionsansatzes weist der Festo-Muskel neben der sicheren Positionierbarkeit weitere wesentliche Unterschiede zu Pneumatikzylindern auf. So hat seine Zugkraft, die bei deutlich reduziertem Gewicht bis zu zehn Mal höher ist als die pneumatisch arbeitender Kolben, ihr Maximum direkt zu Beginn der Kontraktion. Zur Verrichtung seiner Arbeit benötigt der Muskel obendrein nur rund 40 % der Energie und ein Drittel des Querschnitts von Kolbenaktuatoren. Die Maximalkraft eines einzelnen Festo-Muskels ist abhängig von seinem Durchmesser. Derzeit sind 10, 20 und 40 mm lieferbar und bis zu 1 mm (!) geplant. Sie kann zur Zeit maximal 4000 N betragen, wobei auch dieser Wert durch Parallelschalten mehrerer Muskeln vervielfacht werden kann.
Da die Steuerung des Muskels über schnell schaltende Ventile geschehen kann und der Gummi-Aktuator deutlich leichter ist als seine metallischen Gegenstücke, können Lastwechsel außerdem sehr schnell erfolgen: In Testläufen wurden bei kurzen Hüben Frequenzen bis 120 Hz erreicht. Damit ist der Fluidic Muscle MAS derzeit der schnells-te Aktuator auf dem Markt.
Kautschuk im Gummimantel
Für den Einsatz unter rauen Praxisbedingungen muss ein Aktuator natürlich etliche Millionen Lastwechsel erbringen können. Die Erfüllung dieses hohen Anspruchs sichert im Festo-Muskel ein spezieller Mehrschichtaufbau, in dem ein gasdichter Gummi-Inliner fest mit zwei unabhängig voneinander spiralisierten Aramidfaserlagen verbunden ist, die zusammen ein Rautenmuster in Form einer dreidimensionalen Gitterstruktur bilden. Anders als bei Hochdruckschläuchen verlaufen diese Fasern jedoch in einem spitzen Winkel zueinander, der die nötige Kontraktion des Schlauches zulässt.
Zentraler Bestandteil des hochflexiblen Gummimantels ist der Polychloropren-Kautschuk Baypren von Bayer. Dieser Gummi ist gasdicht, ölresistent, sehr flexibel und alterungsbeständig und weist durch spezielle Zusätze eine ausgezeichnete Haftung zur verwendeten Faser auf.
Fertigung der Muskelschläuche
Die Fertigung der druckfesten Muskelschläuche erfolgt nach einem eigens entwickelten Verfahren, dessen Prozesssicherheit – unter anderem gewährleistet durch rigorose Rohstoffauswahl und exakte Kontrolle von Zusammensetzung und Homogenität der Gummimischung – von Festo in enger Zusammenarbeit mit Bayer-Experten in jahrelanger Detailarbeit optimiert wurde. Mit Hilfe dieses Verfahrens können die Fasern mit fast stahltypischer Genauigkeit (Toleranzen im unteren Hundertstelmillimeterbereich) in der Gummimatrix positioniert werden. Diese außerordentliche Präzision sichert die hohe Lebensdauer der Muskeln, da eine genauere Positionierung der Festigkeitsträger zu einer ungleichmäßigeren Kraftverteilung im Schlauch und damit zu einem erhöhten Verschleiß führen würde.
Möglichkeiten der Anwendung
Die Anwendungsmöglichkeiten des Fluidic Muscle MAS sind äußerst vielfältig. Er wird – obwohl erst kurze Zeit auf dem Markt – in der Automatisierungstechnik bereits ebenso erfolgeich eingesetzt wie in der Steuerung von animierten Figuren in Freizeitparks oder Flugsimulatoren und anderen bewegten Plattformen: Da aus Gummi bestehend, stellt er hier Aktuator und Dämpfungselement gleichzeitig dar.
Durch die Abwesenheit mechanisch bewegter Teile kann der Muskel auch in sehr staubigen oder sandigen Umgebungen betrieben werden. Die Verwendung von Druckluft als Energieträger macht es zudem möglich, ihn auch in Bereichen einzusetzen, in denen zum Beispiel ölhaltige Emissionen oder elektrische Antriebe problematisch wären, etwa in Krankenhäusern oder in Ex-geschützten Bereichen.
Als universell einsetzbare Hebezeuge bewähren sich die Festo-Muskeln in der Automobilproduktion ebenso wie beim Handling schwerer Wandelemente in der Bauindustrie. Bei der Produktion von Registerklemmen konnten über Festo-Muskeln bewegte Stanzen durch die hohe Anfangskraft, das geringe Gewicht der Aktuatoren und durch die hohen Einsatzfrequenzen die Produktivität der bislang über schwere Metallzylinder bewegten Fertigungsanlage auf das Viereinhalbfache steigern. Bislang erbrachte dieses System knapp 60 Millionen Lastwechsel ohne Ausfall.
Ausführliche Informationen
Polychloropren-Kautschuk Baypren
Weiterentwicklung: Hydrierter Nitrylkautschuk Therban
Fluidic-Muscle MAS
Bayer AG
Kaiser-Wilhelm-Allee 1
51373 Leverkusen, Deutschland
Tel.: +49 (0)214 30-1
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