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Bei der Kunststoffdirektverschraubung ist Vorsicht geboten. Oft erfordert sie eine ausgeklügelte Strategie, um Ausschuss zu vermeiden.

Erfolgreiche Kunststoffdirektverschraubungen
Entwicklungen im Bereich der Kunststoffdirektverschraubungen

Wer in Kunststoffen direkt verschrauben will, sollte den gesamten Prozess betrachten: von der Herstellung und Verarbeitung der Kunststoffe über deren Werkstoffeigenschaften bis hin zum Einfluss der Schraube, der Wahl der richtigen Schraubstrategie sowie der Montage selbst – samt Werker und Werkzeug.

Stefanie Heß, Kommunikationsmanagerin, Desoutter GmbH, Maintal,

Bei Kunststoffdirektverschraubungen trifft man in der Praxis immer wieder auf Fehler wie drei- oder mehreckige Kernlöcher, Einschraublängen im Bereich 1 x d, viel zu hohe Anziehdrehmomente und zerberstende Einschraubdome, um nur einige zu nennen. Wie kann man dem begegnen?

Besondere Eigenschaften von Kunststoffen

Bei der Verschraubung von Thermoplasten entsteht die Vorspannkraft durch die Deformation des Kunststoffes, nicht durch die Schraubenlängung. Im Fokus der Verschraubung steht einerseits die erreichbare Vorspannkraft beziehungsweise die Klemmkraft, andererseits die Aufrechterhaltung der höchstmöglichen Restklemmkraft, bestenfalls über die gesamte Lebensdauer. Die Zielgröße Vorspannkraft wird nicht nur durch die Montage, sondern auch durch das viskoelastische Verhalten thermoplastischer Kunststoffe beeinflusst. Im Vergleich zur Metallverschraubung ist ein Umdenken erforderlich, was die Höhe der zu wählenden Vorspannkraft und die resultierende Restklemmkraft betrifft (Vorspannkraftverlust bedingt durch Retardation und Relaxation). „So hoch wie möglich“ kann durchaus mit „kurz oberhalb der Kopfauflage“ gleichgesetzt werden. Die Faustformel „Anziehdrehmoment = Überdrehmoment multipliziert mit 0,7/0,8“ bedeutet in diesem Kontext gegebenenfalls ein sehr schnelles Versagen der Verbindung, mindestens jedoch, dass die Klemmkraft innerhalb weniger Minuten abfällt.

Die Auslegung der Verbindungsstellen am Bauteil (Einschraubdome) erfolgt in der Regel nach Vorgaben der Schraubenhersteller, internen Werksnormen oder wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Validiert wird vielerorts an einem Prüfkörper oder einem Bauteil der Vorserie. Dies kann zu Fehlern im Schraubergebnis führen. Beispiel: Der Einschraubkanal eines im ungekühlten Aluminiumdruckguss-Werkzeug hergestellten Prototyps unterscheidet sich in puncto Anbindung, Bindenahtfestigkeit, Fasergehalt und -verteilung deutlich vom Serienteil. Der Unterschied im Schraubergebnis – Prototyp zu Serienteil – liegt nahe, und die Fehlerbehebung ist oftmals sehr kostenintensiv, wenn das Werkzeug geändert werden muss.

Anderes Beispiel: Bei Bindenähten muss die Konstruktion für ausreichende Festigkeit dieser „Sollbruchstelle“ sorgen. Das beginnt bereits bei der Wahl des richtigen Anspritzpunktes und der Form des Angusses. Bei der Fertigungsumgebung ist zu beachten, dass niedrige Drehzahlen und mehrstufige Schraubverfahren zum Beispiel in Konkurrenz zur Taktzeit stehen. Die Auslegung eines konditionierten hydrophilen Kunststoffes setzt außerdem einen bestimmten Feuchtegrad voraus, um die Dehnung des Domes zu ermöglichen. Eine spritzfrische Verschraubung sollte in diesem Fall ausgeschlossen werden.

Die Auswahl der Schraubanlage richtet sich in erster Linie nach den Anforderungen der Verbindung. Sprich: Unter Berücksichtigung der Frage, „Was passiert, wenn die Schraubverbindung versagt?“, sollte jeder Schraubfall einer Gefährdungsbeurteilung unterzogen werden. Beispielsweise durch eine Schraubfallklassifizierung nach VDI/VDE 2862 in die Klassen A, B oder C (A = sicherheitskritisch, B = funktionskritisch, C = unkritisch). Zu unterscheiden ist zusätzlich nach dem Grad der Automatisierung – vom manuellen Anzug bis hin zur vollautomatisierten Mehrspindelanlage.

Bei der Direktverschraubung werden die thermischen Eigenschaften thermoplastischer Kunststoffe genutzt, um das Mutterngewinde spannungsarm und rissfrei auszuformen. Von der Handverschraubung ist hier abzuraten, weil diese nicht kontinuierlich und mit viel zu niedriger Drehzahl erfolgt. Je nach Schraubfallklasse und Anzugform müssen die Werkzeuge in der Lage sein, Kontroll- und/oder Steuergrößen direkt oder indirekt zu messen.

Nach DSV RL 2241-1 soll das Anziehdrehmoment aus niedriger Drehzahl angefahren werden, um ein Überschießen zu vermeiden. Infolge der niedrigen Festigkeit und der Temperaturempfindlichkeit vieler Kunststoffe spielen die Abschaltgenauigkeit und die Größe des gewählten Werkzeuges zusätzlich eine große Rolle. In diesem Zusammenhang darf auch der Werker nicht unberücksichtigt bleiben. Die Werker müssen einerseits in der Werkzeugtechnik unterwiesen sein, außerdem müssen Arbeitsplätze nach ergonomischen Gesichtspunkten betrachtet und eingerichtet werden.

Schraubexperten in die Entwicklung einbeziehen

Die Anforderungen an die Schraubtechnik wachsen weiter, das Potenzial der Leichtbauweise wird vermehrt ausgeschöpft, duromere Werkstoffe erleben eine sogenannte Renaissance. Die Entwicklung im Bereich der Kunststoffdirektverschraubung ist noch nicht ausgereizt. So wird derzeit beispielsweise der Vorspannkraftverlust beim Verschrauben von Duroplasten genauer untersucht. Ein weiteres Hochschulprojekt befasst sich mit Langzeituntersuchungen thermoplastischer Werkstoffe und der Analyse bestehender Vorgaben. Aber auch die Kombination unterschiedlicher Verbindungssysteme (Schraube und eine Art Blindnietmutter aus Kunststoff) steht im Fokus einer Forschungseinrichtung. In der Praxis erhält die Technik der Kunststoffdirektverschraubung nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit. Dabei lohnt sich ein Blick auf den gesamten Prozess und über die VDI 2230 hinaus. Es ist nicht zwingend nötig, jedes Detail der Schraubtechnik zu kennen. Wichtig ist, die internen und/oder externen Schraubexperten zu kennen und sie rechtzeitig in die Entwicklung einzubeziehen. bt

www.desoutter.de

Die Langversion des Beitrages finden Sie hier:
hier.pro/wUjC9

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