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Die Maschinenverordnung kommt

Maschinensicherheit
Die Maschinenverordnung kommt

Im Rahmen der funktionalen Sicherheit von Maschinen kommt der Richtlinie 2006/42/EG eine besondere Bedeutung zu. Allgemein als Maschinenrichtlinie (MRL) bezeichnet, beschäftigt sie sich mit der Standardisierung grundlegender und verpflichtender europäischer Sicherheitsanforderungen an Maschinen. Nach rund 15 Jahren steht eine umfassende Überarbeitung an: Aus der EG-Richtlinie soll nun eine EU-Maschinenverordnung werden.

Klaus Stark, Leiter Innovationsmanagement Pilz GmbH & Co. KG in Ostfildern

Im Jahr 1993 wurde die MRL mit dem Ziel ratifiziert, Handelshemmnisse abzubauen und dadurch den freien Binnenmarkt innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) zu ermöglichen. Sie beschreibt einheitliche Anforderungen an die Sicherheit für die Interaktion von Mensch und Maschine bzw. den Gesundheit- und Arbeitsschutz des Menschen und ersetzt die vielen einzelstaatlichen Regelungen der EU-Mitgliedsländer, die zur Maschinensicherheit damals bereits existierten.

Unabhängig von Herstellungsort und -datum unterliegen alle Maschinen, die im europäischen Wirtschaftsraum hergestellt eingeführt und eingesetzt werden, der EG-Maschinenrichtlinie. Sie müssen somit eine CE-Kennzeichnung als ein Konformitätsmerkmal nachweisen. Mit diesem Zeichen dokumentiert ein Hersteller, dass er alle für sein Produkt relevanten europäischen Binnenmarktrichtlinien berücksichtigt hat und, dass alle zutreffenden Verfahren zur Konformitätsbewertung angewendet wurden. Die MRL behandelt die wesentlichen Aspekte der Sicherheit von Maschinen. Die derzeit aktuell gültige MRL 2006/42/EG wurde im Jahr 2006 veröffentlicht und muss seit dem 29. Dezember 2009 verbindlich angewendet werden.

Zeit für eine Überarbeitung

Die EU-Kommission als Herausgeberin von EU-Richtlinien wie auch der Maschinenrichtlinie prüft die veröffentlichten Vorschriften und Richtlinien regelmäßig auf Aktualität, um Anpassungen an neue Anforderungen und Entwicklungen zu gewährleisten.

Vergleicht man die Automatisierung und den Maschinenbau heute mit den Anforderungen und Technologien von vor 15 Jahren, wird deutlich, dass die Überarbeitung mehr als Sinn macht. Digitalisierung und Vernetzung sowie die damit verbundenen neuen Themen industrielle Security und Künstliche Intelligenz (KI) haben die Fabrikhallen und die darin befindlichen Maschinen und Ablagen stark verändert. Die Maschinenrichtlinie muss aktualisiert werden, um das Sicherheitsniveau zumindest zu halten und auch punktuell zu verbessern. Die Überarbeitung ist hierbei ein Prozess, der sich üblicherweise über Jahre hinziehen kann.

Ein Meilenstein ist dabei die Veröffentlichung des ersten Entwurfs durch die EU-Kommission. Die vorgeschlagene Überarbeitung gleicht die Richtlinie an die aktuell gültigen harmonisierten EU-Rechtsvorschriften zur Produktsicherheit und -gesundheit an. Zudem geht sie auf die Herausforderungen ein, die sich aus dem technischen Fortschritt der Digitalisierung ergeben können.

Ein erster Entwurf liegt seit April 2021 auf Englisch vor: „Regulation of the European Parliament and of the Council on Machinery Products “. Weitere Sprachfassungen sind verfügbar und können öffentlich auf der Website der Europäischen Union eingesehen werden.

Die wichtigsten Änderungen in der Maschinenverordnung

Besonders gefährliche Maschinen: Die Liste der hierunter fallenden Maschinen (High-Risk machinery products) wird um funktionale Sicherheits- und KI-Software sowie Maschinen mit integrierten KI-Funktionen erweitert und ist nun im Anhang I (statt bisher Anhang IV) aufgeführt.

Ferner soll bei in Anhang I gelisteten Maschinenarten die Möglichkeit entfallen, dass der Hersteller das Konformitätsbewertungsverfahren vollständig in eigener Regie durchführen darf, selbst wenn harmonisierte B- oder C-Normen anwendbar wären. Stattdessen wäre eine Benannte Stelle (Notified Body) hinzuzuziehen. (Artikel 21 + Anhang VII).

Wesentliche Veränderung: Die Verordnung wird um Begriffsbestimmungen zur Definition einer wesentlichen Veränderung von Maschinen und die daraus abzuleitenden Rechtsfolgen erweitert: Ein erneutes Konformitätsbewertungsverfahren ist für die Sicherheit von Maschinen immer dann erforderlich, wenn eine Maschine tiefgreifend technische verändert wird oder Änderungen durchgeführt werden, die die Übereinstimmung der Maschine mit den gesetzlichen Bestimmungen zur CE-Kennzeichnung betreffen (Artikel 15).Hier finden bereits bestehende Anforderungen in Deutschland, Frankreich und auch der Schweiz Eingang in neue Verordnung.

Sicherheitsbauteile: Die Begriffsbestimmung der Sicherheitsbauteile erfasst jetzt auch Software, die eine Sicherheitsfunktion bereitstellt (Artikel 6 + Anhang II). Zu klären ist jedoch, ob das für Embedded-Software und Anwender-Software gleichermaßen gilt. Auch der Umgang mit Anwender-Software, die gesondert von der Maschine in Verkehr gebracht wird, ist noch offen.

Digitale Betriebsanleitung: Die Lieferung der Betriebsanleitung in digitaler Form soll zugelassen werden. Auf Wunsch des Kunden wird der Hersteller verpflichtet, die Betriebsanleitung in Papierform zur Verfügung zu stellen (Anhang III 1.7.4). Zudem wird eine verbindliche Kennzeichnungspflicht auf der Maschine und in den Begleitunterlagen mit Hinweis auf die digitale(n) Zugriffsmöglichkeit(en) eingeführt.

Technische Spezifikationen: Eine Konformitätsvermutung soll unter besonders definierten Bedingungen auch bei Übereinstimmung mit derzeit nicht näher definierten technischen Spezifikationen oder Teilen davon, ermöglicht werden (Artikel 17, Abschnitt 3).

Künstliche Intelligenz (KI): Zeitgleich mit dem Kommissionsentwurf wurde ein separater Entwurf der EU-Verordnung zur künstlichen Intelligenz veröffentlicht. Dieser soll alle Produkte mit KI und deren Nutzung erfassen. Es sollen keine weiteren Sicherheitsanforderungen erforderlich sein, diese sollen lediglich genauer spezifiziert werden. Die Argumentation lautet, dass die Auswirkungen von KI-Funktionen bereits erfasst sind, und zwar durch bestehende Konformitätsbewertungsverfahren und die Festlegung der bestimmungsgemäßen Verwendung.

Zusammenfassend betrachtet trägt der neue Entwurf den technologischen Veränderungen der letzten Jahre Rechnung. Die Security wird beispielsweise verpflichtendes Element für die Sicherheit von Maschinen und ist nicht länger nur Auslegungssache des Inverkehrbringers der Maschine. Zu wünschen wäre allerdings, dass die Security-Maßnahmen (wie bei Safety-Maßnahmen auch üblich) der Prävention dienen und helfen, Schaden von Mensch und Maschine abzuwenden. Die im vorliegenden Entwurf enthaltenen Security-Maßnahmen, etwa die Dokumentation von Veränderungen in der Software, dienen eher der späteren Klärung von Haftungsfragen nach einem Schadensfall und nicht der Prävention.

Maschinenrichtlinie wird zur EU-Maschinenverordnung

Auch eine wichtige formale Änderung wird es geben: Aus der EG-Maschinenrichtlinie wird die EU-Maschinenverordnung! Richtlinien stellen im Recht der EU eine Besonderheit dar, da sie kein unmittelbar geltendes EU-Recht im ursprünglichen Sinn sind. Sie richten sich vielmehr an die nationalen Gesetzgeber der EU-Mitgliedsstaaten. Diese wiederum sind aufgefordert, die europäischen Richtlinien fristgerecht in nationales Recht umzusetzen.

Dagegen müssen Verordnungen nicht mehr in jedem Land in die nationale Gesetzgebung überführt werden und sind somit ab Veröffentlichung im EU-Amtsblatt unmittelbar geltendes EU-Recht. Der Entwurf der EU-Verordnung zur Künstlichen Intelligenz vom April 2021 wird zeitgleich zur Maschinenverordnung im Mitentscheidungsverfahren verhandelt.

Geplante Übergangsregelung

Die Übergangsregelung der EU-Maschinenverordnung sieht zurzeit Folgendes vor (Artikel 49/50): Nach 30 Monaten wird per Stichtag von der alten Maschinenrichtlinie 2006/42/EG auf die neue EU-Maschinenverordnung umgestellt. Allerdings soll auch das Bereitstellen von Maschinen auf dem Markt nach bisherigem Recht zeitlich befristet werden, nicht nur das Inverkehrbringen. Das hätte zur Folge, dass ein Jahr nach dem Stichtag Lagerware bei Händlern nicht mehr weitervermarktet werden kann, obwohl sie ordnungsgemäß nach alter Richtlinie in Verkehr gebracht wurde!

Eine Stichtagsregelung, wie sie oben beschrieben ist, bedeutet, dass es keine Übergangsfrist gibt, in der die alte Richtlinie und die kommende Verordnung wahlweise zur Anwendung kommen können. Das heißt, dass vor dem Stichtag die neue Verordnung nicht angewandt werden darf, sie nach dem Stichtag aber angewandt werden muss. Unklar ist, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll. Hier wurden bereits große Bedenken, zum Beispiel von den großen deutschen Verbänden VDMA und ZVEI, geäußert.

Unklar: Umgang mit harmonisierten Normen

Noch nicht abschließend geklärt ist, wie mit den bisher unter der MRL harmonisierten Normen verfahren wird. Zur Erklärung: Der Hersteller einer Maschine ist verpflichtet, die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen nach Anhang I der Maschinenrichtlinie einzuhalten. Diese relativ abstrakt formulierten Anforderungen werden durch EU-Normen konkretisiert. Die EU veröffentlicht hierzu Listen mit Richtlinien zu harmonisierten Normen. Nach momentanem Stand würden diese Normen obsolet und müssten neu gelistet werden. Bei allein über 750 direkt gelisteten Normen würde das einen Aufwand von mehreren Jahren bedeuten.

Jetzt informieren

Auch wenn bis zur Veröffentlichung der Maschinenverordnung wohl noch zwei Jahre oder mehr vergehen werden, sind Maschinenbauer und Automatisierer gut beraten, sich frühzeitig mit der Thematik auseinanderzusetzen und die Entwicklungen jetzt schon mit erhöhter Wachsamkeit zu verfolgen. Und: Insbesondere über die Verbände wie VDMA, VDW oder ZVEI steht der gesamten Branche noch die Möglichkeit offen, Änderungsvorschläge einzubringen. Nach Abschluss der Kommentierungsfrist werden die geplanten Änderungen im Mitentscheidungsverfahren im Europarat und im europäischen Parlament dann beraten werden. (ge)

Kontakt:
Pilz GmbH & Co. KG
Felix-Wankel-Straße 2
73760 Ostfildern
Tel.: +49 711 3409-0
Mail: info@pilz.de
Website: www.pilz.com

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