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Riesenraupe unter Strom

Spezialkabel versorgen Materialumschlagmaschine von Liebherr wartungsfrei mit Strom
Riesenraupe unter Strom

Liebherr setzt bei seinen größten Materialumschlagmaschinen auf Elektroantrieb. Damit der Strom störungsfrei zu den Antriebsaggregaten fließt, muss die Verkabelung einiges aushalten können. Die hohen Anforderungen wie Temperatur- und UV-Beständigkeit, extreme Spreizung und enge Biegeradien erfüllt ein Spezialkabel von Helukabel, das ursprünglich für die Windenergie entwickelt wurde. Bei der Liebherr-Maschine ist es allerdings statt hoher Torsion extremen Vibrationen ausgesetzt.

Angela Struck, Journalistin,Langenpreising

Auf den ersten Blick sieht die mobile Arbeitsmaschine LH 150 EC High Rise aus wie ein üblicher Raupenbagger – nur etwas höher vielleicht. Aus nächster Nähe erst offenbaren sich die Unterschiede: Dieses Gerät ist so hoch, dass der Baggerfahrer ins Dachfenster eines typischen Reihenhauses schauen, mit dem Ausleger über den Giebel hinweggreifen und mit nur einer Schaufelladung den halben Garten abgraben könnte.
Der gelbe Riese ist kein Bagger, sondern zählt zu den sogenannten Materialumschlagmaschinen für den Umschlag von Materialien und Gütern. Die Umschlagmaschine LH 150 Industry Litronic ist modern, sehr leistungsfähig und äußerst robust. Sie ist mit dem prämierten Energierückgewinnungs-System ERC ausgestattet. Das stellt dem Gerät zusätzliche Leistung zur Verfügung – mit dem Resultat einer deutlichen Kraftstoffeinsparung bei gleichzeitiger Leistungssteigerung. Eine weitere Besonderheit ist das Mehrkreis-Hydrauliksystem „Positive Control“. Angesteuert von der Liebherr-Elektronik und der Systemsoftware, erlaubt es schnelle sowie flüssige Arbeitsspiele und eine effiziente Energieausnutzung. Der modulare Aufbau bei Grundmaschine und Ausrüstung bietet optimale Lösungen für jegliche Einsatzfälle. Es können unterschiedliche Unterwagenvarianten, Antriebskonzepte, Kabinenerhöhungen und Ausrüstungskonfigurationen gewählt werden.
„Mit der Neuentwicklung unseres Großbaggers reagieren wir auf die wachsende Bedeutung des weltweiten Massengutumschlags“, erklärt Tobias Riedmiller, bei Liebherr für die Entwicklung der neuen Generation mitverantwortlich. In den See- und Binnenhäfen sowie der Schrott-, Holz- oder Stahlverarbeitung werde zunehmend Wert auf niedrige Lärm- und Abgasemissionen gelegt. „Außerdem ist dort die Infrastruktur ohnehin auf Elektrik statt Diesel ausgerichtet. Deshalb haben wir auf der Basis des Vorgängermodells LH 120 eine komplett neue Plattform für den Elektroantrieb entworfen.“ Weitere Vorteile des Elektroantriebs sind zudem ein deutlich niedrigerer Wartungsaufwand und damit eine höhere Produktivität.
Stromkreislauf sicherstellen
Damit der Gigant seine 536 elektrischen Pferdestärken auf den Ausleger bringt, um damit bis zu 1000 Tonnen Material pro Stunde in einem Schwenkradius von über 30 Metern zu bewegen, wird er mit 20 000 Volt Mittelspannung versorgt. Diese muss in eine für die Elektromotoren passende Spannung transformiert werden, was von einem mächtigen Transformator und einem Frequenzumrichter an Bord des Baggers übernommen wird. Von dort aus fließt der Strom direkt in den Maschinenraum. Daniel Bayer, verantwortlich für die Entwicklung des elektrischen Antriebssystems bei Liebherr,vergleicht die Kabelverbindungen mit der Herzarterie: „Um das Infarktrisiko auf null senken zu können, benötigten wir ein Kabel, das den besonderen Belastungen standhält und den hohen Qualitätsanforderungen entspricht.“
Die Umgebungsbedingungen solcher Leitungen sind rau: Sehr enge Biegeradien, hohe UV-Einstrahlung, starke Vibrationen und der Kontakt zu aggressiven Medien wie Hydrauliköl verlangen der Kabelummantelung und den Anschlüssen einiges ab. „Wir produzieren für den Weltmarkt. Da muss der Bagger darauf ausgelegt sein, seine Arbeit im finnischen Winter bei minus 30 Grad Celsius genauso zuverlässig zu verrichten wie in der glühenden Hitze von Dubai. Die Verkabelung muss somit auch solch extremen Temperaturbereichen standhalten“, erklärt Bayer.
Vibrationen bewältigen
Mit diesem Anforderungskatalog klopfte Daniel Bayer im Juli 2012 bei Helukabel an. „Helukabel hat sich über viele Jahre als zuverlässiger Partner im Liebherr-Konzern etabliert. Da lag es nahe, dort anzufragen“, erinnert er sich an seinen ersten telefonischen Kontakt mit Joachim Koch, der in der Abteilung Spezialkabel tätig ist. Schnell konnte er aus dem umfangreichen Programm ein Kabel identifizieren, das den technischen Anforderungen entsprechen könnte: Heluwind ist ein Kabel mit 400 mm² Durchmesser, das ursprünglich für Windkraftanlagen entwickelt wurde. Dort wird es im Kabelloop eingesetzt. Die mechanischen Eigenschaften, die seine Entwickler ihm mitgegeben haben, bildeten eine perfekte Ausgangsbasis für die Aufgaben der Materialumschlagmaschine.
Das Kabel erfüllte bereits eine Reihe von Voraussetzungen: Temperaturbeständigkeit in der geforderten extremen Spreizung, UV-Beständigkeit sowie die konstruktionsbedingt erforderlichen Biegeradien. Anders als im Einsatz in Windkraftanlagen ist das Kabel in der Liebherr-Anwendung keinen Torsionen, dafür aber wesentlich stärkeren Vibrationen ausgesetzt. Doch würde sich dieses Spezialkabel auch als geschirmte Motoranschlussleitung und für den Anschluss des Frequenzumrichters eignen? „Um das herauszufinden, haben wir das Kabel zahlreichen Tests und Prüfverfahren unterzogen“, berichtet Joachim Koch, und Liebherr-Entwickler Daniel Bayer ergänzt: „Die mechanischen Belastungen, vor allem die Beständigkeit gegen möglicherweise austretende Medien wie Öle, Schmierstoffe oder Kühlmittel, waren die Knackpunkte. Denn für die Motorverkabelung möchten wir Wartungsfreiheit über die gesamte Lebensdauer der Umschlagmaschine sicherstellen.“
Killermedien abgewehrt
Also waren zunächst einige Tests nötig: Bereits im November 2012 erfolgte die Bemusterung mit den Proben inklusive Sicherheitsdatenblättern für die Medientests. „Für unsere Prüfverfahren lieferte uns Liebherr synthetische und aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellte biologische Öle, die auf Kunststoffe deutlich aggressiver wirken als herkömmliche Öle auf mineralischer Basis“, erinnert sich Joachim Koch. Die Prüfung erfolgte nach VDE: Die Kabel wurden den Medien bei einer Temperatur von 90 °C sieben Tage lang ausgesetzt. Danach ermittelten die Prüfer die verbleibende Zugfestigkeit und Reißdehnung. Neben den Kabeln lag das Augenmerk auch auf den Kabelschellen für die Fixierung, damit die Kabel im harten Arbeitsalltag auch allen mechanischen Belastungen standhalten. „In unserem Testcenter haben wir dafür extra eine Rüttelplatte entwickelt, welche die auftretenden Belastungen auf der Großmaschine realitätsnah simuliert“, berichtet Joachim Koch. Dort bewies die Befestigung in aufwendigen Tests ihre Einsatzreife.
Ende 2012 waren alle Prüfverfahren inklusive Ermittlung der Brandlastwerte abgeschlossen. Nachdem sich das Spezialkabel für den Einsatz als Motoranschlussleitung und für den Anschluss des Frequenzumrichters in der Umschlagmaschine als geeignet erwies, erfolgte im Februar 2013 die Bestellung. „Durch die umfangreichen Tests in der Projektierungsphase konnten wir Probleme in der eigentlichen Prototypenphase vermeiden“, freut sich Daniel Bayer. „Das hat den gesamten Prozess beschleunigt und ergänzt.“ I
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