Inhaltsverzeichnis
1. Interoperable Nutzung des Digital Twin
2. Digitales und smartes Typenschild
3. Nutzung erhobener Messdaten
4. Interoperable Engineeringprozesse
5. Servicemeldungen via Digital Twin
Ob im Lebenszyklus in der Anwendung oder im Produktlebenszyklus beim Hersteller – in jeder Phase dieser beiden Welten existieren enorme Potenziale für eine digitale Wertschöpfung. Diese entsteht immer dann, wenn Daten und Informationen zu mehr Effizienz führen, die Qualität von Produkten, Prozessen und Services verbessern oder Geschwindigkeiten erhöhen und so Zeit sparen. Konkret wird durch Simulationen die Effizienz im Entwicklungsprozess verbessert, die Qualität und Validität von Ergebnissen gesteigert und Zeit eingespart. In der Fertigung sind es Mess- und Prüfdaten, die eine digitale Wertschöpfung generieren, weil sie eine zeitsparende und gezieltere Auswahl von Getrieben für eine Applikation ermöglichen sowie eine schnellere Inbetriebnahme unterstützen. Über einen individuellen Identifikationslink erreichbar, sind alle Lebenszyklusdaten im Digital Twin (DT) abrufbar und jederzeit für eine höhere digitale Wertschöpfung nutzbar.
Um die Informationen des Wittenstein-Produktlebenszyklus im Digital Twin bereitzustellen, greift dieser auf verschiedene, prozess- und produktorientierte IT-Systeme des Unternehmens zu und verlinkt sie über Interaktionspunkte mit den verschiedenen Phasen im Kundenlebenszyklus. Als sogenannte Touch Points zwischen beiden Zykluswelten fungieren dabei unter anderem Auslegungstools wie Cymex 5 oder Cymex Select in der Auswahl- und Konfigurationsphase, Dienstleistungen des Cybertronic Consulting in der Simulationsphase, die Software CAD-Point bei Engineering und Bestellung sowie in der Betriebs-, Service- oder Außerbetriebssetzungsphase das Aftersales Service Portal oder die Smart Services.
Interoperable Nutzung des Digital Twin
Die Nutzung, Verwertung und skalierbare Vernetzung des Digital Twin, wie ihn Wittenstein konzipiert hat, setzt ein nicht-proprietäres, interoperables Kommunikationskonzept voraus. Nur mit einem standardisierten Datenaustausch ist es möglich, neue Leistungsangebote zu machen und neue Geschäftsmodelle ohne Medienbrüche und hinderliche Datenschnittstellen umsetzen zu können. Nur so können einmal erzeugte Daten entlang des Produktlebenszyklus und zugleich über Unternehmensgrenzen hinweg auf effiziente Weise wiederverwendet werden. Um dies zu erreichen, engagiert sich Wittenstein aktiv in der Industrial Digital Twin Association IDTA. Das Unternehmen bringt auf diesem Weg die Asset Administration Shell (AAS) als standardisierten digitalen Zwilling in die Anwendung. Hierzu werden nicht nur die Datenmodelle des DT vereinheitlicht, sondern auch Infrastrukturen und Services, die für den Datenaustausch benötigt werden. Aktuelle, abgestufte Implementierungsformen ermöglichen zum einen den Offline-Datenaustausch statischer Inhalte sowie in der nächsten Ebene den aktiven Online-Datenaustausch dynamischer Inhalte. Die nächste Evolutionsstufe, die künstliche Intelligenz sowie Peer-to-Peer-Abläufe zur Kommunikation von Digital Twins untereinander nutzt, ist aktuell Gegenstand verschiedener Forschungsprojekte, an denen auch Wittenstein beteiligt ist. Neben Interoperabilität gewährleistet die AAS Investitionssicherheit, indem sie den Identification Link gemäß Norm IEC 61406 nutzt und auf industrieweiten, inhaltlichen abgestimmten Spezifikationen fußt, die in Verbänden wie dem VDMA, dem ZVEI, der Bitcom sowie den mehr als 70 Mitgliedern der IDTA als Nutzerorganisation anerkannt sind.
Den Digital Twin nutzt Wittenstein über den gesamten Produktlebenszyklus
Digitales und smartes Typenschild
Bislang gibt es vor allem zwei Arten von Typenschildern: das analoge Typenschild als von Personen und Maschinen lesbare Kennzeichnung am Produkt sowie die elektrische Variante, die nur maschinell lesbar ist – und auch nur dann, wenn das Produkt mit Spannung versorgt wird. Im Rahmen des Digital Twin hat Wittenstein das digitale Typenschild realisiert. Hierzu stattet das Unternehmen Produkte bereits seit 2019 mit einem IEC-konformen Identification Link aus. Dieser fungiert nicht nur als Produkt-ID, sondern zugleich als Webadresse, die online zum digitalen Typenschild führt. Dieses kann weltweit ausgelesen werden – zum einen durch Personen am Bildschirm über das Afterservice Portal, zum anderen stellt der Digital Twin im Portal die maschinenlesbare Version des digitalen Typenschildes bereit. Und diese kann auf Seriennummernebene um beliebige Informationen erweitert werden, beispielsweise Individualisierungsoptionen, Messdaten und -protokolle, Übergabedokumente, passgenaue Ersatzprodukte im Fall von Abkündigungen, Zertifikate oder den künftig durch den digitalen Produktpass der EU erforderlichen CO2-Fußabdruck des Produktes. Viele Funktionen und Möglichkeiten hat Wittenstein schon zukunftssicher in seinem digitalen Typenschild umgesetzt – und bietet wichtige Vorteile, beispielsweise aus Inbetriebnahme- und Serviceperspektive.
Nutzung erhobener Messdaten
Eine fertigungsbegleitende Datenerfassung als Erweiterung des digitalen Typenschildes wurde unternehmensseitig im Herstellungsprozess von Galaxie-Antriebssystemen umgesetzt. Der individuelle Identification Link wird für jedes einzelne Antriebssystem bereits vor Produktionsbeginn generiert und mit der Seriennummer verknüpft. Er begleitet das betreffende Getriebe durch alle Bearbeitungs- und Montagestationen, sodass für jedes Getriebe-unikat spezifische Eigenschaften wie Hysterese, Plan- und Rundlaufabweichungen, Leerlaufmomente oder innerhalb der Spezifikation liegende, mechanische Fertigungstoleranzen erfasst und – zusätzlich zu Produkteigenschaften und Leistungsdaten – als sogenannte erweiterte Daten digital bereitgestellt werden können. Dies ersetzt bislang übliche, nicht-digitale Prüfprotokolle und ermöglicht es schnell und einfach, innerhalb einer Applikation das jeweils optimale Getriebe, beispielsweise einen Galaxie-Aktuator mit gemessenem Null-Spiel, auszuwählen oder mit Hilfe der Messwerte aus der Fertigung eine passgenaue Parametrierung durchzuführen. Bereitgestellt und für den Kunden freigeschaltet werden diese Informationen über das Service Portal.
Interoperable Engineeringprozesse
Ein weiterer Use Case des DT, den Wittenstein bereits bei der IDTA und dem ZVEI initiiert hat, ist die interoperable Gestaltung von Engineeringprozessen. Das Ziel ist es, den iterativen, interaktiven und interdisziplinären Prozess der Auswahl optimaler Antriebskomponenten für eine bestimmte Applikation – beispielsweise einen Bandantrieb, einen Linearantrieb oder einen Drehtisch – im Austausch zwischen Hersteller und Maschinenbauer effizient zu gestalten. Elektro-, Automatisierungs- und Mechanikexperten, die sich damit beschäftigen, sehen sich aktuell noch einer sehr fragmentierten Landschaft an Engineering- und Auslegungstools gegenüber.
Im Rahmen der Use-Case-Initiative bringt Wittenstein die Erfahrung der Auslegungssoftware Cymex 5 ein, welche bereits heute Produkte und Daten einer Vielzahl anderer Hersteller bereitstellt. Dieser Datenstrom in ein Sizing Tool erschließt bereits erste Effizienzpotenziale, die aber im Rahmen des Digital Twin weiter ausgebaut werden können. So beschäftigt sich der entsprechende Arbeitskreis zudem mit weiteren Themen des Datenaustauschs, beispielsweise mit standardisierten Informationsmodellen, um die Daten schneller Maschinenbauern und Anwendern bereitstellen zu können. Es wird an einem Datenmodell gearbeitet, das einmal Systemanforderungen, Umweltbedingungen oder Transformationsmechanismen im Rahmen einer Antriebsauslegung definieren und standardisiert darstellen soll. Geplant ist, dadurch beispielsweise das Erstellen sowie das Im- und Exportieren von Bewegungsprofilen als Teil der Auslegung über den Digital Twin zu ermöglichen. Auch die Ergebnisse von Auslegungen – Stücklisten, komponenten- und systembezogene Auslastungsdaten und voraussichtliche Standzeiten im Feld – sollen in diesem Datenmodell standardisiert und damit im Digital Twin interoperabel sowie hersteller- und lebenszyklusübergreifend dargestellt werden.
Servicemeldungen via Digital Twin
Ein weiteres Projektbeispiel des Digital Twin, an dem die IDTA und der VDMA gemeinsam arbeiten, betrifft die Instandhaltungs- und Serviceprozesse von Maschinen und Anlagen. Ausgangspunkt ist in diesem Kontext der Anlagenbetreiber, der einen Servicebedarf erkennt, beispielsweise eine Inspektion, eine Instandhaltung, eine Reparatur oder einen Bedarf nach einem Ersatzprodukt. Diese Serviceanfrage muss beim richtigen Partner – dem Maschinenbauer, dem Servicepartner, den Systemintegrator oder dem Komponentenhersteller – in einem standardisierten Format aufschlagen, denn jeder dieser Anbieter arbeitet mit einem anderen IT-Backendsystem. Wird beispielsweise in einer Produktionsanlage bei einem Linearsystem die Anzahl der Schmierzyklen erreicht, ändert sich der Betriebsstatus der Komponente, aber auch der gesamten Anlage. Dies erzeugt eine Servicemeldung, die in Echtzeit im Digital Twin zusammen mit der gesamten früheren Servicehistorie zu finden ist und im Servicesystem des jeweiligen Partners abgebildet wird. Über eine Baumstruktur können dann vielfältige relevante Informationen im Zusammenhang mit der Anlage und der Komponente aufgerufen werden, unter anderem eine Kurzbeschreibung des Produktes oder eine Wartungsanleitung.
Die Arbeiten der Nutzerorganisation IDTA, der verschiedenen Konsortien und Arbeitsgruppen zeigen, dass der Digital Twin nur als Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten umsetzbar ist. Der Weg zu einer höheren digitalen Wertschöpfung führt nur als gemeinsamer Weg ans Ziel – ein Ziel, das Wittenstein mit Nachdruck verfolgt und dessen Erreichen mit Blick auf Industrie 4.0 alternativlos ist. (sc)
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