Firmen im Artikel
Inhaltsverzeichnis
1. Technische Keramik muss spezielle Anforderungen erfüllen
2. Keramik ist korrosions- und hochtemperaturbeständig
3. Grundmaterial von Keramik etwas teurer ist als Stahl
4. Herstellungsverfahren von Oxidkeramiken und Nicht-Oxidkeramiken gleich
5. Herausforderungen bei der Konstruktion von Keramikbauteilen
6. Enger Austausch mit Kunden
7. Keramik ist ein nahezu unzerstörbarer Werkstoff
8. Keramische Werkstoffe für Anwendungen mit hohen Anforderungen
9. Einsatzmöglichkeiten technischer Keramik vielfältig
Technische Keramik muss spezielle Anforderungen erfüllen
KEM Konstruktion|Automation: Können Sie erklären, was genau technische Keramik ist und welche Eigenschaften sie hat?
Stefan Zilm: Technische Keramik sind verschiedene keramische Werkstoffe und Produkte, bei dem die Technik im Vordergrund steht. Das heißt, diese Keramik muss spezielle Anforderungen erfüllen, beziehungsweise spezielle Eigenschaften mitbringen und kommt in technischen Anwendungen zum Einsatz. Es gibt bei der Technischen Keramik ein großes Spektrum verschiedener Werkstoffgruppen, beispielsweise Oxid-Keramik, Nichtoxid-Keramik. Bei maxon fokussieren wir uns auf Oxidkeramiken, etwa das häufig verwendete Material Zirkonoxid. Dabei handelt es sich um ein sehr hartes Material mit einer vergleichbaren Dichte wie Stahl, das extrem verschleißfest ist. Die zweite Variante, die wir standardmäßig im Portfolio haben, ist Aluminiumoxid und wird in der Industrie unter anderem für Isolationsaufgaben verwendet. Beim Aluminiumoxid gibt es verschiedene Reinheitsgrade. Welche Keramik wir einsetzen, hängt am Ende von der Anforderung ab, also geht es um Durchschlagfestigkeit, um Verschleiß, um Oberflächengüte oder um Reibung. Wir bei maxon bewegen uns im Bereich hochpräziser Verzahnungsbauteile, Achsen und Wellen, beispielsweise aus Zirkonoxid-Keramik, aber auch aus Aluminiumoxid als Isolationsbauteil.
Keramik ist korrosions- und hochtemperaturbeständig
KEM Konstruktion|Automation: Welche Vorteile bietet technische Keramik?
Zilm: Wenn wir über technische Keramik sprechen, geht es meistens um die Themen wie Materialbeständigkeiten und Steigerung der Performance. Unsere Kunden bekommen durch den Einsatz von Keramik eine bessere Performance ihrer Systeme. Zu den Vorteilen von technischer Keramik gehört die Verschleißfestigkeit selbst gegenüber Stählen. Auch beim Thema Magnetismus – ebenfalls eine häufige Anforderung in der Industrie – kann Keramik punkten. Zudem erreichen wir mit Keramik auch sehr hohe Oberflächengüten und können auch hohe Oberflächengüten realisieren. Und wir reden hier nicht über Keramikbeschichtung, sondern über Voll-Keramik. Zudem ist Keramik korrosions- und hochtemperaturbeständig sowie biokompatibel und hat hervorragende Gleiteigenschaften.
Grundmaterial von Keramik etwas teurer ist als Stahl
KEM Konstruktion|Automation: Hat Keramik auch Nachteile?
Zilm: Ein Nachteil ist sicherlich, dass Keramik beim Preis nicht mit Stahl konkurrieren kann. Das resultiert daraus, dass das Grundmaterial etwas teurer ist als Stahl. Ein weiterer Nachteil ist, dass Keramik im Vergleich zu Stahl bei gewissen Anwendungen etwas schlechter abschneidet, etwa wenn es um Festigkeit bei speziellen Belastungen geht.
Herstellungsverfahren von Oxidkeramiken und Nicht-Oxidkeramiken gleich
KEM Konstruktion|Automation: Gibt es einen Unterschied zwischen Oxidkeramiken und Nicht-Oxidkeramiken?
Zilm: Für technische Einsätze können sowohl Oxid- als auch Nichtoxidkeramiken verwendet werden. Oxidkeramiken sind in der Regel einphasige Metalloxide. Nichtoxidkeramiken sind in der Carbide oder Nitride. Diese zeichnen sich durch höhere chemische und thermische Stabilität, Festigkeit und Härte aus. Außerdem besitzen sie eine geringere Dichte. Der Aufwand für das Sintern und die mechanische Bearbeitung ist allerdings höher als bei Oxidkeramiken. Bei den Herstellungsverfahren gibt es wenige Unterschiede, man kann nahezu alle technischen Keramiken pressen, extrudieren, spritzgießen und auch 3D-Druck ist möglich. Hier haben wir seitens maxon einige der formgebenden Verfahren im Haus. Im Zuge der Anwendung beraten wir den Kunden und unterstützen Ihm bei der Auswahl des richtigen Materials.
Herausforderungen bei der Konstruktion von Keramikbauteilen
KEM Konstruktion|Automation: Welche Herausforderungen gibt es bei der Konstruktion von Keramikbauteilen?
Zilm: Hier muss einmal das sogenannte Schwinden erwähnt werden. Der eigentliche keramische Werkstoff und die technische Eigenschaft liegt erst nach dem Brennprozess vor. Dieser Umstand, insbesondere die Schwindung beim Brennen, muss bei der Konstruktion keramischer Bauteile berücksichtigt werden. Der Grünling im Spritzgussverfahren wird gegenüber dem Fertigteil größer konstruiert und das Schwinden oder der Schrumpf ist nicht bei allen drei Ebenen (x/y/z) gleichmäßig. Den Schrumpf bei dem Kunststoffspritzguss liegt bei bis zu 5 % und bei unseren Keramiken bei bis zu 30%. Eine weitere Herausforderung ist die Elastizität. Duktile Werkstoffe verfügen über eine plastische Formgebungsreserve und sind in der Lage, punktuelle Überlastungen durch elastische Dehnung zu kompensieren. Harte und spröde Werkstoffe wie Keramik bieten hingegen nicht diese Fehlertoleranz. Die deutlichen Unterschiede in der Belastungsfähigkeit erfordern abweichende Gestaltungsregeln. Ebenfalls herausfordernd ist, dass keramische Komponenten häufig in metallische Baugruppen eingebunden sind, was zu konstruktionsbedingten Problemen führen kann. So werden keramische Komponenten in einer Konstruktion oft für Komponenten eingesetzt, die hohem Verschleiß unterliegen. Diese müssen mit den benachbarten metallischen Bauteilen und Baugruppen verbunden werden.
Darüber hinaus ist bei der Konstruktion von Keramik-Bauteilen das Thema Radius und Fase wichtig. Ein guter Rat ist manchmal hier, lieber einen Radius als eine Fase zu verwenden. Der Außen-Radius ist oft günstiger, aber wir haben gewisse Notwendigkeiten bei Radien, z.B. wie stark ausgeprägt oder wie klein diese Radien sein dürfen. Wenn wir von hochpräzisen Bauteilen sprechen, reden wir von einer Nacharbeit im harten Zustand (gesintert), bei der wir dann entsprechend Schleifradien benötigen. Zudem geht es manchmal um Einstiche oder Hinterschnitte, die in der Metallbearbeitung normal sind, bei der Keramik aber nur mit größerem Aufwand mit speziellen Tools zu erreichen sind.
Enger Austausch mit Kunden
KEM Konstruktion|Automation: Wie unterstützt maxon seine Kunden bei den konstruktionsbedingten Herausforderungen von Keramik?
Zilm: Dahingehend steht maxon seinen Kunden auch von Anfang an zur Verfügung. Um zu bewerten, ob etwas machbar ist und ob das Bauteil vielleicht sogar umkonstruiert werden muss. Wir geben unser Konstruktions-Know-how auch gern an den Kunden weiter und konstruieren mit ihm gemeinsam sein Produkt, damit es keramikgerecht hergestellt werden kann. Denn – und das muss man dazu sagen – eine Fase kostet mehr als eine normale Kanten-Verrundung oder ein kleiner Radius. Und da bieten wir dem Kunden Unterstützung an: Seine Bauteile konstruktiv so zu verändern, dass sie bestmöglich aus Keramik hergestellt und relativ kostenneutral produziert werden können. Unser Know-how steckt vor allem in der komplexen Formgebung, also in den Spritzgussformen zur Herstellung dieser Bauteile. Außerdem erfordert das Rohmaterial viel Wissen. Wir spezifizieren das Granulat, es wird also exakt nach unseren Vorgaben hergestellt. Dabei spielen mehrere Faktoren, wie das Schwundmaß, die Fließeigenschaften – zusammengefasst im Mold Flow Index – und natürlich auch die chemische Zusammensetzung des Granulats eine Rolle. Zudem sichern wir bei uns in der Produktion die Qualität mit Prüfungen des Gefüges, der Dichte und der Festigkeit. In besonderen Bereichen gibt es 100%-Prüfungen, bei denen die Festigkeit unserer Bauteile zu hundert Prozent überprüft wird, damit der Kunde auf der sicheren Seite ist.
Keramik ist ein nahezu unzerstörbarer Werkstoff
KEM Konstruktion|Automation: Warum ist der Einsatz von technischer Keramik als Werkstoff nachhaltig?
Zilm: Keramik ist ein nahezu unzerstörbarer Werkstoff, durch dessen Einsatz Systeme länger laufen und so gut wie keine Ausfallerscheinungen auftreten. Sei es bei unseren Motoren und Getrieben, aber auch bei den Kunden, die damit hundertmal mehr Zyklen erreichen als mit anderen Werkstoffen. Man kann sagen, dass Keramik eine unerreichte Lebensdauer hat, und wenn das Bauteil nicht kaputt geht, muss es auch nicht ersetzt werden. Auch das Recycling zu Keramik-Recyclat ist möglich und relativ simpel. Ähnlich wie beim Kunststoff-Spritzguss kann das nicht fertig gesinterte Material recycelt werden. Wir achten darauf, dass die Bauteile und die Auslegung von Spritzgussbauteilen mit Anguss so ausgewählt werden, dass möglichst wenig Abfall anfällt und wir wenig zu recyclen haben. Und wenn mal ein Bauteil kaputt geht, muss es nicht gesondert entsorgt werden, sondern kann entsprechend recycelt werden. Mit heutigen Recyclingverfahren kann man bis zu 100% des Werkstoffs zurückgewinnen.
Keramische Werkstoffe für Anwendungen mit hohen Anforderungen
KEM Konstruktion|Automation: Wann ist der Einsatz von technischer Keramik sinnvoll?
Zilm: Generell sollten keramische Werkstoffe immer dann zum Einsatz kommen, wenn ihre besonderen Eigenschaften ein Anforderungsprofil besser erfüllen als Metalle. Wenn es um High-Performance-Anwendungen geht und es spezielle Anforderungen an ein System gibt, dann greifen wir zu Keramik – auch bei unseren Motoren und Getrieben. Gerade in der Lagertechnik lassen sich mit Keramiklagern höhere Umdrehungen von Motoren erreichen, weil sich Keramik durch seine Hochtemperatur-Beständigkeit auszeichnet und eine bessere Wärmeabfuhr als andere Materialien hat. Zudem hat Keramik hervorragende Gleiteigenschaften, was durch die geringere Reibung zu einer besseren Laufruhe führt. Unsere Planetengetriebe arbeiten z. B. durch den Einsatz von Keramik geräuschärmer. Keramik kommt auch bei Spindelantrieben zum Einsatz. Wir setzen hier keramische Spindeln ein, die einen deutlich geringeren Verschleiß aufweisen als Spindeln aus anderen Werkstoffen. Dadurch ist die Lebensdauer des Komplettsystems deutlich höher, Anfahrmomente können dank spezieller, polierter Oberflächen reduziert werden. Das heißt, man hat ein sehr geringes Anfahrmoment. Es sind auch schnellere Bewegungen möglich, und man hat kein Verkleben, wenn man mit verschiedenen Stoffen arbeitet.
Einsatzmöglichkeiten technischer Keramik vielfältig
KEM Konstruktion|Automation: Welche Einsatzmöglichkeiten für technische Keramik gibt es beziehungsweise wo setzt maxon sie ein?
Zilm: maxon ist mit seinen Lösungen aus technischer Keramik in sechs Bereichen beziehungsweise Branchen unterwegs: Industrieautomation, Antriebstechnik, Medizintechnik, Messtechnik, Audiotechnik und Uhrentechnik.
- In der Industrieautomation kommen Keramikkomponenten für Spindeln, Achsen, Buchsen, Düsen, Schienen oder Zentrierstifte zum Einsatz. maxon fokussiert sich in diesem Bereich zunehmend auf die Robotik.
- In der Antriebstechnik genügen herkömmliche Materialien je nach Anwendung den Anforderungen nicht. So kann beispielsweise für Unterwasserantriebe nur Material verwendet werden, das salzwasserresistent ist. Keramische Planetenträger in einem Planetengetriebe sind zudem verschleißfester im Vergleich zu Stahl.
- In der Medizintechnik ist Keramik vor allem wegen seiner Biokompatibilität, Härte und Verschleißfestigkeit gefragt. Die Materialien etwa für Isolierhülsen oder Kanülen müssen sterilisierbar und korrosionsbeständig sein.
- In der Messtechnik wird Keramik für Sensorgehäuse und -köpfe eingesetzt. Als Sensorgehäuse widersteht Keramik widrigen Bedingungen wie hohen Temperaturen, abrasivem Staub im Gasstrom und chemisch aggressivem Kondensat. Zudem wird Technische Keramik in dieser Branche für Messaufsätze wie Pins, Kugeln oder Achsen verwendet.
- In der Uhrentechnik kommt Keramik für Ritzel, Zahnradstufen, Achsen, Lager, Klinken oder Gehäuse zum Einsatz. In diesem Bereich punktet der Werkstoff durch Eigenschaften wie Präzision, Langlebigkeit, Verschleißfestigkeit und dadurch, dass er nicht magnetisch ist.
- In der Audiotechnik wird Keramik vor allem im audiophilen High-End-Bereich verwendet, etwa in Achsen für Lagerungen, in Gehäusen für In-Ear-Kopfhörer oder Dekor-Bauteile.
Das Schöne ist, dass maxon technische Keramik nicht nur in einer Industriesparte einsetzt, sondern wirklich in vielen Branchen zuhause ist. Und aus jeder Industrie nehmen wir ein gewisses Learning mit, dass wir dann auch an andere Industrien weitergeben können.
Whitepaper zum Thema technische Keramik von maxon