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Feldroboter und fliegende Helfer kommen in der Praxis an

Fokus auf der Agritechnica
Feldrobotik ist keine Nische mehr

Insbesondere der Fachkräftemangel gilt in vielen Regionen der Welt als einer der stärksten Treiber hochautomatisierter bis autonomer Technologien, auch in der Landwirtschaft. Arbeitskräfte sollen dadurch nicht ersetzt, sondern insbesondere in Spitzenzeiten für anspruchsvollere Arbeiten verfügbar gemacht werden.

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion|Automation

Inhaltsverzeichnis

1. Luftunterstützung
2. In Deutschland noch verboten
3. Prozesse-Automatisierung statt Routenplanung
4. In der Realität angekommen
5. Der Trecker wird nicht sterben
6. Aus dem Labor in die Natur
7. Ohne KI geht es nicht

Die Getreideernte 2023 in Mittel- und Nordeuropa ist dafür ein gutes Beispiel: Drusch, Bodenbearbeitung sowie die Aussaat von Zwischen- und Folgefrucht mussten durch die witterungsbedingte Ernteverzögerung auf mehreren Feldern zeitgleich erfolgen. Oft mangelte es dafür nicht an der Technik, sondern an Manpower. Eine Möglichkeit ist dann die Auslagerung auf einen Dienstleister, wobei man auch auf komplett neue Verfahren wechseln kann. Die Zwischenfrucht etwa dient lediglich als Gründüngung und verbessert die Fruchtfolge, weshalb sie nicht mit der gleichen Präzision gesät werden muss, wie reguläre Ackerpflanzen. Schnell und effizient kann das eine Drohne erledigen – bereits bevor das Feld überhaupt abgeerntet ist. Spezielle Agrarmodelle tragen durchaus 50 kg Saatgut, laden ihre Akkus am Feldrand und sind so kaum auf manuelle Handgriffe angewiesen. Die gekeimte Zwischenfrucht kann dann problemlos mit dem Mähdrescher überfahren werden und ist dann in der trockensten Phase auf dem Feld schon aus dem gröbsten heraus.

Luftunterstützung

Dass diese Geräte größentechnisch über die typischen Video-Geräte hinauswachsen, zeigt eine gemeinsam von der deutschen Firma Volocopter und John Deere entwickelte VoloDrone mit einem Durchmesser von 9,2 m. Sie wird von 18 Rotoren angetrieben und verfügt über eine Flugzeit von bis zu 30 min., sowohl ferngesteuert als auch automatisiert auf einer vorprogrammierten Route. Ihr Rahmen ist mit einem flexiblen Geräte-Aufnahmesystem ausgestattet, wodurch je nach Einsatz unterschiedliche Vorrichtungen montiert werden können. Für den Pflanzenschutz ist die Großdrohne mit zwei Tanks, einer Pumpe und einem Spritzbalken bestückt. Dank der niedrigen Flughöhe können Flächenleistungen von bis zu 6 ha pro Stunde erreicht werden.

Agrardrohne
Die von Volocopter und John Deere entwickelte Agrardrohne misst fast 10 m und kann 200 kg tragen.
Bild: John Deere

Noch einen Schritt weiter geht das israelische Start-Up Tevel, dessen Drohnen die komplette Ernte auf Obstplantagen erledigen. Mehrere Teller-großen Flugobjekte sind dabei per Kabel an ein Fahrzeug angebunden. Sie erkennen den Reifegrad der Früchte und pflücken sie per Saugnapf, von 50 bis 700 g pro Frucht. Anschließend landen Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Aprikosen oder Pflaumen im „Mutterschiff“ am Boden. Auch hier ist vor allem der Fachkräftemangel treibende Kraft der Entwickler gewesen. Nun kann 24/7 autonom geerntet werden, exakt auf einen Reifegrad eingestellt.

In Deutschland noch verboten

Aber auch Großtechnik wird zunehmend automatisiert. Als CaseIH 2016 medienwirksam seinen futuristisch designten autonomen Traktor ohne Kabine präsentierte, war der Hype groß. Dass sich diese Bauform wohl nicht durchsetzen wird, war eigentlich von vornherein klar, denn sie beschränkt sich auf die bisherigen Maschinengegebenheiten: Der ursprüngliche Großtraktor ist noch immer klar erkennbar, obwohl er ohne Fahrer völlig anders und damit besser auf seine Aufgabe zugeschnitten konstruiert werden könnte. Denn immer leistungsstärkere Technik ist bisher nur deshalb erforderlich gewesen, weil Fahrer zunehmend weniger wurden: Auch hierzulande geht die Gesamtzahl der Landwirte seit Jahrzehnten zurück, die Agrarfläche blieb mit 16,6 Mio. ha dagegen nahezu konstant (-1 %): Um die Jahrtausendwende bewirtschafteten 472.000 Landwirte im Schnitt 36 ha Land. Im Jahr 2013 war ihre Zahl auf nur noch 285.000 Höfe gesunken, die aber inzwischen jeweils 58 ha zu beackern hatten. Bis 2020 gaben nochmals 22.000 Bauern ihre Arbeit auf und verkauften oder verpachteten ihre Felder, die durchschnittliche Größe der Betriebe lag damit bei 63 ha. Um in den zudem vom Wetter immer enger gesteckten Zeitfenstern mit der Arbeit rechtzeitig fertig werden zu können, müssen die zunehmend größeren Höfe also seit langem auch immer schlagkräftiger werden. Mit den Robotern ändert sich dieses Dogma nun, denn der Fahrer als zentrales Element entfällt. Grubber, Sämaschine oder Pflanzenschutzgeräte können autonom 24/7 arbeiten und müssen damit nicht mehr so groß dimensioniert sein – was neben geringeren Anschaffungskosten auch den Boden schont.

Autonome Zugmaschine
Vorteil der autonomen Zugmaschinen, wie der von Krone und Lemken: Reguläre, bereits vorhandene Anbaugeräte können weiter genutzt werden.
Bild: Lemken/Krone

Verschiedene Hersteller haben bereits solche Konzepte vorgestellt, etwa die Hersteller Krone und Lemken als Partner, der eigentlich auf Anbaugeräte spezialisierte Kuhn-Konzern aus Frankreich und als größter Agrartechnikhersteller natürlich auch John Deere. Dabei handelt es sich aber noch um Versuchsträger. Das Start-Up Agxeed hat sich dem 2018 ebenfalls angenommen und bereits vier Jahre später die Marktreife des dieselelektrischen AgBot in drei Varianten erreicht: Die 156 PS starke Raupe ist für die schwere Bodenbearbeitung prädestiniert, der kleine Bruder auf Rädern erledigt mit 75 PS leichtere Pflegeaufgaben. Eine dreirädrige Version kommt im schmalspurigen Obst- und Weinbau zum Einsatz. Aktuell wird das Servicenetz rund um den Globus ausgebaut, denn neue Technik kann ohne fachliche Unterstützung eines Experten vor Ort kaum sauber etabliert werden.

Autonome Navigation für Landwirtschaftsroboter

Prozesse-Automatisierung statt Routenplanung

Für die weitere Automatisierung von landwirtschaftlichen Prozessen ist jedoch eine engere Zusammenarbeit mit anderen Herstellern erforderlich: Denn nur automatisiert Strecken auf dem Acker abfahren zu können, reicht nicht aus. Die Maschine muss auch erkennen, ob die Maßnahme qualitativ gut ausgeführt wird, denn Schäden an Werkzeugen wie Grubberzinken sind im Feldalltag nicht untypisch. Das erkennt der Landwirt hinter dem Lenkrad bisher selbst, nun muss der Roboter diese Fähigkeit ebenfalls bekommen. Claas und Anbaugerätespezialist Amazone haben das erkannt und sind als Minderheitsinvestoren bei Agxeed eingestiegen. Unter dem Kürzel 3A für Advanced Automation and Autonomy bündeln die Unternehmen nun ihre Kompetenzen und sind dabei auch offen für weitere Kooperationen. Der Mulcherhersteller Müthing ist kürzlich als vierter Partner aufgesprungen, weitere Gespräche werden bereits geführt. „Landwirtschaftliche Roboter agieren heute zumeist in geschlossenen Systemen mit beschränkten Einsatzmöglichkeiten und ohne die Möglichkeit, sie parallel oder in Kombination mit anderen Fahrzeugen und Anbaugeräten einzusetzen“, erklärt das Entwicklungsteam. Die Niederländer wollen das nun ändern und binden über die standardisierte Isobus-Schnittstelle nun erstmalig Traktoren und Anbaugeräte in den Planungs- und Ausführungsprozess der autonomen Geräte ein. Ein wichtiger Schritt, da in der sehr heterogen ausgestatteten Agrarbranche Insellösungen kaum Chancen haben, sich flächendeckend durchzusetzen.

In der Realität angekommen

Solarbetriebener Farmdroid
Der Farmdroid ist solarbetrieben und kümmert sich um Aussaat und das Unkraut.
Bild: Farmdroid

Kleine Maschinen wie etwa der solarbetriebene Farmdroid sind bereits auf den Feldern unterwegs. Er sät beispielsweise Zuckerrüben und merkt sich per GPS deren exakte Position. Während des Sommers bekämpft er dann das aufgehende Unkraut um jede Rübe. Laut Praktikern stecken auch solche bereits marktreifen Systeme aber noch in den Kinderschuhen, da beispielsweise durch leichte Erosion am Hang junge Pflanzen schon mal etwas versetzt wachsen. Diese hält der Roboter dann ebenfalls für Unkraut, da ihre Position sich geändert hat. Andere Hersteller setzen hier bereits auf Pflanzenerkennung per Kamera und hacken entsprechend präziser. Dass die autonomen Helfer inzwischen in der Realität angekommen sind – und zwar nicht nur auf Großbetrieben – zeigt auch die bayrische Staatsregierung: Sie fördert die Anschaffung eines marktreifen Feldroboters bereits mit bis zu 40% bzw. maximal 40.000 €.

Der Trecker wird nicht sterben

Der herkömmliche Traktor mit Kabine wird dadurch aber keinesfalls aussterben, zumindest nicht mittelfristig. Aber auch sie werden bereits heute mit entsprechenden autonomen Fähigkeiten ausgestattet. So bleibt die Maschine flexibel und funktioniert bei Bedarf auch mit Fahrer. John Deere hat bereits Anfang 2022 auf der CES ein entsprechend aufgerüstetes Serienmodell der Baureihe 8R präsentiert. Die Technik dazu kommt vom wenige Monate zuvor übernommenen Start-Up Bear Flag Robotics. Kürzlich hat dann auch der CNH-Konzern die Flaggschiffe seiner Marken New Holland und CaseIH autonom gemacht, wofür 2021 die Firma Raven gekauft wurde. Ein erster Usecase wird das Abbunkern von Getreide aus dem Mähdrescher auf ein autonom agierendes Traktor-Anhänger-Gespann. Voll beladen steuert es einen Überladepunkt am Feldrand an, von wo die Straßenlogistik die Ernte schließlich übernimmt. Anschließend sucht sich der Trecker den nächsten vollen Mähdrescher. Auf Großagrarflächen wie in Australien oder den USA sind mehrere parallel arbeitende Erntemaschinen üblich und die autonome Feldlogistik dementsprechend auch gefragt. In Deutschland werden die Systeme aber bisher nicht angeboten: Die regulierenden Gesetze für autonome Fahrzeuge wurden zwar bereits 2017 geschaffen, sehen aus Sicherheitsgründen aber noch immer einen überwachenden Menschen vor, was das Ganze unwirtschaftlich macht. Das eigenständige Umsetzen der Roboter über öffentliche Wege ist ebenfalls noch nicht möglich, weshalb dafür ein Fahrer samt Transportgespann erforderlich ist.

Magnetischer Drehgeber steuert autonomen Erntehelfer

Aus dem Labor in die Natur

Die noch zu beantwortenden Fragen – etwa im Hinblick auf so gute Sicherheitssysteme, dass eine Aufsichtsperson schließlich überflüssig würde – werden in Deutschland, Italien und Frankreich in sogenannten Test and Experimentation Facilities for the Agri-Food Domain (agrifoodTEF) bearbeitet. Die Europäische Union und beteiligte Mitgliedsländer stellen dafür in den nächsten fünf Jahren bis zu 50 Mio. Euro zur Verfügung. „Die Grundlagen sind weit erforscht. Wir betrachten den letzten wichtigen Schritt in der Transferkette der Technologie hin zu KI-basierter Technik in der Praxis. Maschinen und deren Komponenten können bei uns in der echten Welt, auf dem Feld, mit allem, was dort auf sie einwirkt, getestet und gehärtet werden“, erklärt Joachim Hertzberg, Leiter des Forschungsbereichs Planbasierte Robotersteuerung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) am Standort Niedersachsen, wo man sich zusammen mit der Hochschule Osnabrück und dem regionalen Mittelstandsnetzwerk Agrotech Valley Forum auf Agrartechnik im Ackerbau spezialisiert hat. Firmen und Forschende können mit eigenen Ideen auf die drei Partner zukommen und die für sie passenden Umgebungen gestalten oder auf existierende Infrastruktur zurückgreifen. In einem laufenden Projekt untersucht man beispielsweise, wie autonome Landmaschinen ihre Umgebung zuverlässig erfassen können. Mit einem Schienensystem, einem beweglichen Schlitten und Testdummies im Maisfeld suchen Forschende nach der besten Sensorkonfiguration und testen die Güte von KI-Algorithmen. Ein solcher Aufbau könne nach Ansicht der Experten als Benchmark dienen, um andere Systeme zu prüfen.

Ohne KI geht es nicht

Henning Müller, Vorsitzender des Agrotech Valley Forum ergänzt abschließend: „Hersteller von Agrarsystemtechnik möchten loslegen. Diese Unternehmen sind sehr erfolgreich, in dem was sie tun. Gleichzeitig brauchen sie auch künftig den Erfolg in den neuen Themenfeldern Sensorsysteme, KI und Robotik.“ Ohne KI in den Produkten werde es in Zukunft immer schwieriger werden, die vielen Anforderungen zu erfüllen, die Kunden, Gesellschaft und Politik, zum Beispiel in Form des EU-Green-Deals, an sie stellen.

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