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ABB-Manager Atiya zu den Chancen der KI

Digitalisierung
ABB-Manager Atiya zu den Chancen der KI

Mit der Künstlichen Intelligenz (KI) beschäftigte sich der ABB-Manager Dr. Sami Atiya bereits im Studium. Als Leiter der Division Robotik und Antriebe sieht er heute enorme Chancen für den Einsatz der KI besonders im Bereich des maschinellen Lernens. Im Interview mit der KEM Konstruktion erläutert er, welche Innovationen durch die Digitalisierung vorangetrieben werden und warum selbstlernende, intelligente Roboter zum Rückgrat der Smart Factory werden könnten.

Interview: Michael Corban und Johannes Gillar, Chefredaktion KEM Konstruktion

KEM Konstruktion: Herr Atiya, bereits im Studium haben Sie sich mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz beschäftigt – steht das Thema heute zurecht ganz oben auf der Agenda?

Dr. Sami Atiya: Das Thema hat mich schon damals sehr fasziniert, weil es neue Möglichkeiten eröffnet. Für ABB – in der Regelungs- und Automatisierungstechnik zuhause – ergeben sich dadurch gerade in Verbindung mit der Robotik enorme Chancen. Technisch präziser würde ich dabei von Machine Learning oder maschinellem Lernen anstelle von Künstlicher Intelligenz sprechen. Interessant ist, dass wir bereits während meines Studiums an probabilistischen Ansätzen, an Fuzzy-Logic-Systemen gearbeitet haben mit dem Ziel, in einer Datenmenge Muster zu erkennen. Diese Ansätze waren korrekt, aber erst vor fünf Jahren hat der Brite Geoffrey Hinton das Thema in Verbindung mit neuronalen Netzen deutlich nach vorne gebracht – was unter anderem zu Ansätzen wie dem Deep Learning führte und der Technologie zahlreiche Einsatzmöglichkeiten eröffnet. Spannend ist zudem, dass am Ende ein neuronales Netz eine Approximation einer Funktion ist – mit zwei Ausprägungen: Entweder man setzt wie beim kindlichen Lernen auf das Supervised Learning und gibt Hinweise, was richtig oder falsch ist, oder man lässt eine Interpretation zu. Basierend auf der Analyse einer Vielzahl von Bildern von Katzen kann dann nicht nur eine Katze beschrieben, sondern das Bild einer ‚neuen‘ Katze erkannt werden. Übertragen auf die Robotik bedeutet das: der Roboter wird trainiert oder er ‚erlernt‘ selbstständig, wie sich eine Aufgabe lösen lässt. Beide Themen stehen sehr stark im Fokus und sind für die Robotik natürlich ohne Frage hochinteressant.

KEM Konstruktion: Welche Schwierigkeiten sind denn beim Einsatz solcher Machine-Learning-Ansätze noch zu überwinden?

Atiya: An erster Stelle ist hier die Robustheit der Systeme zu nennen. Nehmen Sie beispielsweise den berühmten ‚Griff in die Kiste‘: Klappt das bei 30 unterschiedlichen Objekten, nicht aber beim 31., ist das System nicht industrietauglich. Hier sollte es wenigstens bei 10.000 Objekten fehlerlos arbeiten. Das ist letztlich der Unterschied zwischen der Universität, an der man zeigen will, dass ein Ansatz funktioniert, und der Industrie, die praxistaugliche zuverlässige Maschinen und Anlagen liefern muss. Anders formuliert: Wir werden die neuronalen Netze noch weiter ‚tunen‘ müssen, damit sich Prozesse auch wiederholt fehlerfrei ausführen lassen. Stellt man dann noch die Anforderung, dass ein System verschiedene Aufgaben lösen können muss, wird klar, dass dies noch eine Weile dauern wird. Verlässlich und industrietauglich sind aber bereits alle Einsätze, die strukturiert vorgegeben sind – etwa sich wiederholende Aufgaben beim Laserschweißen. Hier erreichen wir schon lange höchste Präzision; denken Sie etwa an mehrere parallel arbeitende Roboter in der Automobilindustrie. Forschungsbedarf besteht dagegen vor allem beim Einsatz in unstrukturierten Umgebungen – und genau hier kann die Künstliche Intelligenz helfen. Ein 3D-Kamerasystem, das sich Objekte ‚anschauen‘ und ‚entscheiden‘ kann, welches zu greifen ist, könnte man in diesem Sinne als Vorstufe bezeichnen. Erste Beispiele gibt es bereits, ihre Zahl wird zunehmen.

KEM Konstruktion: Können Sie uns dazu ein interessantes Beispiel nennen?

Atiya: Durch die Übernahme des spanischen Unternehmens NUB3D im Februar 2017 können wir 3D-Oberflächen mit optischen Sensoren online inspizieren. Das funktionert zusammen mit einem Roboter in der Linie, im Sekundentakt – und weist den Weg in Richtung der flexiblen Fertigung. Eines der Hauptziele dabei ist, mit Hilfe der Datenanalyse Produktionsprozesse zu optimieren. Die NUB3D-Technologie erfasst dazu neben den Oberflächen- auch geometrische Daten mit hoher Detailgenauigkeit und erlaubt den Vergleich mit dem sogenannten digital twin. Die damit mögliche automatisierte Prüfung der gefertigten Teile reduziert die Zykluszeiten, steigert die Qualität und senkt das Risiko von Fehlern in der Qualitätskontrolle. Die Bündelung von Robotik und Software spielt übrigens für die fortschreitende Digitalisierung eine wichtige Rolle – insbesondere mit Blick auf den Ausbau unserer Plattform ABB Ability als wichtige Säule unserer Next-Level-Strategie. ABB Ability nutzt die ‚intelligente‘ Cloud, um verwertbare digitale Daten für ein breites Spektrum von Kunden zu generieren.

KEM Konstruktion: Auf diesem Weg lassen sich dann generell auch laufende Produktionsprozesse optimieren…

Atiya: …etwa beim Lackieren. Hier können wir zukünftig ein System anbieten, das über die eingebaute Sensorik bereits während des Sprühens die Qualität bewertet. Das ist ein schönes Beispiel für das Thema Mustererkennung im Rahmen des maschinellen Lernens: Ich vergleiche die Daten aus dem Prozess mit denen der nachgelagerten Qualitätskontrolle – und kann auf diese Weise erkennen, welcher Prozessablauf zielführend ist. Die Spritzpistole lässt sich so immer optimal betreiben. Noch entscheidender ist: Durch die Optimierung im laufenden Prozess lassen sich Fehler direkt ausschließen – ich muss also keine Nacharbeit leisten, weil ich Qualitätsmängel zu spät entdecke.

KEM Konstruktion: Für ABB als Roboterhersteller heißt das, dass der Systemgedanke weiter an Bedeutung gewinnt?

Atiya: Exakt – die Steuerung des Roboters als solche ist gelöst, in den Vordergrund tritt jetzt verstärkt die optimale Lösung der gestellten Aufgabe. Nach wie vor bieten wir natürlich auch den einzelnen Roboter an, aber das Applikations-Know-how rund um den Roboter zeichnet uns schon immer aus. Eine entscheidende Frage wird allerdings sein, welche Vereinbarungen man zu Datenzugriff und -nutzung treffen kann. Die Antwort steckt aber schon in der Aufgabenstellung: Können wir einen Mehrwert hinsichtlich der Produktivität bieten, wird der Kunde auch bereit sein, Daten zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer starker Treiber wird das Thema Kollaboration sein – wiederum mit dem Ziel, die Produktivität unserer Kunden zu steigern. Interessant war für uns, dass wir bezüglich des 2015 vorgestellten YuMi rund 1000 Anfragen von Industriekunden bekommen haben – davon 500 von Unternehmen, die zuvor nie etwas mit Robotern zu tun hatten. Die Möglichkeit, neben einem Menschen sicher und hochpräzise mit einem Industrieroboter zu arbeiten, hat hier kreative Kräfte freigesetzt. Eine Rolle spielt dabei, dass man auf eine Einhausung verzichten kann, was vor allem Platz spart und auch beim Retrofit Vorteile bietet. Bei all dem gilt aber auch: Nicht alle heutigen Roboter werden durch einen kollaborativen Roboter ersetzt. Es wird natürlich weiter auch Tätigkeiten geben, in denen eine hohe Dynamik bei größeren Lasten gefragt ist – inhärent ist das natürlich ein Sicherheitsthema. Wir denken, dass beide Welten in der Fertigung koexistieren werden. Bei beiden Lösungen wird unser System- und Applikationswissen eine entscheidende Rolle spielen.

KEM Konstruktion: Welche Bedeutung hat denn für ABB generell das Thema Digitalisierung und wie definieren Sie diesen Begriff?

Atiya: Für uns ist Digitalisierung die Fähigkeit, Systeme mit Sensoren auszustatten und die auf diese Weise gewonnenen Informationen in der Cloud oder on-the-edge verfügbar zu machen – mit dem Ziel, daraus Wissen zu generieren. In Kombination mit Machine Learning – letztlich ja nur ein anderer Begriff für Analytics – ergeben sich so zahlreiche Möglichkeiten, Produktionsprozesse zu optimieren und den Autonomiegrad zu erhöhen. Das ist unsere Philosophie – und genau dafür haben wir unsere Plattform ABB Ability zusammen mit Microsoft aufgesetzt. ABB Ability bietet ein Standardsystem für den einfachen, professionellen Zugang zu den Daten verbunden mit der Berücksichtigung des Themas Cyber-Security und der Möglichkeit, Applikationen einfach und schnell zu programmieren. Für uns als Roboterhersteller kommt mit der Digitalisierung aber noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu: Sobald die Losgröße Eins ins Spiel kommt, sind viele der klassischen Fertigungszellen zu starr, zu unflexibel. In Gesprächen mit unseren Kunden taucht dieses Problem immer wieder auf. Viele dieser Probleme lassen sich durch den Einsatz eines Roboters lösen – mit der Digitalisierung gewinnen also auch Roboter an Bedeutung. Über kurz oder lang könnten damit Robotersysteme, insbesondere ‚selbstlernende, intelligente‘ Systeme das Rückgrat der Smart Factory werden.

KEM Konstruktion: Lassen Sie uns einen Blick auf die Antriebstechnik werfen. Kann ABB Ability beim Thema Energieverbrauch wichtiger werden als die Frage, ob ich einen IE4-Motor einsetze?

Atiya: Beides spielt zusammen. Zum einen treiben wir natürlich die Motorenentwicklung in Richtung höherer Energieeffizienzklassen weiter voran, zum anderen liegt aber auch bei der Verbesserung der Betriebsbedingungen eine ganze Menge Potenzial. Mit dem ABB Ability Smart Sensor bieten wir eine intelligente, nachrüstbare Sensor-Technologie zur Zustandsüberwachung an, mit der sich Niederspannungsmotoren in smarte, vernetzte Maschinen verwandeln. Betriebs- und Leistungsdaten können auf diese Weise in die Cloud übertragen und etwa mit Wetterdaten zusammengeführt werden. Wichtig ist aber wiederum: Der Anwender erhält sehr schnell verwertbare Informationen über den Zustand und die Leistung der Motoren. Wir gehen davon aus, dass sich basierend auf den Sensordaten Stillstandszeiten mittels vorausschauender Wartung um bis zu 70 Prozent reduzieren lassen, parallel aber auch die Motorlebensdauer verlängert wird und der Energieverbrauch sinkt. Das Potenzial zur Verbesserung der Energieeffizienz im Bereich zwischen 20 und 30 Prozent ist hier gegeben. Am wichtigsten für den Anwender dürfte aber sicher die höhere Produktivität sein. Jüngst konnten wir hier beispielsweise einem Kunden helfen, dessen Antriebe einen zu hohen Verbrauch aufwiesen. Ursache war nach Auswertung der Messdaten eine fehlerhaft konstruierte Lagerung der Antriebsachsen in der Anlage, die zu starken Vibrationen und damit zu dem erhöhten Energieverbrauch führte. Das verdeutlicht sehr anschaulich, welches Potenzial in der einfachen Datenanalyse liegt.

KEM Konstruktion: Letztlich führen all diese Gedanken immer wieder in die Cloud – ist dieses Angebot wirklich so universell?

Atiya: Ja, denn ABB Ability ermöglicht es unseren Anwendern, die Möglichkeiten des Internets der Dinge zu nutzen – will heißen: Mit neuen digitalen Services lassen sich vorhandene Techniken aufwerten und so die Produktivität durch weniger Ausfallzeiten, höhere Effizienz und bessere Erträge steigern. Basis dafür sind unser über Jahrzehnte hinweg aufgebauter, umfassender Pool von Betriebsdaten und die Erfahrungen in mehr als 20 Branchen. Deswegen haben wir auch die Digitaltechnologie sehr frühzeitig zum Bestandteil unserer DNA gemacht und statten seit über 40 Jahren Geräte und Systeme mit Software und Schnittstellen aus, die für einen reibungslosen Betrieb sorgen. Inzwischen zählen Software oder digitale Komponenten bei 55 Prozent der verkauften Produkte zu den Kernbestandteilen. Grund genug für uns, mit Microsoft eine strategische Partnerschaft zu schließen, die unseren Kunden den Zugang zu einer der größten Cloud-Infrastrukturen auf dem Markt bietet.

Weitere Details zur Plattform ABB Ability:

http://hier.pro/Iomac

Messe SPS IPC Drives 2017:

Halle 4, Stand 420


„Wir werden die neuronalen Netze noch weiter ‚tunen‘ müssen, damit sich Prozesse auch wiederholt fehlerfrei ausführen lassen und damit die Robustheit für den industriellen Einsatz gegeben ist.“

Dr. Sami Atiya, President Robotics and Motion, ABB Ltd
Bild: Jörn Kehle/Konradin Mediengruppe

„ABB Ability nutzt die ‚intelligente‘ Cloud, um verwertbare digitale Daten für den Kunden zu generieren. Ziel ist, die Produktivität durch weniger Ausfallzeiten, höhere Effizienz und bessere Erträge zu steigern.“

Dr. Sami Atiya, President Robotics and Motion, ABB Ltd
Bild: Jörn Kehle/Konradin Mediengruppe

„Die Möglichkeit, neben einem Menschen sicher und hochpräzise mit einem Industrieroboter zu arbeiten, hat kreative Kräfte freigesetzt. Kommt Losgröße Eins ins Spiel, sind zudem viele der klassischen Fertigungszellen zu starr.“

Dr. Sami Atiya, President Robotics and Motion, ABB Ltd
Bild: Jörn Kehle/Konradin Mediengruppe

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Zum Unternehmen

ABB ist eines der großen Technologieunternehmen in den Bereichen Elektrifizierungsprodukte, Robotik und Antriebe, Industrieautomation und Stromnetze mit Kunden in der Energieversorgung, der Industrie und im Transport- und Infrastruktursektor. Aufbauend auf der über 125-jährigen Erfahrung will ABB heute die Zukunft der industriellen Digitalisierung gestalten und die Energiewende sowie die vierte industrielle Revolution vorantreiben. Speziell im Bereich der Industrieautomation wurde im Juli 2017 auch die Übernahme von B&R (Bernecker + Rainer Industrie-Elektronik) abgeschlossen. Dadurch kann ABB seinen Kunden in den Fertigungs- und Prozessindustrien das gesamte Spektrum an Technologie- und Softwarelösungen rund um Mess- und Steuerungssysteme, Antriebe, Robotik, Digitalisierung sowie Elektrifizierung anbieten.

www.abb.com

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