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Composable Software als nächste Stufe von MES

Digitalisierung
Composable Software als nächste Stufe von MES

Mit der Vorstellung des Oncite Digital Production Systems (DPS) trat German Edge Cloud (GEC) erstmals als Anbieter einer neuartigen Lösung für die digitale Fertigung auf und brachte Bewegung in die bisher bekannte Welt der Industriesoftware. Monolithische Manufacturing Execution Systems (MES) bekamen Wettbewerb durch eine modulare Lösung auf Basis von Cloud-nativen Microservices. Von Anfang an war das Unternehmen zudem Mitglied der Konsortien von Gaia-X und Catena-X und ist an wichtigen Leuchtturmprojekten der Plattform Industrie 4.0 und der Europäischen Union aktiv beteiligt. Welche Vorteile der Ansatz bietet, erläutert Andreas Zerfas, CTO Digital Industrial Solutions bei German Edge Cloud (GEC).

 

Interview: Ulrich Sendler, Analyst und Fachbuchautor, München

Inhaltsverzeichnis

1. Die transparent vernetzte Fabrik
2. Cloud-Plattform-Unabhängigkeit
3. Internationale Standards und Offenheit
4. Im Vordergrund der Use Case, nicht die Technologie
5. Datenräume auf der SPS 2023

Die transparent vernetzte Fabrik

Ulrich Sendler: Mit dem Oncite DPS hat GEC ein großes Fass aufgemacht – und setzt das System unter anderem im neuen Werk für Kompakt- Schaltschränke Ihres Schwesterunternehmens Rittal in Haiger ein. Können Sie an diesem Beispiel erläutern, was konkret mit diesem System anders ist?

Andreas Zerfas (GEC): Wir haben im Rittal-Werk in Haiger in sehr kurzer Zeit Produktionslinien, Roboter und weitere Anlagen für die Herstellung der Schaltschränke und Gehäuse an das Oncite DPS angebunden, für das wir eine Cloud-Infrastruktur mit eigener Hardware aufgebaut haben. Unsere Softwarelösung ermöglicht auf dieser Grundlage jetzt Transparenz der Fabrikdaten in einer Durchgängigkeit, wie wir sie noch nie hatten.

Diese Transparenz und Konnektivität umfasst Anlagen, Logistik, ERP, PLM, CAD sowie die Instandhaltung. Die Kennzahlen sind konsistent, eindeutig, werden in nahezu Echtzeit präsentiert und deshalb können Entscheidungen schnell getroffen werden.

Dashboards_der_Fertigungssteuerung_im_Werk_Haiger_von_Rittal
Auf großen Dashboards schafft die neue Fertigungssteuerung im Rittal-Werk Haiger für jedermann Transparenz.
Bild: Rittal

Die digitalen Zwillinge von Produktionsanlagen und Fertigung zeigen auf Dashboards in den Hallen sehr genau, wo welcher Produktionsschritt gerade in welcher Qualität läuft oder eben nicht läuft, wo also stattdessen die Instandhaltung tätig werden muss oder bereits aktiv ist.

Das System und seine Infrastruktur sind so flexibel, wie man es von der Handynutzung kennt. Denn die Basis ist ebenfalls pure Web-Technologie, Software as a Service auf einer Infrastruktur as a Service, auch wenn das Oncite DPS auf eigener Hardware betrieben werden kann. Es ist kein monolithisches System mit fest gefügten Funktionen und Datenmodellen.

Sendler: Sie spielen auf die Möglichkeit an, die Lösung auf einer anderen Cloud-Plattform einzusetzen. Gibt es gegebenenfalls dafür auch schon Praxis-Erfahrungen?

Zerfas: Das realisieren wir gerade in verschiedenen Kunden-Zusammenhängen, beispielsweise mit einer Private-Cloud-Lösung eines der Hyperscaler, in diesem Fall Amazon Web Services (AWS).

Wir sind seit dem letzten Jahr zertifizierter Partner von AWS. Bei einem unserer Kunden wiederum unterstützen wir die Implementierung auf der Plattform Microsoft Azure, die dort präferiert und betrieben wird. Wir können unser Digital Production System auf jeder beliebigen Cloud-Plattform anbieten. Es ist eine moderne Softwarelösung, die auch ohne Hardware vor Ort auskommt.

Cloud-Plattform-Unabhängigkeit

Sendler: Wie funktioniert diese Plattform-Unabhängigkeit technisch?

Zerfas: Die Infrastruktur für Oncite DPS wird von uns als Skript-Code geliefert, was man als Infrastructure as Code (IaC) bezeichnet. Dann muss sie auf die jeweilige Cloud-Plattform angepasst werden, um deren Schnittstellen, die Application Programming Interfaces (API), zu bedienen. Das Verfahren ist einerseits als REST-API-Methode weltweit standardisiert. Andererseits nutzen wir dafür OpenShift von Red Hat, dem inzwischen zu IBM gehörenden Technologielieferanten, der alle großen Plattformen unterstützt. So ersparen wir uns individuelle Anpassungen und müssen nur OpenShift berücksichtigen. Red Hat bietet uns mit OpenShift eine geeignete Zielplattform für unser Oncite DPS. Trotzdem gibt es natürlich noch Unterschiede zwischen den Plattformen, weshalb wir nicht für alle gleichzeitig eine Zertifizierung angestrebt haben. Die Reihenfolge wird letztlich von den Kundenanforderungen bestimmt.

Sendler: In Haiger hat das neue System sehr dabei geholfen, in kurzer Zeit eine hoch automatisierte Fertigung im neuen Rittal-Werk zu realisieren. Bleibt die Automatisierung der Produktion der Kern der Lösung?

Zerfas: Während der Anwendung haben sich schon jetzt weitere Themen gezeigt, die damit angegangen werden können. Ende letzten Jahres haben wir auf derselben Plattform in Haiger zum Beispiel den Energieverbrauch der Lackieranlage zu erfassen begonnen. Wie ist der Zusammenhang zwischen Produkten, Prozessen, produzierter Menge nach Anzahl und Fläche und dem Energieverbrauch? Das System wird dazu die Daten von Strom, Gas, Wasser sowie von beliebigen Energieträgern liefern. Und wir sind mit Rittal Digital Operations in der Konzeptphase, um von diesem Energiemonitoring weiter zu einem regelrechten Energiemanagement zu kommen. Das ließe sich natürlich auch auf jeden anderen Bereich einer Fabrik anwenden.

Mit Rittal IT gibt es noch einen Ansatz: Statt einer Neuentwicklung der eigenen OT-Management-Software RiZone wurde auf der Oncite-DPS-Plattform die RiZone OTM Suite, also ein Operations Technology (OT-) Management für Rechenzentren, entwickelt, das ebenfalls gut funktioniert.

MES fit für IIoT-Anwendungen machen

Sendler: Wenn die Praxisergebnisse so gut sind, müsste man einen regelrechten Run auf das System erwarten. Entspricht das der Realität?

Zerfas: Unsere industriellen Lösungen bieten die Möglichkeit für eine schnelle Anbindung von Produktionsstandorten an das Oncite DPS. In dieser Hinsicht ist sehr hilfreich, dass wir in Haiger einen großen Erfolg zeigen können.

Auf der Hannover Messe 2023 konnten wir viele praktische Anwendungsfälle des RKS Haiger Live präsentieren und damit ein großes Interesse wecken. Das liegt auch an der öffentlichen Aufmerksamkeit etwa durch die Industriepreise sowie an dem Ökosystem rund um die Lösung beziehungsweise an unserem Partnernetzwerk. Wenn der Deutschland-Chef des Partners IBM auf unseren Messestand in Hannover kommt, schafft das doch eine besondere Aufmerksamkeit.

Insgesamt haben wir es mit der Einführung eines neuen IT-Lösungsansatzes zu tun. Bis ein Kunde nach dem Erstgespräch die Entscheidung für den Kauf und die Implementierung trifft, vergehen zwar nicht mehr lange Jahre, aber etwas Zeit braucht es schon. Deshalb konzentrieren wir uns darauf, dass wir im eigenen Haus und bei aktuellen Kundeninstallationen in kurzer Zeit beweisen können, wie gut unser Ansatz funktioniert. Dafür bieten wir Interessenten auch die Möglichkeit an, einen Proof of Concept durchzuführen. Wir sind überzeugt, dass wir damit wachsen werden.

Internationale Standards und Offenheit

Sendler: Der Erfolg von Internet- und Cloud-Technologie beruht auf internationaler Standardisierung und prinzipieller Offenheit der beteiligten Systeme. Ein Beispiel ist die von Ihnen erwähnte REST-API-Methode anstelle von 1:1-Schnittstellen. Welche Rolle spielen Offenheit und Standards für German Edge Cloud?

Zerfas: Eine sehr zentrale – und deshalb sind wir auch von Anfang an nicht nur in der europäischen Gaia-X-Initiative aktiv, sondern vor allem in dem Leuchtturmprojekt Catena-X, mit dem die Automobilindustrie die Digitalisierung ihrer sehr großen Lieferketten weltweit vorantreibt. Der Konnektor, mit dem wir unser DPS in diesen Datenraum einklinken, das Oncite CX Gateway, ist als datensouveräne Schnittstelle konzipiert. Unser Oncite DPS ist übrigens als erste Lösung überhaupt für Catena-X zertifiziert worden.

Inzwischen sind wir auch in der Lage, eine Hardware quasi als Stecker anzubieten, mit dem Unternehmen ohne großen Aufwand an dem Projekt teilnehmen können. Und wir beteiligen uns auch am geplanten Förderprojekt Manufacturing-X, das die Regeln für Datenraum und Datennutzung von Catena-X auch auf alle anderen Fertigungsindustrien anwenden soll.

Manufacturing-X: So könnte ein Datenraum beschaffen sein

Beim Oncite CX Gateway kann man auch sehen, wie Standardisierung heute funktioniert. Die Regeln von Catena-X für die Konnektoren beruhen auf dem Eclipse Dataspace Connector (EDC) und der Verwaltungsschale (VWS), gehen faktisch aber darüber hinaus, weil sich in der Praxis Funktionalitäten zeigten, die nötig, aber nicht vorgesehen waren. Die zusätzlich benötigten Kernfunktionen werden für das Projekt Catena-X nach und nach realisiert.

Es ist sehr wichtig, an solchen Standardisierungsprozessen möglichst direkt beteiligt zu sein, um die eigene Entwicklung schnell drauf ausrichten zu können. Catena-X ist eines der wenigen Förderprojekte, die wirklich vorwärtsgehen. Aber natürlich gilt auch hier der kleinste gemeinsame Nenner als das, worauf sich die Standardisierung fokussiert.

Sendler: Im letzten Jahr haben Prof. August-Wilhelm Scheer und Prof. Friedhelm Loh eine strategische Partnerschaft vereinbart. Scheer PAS ist also neben IBM und Red Hat auch ein wichtiger Partner. Was bringt dieser Partner ein?

Zerfas: Wir schauen schon auf eine lange Zusammenarbeit zurück. Scheer PAS bringt enorme Expertise hinsichtlich der Systemintegration mit, vor allem in Richtung ERP und speziell SAP. Diese Integration haben sie jetzt auf die Ebene einer modernen Cloud-Plattform gehoben, mit der beliebige Systeme miteinander gekoppelt werden können. Und sie bringen eine eigene Low-Code-Plattform mit, die es nun auch unseren Kunden leicht macht, ohne Programmierkenntnisse Workflows zu definieren und Benutzeroberflächen zu entwickeln beziehungsweise anzupassen. Diese Stärken, kombiniert mit unserem Industrie-Know-how, ergeben insgesamt ein Angebot, das die Kunden wahrscheinlich nur bei uns finden.

Mit GEC und Scheer PAS schneller ins IIoT

Im Vordergrund der Use Case, nicht die Technologie

Sendler: Die Lösung von German Edge Cloud scheint mir ein sehr gutes Beispiel für das enorme Potenzial von Composable Software oder Cloud-basierten Microservices zu sein. Warum wird über die hier verwendete Technologie nicht viel mehr gesprochen?

Zerfas: Der Kern unseres Ansatzes, die Modularisierung der Software in Containern, ist ja nicht grundsätzlich neu. Für die Industrie und ihr Herzstück, die Fertigung, ist es noch ungewohnt. Aber da möchten wir unsere Kunden und Interessenten nicht mit der Technologie allein überzeugen, sondern vielmehr mit dem Praxiserfolg und der besseren Funktionalität.

Auf der anderen Seite ist die Cloud-Nutzung im Umfeld der Fertigung noch keineswegs selbstverständlich. Es geht immerhin um absolut unternehmenskritische Daten. Deshalb sind unsere Implementierungen beispielsweise im OT-Management des Rechenzentrums derzeit eher Offline-Szenarien.

Wir nutzen die Cloud-Technologie, weil das Stand der Technik ist, aber auch, weil wir die Vorteile daraus für unsere Services nutzen können. Dass wir dabei zeigen können, wie schnell wir mit dieser Lösung im Vergleich zu einem herkömmlichen Softwaresystem sind, überzeugt mehr als eine Diskussion über neue Begriffe.

Der Kunde möchte primär keine Technologie einkaufen. Er sucht nach Lösungen für seine Use Cases. Erst ganz zum Schluss kommt die IT-Abteilung und prüft die eingesetzte Architektur. Hier können wir dann sowohl beim Use Case als auch bei der Technik überzeugen.

Und noch etwas: Alle haben es heute mit einer sehr hohen Gesamtkomplexität und gleichzeitig mit extremem Zeitdruck zu tun. Die schnelle Veränderung wird zum Status Quo. Wenn die Unternehmen merken, dass die Architektur ein Teil der Antwort darauf sein kann, wird die Diskussion darüber vermutlich auch intensiver geführt werden.

https://gec.io

Weitere Details zum Oncite DPS und der Zustandsüberwachung in Echtzeit


Datenräume auf der SPS 2023

Die Anforderungen der Industrie sind nicht mehr isoliert zu bewältigen, gefordert ist die Optimierung ganzer Wertschöpfungsketten. Dafür braucht es Datenräume sowie abgestimmte Soft- und Hardware. Auf der SPS 2023 zeigen Rittal, Eplan, Cideon, GEC und Partner mögliche Wege: GEC und Schuler demonstrieren am Beispiel des Smart Press Shop von Schuler und Porsche, wie Oncite DPS und Schuler Track&Trace ineinander greifen und die Grundlage für Korrelationsanalysen über Catena-X schaffen.

Eplan fördert digitale Durchgängigkeit in der industriellen Automatisierung

Eplan und Rittal zeigen einen Roboter-Prototyp zur Anlagen-Verdrahtung für den Steuerungs- und Schaltanlagenbau. Angebunden sind auch zwei Nachbarstände, die per Druckluftleitung automatisiert Drähte zur Weiterverarbeitung an ihren Stände erhalten. Grundlage ist der gemeinsame Zugriff auf umfassende Komponentendaten.

Messe SPS 2023 (neuer Platz): Halle 3C, Stand 301

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