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Energieeffizienz im Schaltschrank und Betriebssicherheit verbinden

Nachhaltigkeit
Energieeffizienz im Schaltschrank und Betriebssicherheit verbinden

Die Zeiten des sorglosen Umgangs mit dem Thema Energie sind vorbei – Energieeffizienz ist sowohl mit Blick auf Kosten als auch Nachhaltigkeit gefragt. Der Schaltschrankbau bietet hier ein großes Potential, wie Daniel Haag, M.Sc. am Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE) der Universität Stuttgart, und Michael Bautz, Produktmanager Cabinet bei der Friedrich Lütze GmbH im Rahmen einer Kooperation von IGTE und Lütze erläutern. Die Erkenntnis ist: Eine Homogenisierung des Schaltschrankklimas verbunden mit der Vermeidung der Überdimensionierung der Kühlung senken den Energiebedarf deutlich – und die Betriebssicherheit ist weiter sichergestellt.

 

Interview: Michael Corban, Chefredakteur KEM Konstruktion|Automation

Inhaltsverzeichnis

1. Energieeffizienz-Potentiale in Schaltschränken nutzen
2. Maßnahmen für mehr Energieeffizienz im Schaltschrank
3. Homogenisierung vermeidet Temperaturschichtungen
4. Berechnungstool ermöglicht zeitsparende individuelle Betrachtung von Schaltschränken
5. Wettbewerbsvorteile für Dienstleister im Schaltschrankbau
6. Das Berechnungstool AirTemp 2.0

KEM Konstruktion|Automation: Energieeffizienz im Schaltschrankbau – was lässt sich hier bewegen?

Michael Bautz (Lütze): Über die letzten Jahre hinweg stand bei energetischen Betrachtungen vor allem das Thema der Betriebssicherheit im Vordergrund. Was naheliegend ist, denn eine stehende Anlage verursacht hohe Kosten. Deswegen wird auch weiterhin ein Fokus auf der Ausfallsicherheit liegen. Insbesondere in der Automobilwelt spielt aber die Energieeffizienz im Sinne der Nachhaltigkeit ebenfalls eine wichtige Rolle – und mehr und mehr rückt das Thema auch im Maschinen- und Anlagenbau sowie in anderen Branchen in den Fokus. Beide Themen lassen sich gut verbinden und damit die Potentiale im Schaltschrankbau heben.

Daniel Haag (IGTE, Uni Stuttgart): In Zukunft werden Betriebssicherheit UND Energieeffizienz gleichermaßen gefragt sein, denn alle Unternehmen wollen CO2-neutral werden. Und schnell umsetzbare Maßnahmen wie die Optimierung der Druckluftversorgung haben viele bereits realisiert. Der Schaltschrank bietet viel Potential, wie wir an den Beispielen ‚Mehr Nachhaltigkeit mit saisonaler Schaltschrankkühlung‘ und ‚Nachhaltige Schaltschrankkühlung für mehr Betriebssicherheit‘ bereits zeigen konnten.

Energieeffizienz-Potentiale in Schaltschränken nutzen

KEM Konstruktion|Automation: Welche Empfehlungen lassen sich aussprechen, um die Betriebssicherheit weiter sicherzustellen und gleichzeitig die Energieeffizienz von Schaltschränken zu erhöhen?

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„Die individuelle Schaltschrank-Betrachtung sollte mehr und mehr in den Fokus rücken. Dadurch lassen sich nachhaltigere Kühlkonzepte finden, die zu CO2– und Kosteneinsparungen führen“, sagt Michael Bautz, Produktmanager Cabinet bei der Friedrich Lütze GmbH.
Bild: Lütze

Bautz: Wir stellen immer wieder fest, dass allein das Homogenisieren – also das Vermeiden von Luftschichten mit verschiedenen Temperaturen und damit Hotspots im Schaltschrank durch mehr Luftaustausch – schon sehr viel Nutzen bringt. Das ist einer der Gründe für den Einsatz unseres Verdrahtungssystems AirStream gerade im Automobilbau. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Auslegung der Kühlgeräte: Da in der Vergangenheit die Betriebssicherheit dominant war, wurde die Schaltschrankkühlung oft überdimensioniert. Eine saubere thermodynamische Betrachtung kann hier Betriebssicherheit und Nachhaltigkeit miteinander verbinden. Lütze hat dazu sein Berechnungstool AirTemp überarbeitet und jetzt Version 2.0 für Temperaturbetrachtung und nachhaltiges Klimamanagement im Schaltschrank bereitgestellt (Anm. d. Red.: siehe Kasten ‚Das Berechnungstool AirTemp 2.0‘).

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„Energieeffizienz im Schaltschrankbereich ist ein guter Hebel, um die Energiewende in Deutschland in der Industrie voranzutreiben“, sagt Daniel Haag, M.Sc. am Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE) der Universität Stuttgart.
Bild: IGTE

Haag: Anders formuliert könnte man auch sagen, dass wir die Betriebssicherheit erhalten – die normalerweise ja gegeben ist –, den Betrieb dabei aber effizienter machen. Um es etwas konkreter zu sagen: Bei einer Kombination von sechs bis sieben Schaltschränken hat man beispielsweise bislang drei Kühlgeräte geplant und stellt nach der Analyse fest, dass eines genügt. Betonen möchte ich an dieser Stelle aber, dass es nicht allein um die Reduzierung der Zahl der Kühlgeräte geht. Um den Betrieb eines Schaltschranks energetisch zu optimieren, gibt es eben eine Reihe von Möglichkeiten – als wichtigste wurde die Homogenisierung genannt. Diese lohnt es umzusetzen. Sind im Anschluss weniger Kühlgeräte erforderlich, zeigt das den Erfolg der Maßnahmen.

Maßnahmen für mehr Energieeffizienz im Schaltschrank

KEM Konstruktion|Automation: Welche Punkte beeinflussen denn die Energieeffizienz eines Schaltschranks?

Bautz: Einer die wichtigsten ist der Aufstellort der Anlage – darüber werden die Umgebungsparameter festgelegt. Hinzu kommt die Frage nach der Leistung der Geräte in den Schaltschränken. Naheliegend und ein Problem ist, dass dies immer eine sehr individuelle Betrachtung voraussetzt. Das war mit die Hauptmotivation, das Berechnungstool AirTemp 2.0 zu entwickeln. Mit ihm lässt sich der Zeitaufwand für eben diese individuelle Betrachtung so weit senken, dass sie in der Praxis möglich wird. Damit lässt sich das Energieeffizienz-Potential erschließen, ohne die Betriebssicherheit aus den Augen zu verlieren.

KEM Konstruktion|Automation: Muss ich Thermodynamik studiert haben, um das Tool anwenden zu können?

Bautz: AirTemp 2.0 ist bewusst so ausgelegt, dass es einfach zu bedienen ist. Strukturiert werden dazu zunächst alle erforderlichen Schaltschrankparameter sowie die verbauten Geräte abgefragt. Im Ergebnis erhält der Anwender so Angaben zu Temperaturen und Temperaturschichtungen und kann sehr schnell bestimmen, welches die effektivsten Maßnahmen für eine bedarfsgerechte Kühlung sind. Es lässt sich also sehr einfach ermitteln, wie sich die Temperaturschichtungen vermeiden lassen – im Rahmen eines individuell angepassten Kühlkonzepts. Oft genügen etwa Lüftermodule wie unser AirBlower, um die Luftschichten aufzulösen und ein homogenes Klima zu erreichen.

Wichtig mit Blick auf das Berechnungstool ist, dass wir die Ergebnisse immer wieder mit unseren Praxiserfahrungen abgleichen. Dadurch können wir sicherstellen, dass berechnete Kühlkonzepte auch in der Realität ihre Aufgabe erfüllen.

Mehr Nachhaltigkeit mit saisonaler Schaltschrankkühlung

Homogenisierung vermeidet Temperaturschichtungen

KEM Konstruktion|Automation: Warum spielt die Homogenisierung eine so zentrale Rolle?

Haag: Allein aus thermodynamischer Sicht ist es immer günstig, kältere und wärmere Luft zu mischen, um so ein mittleres Temperaturniveau zu erreichen. Das gilt für sehr viele Schaltschränke, die zwar immer individuell, aber doch ähnlich aufgebaut sind. Ohne Homogenisierung kann sich die Wärme im oberen Bereich des Schaltschranks stauen – und so empfindliche Komponenten oder Netzteile unter Wärmestress setzen. Interessanterweise wird der untere Bereich eher selten für empfindlichere Bauteile genutzt, da hier oft die Klemmenblöcke untergebracht sind.

Wir haben uns vor diesem Hintergrund übrigens auch intensiv mit der Normenlage beschäftigt, insbesondere dem Bauartnachweis entsprechend EN 61439 und der Bestimmung der Schaltschrankinnentemperatur. Gefordert wird, dazu einen Knoten im Schaltschrank zu modellieren und dessen Temperatur zu bestimmen – dass fließt dann mit ein in die CE-Kennzeichnung. Das Berechnungstool AirTemp 2.0 ermöglicht es, alle Schaltschrankparameter im Sinne dieses Bauartnachweises inklusive Schaltschrankinnentemperatur konform zur EN 61439 auszuweisen. Wird durch ein Berechnungstool nur eine einzige Schaltschrankinnentemperatur berechnet, ist Vorsicht geboten, da hierbei gegebenenfalls Hotspots verschleiert werden. Daher ist es die bessere Lösung, den Schaltschrank in mehrere Zonen zu unterteilen – wie es mit AirTemp 2.0 geschieht – um Bereiche erhöhter Temperatur detektieren zu können.

Berechnungstool ermöglicht zeitsparende individuelle Betrachtung von Schaltschränken

KEM Konstruktion|Automation: Mit dem Berechnungstool wird es den Schaltschrankplanern also viel einfacher gemacht, die Energieeffizienz von Anfang an mit zu berücksichtigen?

Bautz: Exakt so ist es – mit unserem Tool wollen wir die Bereitschaft und Akzeptanz fördern, sich mit dem jeweils individuellen Schaltschrank zu beschäftigen und diesen auch energetisch im Sinne der Nachhaltigkeit zu optimieren. Vorrangig interessiert den Schaltschrankplaner ja nur, dass der Schrank seine Aufgabe erfüllt und er betriebssicher ist. Einen Schritt weiter gedacht interessiert aber durchaus auch, wie groß der CO2-Footprint ist und wie viel Energie verbraucht wird – das zeigen die Anstrengungen nicht nur in der Automobilindustrie.

Haag: Das Thema der Energieeffizienz wird generell weiter an Bedeutung gewinnen – denn der Verbrauch elektrischer Energie ist auch mit Blick auf die Kosten relevant. Das zeigt nicht zuletzt die aktuelle Diskussion um den Industriestrompreis. Je weniger Energie benötigt wird, desto geringer fallen die Kosten aus – wohlgemerkt immer unter Berücksichtigung der Betriebssicherheit, die zu jeder Zeit sichergestellt werden muss.

Nachhaltige Schaltschrankkühlung für mehr Betriebssicherheit

Wettbewerbsvorteile für Dienstleister im Schaltschrankbau

KEM Konstruktion|Automation: Gerade im Schaltschrankbau gibt es ja auch viele Dienstleister, deren primäres Ziel natürlich vor allem die Betriebssicherheit der Steuerungs- und Schaltanlagen ist. Wie bekommt man diese Dienstleister mit ins Boot, sich auch den Themen der Nachhaltigkeit zu widmen?

Haag: Die dahinter stehende Stakeholder-Problematik ist sicher eines der Hauptprobleme, die es zu bewältigen gilt. Muss ich als Schaltschrankbauer nur den Bauartnachweis erfüllen, gehe ich auch lieber auf Nummer sicher und übernehme bewährte Thermokonzepte. Allerdings: Im Lastenheft werden zukünftig vermehrt auch Forderungen der Auftraggeber hinsichtlich der Energieeffizienz und damit Nachhaltigkeit zu finden sein. Je einfacher ich an dieser Stelle eine individuelle Analyse und Optimierung vornehmen kann, desto besser. Bei großen Industriekonzernen sehen wir übrigens bereits jetzt, dass der CO2-Footprint immer mehr an Bedeutung gewinnt. CO2-neutral oder -neutraler zu werden, senkt am Ende also nicht nur die Kosten, sondern ist gleichzeitig Zielsetzung. Können wir also Maßnahmen definieren und quantifizieren, wie viel CO2 sich einsparen lässt, wird Nachhaltigkeit zu einer wichtigen Anforderung.

Bautz: Für die Schaltschrankbauer entsteht auf diese Weise auch ein Wettbewerbsvorteil. Haben sie die Möglichkeit, den Endkunden durch den Einsatz neuer Technologien – wie die Entwicklung individueller nachvollziehbarer Kühlkonzepte – zu unterstützen, mit denen sich der Energieverbrauch senken lässt, profitieren alle Seiten. Im Sinne neuer Technologien arbeiten wir deshalb auch an kompakteren Lüftermodulen, die sich noch leichter integrieren und dem jeweiligen Kühlbedarf anpassen lassen.

Haag: Durch den Abgleich von Theorie und Praxis zeigt sich hier ein großer Hebel über den Gleichzeitigkeitsfaktor. Da nie alle Geräte gleichzeitig unter Volllast laufen, liegt die abzuführende Leistung eher bei nur 30 bis 50 Prozent der angegebenen Nennlasten. Je feingranularer ich dann die Kühlung anpassen kann, desto energieeffizienter arbeitet mein Schaltschrank.

www.igte.uni-stuttgart.de

www.luetze.com


Das Berechnungstool AirTemp 2.0

Mit Version 2.0 hat Lütze seine kostenfreie und webbasierte Simulationsanwendung AirTemp überarbeitet und zu einem Onlinetool für Temperaturbetrachtung und nachhaltiges Klimamanagement im Schaltschrank ausgebaut. Mit dem Tool können praxisnahe Wärmeprognosen für Schaltschränke erstellt werden, die mit dem Verdrahtungssystem AirStream ausgestattet sind. Über die Onlineanwendung lassen sich die effektivsten Maßnahmen für eine bedarfsgerechte Kühlung schnell und einfach identifizieren.

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Über AirTemp 2.0 lassen sich die effektivsten Maßnahmen für eine bedarfsgerechte Kühlung schnell und einfach identifizieren.
Bild: Lütze

AirTemp 2.0 liefert Angaben zu Temperaturen und Temperaturschichtungen in einem Schaltschrank. Auf diese Weise lässt sich die thermische Wirkung von Parameterveränderungen bei der Schaltschrankkonstruktion und -konfiguration exakt beurteilen. So kann etwa bei einem kritischen Zustand auf Grund von Hotspots die Wirkung eines Lüfters, einer aktiven Kühlung oder eines kühleren Aufstellungsortes simuliert werden. Das Tool teilt hierzu den Schaltschrank gedanklich in drei Zonen auf. Für jede dieser drei Zonen wird die Temperatur einzeln errechnet.

Für Simulationen mit dem überarbeiteten Berechnungstool werden alle relevanten Schaltschrankparameter in strukturierten Schritten abgefragt; unter anderem Geometrien, Aufstell- und Umgebungsparameter sowie sämtliche verbauten Bauteile, Baugruppen, Lüfter und aktive Kühlmedien. Zusätzlich berücksichtigt Version 2.0 einen Gleichzeitigkeitsfaktor. So kann in die Simulation mit einbezogen werden, in welchem Umfang Bauteile gleichzeitig arbeiten, Leistung abgeben und damit die maximale Wärmeentwicklung erhöhen oder im gegenteiligen Fall verringern.

Alle Schaltschrankparameter können im Sinne eines Bauartnachweises inklusive Schaltschrankinnentemperatur konform zur EN 61439 (Kapitel 10.10, Erwärmungsgrenzen) ausgewiesen werden. Mit dem Tool können Simulationen sowohl für Schaltschränke mit AirStream-Verdrahtungsrahmen als auch für AirStream-Compact-Verdrahtungsrahmen realisiert werden. Berechnungen sind ebenfalls für Schränke mit Montageplatte möglich, jedoch mit der Einschränkung, dass eine thermische Simulation nur mit freier Kühlung erfolgen kann.

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