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Was kann der CO2-Fußabdruck – und was nicht?

Nachhaltigkeit
Was kann der CO2-Fußabdruck – und was nicht?

Der CO2-Fußabdruck wurde ursprünglich von der Ölindustrie eingeführt, um den Fokus weg von der Industrie auf die Verbraucher zu lenken. Gleichwohl liefert die Angabe einen Vergleichswert, welchen Einfluss ein Produkt auf das Klima hat. Ein Überblick zu Definition, Berechnung und Kritik am CO2-Footprint.

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion|Automation

Inhaltsverzeichnis

1. Woher stammt der Begriff CO2-Fußabdruck?
2. Wie berechnet man den CO2-Fußabdruck?
3. Was sind Scope-1-, -2- und -3-Emissionen?
4. Welche Tools gibt es zur Berechnung des CO2-Footprints?
5. Welche Dienstleistungen gibt es in diesem Umfeld?
6. Kritik am CO2-Fußabdruck

Laut Sandra Gottschall, Projektleiterin Klimaneutralität beim Beratungsunternehmen ConPlusUltra, zeigt der Carbon Footprint Emissions-Hotspots und Optimierungspotentiale auf: „Mit ihm geht man auf Entdeckungsreise im eigenen Unternehmen, bei den Lieferantenbetrieben sowie bei Kundinnen und Kunden. Es werden keine nutzlosen Datenfriedhöfe geschaffen, sondern nützliche Informationen für die Produktentwicklung, den Einkauf, die Produktion, Marketing und für den Verkauf generiert. Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit sind die Standards der Zukunft und werden massive Wettbewerbsvorteile generieren.“

Woher stammt der Begriff CO2-Fußabdruck?

Der Öl-Konzern BP startete vor etwa 20 Jahren eine Werbekampagne, die den Begriff CO2-Fußabdruck beziehungsweise -Footprint erstmals einführte. 2004 stellte das Unternehmen auch einen entsprechenden Rechner online, mit dem jeder seinen persönlichen Einfluss auf den Klimawandel ermitteln konnte. Damit gelang eine Wahrnehmungsverschiebung: Statt der bis dato vor allem für den Klimawandel getadelten Fossilenergiekonzerne fühlte sich nun der Bürger selbst verantwortlich. Der CO2-Footprint gilt aber inzwischen als eine der wichtigsten Größen, wenn es darum geht, den Einfluss eines Produktes auf den Klimawandel zu beziffern.

Wie berechnet man den CO2-Fußabdruck?

Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) ist eine der am häufigsten angewandten Methoden zur Bestimmung des CO2-Fußabdrucks. Die Entwicklung wird vom World Resources Institute (WRI) und dem World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) koordiniert. Zahlreiche weitere Standards bauen darauf auf, unter anderem auch die Norm ISO 14067 zur Bilanzierung des CO2-Fußabdrucks von Produkten. Außerdem relevant sind die ISO 14040 (komplette Lebenszyklusanalyse) sowie produktgruppenspezifische Normen: Die IEC 63372 etwa zielt speziell auf elektrische und elektronische Produkte. Laut ZVEI wird bei der Analyse der existierenden Normen und Standards schnell deutlich, dass aktuell ein einheitlicher Rahmen fehlt. Letzterer sei erforderlich, um eine Validität der Vergleichbarkeit der ermittelten Werte für den CO2-Fußabdruck sicherzustellen.

Die Formel für den CO2-Fußabdruck ist einfach zu überblicken und lautet:

Verbrauchswert (etwa Gas in kWh, Lkw-Transportvolumen in tkm oder Bürofläche in m2) × Emissionsfaktor (t CO2e pro kWh / tkm / m2) = Emissionslast (in t CO2e)

Die Verbrauchswerte bekommen Unternehmen aus ihren Unterlagen – abhängig davon, wie viel Gas, Öl oder andere relevante Stoffe verbraucht wurden. Der Emissionsfaktor wird von Organisationen wie dem Internationalen Institut für Nachhaltigkeitsanalysen und -strategien IINAS herausgegeben und kann etwa in der Datenbank ProBas (Prozessorientierte Basisdaten für Umweltmanagement-Instrumente) des Bundesumweltministeriums (BMUV) abgerufen werden.

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Häufig werden Durchschnittswerte für Industriezweige herangezogen, was auch Kalkulationen erlaubt, wenn man selbst keine individuellen Werte für seine Anlagen kennt. Das GHG empfiehlt jedoch wo immer möglich die Verwendung der eigenen Werte. Neben Kohlendioxid befeuern auch noch andere Stoffe den Klimawandel beziehungsweise den Treibhauseffekt, weshalb auch diese in die entsprechende Berechnung einfließen – auch wenn der Name des Fußabdrucks nur auf CO2 anspielt. Daher können die Einflüsse der ebenfalls relevanten Stoffe in sogenannte CO2-Äquivalente (CO2e) umgerechnet werden. Man spricht dann vom Treibhauspotential des jeweiligen Stoffes.

Was sind Scope-1-, -2- und -3-Emissionen?

Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) unterscheidet drei Klassen der Emissionen:

  • Scope 1: Direkte CO2-Emissionen an eigenen Standorten, sprich wenn direkt selbst Kohlendioxid freigesetzt wird. Dazu gehören etwa Gas-betriebene Anlagen als Teil der Produktion oder auch Heizung und Dieselgeneratoren.
  • Scope 2: Indirekte CO2-Emissionen, die bei Energieversorgern etwa durch deren Stromerzeugung entstehen.
  • Scope 3: Alle anderen CO2-Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette verursacht werden (zum Beispiel bei Lieferanten, für den Transport, während der Nutzungsphase des Produkts und für die Entsorgung).
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Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) teilt Emissionen in drei Gruppen (Scopes): eigener Ausstoß, zugekaufte Energie sowie Lieferkette, Nutzung und Entsorgung.
Bild: Siddharth/stock.adobe.com

Scope 3 ist derzeit eine optionale Kategorie, die in den von Unternehmen bereitgestellten Berichten nicht verpflichtend angegeben werden muss. Der überwiegende Teil der produktbedingten Emissionen entsteht jedoch in der Lieferkette. Um diese messbar zu machen, ist eine Zusammenarbeit entlang oftmals komplexer und branchenübergreifender Lieferketten erforderlich. Bisher wird daher – wie oben schon erwähnt – häufig mit industrieweiten Durchschnittswerten für Prozesse kalkuliert. Nutzt ein Zulieferer aber beispielsweise selbsterzeugten Solarstrom oder regeneriert seine Abwärme geschickt, hat sein Produkt eventuell einen niedrigeren CO2-Fußabdruck als die Ware der Konkurrenz. Damit das auch der Kunde in seine CO2-Bilanz einfließen lassen kann, muss man ihm solche Daten mitteilen – was bisher kaum gemacht wird.

Die derzeitige Praxis ist vielmehr die, dass Hersteller beispielsweise Computer-Chips in Asien zukaufen und den Scope 3 dann mit den Durchschnittswerten für die Chipproduktion aus einer Datenbank angeben. Daher initiierte Siemens 2021 das offene Estainium-Netzwerk, mit dem Hersteller, Lieferanten, Kunden und Partner Daten zum CO2-Fußabdruck vertraulich austauschen können. Dadurch werden die bereitgestellten Daten verifiziert und somit die vertrauenswürdige Aggregation eines CO2-Fußabdrucks über die gesamte Lieferkette ermöglicht – ohne dass die beteiligten Unternehmen strategisch relevante Informationen, beispielsweise über ihre Lieferketten, offenlegen müssen. Weitere Gründungsmitglieder sind Weidmüller, Merck, Faber Castell sowie der TÜV Süd und mehrere Forschungsinstitute.

Welche Tools gibt es zur Berechnung des CO2-Footprints?

Generell kann der CO2-Fußabdruck im Unternehmen komplett selbst kalkuliert werden, was entsprechende personelle Kapazitäten und Kompetenzen voraussetzt. Das dadurch entstandene Wissen ist dann eventuell erkenntnisreicher, als die reine Auswertung durch externe Stellen. Dennoch kann der Footprint auch einfach durch Tools berechnet werden. Generell sollte dabei beachtet werden, ob die gewünschten Standards (GHG, ISO etc.) erfüllt werden und welche Daten die Tools zugrunde legen.

  • Die Beratungsfirma Effizienz-Agentur NRW bietet mit dem EcoCockpit einen kostenlosen Rechner für Unternehmen, der auch GHG-konform ist. Die CO2-Bilanz eines Unternehmens oder eines Produkts kann damit nach Registrierung erfolgen.
  • Wer einen größeren Funktionsumfang benötigt, bekommt das beispielsweise mit SimaPro, einem der Pioniere in Sachen Software für Life Cycle Assesment: Die erste Version wurde bereits 1990 entwickelt. Die Abkürzung des Namens steht für ‚Systematische Milieu Analyse van Producten‘, das Niederländische ist hier wohl auch im Deutschen verständlich. Mit den Daten aus der Software ergeben sich die Treibhausgas-Bilanzen und die Produktdesigner können bereits sehen, wie groß der CO2-Fußabdruck verschiedener Designvarianten sein wird.
  • Auch mit dem SAP Product Footprint Management können Unternehmen den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte über die gesamte Wertschöpfungskette sowie den den kompletten Produktlebenszyklus hinweg berechnen. Die Software integriert Daten aus sämtlichen Lösungen, die die Fertigungsprozesse steuern, Stammdaten aus Geschäftsanwendungen wie SAP S/4HANA Cloud sowie von Lieferanten und Energieflüssen für Anlagen, um den Umwelteinfluss unterschiedlicher Produktionsszenarien zu ermitteln.
  • Der Scope3Analyzer ist ein kostenfreies, webbasiertes Tool, mit dem sich die Emissionen der vorgelagerten Lieferkette ermitteln lassen. Das Tool kann die Emissionen auf Basis bereits vorliegender Verbrauchs- und Einkaufsdaten berechnen. Außerdem ist es berichtskonform nach gängigen Standards: GHG, CDP sowie die Science Based Targets Initiative akzeptieren die angewandte Methodik. Es entstand durch die Zusammenarbeit der Systain Consulting GmbH, dem Thinktank Industrielle Ressourcenstrategien und dem Institut für Industrial Ecology der Hochschule Pforzheim mithilfe der Förderung des Umweltministeriums von Baden-Württemberg.
  • Mit SiGreen hat Siemens eine Anwendung zur Erfassung von tatsächlichen Daten entwickelt, die dort erhoben werden, wo die Emissionen entstehen: In den jeweiligen Schritten entlang der Lieferkette. Bei der Berechnung des CO2-Fußabdrucks nutzt SiGreen Realdaten anstelle von industriellen Durchschnittswerten. Damit soll sich der CO2-Fußabdruck zu einem Mess- und Steuerungsinstrument wandeln und so aktiv mit Verbesserungsmaßnahmen gezielt gesenkt werden können.
  • Die auf industriellen 3D-Druck fokussierte Beratung AMPower aus Hamburg bietet mit dem Additive Manufacturing Sustainability Calculator Metal ein Tool zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks von einzelnen gedruckten Teilen. Dies soll auch eine Vergleichbarkeit zu konventionellen Verfahren ermöglichen.

Auf der Website des Greenhouse Gas Protocol werden ebenfalls Tools angeboten, die nach verschiedenen Kriterien klassifiziert sind, etwa für bestimmte Industrien, Länder oder auch prozessübergreifende Kalkulationen. Berechnen lassen sich auch die Unsicherheiten im Scope 3.

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Welche Dienstleistungen gibt es in diesem Umfeld?

Diverse Beratungsfirmen unterstützen bei der Berechnung des CO2-Fußabdruckes beziehungsweise dem Life Cycle Assesment für Produkte und das gesamte Unternehmen, ebenso bei der Erstellung der entsprechenden Nachhaltigkeitsberichte. Diese sind ab 2024 beziehungsweise 2025 für viele Unternehmen verpflichtend. Das DFGE Institut für Energie, Ökologie und Ökonomie etwa wurde 1999 als Spin-Off der TU München gegründet und liefert Antworten auf Fragen zur ökologischen Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, internationalen Normen und Klimaschutz. Kerngeschäft sei die Auseinandersetzung mit der Fragestellung, ob und vor allem wie eine sinnvolle Kombination von Ökologie und Wirtschaftlichkeit erreicht werden kann.

Kritik am CO2-Fußabdruck

Anfangs sollte der CO2-Fußabdruck die Aufmerksamkeit ablenken von den Konzernen, die ihr Geld mit Fossilenergieträgern verdienen, hin zu den einzelnen Menschen, die diese nutzen. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass der direkte Einfluss des einzelnen mit seinen Möglichkeiten zur Einschränkung kaum Relevanz hat: Trotz großflächig reduziertem Pendelverkehr durch Homeoffice und massenhaft gestrichenen Flügen ging der CO2-Ausstoß weltweit nur um 7 % zurück, wie die Max-Planck-Gesellschaft Ende 2020 bekannt gab: Besonders deutlich war der Rückgang der Emissionen in den USA (-12 %) und in den EU-Mitgliedsstaaten (-11 %). Experten weisen zudem darauf hin, dass eine Entscheidung des einzelnen zu Produkten mit besserem CO2-Fußabdruck auch praktisch umgesetzt werden können muss: Fahrrad und E-Auto benötigen beispielsweise entsprechende Infrastruktur, die vielerorts noch ausbaubedürftig ist. Der Nutzer denkt daher, er müsse das (Verbrenner)-Auto generell stehen lassen, um seine persönlichen Emissionen zu senken – eine andere, bessere Wahl sieht er nicht, da E-Auto oder Fahrrad für ihn nicht praktikabel sind. Daher können die ökologisch besseren Produkte allein nicht für den nötigen breiten Impact sorgen. Der Fokus auf den CO2-Fußabdruck eines Produktes gilt deswegen als teilweise zu verkürzt. Wie wenig Einfluss der einzelne auf seinen Footprint nehmen kann, verdeutlicht auch eine Berechnung des Massachusetts Institute of Technology (MIT): Ein obdachloser Amerikaner, der in Sammelunterkünften wohnt und in Suppenküchen isst, stieß 2008 noch immer 8,5 t CO2 pro Jahr aus – zwar weniger als halb so viel wie der normale US-Bürger (zirka 20 t), aber doppelt so viel wie der damalige weltweite Durchschnitt.

Der CO2-Fußabdruck für Produkte gilt inzwischen ebenfalls als überholter Begriff – immer öfter wird die sogenannte Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessment) herangezogen: Dabei werden neben den Klimagasemissionen auch weitere Faktoren wie Land- und Wasserverbrauch mit einkalkuliert.

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