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Thermomanagement nach Plan

Optimierte 3D-Solid-Konstruktionsmethodik in einer durchgängigen Prozesskette
Thermomanagement nach Plan

Die Entwicklung einer firmen- und produktspezifischen Konstruktionsmethodik stellt eine wesentliche Voraussetzung für das Realisieren einer effizienten CAD-Prozesskette dar. Durch eine solche individuelle Anpassung können, wie zahlreiche Studien des Fraunhofer Instituts beweisen, die Durchlaufzeiten drastisch reduziert werden. Einer der führenden Automobilzulieferer Europas, die Behr GmbH & Co., ein weltweit agierender Konzern mit Sitz in Stuttgart, hat im Bereich Automobiltechnik für die Vollkörpermodellierung im CAD-System Catia zusammen mit IBM eine maßgeschneiderte Methodik entwickelt und in zehn Regeln festgehalten.

Behr: Vom Autokühler zum Thermomanagement
Zukunftsweisende Entwicklungen in der Fahrzeugklimatisierung – beispielsweise die Realisierung eines CO2-Kältekreislaufs, einer Standklimaanlage oder eines elektronisch geregelten Kältekreislaufes – in der Motorkühlung und in der elektronisch angesteuerten Visco-Lüfterkupplung, dokumentieren die Innovationsfähigkeit der Behr-Gruppe. Im Laufe der Zeit entwickelte sich Behr in zunehmendem Maße vom Komponentenhersteller zum Systemintegrator. Dabei steht das eng vernetzte Zusammenwirken der einzelnen Komponenten im Vordergrund, um die Leistung zu erhöhen und Kosten zu senken. Mit der Integration der Technologien Klimatisierung und Kühlung zu einem übergreifenden Gesamtsystem Thermomanagement realisiert Behr die ganzheitliche Abstimmung aller Wärme- und Stoffströme des Fahrzeughaushaltes. Im Ergebnis dieser Entwicklung übernimmt Behr immer stärker die Rolle des gesamtverantwortlichen Entwicklungs- und Systempartners. Behr verfügt über hochmoderne Entwicklungseinrichtungen. Derzeit wird in Stuttgart ein neuer Klimawindkanal erstellt. Ende des Geschäftsjahres 1999 beschäftigte die Behr GmbH & Co. weltweit 12 500 Mitarbeiter, die einen Umsatz von 3,4 Mrd. DM erwirtschafteten.

Die innovativen Entwicklungen, aber auch die Wünsche der Automobilindustrie nach ständiger Leistungsverbesserung, Raum- und Gewichtsreduzierung und Preisoptimierung der Systeme, stellten bei Behr völlig neue Anforderungen an die Produktentstehungsprozesse. Eine Optimierung der gesamten Entwicklungs- und Konstruktions-prozesse mit dem Ziel einer Verkürzung der Innovationszyklen und einer Reduzierung der Durchlaufzeiten auch bei hochkomplexen Baugruppen stehen dabei im Mittelpunkt der Planungen.
Von der flächen-orientierten zur Solid-Konstruktion
Ein effizientes Werkzeug hierfür bildet die 3D-CAD-Konstruktion, die bei Behr – nicht zuletzt wegen der weiteren Verbreitung in der Automobilbranche – hauptsächlich mit Catia realisiert wird. Das von Dassault Systemes entwickelte und von IBM weltweit vertriebene 3D-CAD-Produkt kommt bei Behr in Stuttgart in den Geschäftsfeldern der Automobiltechnik an rund 150 Arbeitsplätzen zum Einsatz. Catia wurde bei Behr zunächst für die flächenorientierte Konstruktion eingesetzt. Aus vielerlei Gründen – unter anderem zur Simulationsoptimierung, zur Vereinfachung der Konstruktionsaufgaben, zur besseren Handhabung der 3D-Datenmodelle und zur Effizienzsteigerung der Concurrent Engineering-Möglichkeiten – entschloss man sich zum Umstieg auf die Solid-Konstruk-tion.
Vorgabe: Einheitliche Methodik
Zur Optimierung dieser Konstruktionsmethodik stellte Behr eine Reihe von Anforderungen: So sollte für die Behr-spezifische Produktpalette zunächst ein einheitliches Methodikkonzept mit der Integration neuer Catia-Funktionalitäten entwickelt werden. In diesem methodischen Konzept musste die gesamte prozessorientierte Arbeitsweise abgebildet werden. Zur möglichst schnellen Umsetzung dieser Forderungen – und damit zur Realisierung einer raschen Produktivität auf der Basis einer prozessorientierten Arbeitsweise – wurden in Kooperation mit der IBM Workshops mit allen relevanten, auch internationalen Mitarbeitern und wichtigen Zulieferern durchgeführt und finden auch weiterhin statt. Die Zielsetzung der Konstruktionsmethodik wurde dabei exakt definiert, nämlich: hohe Änderungsfreundlichkeit, Vermeidung von redundanten Daten, Verständlichkeit der Konstruktion, geringer Speicherplatzbedarf, hohe Performance bei der Visualisierung und ausreichende Datenqualität. „Diesen Anforderungskatalog konnten wir durch die Kooperation mit der IBM bei der Methodikerstellung bis hin zur Durchführung der Workshops sehr gut umsetzen und unsere gesamte Konstruktionsmethodik auf eine völlig neue, anwendungsspezifische und zukunftsorientierte Basis stellen”, berichten unisono Jörg Göhler und Jörg Stenner, die im Produktbereich Klimatisierung der Firma Behr für CAD-Techniken und den damit zusammenhängenden Support zuständig sind.
Für die Erstellung einer bedarfsgerechten Methodik ging Behr in zwei Schritten vor, die weitgehend parallel umgesetzt wurden: Zum einen wurde auf der Basis der Behr-spezifischen Produktpalette ein einheitliches Methodikkonzept erstellt; zum anderen wurden firmeneigene Modelle für die Erstellung von Workshop-Unterlagen aufbereitet. Daraus resultierte ein individuelles Schulungskonzept, mit dem die Konstrukteure auf die neu ausgerichtete Konstruktionsmethodik vorbereitet wurden.
Solid-Konstruktion in einer geschlossenen Prozesskette
Mit Catia und der Solid-Konstruktion konnte Behr eine Prozesskette realisieren, die von der Idee bis zur Serienreife die gesamte Produktentwicklung effizient unterstützt. Ausgangspunkt der Produktentwicklung sind die 3D-Geometriedaten des Bauraums, die der Kunde zusammen mit einem umfangreichen Anforderungskatalog, der unter anderem Vorgaben über Anschlussgeometrien und das Leistungsprofil enthält, zur Verfügung stellt. Basierend auf diesen Daten wird in 3D ein Angebotsmodell erstellt, wobei Behr bereits in diesen ersten Prozessschritten die neue Solid-Konstruktionsmethodik anwendet. „Bevor man die Solid-Konstruktion beginnt, muss man sich Gedanken über eine sinnvolle Wahl der Grundkörper und der Konstruktionsebenen für die Konturen machen”, rät CAD-Experte Jörg Stenner. Dies ist schon alleine deshalb erforderlich, weil die komplexen Gehäuseteile, deren Modellierung sehr aufwendig und kompliziert ist, zusätzlich über umfangreiche Nut- und Federverbindungen mit Clipsen verfügen. Trotz der Gehäuseaufteilung werden Modellgrößen von 20 bis 50 MB erreicht, was bezüglich des Datenhandlings besondere Anforderungen an die einzelnen Konstruktionsschritte stellt.
Geschlossene Prozesskette
Mit der Aufteilung der Gehäusekomponenten und der Anwendung der Solid-Methode konnte – was in der flächenorientierten Konstruktion nicht möglich gewesen wäre – eine geschlossene Prozesskette für die CFD- und FEM-Berechnungen realisiert werden. Durch das Höchstmaß an Assoziativität, das Catia in der Solid-Konstruktion bietet, konnte diese Methodik deutlich optimiert werden: Führt der Konstrukteur beispielsweise am Außenteil eines Gehäuses Änderungen durch, werden diese am Innenteil weitgehend assoziativ angepasst.
Darauf aufbauend wird das Entwurfsmodell konstruiert, aus dessen Geometriedaten – weitgehend parallel – das Werkzeugmodell generiert wird. Für diesen gesamten Konstruktionsprozess hat Behr in Kooperation mit den Catia-Experten der IBM Richtlinien aufgestellt, die in zehn Regeln zusammengefasst sind. Dieses Dokument sowie die kompletten Workshop-Unterlagen wurden im Intranet der Firma Behr sowohl in deutsch als auch in englisch veröffentlicht, so dass jeder Konstrukteur ständig Zugriff auf Informationen, Inhalte und Hintergründe der neuen Konstruktionsmethodik hat. Mittlerweile sind auch alle dazugehörenden Übungsmodelle im Behr-EDM-System hinterlegt. Somit sind alle Catia-Anwender jederzeit in der Lage, interaktiv ihre Kenntnisse aufzufrischen.
Der CSG-Baum
Ein wesentliches Element der neuen Konstruktionsmethodik ist der CSG-Baum (Constructive Solid Geometry), der die Bool’schen Operationen darstellt. Damit wird eine Modellstrukturierung realisiert, in der alle Konstruktionsschritte abgebildet sind, und die die Voraussetzungen für ein optimales Änderungsmanagement schafft. Die Außen- und Innenkörper werden in getrennten Ästen des Solidbaumes gehalten und die Anbauteile erst nach deren Vereinigung hinzugefügt. Auf diese Weise schaffen die Konstrukteure einen prozessgerechten, übersichtlichen und klar strukturierten CSG-Baum. Zur Übersichtlichkeit der Modellstruktur trägt auch die Vorgabe bei, bei Einzelgeometrien keine Detail-Technik zu verwenden. CAD-Betreuer Göhler: „Zur Baumvereinfachung ist Solide/Create/Feature/Branch sinnvoller, da damit eine deutlich geringere Datenmenge generiert wird.” Die Drafts werden möglichst früh im Solidbaum direkt auf das Basisfeature aufgebracht und vor den Fillets konstruiert. Das heißt, dass die Fillet-Operationen im CSG-Baum unmittelbar nach den Drafts erfolgen. Dies hat den Vorteil einer sehr viel einfacheren und übersichtlicheren Filletierung.
Im Konstruktionsprozess werden die Konturen auf möglichst wenigen Ebenen verteilt, da Profilreferenzierungen in einer Ebene einfacher gehandhabt und gleichzeitige Profiländerungen effizienter durchgeführt werden können. Außerdem werden die Konturen der Basiskörper scharfkantig erzeugt, um über den Sketcher oder durch Parametrisierung eine flexiblere Änderbarkeit zu gewährleisten. Eine weitere Vorgabe besagt, dass die Zeichnungsableitung für Baugruppen in ein separates Catia-Modell erfolgen soll. Dadurch erzielt man einerseits kleinere Modellgrößen, außerdem wird eine zeitlich parallele 3D-Konstruktion und 2D-Zeichnungserstellung ermöglicht.
Erfolgsfaktoren der optimierten Solid-Konstruktion
Mit der Solid-Konstruktion konnte Behr ein durchgängiges, optimiertes Entwicklungsmodell realisieren, das an die Prozesskette und an die Anforderungen der FEM- und Strömungsberechnungen ideal angepasst ist. Wesentliche Vorteile dabei sind sehr viel einfachere und schneller durchführbare Änderungs- und Optimierungsmöglichkeiten sowie eine bessere Verständlichkeit der gesamten CAD-Konstruktion. Ein geringstmöglicher Speicherplatzbedarf und eine bestmögliche Performance bei der Visualisierung sind weitere Erfolgsfaktoren der Solid-Konstruktion. „Durch die frühzeitige Berücksichtigung der Ausformtechnik und der Werkzeugparameter in der Konstruktion konnte eine deutliche Verkürzung der Durchlaufzeiten erzielt werden, was uns unter anderem die Möglichkeit verschafft, in – im Vergleich zu früher – gleicher Zeit mehr Varianten zu erzeugen”, so die Erfahrung von Ingo Putz, Teamleiter Konstruktion.
Mit der Weiterentwicklung von Catia sollen bei Behr auch künftig neue Funktionalitäten in die Konstruktionsmethodik integriert werden. Dabei soll jedoch nicht erst das Konstruktionssystem – absehbar ist Catia V 5 – implementiert und dann geschult werden, sondern man verfolgt den langfristigen Plan, mit der Möglichkeit eines Produktiveinsatzes von V 5 gemeinsam mit IBM eine individuelle Methodik für Behr zu entwickeln – die Mitarbeiterschulung und die Einführung von V 5 also parallel vorzunehmen. Mit einer solchen Vorgehensweise schafft Behr die Voraussetzungen dafür, mit einer firmen- und produktspezifischen Anpassung der Konstruktionsmethodik und der Integration neuer Catia-Funktionalitäten eine kontinuier-liche Verbesserung der Prozesse und damit eine Optimierung der Durchlaufzeiten zu realisieren.
Günther Mertz M.A., studierte an den Universi-täten Stuttgart und Tübingen, Abschluss über Technikfolgenabschätzung, seit vielen Jahren Fachjournalist für CAx-Technologien. Zahl-reiche Veröffentlichungen über CAD- und PDM-Anwendungen.
Die zehn Regeln zur Solid-Konstruktion
Regel 1
„Sinnvolle Strukturierung des CSG-Baums” (Constructive Solid Geometry): Außen- und Innenkörper in getrennten Ästen des Solidbaums, Anbauteile erst nach deren Vereinigung!
Regel 2
„Nur eine Detail-Stufe”: Jedes Geometriemodell enthält maximal eine Detail-Stufe – keine Schachtelung!
Regel 3
„Konturebenen”: Die Konturen sind auf möglichst wenige Ebenen zu verteilen
Regel 4
„Scharfkantige Konturen”: Die Konturen der Basiskörper sind scharfkantig zu erzeugen. Ausnahme sind voneinander abhängige Radien, die in verschiedenen Konturen enthalten sein sollen.
Regel 5
„Prismen besser als Quader”: Prismatische Grundkörper sind den Quadern (Cuboiden) vorzuziehen.
Regel 6
„Drafts im Solidbaum”: Drafts werden möglichst früh im Solidbaum (CSG-Baum) direkt auf das Basisfeature aufgebracht und vor Fillets konstruiert.
Regel 7 „Fillets im Solidbaum”: Fillet-Operationen folgen im CSG-Baum unmittelbar nach den Drafts
Regel 8
„Splits vermeiden”: Anstelle von mehreren Split-Operationen sind Intersect-Solids zu verwenden bzw. Project-Solids abzuziehen. Absolut zu vermeiden sind Splits mit Planes!
Regel 9
„Sewing im CSG-Baum”: Sewing-Elemente sind so spät wie möglich im CSG-Baum einzugliedern.
Regel 10
„Zeichnungsableitung und andere Definitionen in separates Modell”: Die Zeichnungsableitung für Baugruppen erfolgt in ein separates Catia-Modell.
Ausführliche Informationen
Catia V5
KEM 431
Enovia PDM
KEM 432
Product Life Cycle Management
KEM 433
Behr Fahrzeug-klimatisierung
KEM 434
Internet
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