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Bionik-Entwicklungen von Festo als Impulsgeber für die mobile Robotik

Mobile Robotik
Beflügelt die Automatisierungstechnik von Festo

Einblicke ins Bionik-Labor von Festo sowie Entwicklungen zum Robotervogel Bionic Swift oder der Soft Hand 2.0, die Festo zuletzt vorgestellt hat, verdeutlichen, wie interessant die Natur als Vorbild für industrietaugliche Hightech-Entwicklungen wie in der mobilen Robotik sein kann. Sie liefert Impulse zu Leichtbau, Aerodynamik, Energieeffizienz, Vernetzung und Kommunikation, Kollaboration, Lernmethoden und vielem mehr.

» Nico Schröder, Korrespondent KEM Konstruktion, Augsburg

Inhaltsverzeichnis
1. Funktionsintegration und Vernetzung für die mobile Robotik
2. Engineering-Impulse für die mobile Robotik
3. Interview: „Im Bionik-Labor entwickeln wir oft aus der Einfachheit heraus“

Die Natur bietet der Konstruktion und Entwicklung mannigfaltige Vorbilder. Phänomene der Natur auf Technik zu übertragen, ist beim Automasierer Festo als Vorgehensweise seit längerem fest verankert. Immer wieder schaffen es Bionik-Entwicklungen hier bis zur Serienreife – mindestens aber liefern sie Erkenntnisse und Anregungen, um Serienprodukte beispielsweise leichter, kompakter und oftmals energieeffizienter zu machen. Davon profitiert auch die mobile Robotik.
Mit der Entwicklung von Bionic Swift hat Festo die Weiterentwicklung seiner bionischen Flugobjekte zuletzt 2020 auf ein neues Level gebracht. Der Fokus beim künstlichen Vogel lag auf Leichtbaustrukturen, denn in der Technik wie in der Natur gilt: Je weniger Gewicht zu bewegen ist, desto geringer sind der Materialaufwand und der Energieverbrauch. Und so kommt der Robotervogel bei einer Körperlänge von 44,5 cm und einer Flügelspannweite von 68 cm mit 42 g Gewicht aus. Bionic Swifts sind agil, wendig und können Loopings sowie enge Kurven fliegen. Durch das Zusammenspiel mit einem Indoor-Navigationssystem auf Funkbasis bewegen sich die Robotervögel dabei koordiniert und autonom in einem abgesteckten Luftraum. Um diese Manöver möglichst naturgetreu zu fliegen, sind die Flügel dem Gefieder von Vögeln nachempfunden. Die einzelnen Lamellen bestehen aus einem ultraleichten, biegsamen, aber sehr robusten Schaumstoff und liegen schindelartig übereinander. Verbunden mit einem Federkiel aus Karbon sind sie wie beim natürlichen Vorbild an den eigentlichen Hand- und Armschwingen befestigt. Beim Flügelaufschlag fächern sich die einzelnen Lamellen derart auf, dass Luft durch den Flügel strömen kann. Dadurch benötigen die Vögel weniger Kraft, um den Flügel nach oben zu ziehen. Beim Abschlag verschließen sich die Lamellen, damit die Flugroboter kraftvoller fliegen können. Durch diesen naturnahen Nachbau der Flügel verfügt der Bionic Swift über ein besseres Flugprofil gegenüber bisherigen Schlagflügelantrieben.

Funktionsintegration und Vernetzung für die mobile Robotik

Seine Agilität verdankt der künstliche Vogel, neben einer Leichtbauweise und der aerodynamischen Kinematik, einer konsequenten Funktionsintegration. Im Vogelkörper befinden sich die kompakte Konstruktion für den Schlagflügelmechanismus, die Kommunikationstechnik sowie die Steuerungskomponenten für Flügelschlag, Höhenruder und den Schwanz. Auf engstem Raum sind ein Brushless-Motor, zwei Servomotoren, der Akku, das Getriebe sowie verschiedene Platinen verbaut. Durch das intelligente Zusammenspiel von Motoren und Mechanik lässt sich beispielsweise die Frequenz des Flügelschlags sowie der Anstellwinkel des Höhenruders für die verschiedenen Manöver präzise einstellen.
Ein Indoor-GPS auf Funkbasis mit Ultra-Breitband-Technologie (UWB) ermöglicht das koordinierte und sichere Fliegen der Robotervögel. Dazu werden mehrere Funkmodule in einem Raum angebracht. Anschließend lokalisieren sich diese Anker untereinander und definieren den kontrollierten Luftraum. Zudem ist jeder Vogel mit einem Funkmarker ausgestattet. Dieser sendet Signale an die Anker, die dadurch die genaue Position des Vogels verorten können und die gesammelten Daten an einen zentralen Leitrechner schicken, der als Navigationssystem fungiert. Durch die intelligente Vernetzung von Flugobjekt und GPS-Route entsteht ein 3D-Navigationssystem, wie es in der vernetzten Fabrik der Zukunft eingesetzt werden könnte. Durch die genaue Lokalisierung von Material- und Warenflüssen ließen sich zum Beispiel Prozessabläufe verbessern und Engpässe vorhersehen. Zudem könnten autonome Flugroboter etwa für den Materialtransport eingesetzt werden und mit ihren Flugkorridoren die Flächennutzung einer Fabrik optimieren.

Engineering-Impulse für die mobile Robotik

Ein weiteres Anwendungsfeld, mit dem sich Festo intensiv befasst, ist das Zusammenspiel von Robotern und Werkern. Neue Robotersysteme wie der Bionic Mobile Assistant sollen Werker beispielsweise bei monotonen oder gefährdenden Tätigkeiten entlasten und gleichzeitig risikofrei für Menschen sein. Künstliche Intelligenz spielt hierbei eine zentrale Rolle. Mit dem Bionic Mobile Assistant ist ein Prototyp eines Robotersystems entstanden, das sich autark im Raum bewegt und Gegenstände erkennen, adaptiv greifen und gemeinsam mit dem Menschen bearbeiten kann. Das System besteht aus drei Subsystemen: einem mobilen Roboter, einem elektrischen Roboterarm und einer bionischen Hand. Diese Bionic Soft Hand 2.0 – nach dem Vorbild der menschlichen Hand – kann Bewegungen naturgetreu ausführen. Dafür sind kleinbauende Piezoventiltechnik, Sensorik, Elektronik und mechanische Komponenten integriert. Die Finger und der opponierbare Daumen bestehen aus flexiblen Balgstrukturen mit Luftkammern, umhüllt von einem festen und zugleich nachgiebigen Textilgestrick. Dadurch ist die Hand leicht, anpassungsfähig und sensibel, aber dennoch in der Lage, starke Kräfte auszuüben. Um den Spielraum von Daumen und Zeigefinger im Vergleich zur ersten Version der Soft Hand zu erweitern, haben die Entwickler den seitlichen Schwenkbereich beider Finger deutlich vergrößert. Mittels 3D-gedrucktem Handgelenk mit zwei Freiheitsgraden kann sich die Hand ‧sowohl vor und zurück als auch nach links und nach rechts bewegen. Somit ist auch ein Greifen mit engem Radius möglich.
Serienreif und als Automatisierungslösung verfügbar sind aktuell beispielsweise adaptive Greifer wie der Greiffinger DHAS, inspiriert von der Fischflosse, oder der Formgreifer DHEF, der anpassungsfähig wie eine Chamäleonzunge agiert. Zudem sind Bionik-Entwicklungen Teil der Lernsysteme, die von Festo Didactic angeboten werden.


Karoline von Häfen, Leiterin Corporate Bionic Projects bei Festo
Bild: Festo

Interview:
„Im Bionik-Labor entwickeln wir oft aus der Einfachheit heraus“

KEM Konstruktion: Frau von Häfen, welche industriellen Technologietrends spiegeln sich in aktuellen bionischen Entwicklungen wider?

Karoline von Häfen: Ein großer Themenblock betrifft die Digitalisierung. Bezogen auf die Industrie stellt sich unter anderem die Frage, wie Maschinen untereinander kommunizieren können, also: Wie können sie sich verständigen? Wie wird drahtlose Kommunikation umgesetzt? Felder der künstlichen Intelligenz (KI) gehören in diesen Bereich.

KEM Konstruktion: Haben Sie ein Beispiel, wie Sie KI konkret nutzen?

Von Häfen: Unsere bionische Soft Hand hat gelernt, ein Objekt zu drehen, sodass die Parallele in der Natur das menschliche Gehirn oder das Lernen wie ein Mensch ist – und dies auf Maschinen zu übertragen, darum geht es uns. Im Fall dieser Hand führen die Maschinen Aufgaben aus, die so komplex sind, dass wir diese nicht mehr adäquat kontrollieren können. Also wir können keine einfache Software oder ein einfaches Programm dafür schreiben. Viel effizienter ist es, das Ergebnis und bestimmte Randbedingungen vorzugeben und die Maschine in die Lage zu versetzen, solche Prozesse selbst zu erlernen und effiziente Wege zu finden, Aufgaben zu lösen.

In Hinblick auf Losgröße 1 ist Flexibilität in Produktionsanlagen gefragt, die immer häufiger umgerüstet werden und sich austauschen müssen – also betrifft das auch Fragen dazu, wem Daten in der Cloud gehören, wie sie zu schützen sind oder ob Daten nicht auf den Maschinen selbst verarbeitet werden sollten – On Premise.

KEM Konstruktion: Was lernen Sie aus Bionik-Projekten wie Bionic Swift, die sich auf den ersten Blick stark um Mobilität, vielmehr ums Fliegen drehen, in Bezug auf Automatisierungsthemen oder Komponenten für die Smart Factory?

Von Häfen: Was beim Fliegen immer eine wichtige Rolle spielt, ist das Verhältnis von Gewicht und Größe. Haben wir eine große Spannweite zur Verfügung, können wir natürlich mit einem höheren Gewicht arbeiten – beispielsweise zu sehen bei unserem Flying Fox, einem wirklich großen Flughund und mit 580 Gramm deutlich schwerer als eine Bionic Swift mit 42 g. Wenn wir nun wie bei der Bionic-Swift mit einer Spannweite von 68 cm arbeiten und deutlich kleiner werden, müssen wir auch leichter werden. Was wir bei Bionic Swift und anderen Flugobjekten lernen, ist, leichte und kompakte Technik zu entwickeln und zu konstruieren, die dennoch robust ist und einwandfrei funktioniert. In der Bionic Swift ist alles auf kleinstem Raum integriert: der Akku, die Elektronik und die Mechanik. Und diese Erkenntnisse lassen sich übertragen: Komponenten und Systeme, die wir in der Automatisierungstechnik verkaufen, sollen leicht und kompakt gebaut sein – gleichzeitig müssen sie äußerst zuverlässig und energieeffizient funktionieren.

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft das Tracking mehrerer Objekte im gleichen, abgesteckten Flugraum. Man kann sich entsprechende Tracking-Systeme zum Beispiel in der Logistik vorstellen, wo Warenströme verfolgt werden. Wir wollen verstehen, wie das Tracking unter bestimmten Randbedingungen funktioniert. Wir haben zum Beispiel gelernt, dass ein System auf Funkbasis bei der Bionic Swift besser funktioniert als ein optisches System.

KEM Konstruktion: Nun ist Festo primär Komponentenhersteller und auch Anbieter von Automatisierungssystemen, hinter denen der Gedanke steht, komplexe Abläufe und Prozesse in der Produktion effizient steuern und kontrollieren zu können. In Ihrem Bionik-Labor beginnen Sie Ihre Entwicklungen teils mit sehr einfachen Mitteln und Werkzeugen – die Experten abstrahieren und vereinfachen bewusst. Welche Vorteile hat das für Sie?

Von Häfen: Wenn wir mit einer Idee anfangen, gehen wir mit „Hands- on-Mentalität“ an die Projekte heran. Wir stellen uns der Komplexität durch iteratives Vorgehen. Wir nutzen Klebeband oder Polystyrol und ein paar Schrauben, dann aber kombiniert mit den neuesten Technologien und Tools. So können wir relativ schnell einen ersten Protoypen erstellen. Im Bionik-Labor entwickeln wir also aus der Einfachheit heraus. Das stellt eine andere Denkweise dar, an Aufgaben heranzugehen und bietet viel Freiraum und ganz andere Möglichkeiten. Ingenieure kommen mit sehr viel Fachwissen, mit sehr viel Erfahrung und somit aus der Komplexität. Das ist bei Produkten, die in großen Stückzahlen produziert und verkauft werden, oft nicht anders möglich. Wir haben aber in der Bionik die Freiheit, erst einmal einfach zu starten, zu probieren, zu testen. Wir entwickeln ja keine fertigen Produkte, sondern wollen mit unseren Future Concepts neue Ansätze und Ideen ausprobieren.


Lernen von der Natur

Im Fabrikalltag übernimmt Automatisierungstechnik typische Aufgaben wie das Greifen, Bewegen und Positionieren von Gütern oder auch das Steuern und Regeln von Prozessen. All diese Aufgaben löst die Natur ganz selbstverständlich und energieeffizient.

Seit Beginn der 90er Jahre befasst sich Festo intensiv mit dem Thema Bionik. Mit der Gründung des Bionic Learning Network im Jahr 2006 hat sich ein Austausch von Ingenieuren, Designern, Biologen und Studenten von Festo im Verbund mit Hochschulen, Instituten und Entwicklungsfirmen etabliert. Diese interdisziplinäre Teamarbeit konnte neue Perspektiven sowie Impulse für industrielle Applikationen und zukünftige Serienprodukte schaffen.

Informationen zu den einzelnen Bionik-Projekten unter:
hier.pro/YC15e

Kontakt:
Festo Vertrieb GmbH & Co. KG
Festo Campus 1
73734 Esslingen
Deutschland
Tel.: +49 711 347-1111

Festo SE & Co. KG
Ruiter Straße 82
73734 Esslingen
Deutschland
Tel.: +49 711 347–0

www.festo.com

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