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Wie der Schnee ins Rutschen gerät

Materialforscher des KIT untersuchen die Auslösung von Lawinen
Wie der Schnee ins Rutschen gerät

Wie der Schnee ins Rutschen gerät
Lawinenauslösung im Schneeblock: Beschleunigungssensoren in der Schneedecke messen die Bruchgeschwindigkeit
Wie Lawinen entstehen, schien seit Jahrzehnten geklärt – die Schneeforschung weltweit ging vom Scherriss-Modell aus: Laut dieser Theorie kommt die oberste Schicht einer Schneedecke lokal ins Rutschen und dieser Prozess pflanzt sich in die umliegende Schneedecke fort. Ein Forscherteam des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) vertritt eine grundsätzlich andere Hypothese: Es macht so genannte Antirisse für die Lawinenentstehung verantwortlich.

Schnee ist in Schichten aufgebaut, die relativ fest miteinander ver-bunden sind – nur ein Bruch kann sie voneinander lösen. Dabei breitet sich ein Riss zwischen zwei benachbarten Schichten aus und löst sie voneinander ab: Eine Lawine entsteht. Als Ursache für das Risswachstum wurde bislang das Versagensmodell des Scherrisses herangezogen. „Es gibt aber erhebliche Widersprüche zwischen den Aussagen dieses Modells und den Beobachtungen und Messungen vor Ort„, sagt Dr. Joachim Heierli vom Institut für Angewandte Mate-rialien (IAM). „Scherrisse können sich in flachem Gelände nicht ausbreiten, trotzdem kommt es dort nicht selten zu Brüchen in der Schneedecke.„ Außerdem können Scherrisse das Phänomen der Fernauslösungen nicht erklären. Dabei treten Lawinen an einer an-deren Stelle auf, als sie ausgelöst wurden, beispielsweise im Hang über einem Skifahrer.
Die KIT-Forscher untersuchen deshalb ein neues Modell für die Entstehung von Lawinen, den Antiriss. Er entsteht dann, wenn zwei Schichten stark gegeneinander gepresst werden und die schwäche-re von beiden kollabiert. Dabei wird Energie frei, die den Bruch in alle Richtungen ausbreitet. Das gleiche geschieht laut Heierli auch bei der Entstehung einer Lawine: „In der Schneedecke gibt es fast immer instabile Zwischenschichten, sozusagen die Sollbruchstellen. Das kann zum Beispiel eine besonders poröse Zwischenschicht sein. Durch das Gewicht der darüber liegenden Schneedecke ist diese Schicht ständig in Einsturzgefahr. Beginnt sie zu kollabieren, ist der Prozess oft nicht mehr aufzuhalten. Die Schneekörner wer-den in die leeren Zwischenräume gepresst und der Vorgang pflanzt sich in alle Richtungen fort.„ Innerhalb von Sekundenbruchteilen breitet er sich um bis zu 100 Meter aus, erst dann wird seine eigent-liche Wirkung sichtbar: Der Bruch hat zwei Schneeschichten groß-flächig voneinander gelöst – und die Lawine gerät ins Rutschen.
Bei ihren Feldexperimenten legen die KIT-Wissenschaftler Schnee-blöcke frei und suchen nach den schwachen Zwischenschichten, die meist 50 bis 100 Zentimeter unter der Oberfläche, manchmal auch tiefer liegen. Dort schneiden sie eine Kerbe ein, die einen Antiriss auslöst und messen die Parameter der Bruchausbreitung. Derzeit werden zahlreiche solcher Experimente durchgeführt, um die Aus-sagen der Scherriss- und Antiriss-Modelle zu vergleichen und mit den Feldbeobachtungen zu konfrontieren. Bislang deutet tatsächlich vieles auf den Antiriss hin, sagt Dr. Joachim Heierli: „Bei sämtlichen Brüchen, die man bisher vermessen hat, ist die Zwischenschicht stets kollabiert, es ist also immer ein Antiriss aufgetreten.„ Künftig werde die Schneeforschung wohl davon ausgehen müssen, dass Antirisse und nicht Scherrisse für die Schneebrettauslösung ursäch-lich sind. Das könnte die Lawinenvorhersage wesentlich verbessern, so die KIT-Forscher.
Karlsruher Instituts für Technologie; Telefon: 0721 608–47414, E-Mail: monika.landgraf@kit.edu
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