Inhaltsverzeichnis
1. Recycling oder Reuse?
2. Theorie versus Praxis
3. Den Sekundärrohstoffmarkt in Schwung bringen
Europa will klimaneutral werden, wofür die Kreislaufwirtschaft in alle Produktionsprozesse Einzug halten muss. Das ist einerseits ein wahrer Stresstest für alle Beteiligten, andererseits bieten zirkuläre Prozesse enorme Potentiale auch für den mittelständischen Maschinen- und Anlagenbau: Der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigte Circular Economy Act sei laut VDMA ein wichtiges Zeichen – allerdings könne die Kreislaufwirtschaft nur gelingen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dafür brauche es dringend einen europäischen Binnenmarkt für Sekundärrohstoffe.
Das heißt: Innerhalb der EU müssen Sekundärmaterialien zu wettbewerbsfähigen Preisen gehandelt und eingesetzt werden können. Dazu benötigt es auch Qualitätskriterien und Standards für Sekundärrohstoffe und deren Wiederverwendung. „Aufgrund volatiler Preise ist der Markt heute stark unter Druck und gerade Sekundärkunststoffe sind häufig teurer und damit wirtschaftlich nicht attraktiv“, sagt Sarah Brückner, Leiterin der VDMA-Abteilung Umwelt und Nachhaltigkeit. „Sowohl das Verhältnis von Menge und Qualität als auch das Preisgefüge stimmen heute einfach nicht.“
Recycling oder Reuse?
Das Forschungsprojekt CircThread befasst sich daher noch bis Mitte 2025 mit dem Thema, wie die Sekundärrohstoffe schon vor dem eigentlichen Recycling in einen digitalen Kreislauf gebracht werden können. Durch den Digital Product Passport (DPP) – ab 2026 für erste, in der EU verkaufte Produktgruppen vorgeschrieben – wird dieses Szenario auch praktisch umsetzbar: Darin sind alle Informationen zu den verwendeten Materialien gespeichert. Kommt der Produkt-Lebenszyklus an sein Ende, können Verwertungsbetriebe direkt erkennen, welche Stoffe in welcher Menge enthalten sind und den Wert kalkulieren. Ebenso ließe sich schnell abschätzen, ob der Aufwand des Recyclings durch den anschließenden Materialverkauf gedeckt werden kann.
Natürlich sind die Informationen auch bereits früher nutzbar, etwa durch Reparatur-Spezialisten. Das einfache an diesem System: Ein Großteil der notwendigen Daten ist bei den Herstellern bereits vorhanden. Das Hauptziel des CircThread-Projekts besteht darin, den Zugang zu diesen – derzeit in den Firmenarchiven befindlichen – Daten freizugeben und sie als Entscheidungsinformationen für Akteure innerhalb und außerhalb des erweiterten Produktlebenszyklus aufzuwerten.
Zu diesem Zweck entwickelt das mit knapp zehn Millionen Euro geförderte Projekt ein Framework zur Erleichterung des Informationsaustauschs über die erweiterte Lebenszykluskette von Produkten, Komponenten, deren Materialien und chemische Daten. Die implementierte Cloud-Plattform wird in drei Demonstrationsclustern in Italien, Spanien und Slowenien getestet, wobei man sich auf Haushaltsgeräte und Haushaltsenergiesysteme fokussiert.
Theorie versus Praxis
Die Forscher haben mehrere praktische Hürden identifiziert: Bei Produkten aus nicht selten tausenden Einzelkomponenten tun sich die OEMs noch schwer, alle Informationen aus der Lieferkette zu extrapolieren. Und auch wenn diese vorhanden sind, möchte man diese Details nicht unbedingt offen teilen. Außerdem sind die aktuell im Kreislauf befindlichen Produkte bereits hergestellte „Altlasten“, die nicht sofort ersetzt werden. Bis ein relevanter Anteil an Gütern über einen Digital Product Passport verfügen, könnten nach Einschätzung der CircThread-Forscher noch 15 Jahre vergehen. Zudem werden viele Produkte nach einem Defekt auf dem Weg in den Materialkreislauf sehr ruppig behandelt, wodurch weitere, oft noch größere Beschädigungen entstehen. Das verhindere oft das Reparieren und Wiederverwerten, was ökologisch sinnvoller wäre als ein direktes Recycling. Der entsprechende Auswahlprozess müsste künftig vor die Verwertungskette geschaltet werden.
Landet ein Produkt schlussendlich beim Recyclingspezialisten, braucht es dort entsprechend automatisierte Eingangskontrollen: Die Firmen sehen es allerdings als No-Go, jedes individuelle Produkt vorab zu scannen. Auch RFIDs-Tags sind hier schwer zu etablieren, da sie durch hohe Metallanteile innerhalb einer Charge nicht einwandfrei gelesen werden könnten. Als letzten wichtigen Punkt führt man einen fehlenden Markt an: Die besten Daten seien nutzlos, wenn sie nicht genutzt würden. Daher sollte zu allererst dieses Problem gelöst werden.
Den Sekundärrohstoffmarkt in Schwung bringen
Ein Lösungsansatz, um den Sekundärrohstoffmarkt in Europa zu stärken, könnte laut VDMA eine produktspezifische Rezyklat-Quote sein. Das hieße, in bestimmten Produkten müsste eine Mindestmenge an Sekundärrohstoffen eingesetzt werden. Damit könnte der Markt neu ausgerichtet und die preisliche Schieflage zwischen Rezyklaten und Neuware besser ausgeglichen werden. Wichtig sei dabei allerdings, dass diese Regelung und die entsprechende Marktüberwachung europaweit gelten und zügig umgesetzt werden. Weitere Voraussetzung sei, dass die Umsetzung bürokratiearm und ohne erhebliche negative wirtschaftliche Auswirkungen erfolge, insbesondere mit Blick auf kleine und mittelständische Unternehmen und deren Wettbewerbsfähigkeit.
Der Circular Economy Act soll in der kommenden Legislatur veröffentlicht werden. Der VDMA hat dazu klare Vorstellungen: „Wir erhoffen uns, mit Hilfe des Circular Economy Act einen Flickenteppich in der Kreislaufwirtschaft zu vermeiden. Denn derzeit ist die Lage in Europa mit Blick auf nationale Abfallvorgaben, Stoffpolitik oder Maßnahmen zur zirkulären Produktpolitik eher chaotisch“, so Brückner abschließend. Nationale Maßnahmen, wie der kürzlich in Deutschland veröffentlichte Entwurf einer nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) müssen in den europäischen Rahmen passen – nur so führten sie langfristig zum Erfolg, betont die VDMA-Expertin.