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Inhaltsverzeichnis
1. Was steckt hinter dem Advanced Systems Engineering?
2. Chancen durch die Digitalisierung
3. Mit weniger Fachkräften mehr erreichen
4. Vernetzte Systeme stellen höhere Anforderungen
5. Der schnelle Weg zu KI-Lösungen
6. Die Konferenz system:ability
KEM Konstruktion: Was erwartet die Besucher der Konferenz system:ability?
Prof. Roman Dumitrescu (Fraunhofer IEM): Wer gerne wissen möchte, was derzeit im Engineering passiert und wie speziell der industrielle Mittelstand innovativ entwickelt und produziert, kann sich nicht nur über die Vorträge ein Bild machen, sondern sich vor allem auch mit Vortragenden und Gleichgesinnten austauschen. Dieser Austausch von Wissenschaft und Industrie ist spannend und lohnt sich aus unserer Sicht. Zudem haben wir einige spannende Keynotes – so viel Eigenwerbung sei erlaubt: Der Landmaschinenspezialist Claas berichtet von der Bewältigung der Komplexität in agrartechnischen Systemen mittels des Model-Based Systems Engineering (MBSE) und Walter Koch, Vorsitzender der Gesellschaft für Systems Engineering (GfSE) gibt einen Ausblick, welchen Beitrag das Systems Engineering zu einer nachhaltigeren Welt leisten kann – um nur zwei der ingesamt fünf Keynotes zu nennen.
Was steckt hinter dem Advanced Systems Engineering?
KEM Konstruktion: Hinter der Konferenz steht neben anderen die Initiative Advanced Systems Engineering (ASE) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Welche Herausforderungen werden damit adressiert und in welcher Weise hat sich das Systems Engineering weiterentwickelt?
Dumitrescu: Die grundlegende Fragestellung ist, wie es uns gerade in Deutschland gelingen kann, einer der führenden Produktionsstandorte zu sein. Damit ist wichtig zu verstehen, wie Innovation entsteht und gefördert werden kann. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung, die in allen Branchen – angefangen von Automotive über den Maschinenbau bis zu Pharma – die Geschäftsmodelle beeinflusst. Nicht umsonst sind Hyperscaler wie Amazon oder Google so daran interessiert, ihr Angebot hier zum Einsatz zu bringen – und ziehen damit in die Produktion ein. Deswegen ist es immens wichtig, sich die Frage zu stellen, wie in diesem Spannungsfeld Innovationen speziell in der Produktion weiter bei uns entstehen können, um die Wertschöpfung weiter zu sichern – und wie sich die Produkt- und Produktionsentwicklung hier besser aufstellen kann, um so erfolgreich zu sein.
„Wir müssen uns die Frage stellen, wie Innovationen speziell in der Produktion weiter in Deutschland entstehen können, um die Wertschöpfung zu sichern. Für die Produktentwicklung liefert das Advanced Systems Engineering Antworten.“
Eine Antwort darauf will das Advanced Systems Engineering geben und mit diesem Ansatz konnten wir das BMBF als Fördergeber überzeugen – übrigens keine leichte Aufgabe! Mit anderen Worten: Wir müssen bei dem komplexen Thema Engineering führend bleiben. Auch das ist keine leichte Aufgabe, denn wenn man zurückschaut, sind selbst große führende Unternehmen an ihre Grenzen gestoßen, etwa Kodak oder Nokia. Und China hat natürlich das Potential, uns hier zu überholen.
KEM Konstruktion: Was konkret kann das Advanced Systems Engineering leisten?
Dumitrescu: Mit dem ASE haben wir ein Leitbild für die erfolgreiche Gestaltung von innovativen Produkten, Dienstleistungen und Produkt-Service-Systemen sowie deren Entstehungsprozess entwickelt. Dabei wurden insbesondere die Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung, Interdisziplinarität und Vernetzung zur Beherrschung der technischen und organisatorischen Komplexität im zukünftigen Engineering berücksichtigt. ASE integriert auf diese Weise systemorientierte und hochinnovative Ansätze des Engineerings und steht für eine neue Perspektive in der Planung, der Entwicklung und dem Betrieb der technischen Systeme von morgen.
Chancen durch die Digitalisierung
KEM Konstruktion: Sie hatten die großen Hyperscaler genannt – welche Chancen bieten sich denn produzierenden Unternehmen in Deutschland, wenn sie deren Lösungen einsetzen?
Dumitrescu: Themen wie Künstliche Intelligenz (KI) und die Cloudanbindung müssen wir als Basistechnologien verstehen und nutzen – auch wenn die Anbieter nicht hier zuhause sind. So kann eine Win-win-Situation entstehen. Ich bin davon überzeugt, dass die genannten Anbieter nicht selbst in Maschinenbauthemen einsteigen wollen – umgekehrt erhalten die Maschinenbauunternehmen hier aber Zugang zu den Basistechnologien der Digitalisierung. Nutzen wir diese zusammen mit unserem Kern-Know-how der Produktionstechnologien, eröffnet sich uns ein Pfad in die Zukunft…
KEM Konstruktion: …was in Deutschland gerne zur Frage der damit verbundenen Gefahren führt…
Dumitrescu: …die wir klassisch mit Themen wie dem Datenschutz beantworten. Allerdings ist es wichtig, dass wir einen vernünftigen Mittelweg zwischen Regulatorik auf der einen und Chancennutzung auf der anderen Seite brauchen. Ziel muss ein fairer globaler Wettbewerb sein, der unsere Wettbewerbsfähigkeit eben nicht einschränkt. Hier aus der ‚europäischen Blase‘ herauszukommen und international auf eine Annäherung hinzuwirken, wird entscheidend sein. Wenn wir aber schon bei Hemmnissen sind: Uns fehlen vor allem Fachkräfte!
Mit weniger Fachkräften mehr erreichen
KEM Konstruktion: Wie lässt sich hier eine Lösung finden?
Dumitrescu: Wir müssen unseren Arbeitsmarkt gerade auch bei den Engineering-Themen öffnen. Indien etwa bildet mehr IT-Kräfte aus als dort Arbeit finden – wir bilden zu wenige aus und suchen aber genau diese IT-Spezialisten. Daraus ergeben sich ja beidseitig Chancen, die es zu nutzen gilt. Wichtig dabei ist natürlich der Kontakt auf Augenhöhe – sicherlich auch eines der Themen beim Besuch des Bundeskanzlers kürzlich in Indien.
Entscheidend wird dann auch sein, ob und wie es uns gelingt, unsere eigenen Mitarbeitenden – mit ihrem Expertenwissen! – mit in die neue Welt des Engineerings zu übernehmen. Nur wenn diese die Möglichkeiten der Digitalisierung auch nutzen wollen, können wir weiter innovativ sein.
KEM Konstruktion: Und hierbei kann das Advanced Systems Engineering helfen?
Dumitrescu: In der Tat! Das Systems Engineering an sich ist ja schon länger im Einsatz und entstanden, um komplexere Produkte methodisch und technologisch in den Griff zu bekommen. Das können wir – Flugzeuge oder der Flug zum Mond sind möglich. Gelungen ist es uns auch, diese Methodik erfolgreich auf die Entwicklung einer Waschmaschine anzuwenden, wobei der Fokus hier zunächst auf der Systemsteuerung lag und unter anderem der Aspekt eine Rolle spielte, wie sich Wasser- und Energieverbrauch reduzieren lassen.
Vernetzte Systeme stellen höhere Anforderungen
Bislang standen damit eher geschlossene Systeme im Fokus. Das ändert sich nun mit den Möglichkeiten der Vernetzung, die uns die Digitalisierung bietet. Jetzt kann der Waschmaschinenhersteller zum Beispiel Daten aus dem Betrieb nutzen und damit neue Geschäftsmodelle aufsetzen. Um es konkreter zu machen: Hat eine Maschine ein gewisses Alter erreicht, benötigt sie vielleicht mehr Wasser und Energie als neuere Modelle. Mit Blick auf mehr Nachhaltigkeit könnte es also Sinn machen, dem Kunden ein Angebot zu machen: Wir nehmen deine alte Maschine zurück und gegen einen Betrag X bekommst du eine neue effizientere Maschine. Auf diese Weise ließe sich die alte Maschine überarbeiten und zurück in den Einsatz bringen – im Sinne einer Kreislaufwirtschaft ein für alle Seiten attraktives Modell, das unseren Ressourcenverbrauch deutlich senken kann. Das ist aber nur ein Beispiel für die Chancen, die sich uns durch die Digitalisierung eröffnen…
KEM Konstruktion: …was wären weitere Punkte?
Dumitrescu: Ein weiteres Beispiel wäre der Einsatz von KI direkt in der Entwicklung – etwa mit der Unterstützung der Konstruktion durch Generatives Design. Der Vorteil: Möglicherweise lassen sich 80 % der Entwurfsarbeit auf Basis formalisierter Anforderungen über KI-Algorithmen abdecken, so dass die Mitarbeitenden den Kopf frei haben für die restlichen 20 %, in denen dann die Innovation steckt. Das zeigt übrigens direkt auch einen Weg auf, wie wir trotz eines Mangels an Fachkräften weiter erfolgreich sein können. Wir alle stehen ja vor der Herausforderung, dass in den nächsten Jahren mehr Menschen in Rente gehen als neu in den Beruf kommen. Will heißen: Digitalisierung und neue Technologien bieten die Chance, weiter erfolgreich zu sein – und genau dies will das Advanced Systems Engineering unterstützen.
Der schnelle Weg zu KI-Lösungen
KEM Konstruktion: Welche Möglichkeiten habe ich denn, mich als Mittelständler dem Thema KI zu nähern?
Dumitrescu: Genau dafür haben wir mit Hilfe des BMBF und Partnern den KI-Marktplatz aufgesetzt – eine Plattform für KI-Services für die Produktentstehung. Hier können Mittelständler eine KI-Lösung für ihr Engineering finden und KI-Anbieter ihre Leistungen präsentieren. Das Besondere solch einer Technologieplattform ist, dass man hier sehr schnell und einfach testen kann, welche Möglichkeiten existieren. Das kann auch strategische Partnerschaften ermöglichen, um den KI-Einsatz weiterzuentwickeln.
Die Konferenz system:ability
Advanced Systems Engineering (ASE) für nachhaltige Innovationen – so lautet das Motto der Konferenz system:ability. Beantwortet werden soll die Frage, wie Unternehmen ihre Wertschöpfung zukunftsfähig aufstellen können und was das für Organisation und Prozesse bedeutet. Nicht zuletzt geht es dabei auch um eine klimafreundliche und faire/menschzentrierte Wirtschaft. Das Spektrum reicht von aktuellen Forschungsansätzen bis zu konkreten Lösungen im Mittelstand.
Hinter der Konferenz stehen die Initiative Advanced Systems Engineering des BMBF sowie der Spitzencluster it‘s OWL mit dem KI-Marktplatz und dem Kompetenzzentrum Arbeitswelt.Plus. Die Konferenz will den Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft für die intelligente und nachhaltige Produktentwicklung fördern.
- Datum: 23. und 24. Mai 2023
- Ort: Tagungszentrum Vivendi, Paderborn
- Teilnehmerbeitrag: 550 €