Inhaltsverzeichnis
1. Höhere Zuverlässigkeit vermeidet Produktionsstopps
2. Die Rolle der künstlichen Intelligenz (KI)
3. Programmierung in Zeiten des Fachkräftemangels
4. Automatisierungstechnik kann Nachhaltigkeit voranbringen
KEM Konstruktion: Herr Schneeberger, Sie sind Ingenieur, bringen zusätzlich aber eine Menge IT-Know-how mit. Welche Bedeutung haben für B&R die Themen Software und IT – nicht zuletzt aufgrund der insbesondere im Automatisierungsumfeld zu beobachtenden Zusammenführung von IT und OT, sprich der klassischen Automatisierungstechnik?
Florian Schneeberger (B&R): Software nimmt inzwischen einen wichtigen Stellenwert ein – ein gutes Beispiel ist die adaptive Fertigung. Hier investieren wir viel in Mechatronik und Robotik, gleichzeitig ist der Softwareanteil sehr hoch. Zudem steigt der Grad der Durchgängigkeit aus der Maschinensteuerung heraus bis hinein in Cloud-Infrastrukturen – die Integration von IT und OT, auch hier wird Software immer wichtiger. Deswegen investieren wir, um leistungsfähige IoT-Lösungen für das Internet of Things (IoT) bereitzustellen. Aufbauend darauf können unsere Kunden sehr einfach Plattformangebote rund um ihre Produkte aufbauen – und so ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Unsere Expertise dabei ist, die relevanten Daten zu generieren und in IoT-Apps zusammenzuführen – sei es auf der Steuerung an der Maschine oder in der Cloud. Dabei verarbeiten wir auch proprietäre Datenprotokolle, stellen alle Daten aber anschließend über Standard-Protokolle wie OPC UA bereit. Mit anderen Worten: Wir sehen uns hier als Datenprovider.
B&R-Deutschland-Chef Markus Sandhöfner zur Rolle adaptiver Maschinen
KEM Konstruktion: Wollen Sie denn selbst ein Ecosystem schaffen, über das ihre Kunden dann zum Beispiel auch Drittanbieter-Applikationen einsetzen können?
Schneeberger: Entsprechende Plattformen sind die Domäne unserer Kunden – unser Fokus liegt vor allem auf der Standardisierung. Im Umfeld IoT und Cloud haben proprietäre Systeme keine Zukunft, viel wichtiger ist die Interoperabilität. Das ist aus meiner Sicht eines der zentralen Themen der Industrie. Gerade die adaptive Fertigung profitiert davon – sie muss Systeme mehrerer Anbieter miteinander verbinden können. Deswegen fokussieren wir uns bei B&R auf die Daten, auf die Edge – nicht auf die Plattform-Infrastruktur, die darüber liegt. Wichtig sind uns zudem Applikationen für unsere Mechatroniksysteme, die möglichst standardisiert auf der Edge oder in der Cloud laufen – was wiederum die Wichtigkeit des Themas Software betont.
Höhere Zuverlässigkeit vermeidet Produktionsstopps
KEM Konstruktion: Können Sie uns dazu ein Beispiel nennen?
Schneeberger: Nehmen Sie unser Transportsystem Acopostrak. Hier wollen wir unseren Kunden Applikationen etwa für die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) anbieten, mit denen sich die Abnutzung der Rollen erfassen und per maschinellem Lernen (Machine Learning) bewerten lässt. Warum? Weil damit die Zuverlässigkeit unserer Systeme sichergestellt ist und ein unerwarteter Produktionsstopp vermieden werden kann. Solche Apps zu erstellen, erfordert spezifisches Know-how – in diesem Fall des Acopostrak. Und das haben wir und können deswegen unsere Kunden hier bestmöglich unterstützen.
Konkret führen wir dazu Einsatzdaten unserer Acopostrak-Systeme in der Cloud zusammen und können basierend darauf einen Algorithmus entwickeln, mit dem sich der Zustand der Anlage vor Ort sehr genau voraussagen lässt – oder anders formuliert: der beste Zeitpunkt für eine Wartung definieren lässt. Diesen Algorithmus stellen wir dann über eine App unseren Kunden zur Verfügung, die in der Maschinensteuerung laufen kann. Diese Apps lassen sich auf Wunsch auch updaten.
Die Rolle der künstlichen Intelligenz (KI)
KEM Konstruktion: Hinter dem maschinellen Lernen steht ja auch die künstliche Intelligenz (KI) – gibt es Anwendungen über die vorausschauende Wartung hinaus, bei denen KI eine wichtige Rolle spielt?
Schneeberger: Machine Learning ist ja ein Teilbereich der KI und unterscheidet sich von generativer KI. Machine Learning nutzt einen sehr großen definierten Datensatz, um basierend darauf eine Wahrscheinlichkeit zu berechnen. Künstliche Intelligenz ist dagegen breiter aufgestellt und in der Lage, eigenständig Schlüsse zu ziehen. An KI wird kein Unternehmen vorbeikommen – wobei wir in Bezug auf Integrität und Ethik den Einsatz solcher Systeme genau beobachten müssen.
KI wird sicher zukünftig im Bereich Softwaregenerierung eine signifikante Rolle spielen. Das gilt insbesondere dann, wenn wir der Maschine beziehungsweise ihrer Steuerung keinen klassisch strukturierten Text mehr liefern, sondern semantische Anweisungen geben wollen – im Sinne: Mache bitte dies und dann das. Umso wichtiger wird bei dieser automatischen Codegenerierung übrigens das Simulieren und Testen. Vorstellbar ist, dass der Code dann über die Simulation mit dem digitalen Zwilling ebenfalls von einer KI weiter optimiert wird – das ist sehr spannend und wird auch sehr schnell kommen. Konkret arbeiten wir im Moment aber vor allem an Machine-Learning-Applikationen.
KEM Konstruktion: Sie hatten dazu das Beispiel Predictive Maintenance genannt – welche weiteren Anwendungen haben Sie im Fokus?
Schneeberger: In Verbindung mit der Bildverarbeitung mit unseren Kameras arbeiten wir zum Beispiel an der Anomalie-Detektion beziehungsweise ganz allgemein an der Analyse und Nutzung der Bilddaten. Auch das ist übrigens ein Bereich, in dem die App am besten in der Kamera läuft. Andernfalls große Datenmengen über das Netzwerk zu streamen wäre sehr ineffizient – besser läuft die Bilddatenverarbeitung und -analyse direkt auf der Kamera.
Programmierung in Zeiten des Fachkräftemangels
KEM Konstruktion: Ein zunehmendes Problem im Maschinenbau ist der Fachkräftemangel – Aufträge wären da, aber die Menschen für die Umsetzung fehlen. Kann KI hier künftig punkten?
Schneeberger: KI wird keine Softwareentwickler ersetzen können – am Ende muss immer jemand mit Verstand das Ergebnis strukturieren und kontrollieren können. Zudem wird es eher darum gehen, die Programmierung der Systeme zu vereinfachen und die Bedienung in Beziehung zum Kontext zu setzen. KI kann hierbei eine bessere Hilfestellung geben, denn am Ende zählt die konkrete Anwendung. Es geht also beim Einsatz von KI um weit mehr, als nur die Programmierung zu automatisieren.
Dem Fachkräftemangel lässt sich allerdings schon heute sehr wirksam begegnen, wenn ich insbesondere sich wiederholende Tätigkeiten vermeide. Genau das war der Ansatz bei der Entwicklung unserer mapp Technology. Sie erleichtert über einfach zu bedienende Apps das Erstellen der Maschinen- und Anlagensoftware. Statt Zeile für Zeile zu programmieren, parametriert der Entwickler lediglich die bereits fertigen mapp-Bausteine – und kann sich auf diese Weise auf sein Kern-Know-how konzentrieren. Was übrigens auch wieder bedeutet: Unsere Kunden brauchen besser strukturierte APIs und Interfaces, um eine Vielzahl von Anwendungsfällen abdecken zu können. Damit kommt man immer wieder zurück auf die Standardisierung anstelle proprietärer Systeme.
KEM Konstruktion: Welche Zukunft hat denn aus Ihrer Sicht die Steuerungsprogrammierung entsprechend IEC 61131-3? Ist sie ein Auslaufmodell?
Schneeberger: Sie wird sicher noch für eine gewisse Zeit Teil der Industrie bleiben, nach wie vor werden ja auch viele junge Menschen entsprechend ausgebildet. Auf der anderen Seite nimmt natürlich die Bedeutung der Hochsprachen zu. Auch hier gibt es aber länderspezifische Unterschiede, abhängig vom jeweiligen Ausbildungslevel. Im amerikanischen Bereich spielt zum Beispiel Ladder noch immer eine signifikante Rolle, wobei in anderen Ländern die Bedeutung der Hochsprachen zunimmt.
Automatisierungstechnik kann Nachhaltigkeit voranbringen
KEM Konstruktion: Lassen Sie uns abschließend gerne noch auf das Thema Nachhaltigkeit schauen, das Ihnen ja auch persönlich am Herzen liegt. Hat die Automatisierungstechnik das Potential, uns bezüglich der Nachhaltigkeit und der Begrenzung des Klimawandels voranzubringen?
Schneeberger: Absolut – auch unser Mutterkonzern ABB hat sich hier ja ganz klar strategisch aufgestellt in Richtung der Elektrifizierung und weg von fossilen Brennstoffen. B&R ist also mit seinem Angebot rund um die Automatisierungstechnik gut aufgestellt. Ziel ist konkret, stetig den ökologischen Footprint unserer Lösungen zu minimieren – was einschließt, die Firmware so abzustimmen, dass möglichst wenig Energie benötigt wird. Vor allem der Anwender wird davon profitieren. Auch bei der nächsten Generation unserer Antriebe wird ein großer Fokus auf der Energieeffizienz liegen.
Nicht zuletzt – und hier schließt sich wieder der Kreis zur adaptiven Fertigung – arbeiten wir zusammen mit unseren Kunden an flexibleren und kleineren Fertigungszellen, die damit auch näher bei den Kunden stehen können. Beispiel Pharmaindustrie: Je näher eine effiziente Produktion – auch in Losgröße 1 – bei den Kunden steht, desto mehr Einfluss wird das indirekt auch auf globale Transportketten haben. Und einer der Schlüssel hin zu solch einer adaptiven Fertigung ist eben die Automatisierungstechnik – was auch die Potentiale hinsichtlich der Ressourceneffizienz erschließt. Deswegen haben wir das Thema Nachhaltigkeit (Sustainability) auch sehr stark in unserer Organisation verankert – was eine sehr starke Motivation für unsere Mitarbeitenden ist. Es geht eben nicht nur darum, Maschinen besser und schneller zu machen – eine nachhaltigere Fertigung ist ebenfalls in unser aller Interesse.
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