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Adaptive Fertigungslinie rückt in den Fokus des Maschinenbaus

Automatisierungskonzepte
Adaptive Fertigungslinie rückt in den Fokus des Maschinenbaus

Adaptive Maschinen sollen sich selbstständig an neue Aufgabenstellungen anpassen können. B&R-Deutschland-Chef Markus Sandhöfner stellte zu diesem Konzept vor 2 Jahren die grundlegenden Gedanken vor. Interessant ist nun, wie sich dieses Konzept weiterentwickelt hat und wie die Umsetzung in der Praxis vorankommt. Dazu gab uns Nikolai Feurer Auskunft, Industry Segment Manager Packaging bei der B&R Industrie-Elektronik GmbH, Bad Homburg.

Interview: Michael Corban, Chefredakteur KEM Konstruktion

Inhaltsverzeichnis

1. Das Konzept der adaptiven Maschine
2. Maschinen-Footprint ist entscheidend
3. Praxisbeispiel Abfüllanlage
4. Software als wichtige Disziplin
5. Das Zusammenwachsen von OT und IT

Das Konzept der adaptiven Maschine

KEM Konstruktion: Hat sich das Konzept der adaptiven Maschine bewährt und ist es weiter der Schlüssel dazu, Losgröße 1 und Individualisierung in den Griff zu bekommen?

Nikolai Feurer (B&R): Definitiv – dieser Ansatz trägt und wir stellen fest, dass die Anforderungen steigen. Es gilt, immer kleinere Losgrößen mit mehr Flexibilität zu verbinden, um damit die Individualisierung von Produkten zu ermöglichen. In der Corona-Pandemie wurden solche Themen im Rahmen der Digitalisierung sogar noch stärker nachgefragt. Insbesondere für die Verpackungstechnik ist natürlich auch der wachsende Anteil des E-Commerce einer der Treiber, vor allem im Konsumgüterbereich. Sind Anlagen in der Produktion hochgradig anpassungsfähig und können sie unterschiedliche Produktgrößen und Varianten bearbeiten, ist das ein klarer Vorteil für den Anwender. Vor allem dann, wenn er ‚on the fly‘ auf andere Formate wechseln kann – sprich die Formatwechselzeiten, in denen die Maschine nicht produzieren kann, minimal werden. Je individueller ein Produkt ist, desto mehr fallen diese Umrüstzeiten ins Gewicht.

B&R-Deutschland-Chef Markus Sandhöfner zur Rolle adaptiver Maschinen

KEM Konstruktion: Was hat sich denn in den letzten 2 Jahren technologisch verändert?

Feurer: Im Kern vor allem, dass wir von der adaptiven Maschine mehr und mehr zum adaptiven Fertigen (adaptive manufacturing) übergehen – und damit den Fokus über die Maschine hinaus auf den gesamten Fertigungsprozess legen. Konkret betrachten wir hier also komplette Fertigungslinien. Hier können wir auch auf neue Technologien zurückgreifen, wie unser Transportsystem Acopos 6D, das den freien Transport in der Fläche ermöglicht. Auch bewährte Tracksysteme, wie unser Acopostrak, mit dem sich Produktströme über die elektronische Weiche sehr leicht vereinzeln und wieder zusammenführen lassen, bieten hier eine Menge Potenzial.

Maschinen-Footprint ist entscheidend

Eine wichtige Rolle spielt letztlich immer der Footprint der Maschinen und Fertigungslinien – sprich die Frage, wie viel Durchsatz auf dem Quadratmeter Produktionsfläche möglich ist. Denn das beeinflusst die Wettbewerbsfähigkeit. Der große Vorteil unserer Tracksysteme ist, dass sie den früher notwendigen starren Transport mit Werkstückträgersystemen aufbrechen und flexibler machen. Damit lassen sich nicht nur einzelne Produkte aus- und wiedereinschleusen, auch verschieden lange Prozesszeiten können so sinnvoll genutzt werden. Dauert ein Prozess etwa doppelt so lang wie ein anderer, können an dieser Stelle zwei Stationen parallel aufgebaut werden. Die einzelnen Shuttles laufen dann entweder auf Linie A oder B, werden anschließend aber wieder zusammengeführt. Der Gesamtaufbau wird damit wesentlich kompakter. Der Flexibilität solcher Transportsysteme sind kaum Grenzen gesetzt. Deswegen ist es so wichtig, den Blick auf komplette Fertigungslinien zu lenken.

KEM Konstruktion: Gilt das auch für die Be- und Entladevorgänge?

Feurer: An dieser Stelle kommt natürlich die Robotik mit ins Spiel. Roboter können sowohl in der Prozessstation als auch zwischen den Stationen einer Fertigungslinie viele Aufgaben sehr flexibel übernehmen. Die Einbindung der Robotik in unsere Steuerungswelt erleichtert den Einsatz deutlich. Gleichzeitig erhöht dies genauso wie die Tracksysteme die Zukunftssicherheit, da sich solche flexibel geplanten Anlagen bei Bedarf einfach erweitern und skalieren lassen. Der Schlüssel zu einer adaptiven Fertigungslinie ist die Kombination von flexiblen Transportsystemen und der Robotik.

Praxisbeispiel Abfüllanlage

KEM Konstruktion: Können Sie uns ein Beispiel für eine konkrete Umsetzung der Möglichkeiten der adaptiven Maschine beziehungsweise Fertigungslinie geben?

Feurer: Ein sehr beeindruckendes Beispiel liefert etwa Unilogo Robotics aus dem polnischen Piaseczno. Unter dem Namen Cleanline bietet das Unternehmen eine innovative, robotergestützte Sortier-, Füll-, Verschließ- und Etikettierlinie für flüssige Produkte an – und setzt dabei auf die Kombination unseres Acopostrak mit Robotern unseres Mutterkonzerns ABB.

Ziel der Entwicklung war, bei maximaler Flexibilität mittels softwaregesteuerter automatischer Formatumstellung eine Vielzahl verschiedener Flaschenformate handhaben zu können. Die Anlage ist also so konzipiert, dass man pro Schicht mehrfach die Produkte wechseln kann – bei möglichst einfacher Bedienung.

Realisieren ließ sich diese Formatflexibilität unter anderem dadurch, dass jeweils zwei Acopostrak-Shuttles zusammen eine Flasche greifen. Auf diese Weise muss nur der Abstand zwischen den beiden Shuttles verändert werden, um eine größere oder kleinere Flasche greifen zu können. Das lässt sich via Software leicht umsetzen. Entsprechendes gilt für das Aufschrauben des Deckels und das Etikettieren. Das alles ermöglicht aber gleichzeitig auch einen reibungslosen und stabilen Produktionsprozess, denn am Ende geht es ja um Geschwindigkeit und Output.

Software als wichtige Disziplin

KEM Konstruktion: Sie sprachen das Thema der Software an – gilt analog zum Werkzeugmaschinenbau, dass immer mehr Funktionalität letztlich im Programmcode steckt und damit leicht zu modifizieren ist?

Feurer: Korrekt – und genau an dieser Stelle sind die Möglichkeiten der Simulation ein großer Vorteil. Wir setzen unsere Simulationstools inzwischen in jedem Projekt ein, weil sich vorab und ohne Aufwand testen lässt, wie sich die Fertigung optimieren lässt. Diese Tools lassen sich natürlich auch immer dann nutzen, wenn eine Linie entweder flexibel angepasst oder umgebaut wird – ganz im Sinne der adaptiven Fertigung. Auf diese Weise lassen sich sehr schnell die technische Machbarkeit klären und der zu erwartende Durchsatz bestimmen. Setze ich die Simulation bereits in der Konzeptphase ein, lassen sich zudem Machbarkeitsstudien durchführen, bevor Investitionskosten anfallen. Außerdem kann ich – auch zu jedem folgenden Zeitpunkt – Auskunft darüber erhalten, an welcher Stelle ein Stau zu erwarten ist. Entsprechend kann der Anwender reagieren und zum Beispiel mit parallelen Stationen solche Staus prinzipiell vermeiden. Übrigens: Die Simulation verwendet dazu den realen Programmcode, der dann auch in der Maschinensteuerung läuft.

KEM Konstruktion: Wie einfach lässt sich dieser erzeugen?

Feurer: Sehr einfach – letztlich vergleichbar mit der Wahl bestimmter Apps. Möglich macht dies unsere mapp Technology, deren ‚mapps‘ sich so einfach bedienen lassen wie Smartphone-Apps. Anstatt User-/Rollen-Systeme, Alarmsysteme oder die Ansteuerung von Achsen Zeile für Zeile zu programmieren, parametriert der Entwickler der Maschinensoftware die einsatzbereiten mapps lediglich. Komplexe Algorithmen lassen sich auf diese Weise einfach beherrschen und der Programmierer kann sich voll auf den Maschinenprozess – und damit sein Kern-Know-how – konzentrieren.

Das Zusammenwachsen von OT und IT

KEM Konstruktion: Welche Rolle kann mit Blick auf zukünftige Entwicklungen rund um adaptive Maschinen das maschinelle Lernen (Machine Learning) oder einen Schritt weiter die künstliche Intelligenz (KI) spielen?

Feurer: Das ist einerseits natürlich ein Thema im Zusammenhang mit unseren Edge-Controllern, die Daten nicht nur sammeln sondern auch zielführend für die Weiterverarbeitung in der Cloud aufbereiten können. Andererseits ist das dann genau die Stelle, an der OT und IT zusammen finden.

Mit dem enhanced cross-over Operating System, kurz exOS, ermöglicht B&R hier gezielt die Verbindung seiner Steuerungssysteme mit Linux-Open-Source-Software – und das wiederum erschließt dann Machine-Learning- und KI-Anwendungen. Denn exOS befähigt Steuerungssysteme, moderne höhere Programmiersprachen zu verstehen und bietet Maschinenbauern dadurch einen völlig neuen Ansatz für komplexe hybride Maschinenlösungen – ganz im Sinne von Industrie 4.0 und Industrial IoT (IIoT). Das war zuvor ein nicht einfach zu lösendes Problem, da sich die OT-Experten vor allem mit dem Entwurf von Maschinen, der SPS-Programmierung und Inbetriebnahme auskennen, die IT-Experten dagegen mit höheren Programmiersprachen und Konzepten wie C++, Python und JavaScript. Zwischen beiden Welten können wir über exOS nun auch eine Echtzeit-Kommunikation aufbauen.

Anders ausgedrückt ist die Verbindung von OT und IT gerade mit Blick auf die adaptive Fertigung ein zentrales Thema. Das wird dann nicht nur den Einsatz von Maschine Learning und KI erleichtern, sondern auch Themen wie das Service- und Update-Management, um ein Beispiel zu nennen – exOS bringt uns hier einen erheblichen Schritt nach vorn.

www.br-automation.com

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