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Model Based Systems Engineering (MBSE) - Teil 3 Systems Engineering

Begriffe des Systems Engineerings – Teil 3
Model Based Systems Engineering (MBSE)

Die Idee des modellbased Systems Engineerings (MBSE) hat in den letzten Jahren stark an Fahrt gewonnen und ist dabei, zentraler Ausgangspunkt bei der Entwicklung komplexer Systeme zu werden. Viele Unternehmen verfolgen diesen Ansatz und verbinden damit hohe Erwartungen. Da das Thema aber aus vielen verschiedenen Richtungen getrieben wird, herrscht häufig große Unsicherheit, was sich hinter MBSE konkret verbirgt. Teil 3 unseres SE-Glossars bringt Licht ins Dunkel.

Sascha Ackva ist Mitglied des Vorstands, Christian Tschirner ist Bereichsleiter Kommunikation der GfSE

Inhaltsverzeichnis

1. Konsistente Datenbasis als Grundlage
2. MBSE als wachsender Werkzeugkoffer
3. Anwender zusammen bringen
4. Zu dieser Rubrik

 

INCOSE definiert MBSE als die formalisierte Anwendung der Modellierung von Systemen zur Unterstützung sämtlicher Prozesse und Aufgaben im gesamten Produktlebenszyklus. Das umfasst etwa die Herausarbeitung von Kundenwünschen, die Beschreibung von Systemanforderungen, Modulspezifikationen und anderem, aber auch die Unterstützung von Design, Analysetätigkeiten sowie Verifikation und Validierung.

Um Missverständnissen vorzubeugen: MBSE ersetzt nicht die etablierten Aktivitäten der Systemarchitekten und Fachdisziplinen – es stellt sie auf eine neue Basis, erlaubt die reibungslosere Zusammenarbeit, schafft mehr Transparenz und ermöglicht im Idealfall eine Entwicklung nach dem Prinzip ‚1st Time Right’.

Systems Engineering versteht sich als Klebstoff zwischen allen, an einem Projekt beteiligten Disziplinen: Der Systems Engineer unterstützt schon bei der Identifikation von Kundenanforderungen und übersetzt diese in technische Anforderungen, arbeitet die notwendigen Funktionen heraus und wählt die hierfür geeigneten Komponenten – um nur einige Aufgaben dieser hochanspruchsvollen Rolle zu nennen. Ergebnis ist eine robuste Systemarchitektur und Spezifikation. Hierauf aufbauend starten die Fachdisziplinen mit der Ausarbeitung ihrer Gewerke, welche der Systems Engineer integriert. Nun sind heutige Erzeugnisse anspruchsvolle High-Tech-Produkte, deren Komplexität ein Einzelner nicht mehr überblicken kann. Eine kleine Änderung an einer Komponente hat unter Umständen nicht erkannte Auswirkungen auf andere Komponenten. Schlimmstenfalls verhindert das die erfolgreiche Systemintegration oder verursacht katastrophale Schäden im Systembetrieb. Der Systems Engineer muss also das Zusammenspiel der Komponenten untereinander und mit ihrer Umgebung sowie die Zusammenhänge mit Anforderungen und Nachweisführungen von Beginn an eindeutig verstehen – bei aller Intransparenz mechatronischer Systeme. Rein textuelle Spezifikationen, Abhängigkeitsmatrizen in Tabellen und Architekturbeschreibungen in Präsentationsform können den Bedarf an konsistentem, nachvollziehbarem Systemverständnis nicht abdecken. Durchdachte Modellierungstechniken helfen dabei, diese Zusammenhänge zu erfassen und die Auswirkungen von Änderungen im System frühzeitig zu erkennen (Bild 1).

Genau hier setzt MBSE an: MBSE fungiert quasi als Brandbeschleuniger im Systems Engineering. Mit seinen Modellierungsansätzen zur Beschreibung des Systems ist es einerseits das richtige Werkzeug für die Aufgaben des Systems Engineers und gleichzeitig eine willkommene Ergänzung für die Arbeit der Fachdisziplinen. Allgemein wird Modellierung im Zeitalter des CAE heute von Entwicklungsingenieuren der verschiedenen Fachgebiete angewendet, um die notwendige Präzision und Reife in ihre Gewerke zu bringen. MBSE ergänzt diese Ansätze und bringt die Präzision, Reife und Digitalisierung der Arbeitsprodukte auf die Systemebene, wo Ingenieure nicht mit ‚greifbaren’ Gegenständen, sondern mit abstrakten Systemelementen umgehen.

Konsistente Datenbasis als Grundlage

Eine konsistente Datenbasis ist die Grundlage für erfolgreiches MBSE. Die Modellierung wird durch eigens entwickelte Sprachen ermöglicht. Bekannt ist die standardisierte Systems Modeling Language (SysML), aber es existieren auch viele andere, wie etwa die Lifecycle Modeling Language (LML). Neben der Notation sind zudem eine auf das Entwicklungsproblem abgestimmte Methode und Werkzeugkette notwendig. Zusammen wird mit ihnen eine einfache, graphische und disziplinunabhängige Systemdarstellung geschaffen – vorstellbar als ‚Mechatronische Zeichnung’ (Bild 3), wobei das natürlich viel zu kurz greift, aber die Grundidee gut ausdrückt. MBSE hat mit seinen Systemdarstellungen (Bild 2) das Potenzial, die Kommunikation über die Disziplingrenzen hinweg erheblich zu erleichtern und so für ein gemeinsames Verständnis zu sorgen. Der Clou ist aber, dass mit der Erstellung von Diagrammen gleichzeitig eine konsistente Datenbasis von miteinander verbundenen Artefakten erzeugt wird. Diese Daten können mit anderen Modellen verknüpft werden und erlauben die automatisierte und konsistente Generierung von auf einzelne Nutzerbedürfnisse angepassten Sichten. Der sich durch das Datenmodell ergebende Anstieg an Konsistenz und Verständnis vermindert effektiv Fehler über sämtliche Entwicklungsphasen.

Automatische Prüfungen des erzeugten Modells sichern die Korrektheit und Konsistenz der Systemarchitekturbeschreibung. Toolerweiterungen und Automatisierung erlauben dem Ingenieur die Konzentration auf die wesentliche Entwicklungsarbeit, anstatt Zeit mit nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten zu vergeuden. Einmal geschaffene Modellartefakte können in weiteren Projekten wiederverwendet werden. Schnittstellen zwischen den Anwendungen und dem Produktdaten Management (PDM) werden zukünftig eine saubere Prozessintegration unterstützen. Mit so einem Workflow Management ist MBSE ein weiterer Schritt hin zur vollständigen Digitalisierung der Produktentwicklung.

MBSE als wachsender Werkzeugkoffer

Es gibt heute nicht die eine MBSE-Methode oder das Tool, das alle Anwendungsfälle abdeckt. Manche MBSE-Methoden konzentrieren sich auf strukturelle und funktionale Aspekte, andere decken nur schmale Bereiche ab. Daher darf man MBSE nicht als einen einzelnen Prozess, Methode oder Werkzeug betrachten, sondern vielmehr als Werkzeugkasten mit verschiedenen Vorgehensweisen. Je nach Bedarf muss die richtige Unterstützung ausgewählt – und manchmal noch geschaffen werden. Die volle Breite möglicher Verbesserungen durch MBSE sind bislang ‚out-of-the-box’ von keinem Toolhersteller darstellbar – was aber auch nicht schlimm ist. Schließlich müssen die Methode und das Tool mit den jeweiligen Erweiterungen zumindest in Teilen an die Anforderungen und Einsatzbedingungen des Unternehmens angepasst werden. Dies erklärt auch, warum eine Tool- und Notationsschulung allein nicht ausreichen. Wichtig ist vor allem ein grundlegendes SE-Verständnis bei allen Beteiligten.

Anwender zusammen bringen

Die GfSE stärkt das MBSE branchenunabhängig. Der Austausch von Erfahrungen rund um die Modellierung, die Anwendung und den Nutzen ist eine der Hauptaufgaben der GfSE. Innerhalb der GfSE existieren dazu die Arbeitsgruppen MBSE, FAS, Sys(S)ML und PLM4MBSE. Das Tool Vendor Project (TVP) am Tag des Systems Engineering (11.-13. Nov. 2015 in Ulm) zeigt zudem den aktuellen Leistungsstand namhafter Werkzeughersteller anhand eines einheitlichen Beispiels.


Info

Zu dieser Rubrik

‚In erster Linie geht es um Kommunikation‘ – das war der Titel der Titelstory der ersten Ausgabe der develop3 systems engineering, heute KEM Systems Engineering. Tatsächlich wird die Bedeutung von Kommunikation in Projekten häufig unterschätzt. Projekte sind heute höchst interdisziplinär und im Regelfall über Zeitzonen, Kulturkreise und Sprachräume verteilt. Die präzise und konsistente Verwendung von Begriffen wird somit zur Schlüsselkompetenz. Eine der ersten Aufgaben des Systems Engineers im Projekt ist deshalb die Schaffung eines Vokabulars, das eine eindeutige Kommunikation fördert. Zur Unterstützung dieser Aufgabe veröffentlichen wir in enger Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Systems Engineering (GfSE) e.V. in jeder Ausgabe der KEM Systems Engineering Definitionen zu relevanten Begriffen des Systems Engineerings; Ausgangspunkt hierfür ist die deutsche Übersetzung V. 3.2.2 des Handbuchs Systems Engineering des International Council on Systems Engineering (INCOSE).

kem.redaktion@konradin.de

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