Inhaltsverzeichnis
1. Die Akzeptanz von SPE am Markt
2. Vorteile und Mehrwert von Single Pair Ethernet (SPE)
3. Unterschiede und Gemeinsamkeiten von APL und SPE
4. Starthilfe für SPE in der Praxis
Die Akzeptanz von SPE am Markt
KEM Konstruktion: Über Single Pair Ethernet wird nun schon seit einiger Zeit diskutiert, doch wie steht es um die Akzeptanz im Markt? Gibt es Gründe für das gefühlt eher zögerliche Interesse vieler Marktteilnehmer?
Marc Braun (Escha): Bei Escha sind wir der festen Überzeugung, dass die Single-Pair-Ethernet-Technologie – mit allen ihren Vorteilen für die Anwender – der Kommunikationsstandard der Zukunft sein wird. Während aktuelle industrielle Kommunikationsnetzwerke noch einigermaßen fehlertolerant sind, werden sich Produktionsprozesse, wie sie in Industrie 4.0 oder IIoT angedacht sind, nur über eine sichere und zuverlässige Datenübertragung realisieren lassen. Die Anforderungen an die Netzwerkperformance steigen stetig und die Infrastruktur muss auch in Grenzbereichen leistungsfähig sein. SPE wird dafür ein wesentlicher Baustein sein. Allerdings stehen wir noch ganz am Anfang. Der Technologiewandel hat gerade erst begonnen und die Verfügbarkeit von Geräten und Bauteilen ist dementsprechend übersichtlich. Aber wir sehen bei unseren Kunden großes Interesse, sich mit gemeinsamen Lösungen auf diesen Technologiewandel vorzubereiten.
Jonas Diekmann (Harting): Das Interesse der Automatisierungsbranche an Single Pair Ethernet ist tatsächlich sehr groß. Diesen Eindruck haben wir in den vergangenen Jahren in zahlreichen Webinaren und Kundengesprächen klar bestätigen können. Die Branche hat klar den Bedarf an einem Physical Layer SPE. Kommunikationsprotokolle auf Ethernet-Basis oder Feldbusse, die auf Ethernet basieren, haben schon einen guten Teil der Feldebene erschlossen. Trotzdem gibt es immer noch weiße Flächen auf der Landkarte der smarten Feldverkabelung. SPE schafft, was bisher kein anderes System bietet: Es ist platzsparend, ressourcenschonend, reicht bis in jeden Winkel und an jeden Sensor – gleichzeitig können Übertragungsraten, Leistungsübertragung und Entfernungen realisiert werden, die sonst aus verschiedenen Systemen kombiniert werden müssten. Das ‚gefühlte‘ Zögern der Branche begründet sich darin, dass nicht einfach nur ein neuer Stecker, ein neues Kabel, Chips, Filter und andere Hardware entwickelt werden müssen. Sie müssen aktuell auch lieferbar sein, nur um bei physischen Komponenten zu bleiben. Das Ecosystem rund um SPE bedingt auch die Definition von Standards. Standards für die Hardware, für Protokolle und für Leistungsübertragung. Wenn diese Grundlagen gegeben sind, müssen Gerätehersteller in die Entwicklung gehen, erst wenn Geräte verfügbar sind, können ganze Automatisierungskonzepte neu mit SPE nach und nach umgesetzt werden. Dieser Prozess braucht seine Zeit, ein Zögern ist das aus unserer Sicht nicht.
Manuel Eckstein (Wieland Electric): Es haben sich zwei Zusammenschlüsse von Firmen gebildet, die an der Definition von Standards für SPE arbeiten – die SPE System Alliance und das SPE Industrial Partner Network. In beiden Gruppen sind Firmen vertreten, die aufgrund ihrer Größe die Geschicke des Marktes lenken werden. Da noch unklar ist, wer sich durchsetzen wird und somit auch unklar ist, welche Standards sich am Markt etablieren werden, ist es für Gerätehersteller ein Risiko, Geräte zu entwickeln, die den Richtlinien der einen oder anderen Gruppe folgen. Im Shopfloor oder Gebäude sehen wir, im Gegensatz zum Automotive-Bereich, aktuell noch keine Anwendungen, was sich aber voraussichtlich bald ändern wird. Die großen Industriekonsortien, wie die ODVA und die PNO haben sich 2021 bereits mehr oder weniger zu dieser neuen Technologie bekannt, was Investitionen bei der Komponenten- und Geräteentwicklung fördern wird.
Andreas Hennecke (Pepperl+Fuchs): Es gibt erste Produkte am Markt, doch der große Durchbruch fehlt aktuell. Dies muss aber nicht notwendigerweise am geringen Interesse der Marktteilnehmer liegen. Produktentwicklungen dauern, vor allem wenn es sich um neue Technologien handelt, die erprobt werden müssen. Zusätzlich sind viele Technologie- und Produkt-roadmaps in den Firmen definiert, lange bevor Single Pair Ethernet in aller Munde war. Ein weiterer Grund kann in der aktuellen Mangelwirtschaft liegen, in der viele Entwicklungsabteilungen damit beschäftigt sind, Second Sources zu testen und in bestehende Produkte einzudesignen, anstatt sich auf Neuentwicklungen zu konzentrieren. Vermutlich hat auch die Absage der SPS zu einer zusätzlichen Verlangsamung der Verbreitung geführt, da auf der Fachmesse sehr viele Anbieter mit eignen Produkten aufwarten und die Besucher überraschen wollten. Wenn man wie in Gebäuden oder der Fabrik Ethernet schon einsetzt, dann ist der Technologiesprung nicht so groß, wie das für die Prozessindustrie der Fall ist. Dies begründet das große Interesse der Prozesswelt. Ein weiterer Grund kann in der fehlenden Investitionssicherheit durch zwei konkurrierende Steckverbinderlösungen vermutet werden. Hier können Verbände wie Profinet International Klarheit schaffen, indem sie einheitliche Regeln aufstellen, den neuen Physical Layer in die Guidelines mit aufnehmen und die Anschlusstechnik eindeutig spezifizieren.
Johannes-Josef Lentzen (Friedrich Lütze): Das Positive zuerst: Die passiven Komponenten, also Kabel und Steckverbinder sind verfügbar. Beim Thema Steckverbinder gibt es jedoch noch Klärungsbedarf, hier konkurrieren der T1 Industrial nach IEC 63171-6 (IP20 und IP67) und die Varianten nach IEC 63171-2 (IP20) bzw. IEC 63171-5 (IP67). Die größte Unterstützung bekommt aktuell die Lösung nach IEC 63171-6. Die Friedrich Lütze GmbH ist Mitglied im SPE Industrial Partner Network, das diesen Standard propagiert. Zunehmend gibt es auch positive Meldungen aus der Aktivwelt. So sind beispielsweise erste Switche vorgestellt worden. Meiner persönlichen Meinung nach verzögert, neben der Unsicherheit bezüglich des Steckverbinders, aber auch die aktuelle Situation mit Versorgungsschwierigkeiten bei inzwischen fast allen Grundstoffen bis hin zu Halbleiterchips in vielen Unternehmen die Einführung neuer Technologien und so auch von SPE.
Simon Seereiner (Weidmüller): Single Pair Ethernet ist eine neue Technologie, die Ethernet bis an die Sensorebene bringen wird. Da ist es nur normal, dass Anwender erst einmal eine gewisse Zeit brauchen, bevor diese adaptiert wird. Das ist verständlich und nachvollziehbar. Und ja, es ist auch richtig, dass noch keine komplett durchgängige Produktpalette zur Verfügung steht. Wir sehen aber enorme Entwicklungsschritte z. B. im Bereich der Netzwerkkomponenten, bei Kabelherstellern oder in der Sensorik. Auch die verschiedenen Nutzerorganisationen beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Es werden dieses Jahr so viele Produkte gelauncht, dass SPE richtig Fahrt aufnehmen wird. Sicherlich wird sich SPE nicht von heute auf morgen durchsetzen, die Vorteile liegen aber einfach auf der Hand und werden überzeugen.
Ralf Moebus (Lapp): Wir empfinden das Interesse überhaupt nicht als zögerlich. Ganz im Gegenteil: Weltweites Interesse und Informationsbedürfnis der Kunden sind enorm. Die Tatsache, dass sich nahezu alle namhaften Hersteller von Automatisierungssystemen mit SPE beschäftigen, bestätigt die Relevanz der Technologie. Um den Zeitrahmen beurteilen zu können, muss man die üblichen Phasen der Marktadaption einer neuen Technologie in der Industrie betrachten: Dazu gehört es, für die Ethernet-Technologie-Normen zu entwickeln. Das geschieht durch die Arbeitsgruppen der IEEE. Weiterhin ist es erforderlich, Komponenten wie Chips, Stecker, Kabel usw., zu entwickeln und die Komponenten zu normieren. Aufgabe der Nutzerorganisationen ist es, Anwendungs- und Installationsnormen für die Industrie zu definieren. Danach kann die Implementierung der Komponenten in Systeme (Switches, Sensorik, Remote-IO) und die Anwendung von SPE durch Maschinen- und Anlagen-Hersteller folgen. Viele Akteure sind daran beteiligt, und umfangreiche Aufgaben sind zu lösen, bis SPE in der ersten Anwendung zu sehen ist. Aktuell sind wir in der Phase Normung und ersten Implementierungen. Wir erwarten noch dieses Jahr erste Anwendungen. Durch unsere Mitarbeit im SPE Industrial Partner Network wollen wir die Marktdurchdringung beschleunigen, sowie die Entscheidung für einen Steckerstandard IEC 63171-6 forcieren. Bereits jetzt informieren wir unsere Kunden über die Vorzüge und Eigenschaften der SPE-Technologie in Webinaren und Whitepaper.
Andreas Muckes (Igus): Stabilität und Kontinuität, das sind meines Erachtens wesentliche Gründe, warum das Interesse momentan etwas geringer ist. Denn gerade in Zeiten, in denen es viele Risikofaktoren wie Materialknappheit, steigende Preise oder die Coronasituation gibt, setzen viele Unternehmen eher auf das, was sie kennen. Dann einen Technologiewechsel zu initiieren und damit neue Herausforderungen zu bewältigen, ist erst einmal eine zusätzliche Hürde. Vor allem, wenn man derzeit andere Prioritäten wie Lieferverfügbarkeit hat. Natürlich gibt es mindestens ebenso viele Chancen, die es aufzuzeigen gilt. Allerdings ist durch den Wegfall vieler Messen und persönlicher Gespräche auch leider die Möglichkeit zur Inspiration für kreative Anwendungen ein wenig abhandengekommen.
Verena Neuhaus (Phoenix-Contact): Das Interesse an Single Pair Ethernet ist weiterhin sehr hoch. Aufgrund seines Potenzials für die industrielle Kommunikationsinfrastruktur und das IIoT wird das Thema immer noch heiß diskutiert. Etwas ausgebremst wurde es dadurch, dass Halbleiter für die entsprechenden Standards teilweise am Markt nicht oder nur sehr begrenzt verfügbar waren. Für die Erprobung der ersten Geräte werden neben diesen Halbleitern auch die Komponenten wie Steckverbinder und zweiadrige Kabel benötigt. Die Einzelteile sind also mittlerweile verfügbar, jetzt geht es darum, die ersten Geräte aufzubauen. Eine breite Masse an Komponenten und Geräten ist derzeit noch nicht verfügbar, aber die Anzahl wächst stetig. Wir sprechen hier eher von einem Langstreckenlauf als von einem Sprint bei der Implementierung von SPE in die industrielle Kommunikations-Infrastruktur. Zudem sind einige neue IEEE-Standards, die eine noch breitere Basis an Applikationen ansprechen, noch nicht verabschiedet, bzw. noch in der Definition.
Sebastian Richter (Murrelektronik): In der Prozessindustrie war es schon längst an der Zeit, dass ein Ethernet-basiertes System die heutigen Subsysteme wie Profibus oder HART ablöst. Der Wunsch nach durchgängiger Kommunikation, höherer Funktionalität und mehr Diagnosemöglichkeiten wird hier durch SPE Realität. Das Interesse ist in der Prozessindustrie derzeit somit wesentlich größer als in der Fabrikautomation. Im Unterschied zur Prozessindustrie sprechen Anlagen und Maschinen bereits größtenteils durchgängig Ethernet. Die Auswahl an Lieferanten mit verfügbaren Geräten und Komponenten ist entsprechend groß. Hier ist es auf Kunden- sowie Lieferantenseite schwieriger, den aktuellen Mehrwert der SPE-Technologie herauszustellen oder den Technologiewandel zu vollziehen.
Chen Zhang (Belden): Single Pair Ethernet (SPE) ist eine radikale, disruptive Technologie. Das bedeutet in der Regel eine revolutionäre, überlegene und überzeugende Leistung, die jedoch nicht rückwärtskompatibel zu den alten Produkten oder Technologien ist. Die Bereitschaft, eine neue Technologie einzuführen, hängt von der Reife des gesamten SPE-Ökosystems ab. Erst wenn ausreichend Endgerätehersteller ihre SPE-basierenden Produkte anbieten und wenn bei den Herstellern von Steckverbindern ein Konsens erzielt wurde, wächst die Akzeptanz. Fehlenden Komponenten oder die falsche Ausrichtung bergen Risiken und werden zum Engpass für den Endkunden, der die SPE-Technologie einführen möchte. Ein möglicher Grund dafür ist die Schwierigkeit die Marktgröße und Akzeptanz im Vorfeld abzuschätzen, auch wenn die Technologie vielversprechend erscheint. Sobald die Gerätehersteller die neue SPE-Technologie übernehmen und integrieren, werden sie ihre Hard- und Software für die nächste Generation von SPE-basierten Produkten schrittweise weiterentwickeln. Dann kann der Systemintegrator oder Maschinenbauer Anwendungen für die verschiedenen Teilbereiche erstellen und dem Endkunden einen Mehrwert bieten. Wir bei Belden sind überzeugt, dass diese überlegene Technologie schon sehr bald der Standard in der Feldebene sein wird.
Vorteile und Mehrwert von Single Pair Ethernet (SPE)
KEM Konstruktion: Worin liegen konkret die Vorteile, quasi eine Vierdrahtleitung durch eine Zweidrahtleitung zu ersetzen, auch im Hinblick auf die entstehenden Kosten? Um SPE in der Praxis einzuführen, muss für die Anwender ein Mehrwert erkennbar sein. Worin besteht dieser im Einzelnen?
Falko Bilz (Wieland Electric): Prinzipiell sind SPE-Kabel leichter, dünner, günstiger und einfacher zu verlegen, da weniger Adern im Kabel geführt werden müssen. Außerdem führt der Einsatz von speziellen SPE-Steckern zu einer höheren Zuverlässigkeit bei der Verbindungstechnik und dem IP-Schutz. Ein weiterer Vorteil ist die Geschwindigkeitssteigerung etwa um den Faktor 40 gegenüber IO-Link und Faktor 10 zu Canopen. In der IEEE 802.3 sind z.B. Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mit 15 m ungeschirmtem Kabel bei 1 GBit bis hin zu 1 km geschirmt bei 10 MBit spezifiziert. Hinzu kommt, dass mit Power over Data Line (PoDL) auch bis zu 50 W elektrische Leistung mit dem Adernpaar übertragen werden können. (Mit 10BASE-T1S gibt es zudem einen echten Bus für bis zu 50 Teilnehmer, die im Multidrop-Konzept direkt auf die Datenleitung gesteckt werden können). Trotz der Vorteile sehen wir keinen Austausch von bestehenden Leitungen, eher die Nutzung vorhandener Verdrahtung mit SPE.
Braun: Single Pair Ethernet ermöglicht auf Basis einer standardisierten Schnittstelle den Aufbau effizienter Netzwerk- und Verkabelungsstrukturen. Und zwar von der Sensorik über die Steuerungs- und Unternehmensebene bis in die Cloud. Durch SPE wird die Feldebene erstmals smart und der Aufwand hinsichtlich Parametrierung, Initialisierung und Programmierung wird reduziert. Unter dem Strich werden Aufbau, Betrieb und Wartung von Anlagen effizienter und kostengünstiger. Durch die Reduktion auf zwei Adernpaare entsteht zudem eine kompakte und gewichtssparende Infrastrukturlösung für Maschinen oder Roboter. Während die Leitungen flexibler werden und dank kleinerer Biegeradien in der Feldebene einfacher verlegt werden können, bieten die M8- und M12-Steckverbinder eine kompakte Schnittstellen-Lösung.
Diekmann: SPE ersetzt nicht bestehende Ethernet-Strukturen auf vier oder acht-adriger Basis. Es ersetzt, wenn schon, Feldbusse oder bringt Ethernet in Bereiche, die heute noch nicht angebunden sind. Aus finanzieller Sicht ist es also nicht notwendig und aus technischer Sicht auch wenig sinnvoll, bestehende Ethernet-Infrastruktur mit SPE zu ersetzen. Aktuelle Gigabit-Infrastruktur mit acht Adern bietet eine Übertragungslänge von 100 m für bis zu 10 Gbit/s. Dieselbe Datenrate ist bei SPE auf aktuell 15 m limitiert, macht also wenig Sinn. SPE ist wirklich sinnvoll auf der sprichwörtlichen ‚letzten Meile‘ einzusetzen. Der klare Mehrwert von SPE ist die durchgängige Ethernet-Kommunikation vom Sensor bis in die Cloud. Ohne Gateways, ohne Systembrüche, dafür mit der Möglichkeit von Echtzeitübertragung via TSN und einem einheitlichen Standardprotokoll OPC UA. Es ist keine aufwendige Abstimmung und Parametrierung von verschiedenen Systemen erforderlich. Durch die Möglichkeiten, höhere Datenraten, Powerversorgung via PoDL IEEE 802.3 bu mit gleichzeitig reduzierter Infrastruktur zu bewerkstelligen, eröffnet ganz neue Anwendungsmöglichkeiten in der Automatisierung.
Roland Gubbels (Pepperl+Fuchs): Vorteile liegen in der Platzersparnis, im Gewicht und wahrscheinlich einer längeren Lebensdauer der Leitungen im stark bewegten Einsatz, wie etwa in Roboter-Applikationen. Ein großer Nutzen entsteht bei der Installation. Es ist im Feld einfacher, zwei Adern plus Schirm aufzulegen, als heute 4 oder sogar 8 Adern in einen RJ45- oder M12X-kodierten Stecker zu konfektionieren und dabei auf eine solide Schirmanbindung zu achten. Gerade diese Komplexität bei den 8-adrigen Komponenten macht die Feldkomponenten technisch aufwändig und anspruchsvoll. Hier sehe ich einen deutlichen Vorteil für SPE auch bei den Kosten für die Komponenten und der Installation. Einhergehend mit der Reduzierung der Anzahl von Komponenten und dem kleineren Footprint der Übertrager, PHYs und Steckverbinder, können kleinere Sensoren, Switche und Feldmodule entwickelt werden. Das ist sicher ein sehr wichtiges Argument für SPE, zumal in der Kombination von Versorgung und Kommunikation über eine Leitung ein weiterer Steckverbinder wegfallen kann. In der Gebäudeautomation kann mit SPE ein Ethernet-basiertes System bisherige proprietäre Systeme ersetzen. Mit diesem Schritt erhielte man eine durchgängige Ethernet-Kommunikation vom Smart-Home-Device bis in die Cloud. Vorstellbar wären dann zentrale Steuerungen von Heizungen, vielleicht sogar kleinen Blockheizkraftwerken, die von der aktuellen und vor allem von der vorhergesagten Wetterlage geführt werden können. Dies wäre ein guter Weg den CO2-Ausstoß weiter zu reduzieren.
Sascha Lambacher (Weidmüller): Einer der größten Vorteile von SPE ist die transparente, durchgängige Kommunikation, für die keine Gateways benötigt werden. Noch werden diese in allen Bereichen, sei es im Gebäude oder der Fabrik-Automatisation, benötigt, mit SPE fallen diese weg. Dazu kommen die Vorteile: Miniaturisierung, einfache Anschlusstechnik, weniger Kupferbedarf oder die Eigenschaft, gleichzeitig Daten und Energie in einer Leitung zu übertragen. SPE erschließt auch Bereiche, die bisher nicht durch Ethernet abgedeckt werden konnten. So sind mit SPE-Übertragungsstrecken bis zu 1 km auf 10 Mbit-Basis machbar. Das wird die Anlagentopologie verändern, da einfach keine Signalauffrischung mehr benötigt wird. Und für uns natürlich wichtig, das einfache und kompakte Steckgesicht nach IEC63171-2 und IEC63171-5.
Lentzen: Allein von der möglichen Performance bzgl. Datenrate und Streckenlänge sehe ich Single Pair Ethernet als Ergänzung zu bestehenden Ethernet-Netzwerken und nicht als Ersatz. So ermöglicht die Superflex-SPE-PUR-Leitung nun auch Schleppkettenanwendungen mit einer Vielzahl von Vorteilen. Mit ihrer einheitlichen Verkabelungsstruktur und ihren standardisierten Übertragungsprotokollen (TCP/IP) macht die Technologie die Einbindung in bestehende Netzwerke einfacher. Bei Nutzung von PoDL ermöglicht SPE die gleichzeitige Übertragung von Daten und Strom über ein einziges Kabel. Dadurch ergeben sich zusätzlich ein reduziertes Gewicht und Platzersparnis in der Kette sowie ein verminderter Installationsaufwand. Dank des durchgängigen Einsatzes des TCP/IP-Protokolls profitiert die Automatisierungstechnik von einer Vielzahl neuer und flexibler Anwendungsmöglichkeiten, zum Beispiel die Anbindung von Sensoren und Aktoren.
Moebus: Es gibt zahlreiche Vorteile. Es beginnt mit der Zeitersparnis bei der Installation. Das ist wichtig bei der Installation im Feld und reduziert Fehler. Zudem haben SPE-Kabel bessere dynamische Eigenschaften, etwa bei Biegung und Bewegung in Schleppketten oder Torsion bei der Robotik. Hinzu kommt die Platzersparnis. Alles wird kleiner: die aktiven Komponenten, die Stecker aber auch Kabelkanäle und Schaltschränke können durch dünnere Kabel kompakter werden. Weil nur zwei Kupferadern anstatt 4 oder 8 im Kabel beziehungsweise 2 Kontakte im Stecker benötigt werden, ist weniger Material erforderlich, was auch die Kosten senkt. Ganz wichtig sind aber auch die verbesserten Eigenschaften. SPE erweitert die Systemgrenzen auf bis zu 1000 m Leitungslänge im Vergleich zu 100 m bei bisherigem Ethernet. Die Übertragung von Leistung per PoDl (Power over Dataline) kann, wo erforderlich, über das gleiche Kabel erfolgen. Ein weiterer Aspekt ist die Wirtschaftlichkeit: Bisher war die Implementierung von Ethernet in Komponenten wie der Sensorik zu teuer. Mit SPE sind Smarte Sensoren mit Kommunikation zur Cloud sowie die Erfassung von umfangreicheren Prozessdaten und Konfiguration und Diagnose möglich.
Muckes: Die SPE-Leitungen sind dünner und leichter. Und auch die Stecker sind kompakter und robuster. Gerade, wenn ich in meiner Maschine wenig Bauraum zur Verfügung habe, ist das ein klarer Vorteil gegenüber herkömmlichen Lösungen.
Neuhaus: SPE hat seine Stärken bereits im Automotive-Sektor gezeigt. Dort spricht man vom Automotive Ethernet und man hat schnell erkannt, dass ein durchgängiges Kommunikationsprotokoll statt vieler verschiedener Feldbussysteme viele Vorteile mit sich bringt. Zum einen spart man Kosten für Gateways, zum anderen vereinfacht das Automotive Ethernet Verkabelung und spart Gewicht. Viele dieser Vorteile lassen sich auch auf industrielle Anwendungen übertragen. Das IIoT bringt immer mehr Kommunikationsteilnehmer, die miteinander vernetzt werden wollen. Und SPE bringt viele Vorteile im Bereich der industriellen Kommunikation in diese neue vernetzte Welt. Da wäre zum einen die Miniaturisierung, die Durchgängigkeit des Kommunikationsprotokolls vom Sensor bis zur Cloud, die größere Reichweite des Ethernet-Protokolls bis zu 1000 m, aber auch die vereinfachte Verkabelung mit nur zwei Adern und die Möglichkeit, gleichzeitig Energie und Daten zu übertragen.
Richter: Mit Blick auf höhere Datenraten wird der Vorteil von SPE noch stärker deutlich als im Bereich des 100 Mbit/s-Ethernet. Für Gigabit-Anwendungen sind heute vier Aderpaare notwendig. Dies bedeutet für Anwender und Hersteller konfektionierter Leitungen, einen sehr hohen Aufwand und ein großes Maß an Genauigkeit beim Anschluss der Steckverbinder. Der zur Verfügung stehende Bauraum ist gerade bei M12-Steckverbindern begrenzt und jede Ungenauigkeit bei der Konfektionierung bedeutet Performance-Verluste. Hier zeigt die SPE-Zwei-Draht-Technologie ihre wahre Stärke, denn zwei Adern anzuschließen ist wesentlich einfacher, schneller, fehlertoleranter und damit küstengünstiger. Zusätzlich eröffnen sich Möglichkeiten in Bezug auf Hybrid-Steckverbinder, indem man den gewonnenen Bauraum im Steckgesicht für eine integrierte Spannungsversorgung nutzt. Daten und Power sind in einem Steckverbinder integriert, was den Installationsaufwand abermals reduziert.
Zhang: Das Ersetzen der bestehenden Netzwerk-Infrastruktur durch SPE bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich. Dazu gehören geringere Investitionskosten, eine Gewichtseinsparung, kleinere Bauformen, eine einfachere Wartung sowie eine vereinfachte Netzwerkstruktur. Der wesentliche Vorteil aber liegt in der IT/OT-Konvergenz, die den Übergang vom Sensor zur Cloud ermöglicht. Je nach verwendetem Kabel liegen die Kosteneinsparungen zwischen 10 % und 40 %. SPE-Kabel haben einen um 30 % reduzierten Außendurchmesser und einen um 30 % verbesserten Biegeradius. Die bedeutendsten Kosteneinsparungen bei den Investitionen ergeben sich jedoch aus den neuen Netztopologien durch den Wegfall von Gateways. Die Einsparungen an Gewicht und Bauform werden in den verschiedenen Branchen unterschiedlich bewertet. In der Fabrikautomatisierung beim Einsatz von vernetzten Sensoren mit Robots/Cobots und Steuerungen, bietet die durchgängige Kommunikation vom Sensor bis zu Cloud enorme Vorteile. Beim Einsatz in Zügen wiederum dürfte die Gewichtseinsparung, kleine Biegeradien und vereinfachte Netzwerktopologie eine große Rolle spielen. Da die verwendeten Protokolle auf Ethernet basieren, bieten SPE-Geräte im Vergleich zu Feldbusgeräten erheblich mehr Möglichkeiten im Bereich Diagnose, Fehlerbehebung und durchgängige Konfiguration des Netzwerks bis zum Endgerät. Der Kunde kann durch den Einsatz einer Ethernet-basierten Kommunikation auf bestehende Technologien und Standards im Bereich der Netzwerksicherheit und Zeitsynchronisation setzen.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten von APL und SPE
KEM Konstruktion: Die Prozessindustrie ist mit APL einen Schritt weiter. Erste Geräte sind verfügbar und die Hersteller haben konkrete Roadmaps zu Produkten und Feldgeräten veröffentlicht. Worin unterscheiden sich die Anforderungen von Prozessindustrie und Fabrikautomation?
Diekmann: Prozessindustrie und Fabrikautomatisierung lassen sich nicht miteinander vergleichen. Die Prozessindustrie hatte aufgrund der notwendigen Übertragungslängen, Übertragungsgeschwindigkeiten und Speisespannungen schon immer einen Sonderweg bei der Infrastruktur. Ethernet spielte dabei lange Zeit keine Rolle. Über APL möchte man nun Ethernet überhaupt erst für die Prozessindustrie nutzbar machen. Dabei ist klar zu sagen: APL ist nicht gleich SPE. Die technischen Anforderungen sind verschieden in Datenrate, Linklänge und Spannungsversorgung. In der Factory Automation ist SPE eine sinnvolle Erweiterung, ein zusätzlicher Physical Layer, in einer ohnehin schon von Ethernet dominierten Kommunikations-Struktur. SPE ist für die Factory Automation eine zusätzliche Option, Ethernet in neue Bereiche zu bringen. An der Kommunikation an sich ändert sich aber nichts. APL und damit Ethernet ist für die Prozessindustrie ein neues Medium, das ganz andere Anforderungen bedienen soll.
Eckstein: Ein ausschlaggebender Unterschied sind die in der Prozessindustrie höheren Anforderungen an die Sicherheit. Hier sei beispielsweise der IEC TS 60079-47 Standard für explosionsgefährdete Bereiche erwähnt. In der Fabrikautomation hat man tendenziell geringere Entfernungen (≤100 m) und höhere Übertragungsraten (10 Mbit/s bis 1 GBits/s), während in der Prozessindustrie Entfernungen bis zu 1000 m überbrückt werden müssen und die Geschwindigkeitsanforderung geringer ist. In der Prozessindustrie spielen Reaktionszeiten sowie die Hard- und Softwareflexibilität bei Umbauten aus unserer Sicht eine geringere Rolle. Umso interessanter ist es, dass gerade die Prozesstechnik mit APL einen neuen Meilenstein vorgelegt hat, mit dem sie die kommenden Jahrzehnte bei ihren Kommunikationsverbindungen auf der sicheren Seite ist.
Hennecke: Prozess- und Fabrikautomation unterscheiden sich in praktisch allen Hauptmerkmalen: In der Prozessindustrie sind die Wege länger, die Umgebungen rauer, die Anforderungen für den kontinuierlichen Betrieb höher, und man benötigt den Explosionsschutz mit Eigensicherheit. Daraus ergibt sich auch ein sehr starkes Bedürfnis nach extrem robuster Technologie und Produkten. Ethernet-APL ist deswegen spezifisch für das Feld der Prozessanlage entwickelt. Tatsächlich kommt der Wunsch nach einem Zweidraht-Ethernet ursprünglich aus der Prozessindustrie. Um Anwendern einen reibungslosen Einstieg zu ermöglichen, stellen die Experten ihr Fachwissen in einer Engineering Guideline zur Verfügung, die von Anwendern editiert und kommentiert wurde.
Lambacher: Von Anwender-Seite aus unterscheiden sich die beiden Anforderungen nicht, sie beruhen auf dem gleichen Standard der IEEE 802.3. Salopp gesagt ist APL Single Pair Ethernet mit Zusatz. Technologisch muss APL allerdings ein ganz spezielles Feature für den Einsatz im Ex-Bereich, beispielsweise für die Öl- und Gas-Industrie, bieten. Das bringt SPE erst einmal nicht mit. APL nutzt ein erweitertes Power Management, um die speziellen Anforderungen an den Explosionsschutz der Prozessindustrie zu erfüllen. Dafür werden unter anderem spezielle Schaltkreise und andere ICs benötigt, die die APL-Komponenten allerdings verteuern und die Übertragungsgeschwindigkeit herabsetzten.
Lentzen: Es besteht folgender Unterschied zwischen Prozessindustrie und Fabrikautomation: Im Bereich der Prozessindustrie werden oftmals vorhandene Applikationen auf diese neue Technologie umgestellt. Ein wesentlicher Treiber dabei ist unter anderem die Profibus-Nutzer-Organisation, die die Vorteile von Ethernet APL mit einer Datenrate von 10 Mbit/s und Leitungslängen bis zu 1.000 m erkannt hat. So lassen sich z.B. Glasfaser-Strecken mit ihrer aufwendigen Technik vermeiden. Erste Aktivkomponenten sind verfügbar und auch das Thema Steckverbinder ist von der PNO mit dem Harting ix Industrial nach IEC61076-3-124 eindeutig definiert.
Moebus: APL basiert auf IEE 802.3 cg, welches 10 Mbit/s über 1000 m erlaubt. Für die Fabrikautomation werden zusätzlich höhere Datenraten, wie bei Profinet 100 Mbit/s, benötigt. Die Fabrikautomation erfordert im Gegensatz zur Prozessindustrie selten Leitungslängen von 1000 m, wodurch hier auch dünnere Aderquerschnitte der Leitungen verwendet werden können. Ein weiterer Unterscheidungspunkt ist die Eigensicherheit, für den Explosionsgefährdeten Bereich, die in der Prozessindustrie benötigt wird. APL verwendet nur Leitungsklemmen anstatt Steckverbinder, wodurch der ganze Prozess der Entwicklung und Standardisierung der Steckverbinder weggefallen ist. Die Prozessindustrie hat niedrigere Anforderungen an die Echtzeitfähigkeit, was generell die kommunikationstechnische Entwicklung der Netzwerkstruktur und Geräte vereinfacht. Nicht zuletzt gibt es in der Fertigungsautomatisierung mehr beteiligte Akteure und Gremien, deren Abstimmung Zeit braucht. Aber sicher sollte man die Arbeit der Arbeitsgruppe würdigen, so schnell zu anwendbaren Ergebnissen gekommen zu sein.
Muckes: Wir sprechen hier von zwei unterschiedlichen Umgebungsbedingungen. Während in der Prozessindustrie zumeist statische Anwendungen zu finden sind, ist bei der Fabrikautomation das genaue Gegenteil der Fall. Gerade diese Dynamik der Anwendungen stellt ganz andere Anforderungen an die Komponenten.
Neuhaus: Die Prozessindustrie hat mit Advanced Physical Layer (APL) einen sehr großen Nutzen durch den bereits verabschiedeten 10BASE-T1L-Standard. Dieser eignet sich für die Daten- und Leistungsübertragung über Distanzen bis zu 1000 m und ist ideal für redundante Netzwerkstrukturen. So werden Power- und Field Switches effizient über Hauptleitungen (Trunk) versorgt und Sensoren und Aktoren sicher über Stichleitungen (Spur) angebunden. Die Anforderungen an die Datenübertragungsraten sind in diesem Standard eher gering – wir sprechen hier über nur 10 Mbit/s, was für viele Anwendungen im Bereich der Prozessindustrie ausreichend ist. Bewährte Steckverbindersysteme, die auch heute schon in diesen Anwendungen zum Einsatz kommen, können auch weiterhin genutzt werden. Auch die Anschlusstechnik für diesen Anwendungsfall ist bereits klar definiert. Phoenix Contact bietet ein großes Portfolio an APL-Klemmen speziell für den Anwendungsbereich in der Prozesstechnik mit Schraub- und Federkraftanschluss sowie RJ45- und Rundsteckverbinder.
Richter: Für die Prozessindustrie bedeutet der SPE-Standard erstmalig die Möglichkeiten einer durchgängigen Ethernet-basierten Kommunikation über alle Bereiche im Unternehmen hinweg. Schnittstellen in Form von Gateways werden überflüssig, weil die heutigen eingesetzten Systeme wie Profibus oder HART durch die Ethernet-basierte SPE-Technologie ersetzt werden. Für die Anwender bringt dies Durchgängigkeit, mehr Performance und einen höheren Funktionsumfang gerade in Hinblick auf Diagnostik. In der Fabrikautomation ist die Ethernet-basierte Kommunikation bereits State of the Art. Der Wandel von Profibus hin zu Ethernet ist seit Jahren im Gange und fast abgeschlossen. Alle Hersteller bieten bereits ein umfangreiches Portfolio an Ethernet-basierten Produkten. Hier gilt es, die Nachteile der bestehenden installierten Basis durch die SPE-Technologie zu lösen, um so das Kundeninteresse zu wecken.
Zhang: Die Verkabelung sowie die Netzwerktopologie für die SPE Technologie sind durch die APL-Gruppe spezifiziert. Die Mitglieder der APL-Gruppe haben das gemeinsame Ziel, ihren Kunden sichere, einfache und effiziente Produktionsprozesse zu ermöglich. Das APL-Projekt geht auf das Jahr 2016 zurück und umfasst die Nutzerorganisation von FieldComm Group, ODVA, OPC Foundation, Profibus&Profinet International sowie zwölf Industriepartner. Die Proof of Concepts, die auf den SPE-Produkten verschiedener Unternehmen basieren, zeigen robuste, praktische Anwendungsfälle, was dem Endkunden hilft, Vertrauen aufzubauen, die Leistung der Feldgeräte zu verbessern und die Betriebskosten zu senken. In der Prozessindustrie müssen eher größere Entfernungen bis zu 1000 m realisiert werden, wobei in der Fabrikautomation in der Produktionszelle die Reichweiten meist geringer als 40 m sind. Bei der Bandbreite genügt der Prozessautomatisierung oft 10 Mb/s während es der Fabrikautomatisierung nicht schnell gehen kann und 1 Gbits/s schon Standard ist.
Starthilfe für SPE in der Praxis
KEM Konstruktion: APL ist ein typischer Use Case. Es gibt bisher jedoch keine bekannten Use Cases in der Fabrikautomation. Welche Infrastruktur- bzw. Hard- und Softwarekomponenten sind aktuell verfügbar? Was fehlt innerhalb des Ökosystems, beispielsweise auch bei der Standardisierung, damit die Technologie zügig den Weg in die Praxis findet?
Bilz: Uns sind erste SPE-Systeme mit Adaptern zu vorhandener Sensorik und Aktorik mit Digital- oder Analogschnittstelle bekannt. Die Standards IEEE 802.3bw, /cg, /bp, /bu, /ch, IEC 63171-1 bis -7 und IEC 61156-13 und -14 gibt es bereits oder sie stehen kurz vor der Vollendung. Aktuell sind uns ebenfalls bereits fünf große Halbleiterhersteller bekannt, die Chips für die SPE-Technologie anbieten. Für die Entwicklung und Produktion von Geräten mit SPE-Funktion sind das sehr gute Voraussetzungen. Was es jetzt braucht sind klare und vor allem abgestimmte Signale der Industriekonsortien, damit sich diese vielversprechende Technologie nicht in Alleingängen oder patentgeschützten Insellösungen verliert.
Diekmann: Das ist so nicht ganz richtig, denn es gibt durchaus Use Cases in der Fabrikautomation. Allerdings läuft die Entwicklung von APL schon deutlich länger als bei SPE und die Ausgangslage für SPE in der Industrie-Automation ist eine andere. In der Automation besteht kein dringender Bedarf für SPE, der eine hastige Einführung erfordern würde. Das Thema wird konzentriert angegangen, erprobt und zuverlässig eingeführt, als zusätzlicher Physical Layer. Die Menge an potenziellen, zukünftigen Anwendungen ist so groß, dass man eine zuverlässige Grundlage schaffen will. Dazu wurden im ersten Schritt viele notwendige Standards für Hardware, Software und Struktur geschaffen, bevor es in die Entwicklung von Komponenten ging. Aktuell sind sowohl Schnittstellen, Kabel, Chips, Magnetics und passende Protokolle verfügbar. Auch erste Geräte sind verfügbar, diese konnte es aber auch erst geben, nachdem die Komponenten lieferbar waren. Das gleiche Prinzip gilt bei Geräten und deren großflächigem Einsatz in einer Branche mit langen Implementierungszyklen für neue Infrastruktur. Nochmal: Ethernet ist in der Factory Automation schon heute dominanter Standard der Übertragung, SPE erweitert die sinnvollen Einsatzbereiche von Ethernet in der Factory Automation weiter ins Feld.
Gubbels: Verschiedene Use Cases für die Fabrikautomation werden gerade in Arbeitsgruppen von PI und ODVA vorgestellt und diskutiert. SPE kann im Prinzip jede bekannte 2-Paar- oder 4-Paar-Ethernet-Applikation ersetzen. Den schnellsten Durchbruch wird SPE vermutlich in den Bereichen erzielen, in denen es seine Vorteile gegenüber der klassischen Ethernet-Anschaltung ausspielen kann. Z.B. Roboter-Anwendungen, bei denen durch SPE kleinere und leichtere Sensoren oder Infrastruktur eingesetzt und durch die SPE-Verkabelung zusätzlich eine Gewichtsreduktion erreicht werden kann. Hinzu kommt noch, dass die SPE-Leitung durch ihren einfacheren Aufbau in bewegten Anwendungen langlebiger ihren Dienst verrichten wird. Ein interessanter Use Case ist die letzte Meile bis zur Sensorik. Gerade dort, an dem heute ein M12 für die Datenkommunikation und ein weiterer für die Spannungsversorgung große Teile des Gehäuses belegen, wird z.B. ein SPE-Hybrid im M8-Format schnell Vorteile im Gehäusevolumen erzielen; ein wichtiger Schritt hin zu kleineren Sensoren. Interessant wird auch die hybride Verkabelung für die Aktorik. Bei dieser so genannten Einkabellösung wird ein SPE-Kommunikationskanal zusammen mit großen DC- oder AC-Versorgungen in einem Kabel geführt und kann so größere Antriebe mit Strom versorgen und gleichzeitig die Ethernet-Kommunikation sicherstellen – ein Mehrwert für die Zukunft. Ein Use Case, der aktuell in einem separaten Projekt entwickelt wird ist IO-Link-Plus, bei dem IO-Link über den SPE Physical Layer getunnelt wird, um höhere Reichweiten zu ermöglichen. Gleichzeitig können, durch die größere Bandbreite des Kommunikationskanals perspektivisch auch größere Datenmengen übertragen werden. Die Grundlagen sind gelegt und es bleibt spannend, welche neuen Möglichkeiten SPE in Zukunft eröffnen wird.
Lentzen: Im Bereich der Fabrikautomation hingegen geht es überwiegend um neue Applikationen., z.B. die Anbindung von Sensoren und Aktoren an bestehende Ethernet-Netzwerke. Darüber hinaus erschweren immer noch die unterschiedlichen Steckverbinder die Einführung von SPE. Genormte Steckverbinder sind jedoch wichtige Voraussetzungen für die erfolgreiche Markteinführung jeder neuen Netzwerktechnologie. Dies ist auch bei Single Pair Ethernet nicht anders. Die Nennung des von der Firma Harting entwickelten T1 Industrial Steckverbinders im IEC 63171-6-Standard als das einzige für die industrielle Kommunikation normierte Steckgesicht war schließlich auch der Auslöser für Lütze, dem SPE Industrial Partner Network beizutreten und diese Technologie in Verbindung mit einem normierten Steckgesicht zu unterstützen.
Seereiner: Die Standardisierung ist so gut wie abgeschlossen, sodass Unternehmen mit den vorhandenen Standards entsprechend Produkte entwickeln können, was wir am Markt ja auch sehen. Wir rechnen im Laufe dieses Jahres mit diversen neuen Komponenten unterschiedlicher Hersteller. Entscheidend wird die Positionierung der Nutzerorganisationen sein und wie Anwender die Vorteile von SPE für ihre Applikationen bewerten. Als Treiber von Single Pair Ethernet und Gründungsmitglied der SPE System Alliance sehen wir die klaren Vorteile der Technologie und sind von deren Erfolg überzeugt.
Moebus: Auch für die Fabrikautomatisierung gibt es viele spannende Use Cases, die diskutiert werden. Hierfür bietet vor allem das SPE Industrial Partner Network die richtige Plattform. Hier empfehlen wir die ständig stattfindenden Webinare, wie die SPE Digital Coffee Breaks des Netzwerks zu besuchen, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Außerdem freuen wir uns über eine aktive Mitarbeit der Gerätehersteller in den entsprechenden Nutzerorganisation PI für Profinet oder ODVA für Ethernet/IP. Die Technologie und wichtige Komponenten sind verfügbar – nun müssen durch konkrete Implementierungen in Endgeräte das System anwendbar und seine Vorteile nutzbar werden. Die Standards für die SPE-Technologie sowie Komponenten wie Kabel und Steckverbinder sind vorhanden, wodurch Geräte entwickelt werden können. Für Spezialanwendungen wie hybride Daten- und Stromversorgung befinden sich Hybridsteckverbinder im Normierungsprozess bei IEC. Von Lapp sind bereits SPE-Kabel verfügbar. Als nächstes folgen Kabelkonfektionen sowie Steckverbinder und SPE-Switches – also die komplette SPE-Infrastruktur.
Muckes: Viele einzelne Komponenten sind derzeit am Markt bereits erhältlich, wie Stecker oder Leitungen. Was aber fehlt, ist ein breites Angebot an Geräten für den Endanwender. Ich denke da an Steuerungen, Geber oder Kameras. Dass sich dieser Markt weiterentwickelt, das ist der nächste Schritt und passiert gerade.
Neuhaus: In den lokalen Datennetzwerken der Unternehmens- und Leitebene ist das Ethernet-Protokoll bereits seit Jahrzehnten etabliert. Mit Single Pair Ethernet wird die Datenverkabelung auf ein Aderpaar reduziert und die Reichweite erhöht. Das ermöglicht effiziente Übertragungskonzepte in der Feldebene – bis hin zur Sensorik. Entsprechende Switche und unterschiedliche Sensoren werden derzeit entwickelt. Die hohen EMV-Anforderungen im industriellen Umfeld und die Implementierung von gleichzeitiger Leistungsübertragung mit PoDL sind Herausforderungen im Entwicklungsprozess, die nicht zu unterschätzen sind. Für das gesamte Ökosystem von SPE sind noch mehr Netzwerkteilnehmer und Komponenten notwendig. Dies ist auch der Grund, weshalb Phoenix Contact das Thema SPE ganzheitlich auch innerhalb der SPE System Alliance vorantreibt: einem weltweiten Zusammenschluss von fast 40 führenden Technologieunternehmen mit dem gemeinsamen Ziel, die zukunftsweisende Single Pair Ethernet-Technologie umzusetzen und weiterentwickeln.
Richter: Aktuell werden im Bereich der Fabrikautomation die Use-Cases ausgearbeitet, um den Kunden und auch den Anbietern das Potenzial dieser Technologie aufzuzeigen. Dies ist zu einem die Erweiterung der heutigen maximalen Ethernet-Übertragungstrecke auf 100 m und zum anderen die damit einhergehenden Übertragungsgeschwindigkeiten. Ein weiterer Fokus liegt auf der Standardisierung der Technologie und der benötigten Komponenten. Dies soll heute schon sicherstellen, dass beim Einzug der SPE-Technologie in der Fabrikautomation die Kompatibilität und Robustheit gewährleistet werden
Zhang: Die zahlreichen Diskussionen innerhalb des SPE-Konsortiums und der Anwenderorganisation über verschiedene Anwendungsfälle der Fabrikautomation zeigen das große Interesse an der SPE-Technologie. Immer mehr Endgerätehersteller integrieren SPE in deren Produkte und auch Hersteller von Infrastrukturkomponenten erweitern ihr Portfolio, wie zum Beispiel Belden mit bereits verfügbarem SPE-Kabel und Steckerverbinder.
Hier finden Sie mehr über:
- Phoenix Contact GmbH & Co. KG
- Friedrich Lütze GmbH
- Pepperl+Fuchs AG
- Murrelektronik GmbH
- Weidmüller GmbH & Co. KG
- igus GmbH
- ESCHA GmbH & Co. KG
- Wieland Electric GmbH