Firmen im Artikel
KEM Konstruktion: Eplan und Rittal widmen sich schon seit einiger Zeit zusammen mit Phoenix Contact dem Thema effizienter Schaltschrankbau – steckt tatsächlich noch immer so viel Potenzial im Schaltschrankbau?
Uwe Scharf (Rittal): Angesichts der permanenten Entwicklungen im Markt sehen wir, dass sich jeder einzelne Schaltanlagenbauer unter dem Wettbewerbsdruck weiterentwickelt. Erkennbar ist auch ein Teil des in Richtung Osteuropa abgewanderten Steuerungs- und Schaltanlagenbaus wieder zurückgekommen – eben aufgrund von höherem Automatisierungsgrad und effizienterem Engineering. Der Standort Deutschland ist also wettbewerbsfähig. Gleichwohl führt insbesondere der Fachkräftemangel dazu, dass sich alle Steuerungs- und Schaltanlagenbauer weiter mit neuen, noch effizienteren Prozessen auseinandersetzen müssen.
Potentiale im Schaltschrankbau heben
KEM Konstruktion: Ist denn die Effizienz im Prozess angesichts der schon machbaren hohen digitalen Durchgängigkeit noch steigerbar?
Sebastian Seitz (Eplan): Technisch ist diese hohe Durchgängigkeit möglich, in der Realität sind wir von der Umsetzung aber sicher noch ein Stück entfernt. Insofern gibt es noch große Potentiale – etwa die wirklich durchgängige Digitalisierung vom Entwurf bis hinein in den Betrieb. Betonen möchte ich, dass die volle Durchgängigkeit zwar ein Ziel ist, doch bereits mit den ersten richtigen Schritten in die Digitalisierung können Schaltanlagenbauer bereits viel erreichen. Das hängt natürlich immer von der ganz individuellen Situation ab und der Frage, welcher Nutzen sich aus welchem Schritt ziehen lässt. Die Nutzenpotentiale lassen sich aber aufzeigen.
KEM Konstruktion: Lassen sich diese Potentiale zumindest überschlägig beziffern?
Scharf: Schaltschrank ist nicht gleich Schaltschrank – aber in unserem Rittal Innovation Center (RIC) in Haiger können wir das an einem typischen Schaltschrank zeigen. Dabei gehen wir davon aus, dass in einem manuell gefertigten Schaltschrank in Summe etwa 60 Arbeitsstunden stecken. Abhängig von den Schritten im Engineering und über die Teil- und dann Vollautomatisierung lässt sich das auf etwa 20 Stunden reduzieren. Aber auch hier sei ebenfalls betont: Diese Schritte lassen sich nacheinander gehen, nicht alles muss von Beginn an umgesetzt werden. Wichtig gerade für den Großteil der Schaltanlagenbauer, der weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigt. Welche ersten Schritte im individuellen Fall den schnellsten Nutzen bringen, ist zum Beispiel auch Thema von Workshops mit unseren Kunden im RIC und eine Beratungs-Aufgabe für Rittal und Eplan.
Digitale Dokumentation in der Cloud bietet Vorteile
KEM Konstruktion: Interessanterweise scheint ja einiges Potenzial in der digitalen Maschinen- und Anlagendokumentation zu liegen – ein Grund für Eplan und Rittal, hier mit der digitalen Schaltplantasche ePocket einzusteigen. Was steckt dahinter?
Seitz: In der Tat – so wie es der Name suggeriert – eine digitale Schaltplantasche. Analog zu der bekannten Schaltplantasche, die auf der Innenseite der Türen angebracht ist und die ‚Dokumentation‘ enthält. Bei der ‚realen‘ Dokumentation handelt es sich aber vielfach um vergilbtes Papier, das nicht zwingend den aktuellen Stand des Schaltschrankinnenlebens wiedergibt. Weitere Teile der Dokumentation liegen zudem an anderen Stellen – bei Aufzügen beispielsweise liegt diese oft einfach auf der Aufzugkabine. Erkennbar bietet hier eine digitale Schaltplantasche eine Reihe von Vorteilen – neben dem Verzicht auf Unmengen Papier kann eine digitale Dokumentation vor allem viel einfacher aktuell gehalten und ortsunabhängig zur Verfügung gestellt werden. Für alle Beteiligten – angefangen vom Schaltschrankbauer über den Betreiber bis hin zum Service – ergibt sich mit ePocket auf diese Weise ein echter Mehrwert. Sämtliche Dokumentationen, die für einen Prozess relevant sind, lassen sich nun an einer Stelle ablegen und für den Prozess verfügbar machen. Konsequenterweise handelt es sich deswegen um ein Produkt von Rittal, da es zum Schaltschrank gehört.
Scharf: Gleichwohl liefert Eplan die technologische Plattform und natürlich lässt sich in ePocket auch ein Eplan-Projekt ablegen – mit allen Vorteilen bezüglich der dann möglichen Workflows, etwa über die Redlining-Funktion. Genauso gut lassen sich aber auch einfache pdf-Dateien ablegen und auch bezüglich der Datenformate sind wir insbesondere als Rittal neutral – der Anwender hat die Wahl. Genauso wie bei der physischen Schaltschranktasche bleibt ihm überlassen, welche Dokumente er ablegen will – auch über die heute üblichen Daten hinaus, beispielsweise Informationen zum CO2-Footprint oder zur Materialzusammensetzung. Schon die Papiereinsparung ist ein deutlicher Vorteil für die Umwelt.
KEM Konstruktion: Wollen Sie das kurz näher erläutern?
Scharf: Jeder kennt das enorme Ausmaß der Projektdokumentation, das heute mit ausgeliefert wird. Ich kenne immer noch Ausschreibungen, bei denen der Steuerungs- und Schaltanlagenbauer die Anlagendokumentation in fünffacher Ausfertigung in Papier zur Verfügung stellen muss. Kommt der Schaltschrank dann zum Kunden, landet bereits eine große Menge der Umverpackung in der gelben Tonne und meist leider auch ein Großteil der Dokumentation direkt in der Papiertonne. Die digitale Schaltplantasche vermeidet dies prinzipiell, weil sie alle Dokumente papierlos bereitstellt. Gleichzeitig bietet sie mehr Funktionalität – sie lässt sich viel einfacher aktuell halten und zugänglich machen. Bezüglich der Nachhaltigkeit sehen wir auch ein Umdenken bei unseren Kunden.
Leichter Einstieg in die digitale Dokumentation
KEM Konstruktion: Wie steige ich denn auf ePocket um – geht das einfach oder ist ein größeres Projekt zur Umstellung erforderlich?
Seitz: Im Gegenteil – es ist megasimpel! Es genügt, auf der Registrierungsseite die notwendigen Informationen einzugeben – und umgehend lässt sich die ePocket-Applikation aufrufen. Anschließend wird der QR-Code des Typenschilds des Schaltschranks gescannt – und schon kann es losgehen. Mehr Aufwand ist nicht erforderlich. Im Grunde geht es nur darum, den individuellen Schrank über sein Typenschild mit dem digitalen Abbild – dem sogenannten digitalen Zwilling – zu verbinden. Alle Berechtigten können danach auf die abgelegten Dokumente zugreifen – so dass man nach jedem Login in seinen Account auch Zugriff auf die zugehörigen digitalen Schaltplantaschen bekommt. ePocket lässt sich also ohne großen initialen Aufwand direkt nutzen. Das unterstützt unser Konzept, schrittweise in den effizienteren Schaltschrankbau einsteigen zu können, wie eingangs beschrieben.
Scharf: Erwähnt sei, dass Schaltanlagenbauer ePocket die ersten sechs Monate kostenlos nutzen können – also gerade in der Zeit von Engineering und Produktion. Clever ist es dann, als Schaltanlagenbauer mit seinen Kunden über die digitale Ablage zu sprechen – denn das erspart beiden das ganze Papier.
Digitalisierung erleichtert Workflows
KEM Konstruktion: Im Grunde handelt es sich also zunächst um eine in der Cloud liegende Datenablage – die sich aber nach und nach ausbauen lässt und weitere Prozessschritte unterstützt, Sie sprachen das Redlining an. Was alles kann denn ePocket bieten?
Scharf: In der Tat kann ich zunächst Daten passiv ablegen – spare damit den Aufwand der Papierdokumentation ein, kann zusätzlich aber auch Suchfunktionen nutzen und damit die Zugriffsgeschwindigkeit deutlich steigern. Möchte ich dann mehr ‚Intelligenz‘ nutzen, bietet sich aus unserer Sicht natürlich an, das entsprechende Eplan-Projekt direkt in ePocket abzulegen. Dann hängt es eigentlich nur von der gewählten Lizenz ab, welche Funktionen ich nutzen kann. Als Betreiber genügt mir die Nutzung als Viewer. Fällt dann beispielsweise ein Motor aus, kann ich per Redlining aber auch Infos an den Service weitergeben, so dass sich Fehlersuche und -behebung beschleunigen. Letztlich kann ich aber auch Informationen an das Engineering weitergeben – und zwar sehr effizient und schnell. Informationen erreichen auf diese Weise immer direkt den Adressaten, ohne Umwege.
Das spart im Übrigen eine Unmenge Zeit. Die Erfahrung zeigt, dass gerade im Fehlerfall wertvolle viel Zeit verloren geht, um die Dokumentation zu suchen und zu finden. Nicht selten ist ja die Frage, welcher von zehn Ordnern der richtige ist. All diese Arbeitsschritte entfallen zu großen Teilen mit der digitalen Schaltplantasche – dass das deutlich wirtschaftlicher ist, liegt auf der Hand.
Seitz: Nicht zuletzt lassen sich Störfälle auch deutlich schneller beheben, weil der Servicetechniker auf seinem PC oder Tablet direkt sehen kann, wo genau er aktiv werden muss. Darüber hinaus sind wir uns sicher, dass sich aufbauend auf der mit ePocket möglichen Übermittlung der Dokumentation ganz viele Anwendungsfälle finden lassen, die davon profitieren. Spannend wird es zum Beispiel beim digitalen Zwilling – denn gerade der profitiert ja von stets aktuellen Daten, die ich dann etwa für Simulationen nutzen kann.
Chancen für intelligente Service- und Wartungsangebote
KEM Konstruktion: Welche weiteren Vorteile bietet ePocket?
Scharf: Gerade für Steuerungs- und Schaltanlagenbauer dürfte der andauernde Zugang zum Kunden ein interessanter Punkt sein. Noch ist die Situation ja die, dass nach einer Auslieferung der Kontakt einige Zeit ruht. Erfolgt dann eine erneute Kontaktaufnahme, ist zunächst eine Bestandsaufnahme erforderlich. Kann ich dagegen auf Daten der von mir ausgelieferten Anlagen zugreifen, kann ich viel leichter intelligente Service- und Wartungsangebote machen. Das gilt im Übrigen auch für Rittal selbst. Um ein Beispiel zu geben: Wüssten wir, wo genau auf der Welt unsere Kühlgeräte im Einsatz sind – auch die, die wir vor 20 Jahren ausgeliefert haben –, könnten wir die Aktivitäten von Unternehmen hin zu mehr Energieeffizienz viel zielgenauer unterstützen, und Energiesparpotenziale durch neueste Technologien aufzeigen.
KEM Konstruktion: Nutzt Rittal selbst die digitale Schaltplantasche?
Scharf: Bei der Entwicklung von ePocket war unser neues Werk in Haiger bereits in Betrieb und ist deshalb leider noch ohne ePocket entstanden. Da sich dort zahlreiche Schaltschränke verschiedener Maschinenbauer befinden, vermissen wir sehr die mit ePocket mögliche Transparenz. Wir sind von der Wirtschaftlichkeit des Tools aber so überzeugt, dass wir die Dokumentationen auch noch nachträglich in ePocket überführen wollen. Dann genügt ein Scan des QR-Codes, und man kann ohne Öffnen des Schrankes anklicken, was sich in ihm verbirgt. Zudem bin ich davon überzeugt, dass in der Anwendung noch ganz viele Ideen entstehen, die wir zu unserem Vorteil nutzen können.
Voraussetzungen zur Nutzung der digitalen Schaltplantasche
KEM Konstruktion: Wo sind die ePocket-Daten gehostet?
Seitz: Sie liegen in der Eplan-Cloud und die nutzt Microsoft Azure, EU- und DSGVO-konform in Amsterdam. Das macht es den Anwendern dann aber auch sehr leicht, generell in das Eplan-Universum einzusteigen, das die Cloud ja als zentrale Infrastruktur nutzt.
KEM Konstruktion: Gibt es schaltschrankseitig Voraussetzungen, um ePocket nutzen zu können?
Scharf: Das Angebot lässt sich mit den aktuellen Baureihen AX, KX und VX unserer Industrie-Schaltschränke nutzen, die mit einem QR-Code ausgestattet sind. Interessanterweise will unsere IT-Sparte das in ähnlicher Weise für IT-Racks einsetzen. Ich würde mich auch nicht wundern, wenn es den einen oder anderen Kunden gibt, der nach einem Nachrüst-QR-Code fragt.
Weitere Entwicklungen im Schaltschrankbau
KEM Konstruktion: Können Sie uns abschließend noch einen Ausblick geben? Welche weiteren Ideen haben Eplan und Rittal noch im Köcher?
Seitz: Wir sehen einiges Potenzial in der weitergehenden Nutzung des digitalen Zwillings, denn gerade im Schaltschrankbau – etwa im Kontext der Verdrahtung – gibt es ja noch zahlreiche Prozesse, die mit Daten versorgt werden wollen und in denen Maschinen angesteuert werden müssen. Einen ersten Schritt sind wir hier mit Eplan Smart Wiring gegangen. Darüber hinaus ist aber auch im Engineering noch einiges Potential zu heben – insbesondere bei der konzeptionellen Gestaltung von Maschinen und der Planung des Einsatzes von Automatisierungstechnik. Hier spielt die Datenverfügbarkeit über unser Eplan Data Portal eine entscheidende Rolle. Starte ich in die Digitalisierung direkt mit den richtigen Daten, ermöglicht mir dies eine vollständige Digitalisierung der nachfolgenden Prozesse – mit all den Vorteilen, die sich daraus ergeben. Deswegen arbeiten wir hier auch daran, Standards zu definieren – denn nur auf diese Weise lässt sich Nutzen generieren.
Scharf: Wir haben die bei Rittal schon länger mögliche Schaltschrank-Konfiguration mit dem Konfigurator RiPanel sinnvoll mit dem Engineering über Eplan Pro Panel verheiratet – über zwei verschiedene Tools, die aber auf einer Plattform arbeiten. Damit sind auch die Voraussetzungen gegeben, unterschiedliche Maschinenkonzepte aus dem Engineering heraus zu speisen – bis hin zu den Themen Bestückung und Verdrahtung. Die Automatisierung unterstützen hier vor allem auch die Push-in-Anschlusstechniken, die zukünftige Automatisierungskonzepte zur Verdrahtung ermöglichen.
Weitere Infos zur digitalen Schaltplantasche:
Die digitale Schaltplantasche im Überblick
Rittal ePocket bietet Platz in der Cloud, so dass die Maschinen- und Anlagendokumentation nicht mehr in Papierform im Schaltschrank abgelegt werden muss. Die Daten werden digital und zentral nutzbar. Rittal bietet die digitale Schaltplantasche zusammen mit den aktuellen Baureihen VX25, VX SE, AX und KX an, die technologische Basis liefert Eplan mit seinem Cloud-Portfolio. Vorteile der Lösung sind:
- Der neue Platz in der Cloud schafft umweltfreundlich das Papier ab.
- Der einfache Zugriff auf die stets aktuellen Daten verschafft Vorteile in der Zusammenarbeit.
- Die Datenqualität steigt, da sich die Daten leichter aktuell halten lassen.
- Auch Mitarbeiter in Service und Maintenance können über das integrierte Eplan eView direkt an der Anlage per Smartphone oder Tablet einfach auf die Schaltpläne zugreifen. Das sichert im Falle der Instandsetzung eine schnelle Auffindbarkeit und zugleich schnelle Fehlerbehebung.
- Projektdaten wie Schaltpläne, Wartungspläne oder Zertifikate sowie Änderungen daran lassen sich direkt ins Eplan-Projekt zurückspielen und mögliche Stillstandzeiten minimieren.
- Analog dazu kann der digitale Zwilling den realen Schaltschrank fortan über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg begleiten und der Informationsgehalt der Daten steigt kontinuierlich.
Der Zugriff auf die Daten kann sehr einfach über den Scan des QR-Codes am Schaltschrank erfolgen. Die digitale Schaltplantasche lässt sich zudem 6 Monate lang kostenlos nutzen.