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75 Jahre Wittenstein – Ein Interview

Dr. Manfred Wittenstein und Dr. Bertram Hoffman im Interview zu 75 Jahre Wittenstein
„Nichts wächst ohne Ende in den Himmel“

Firmen im Artikel

Neugier, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit führten zum langfristigen Erfolg von Wittenstein. Das Unternehmen feiert sein 75. Jubiläum. Gesellschafter Dr. Manfred Wittenstein und Vorstandsvorsitzender Dr. Bertram Hoffmann im Gespräch.

 

Herr Wittenstein, ihr Vater hat die Firma 1949 gegründet. Welche erste Erinnerung verbinden Sie mit dem Unternehmen?

Manfred Wittenstein: Wie mein Vater mit einem anderen Ingenieur eine Apfelentkernmaschine gebaut hat. Da muss ich sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein und in meiner Erinnerung war das eine richtig große und tolle Maschine. Das hat mich geprägt und Begeisterung für Technik in mir geweckt.

Was war das Besondere gerade an diesem Moment?

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Dr. Manfred Wittenstein, Sohn des Firmengründers und Gesellschafter der Wittenstein SE
Bild: Wittenstein SE

Wittenstein: Ich habe gemerkt, dass es spannend ist, ein Problem zu lösen, das ich mir selbst gar nicht vorstellen kann. Warum braucht jemand so eine Maschine? Das zu verstehen und nachzufragen, fand ich faszinierend. Diese Neugierde ist mir bis heute wichtig und in allen Jahren stets Teil meines Tuns geblieben.

Ist es das, was auch das Unternehmen Wittenstein im Kern ausmacht, Neugierde?

Wittenstein: Neugierde hat etwas damit zu tun. Aber es ist der ständige Wandel. Das habe ich schon bei meinem Vater gesehen. Zuerst hat er Zirkel gebaut, dann Apfelentkernmaschinen, dann Nähmaschinen, mit denen seine Firma erfolgreich wurde und später Spannfutter.

Ich bin nicht mit einer grundlegenden Sicherheit groß geworden, sondern mit der Erkenntnis, dass Flexibilität und Anpassungsfähigkeit für langfristigen Erfolg essenziell sind. Schauen Sie in die Natur, in unseren Weltgarten, der hier in Harthausen unser Firmengebäude umgibt: Nichts wächst da ohne Ende in den Himmel. Da geht auch mal etwas kaputt, stirbt. An anderer Stelle schießt aber etwas Neues nach oben. Wenn Sie es rechtzeitig pflanzen und die sonstigen Bedingungen passend gestalten.

Wollen Sie uns damit sagen, dass man weit vorausschauend handeln muss? Wie schafft man das über lange Zeit immer wieder?

Wittenstein: Sicherheit kriegen Sie nicht. Die Zukunft kennt keiner. Sie können Hypothesen aufstellen. Dafür brauchen Sie Austausch, Offenheit, Diskussion. Sie müssen ihren möglichen Kunden zuhören. Immer wieder fragen, was brauchst du, und nicht sich selbst in den Vordergrund stellen. Außerdem müssen Sie in der Lage sein, Verantwortung zu übernehmen und Vertrauen zu schaffen. Das erfordert Haltung. In guten Zeiten ist das leicht. Aber wenn es dem Unternehmen nicht gut geht, dann erweist sich, ob man ein echter Partner für Kunden, Mitarbeitende und die anderen Beteiligten ist. Gute Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen brauchen Sie immer. Leute, die Wandel nicht als Belastung empfinden, sondern Leute die Spaß daran haben, immer wieder die selbst erfundenen und gemachten Dinge zu hinterfragen und sie, wenn erforderlich, zu verbessern oder gar abzulösen.

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Dr. Bertram Hoffmann, Vorstandsvorsitzender der Wittenstein SE
Bild: Wittenstein SE

Bertram Hoffmann: So ist es: Es kommt darauf an, gemeinsam erfolgreich durch harte Phasen zu gehen. Wenn es eine Organisation wie Wittenstein schafft, nach einer schwierigen Zeit – einer Krise – stärker zu sein als vorher, dann wächst das Team extrem zusammen. Das ist uns zum Beispiel in der Corona-Krise gelungen.

Herr Hoffmann, Sie sind Vorsitzender eines Vorstands, in dem erstmals kein Mitglied der Familie Wittenstein sitzt. Wieso funktioniert das?

Hoffmann: Auch hier ist die Antwort: enger, stetiger Austausch, Zuhören und wo erforderlich Fragen stellen und: Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen.

Natürlich ist es ein Spagat für einen Vorstandsvorsitzenden, wenn es da einen Inhaber gibt, der sich sehr gut mit und in der Firma auskennt und der inhaltlich herausfordernde Fragen stellt. Das klappt, wenn Sie nicht nur Probleme zum Inhaber tragen, sondern Teil der Lösung sein wollen. Ich kann zu Manfred gehen und sagen: Ich will das mal so ausprobieren. Ich weiß nicht, ob es gut geht, aber ich denke, so bekommen wir dieses Problem am besten und am schnellsten in den Griff. Diese Offenheit ist für uns entscheidend. Dadurch haben wir es geschafft, dass wir heute in wenigen Minuten etwas abstimmen können, wofür andere Firmen lange Prozesse und viele Dokumente brauchen. Einer der wichtigen Vorteile der Wittenstein SE: Geschwindigkeit. Und damit meine ich Geschwindigkeit auf Basis stabilen Vertrauens.

Wittenstein: Sie müssen verstehen, dass ich hier früher ja der große Zampano war. Ich konnte alles selbst entscheiden – war aber auch allein damit. An einem bestimmten Moment habe ich eingesehen: Die Firma ist jetzt so groß, du kannst das nicht mehr alles allein verantworten – als Eigentümer und CEO. Also haben wir diesen neuen Führungsstil ausgelotet. Mit Bertram haben wir dann ein großes Glück gehabt. Er versteht unsere Vergangenheit und trägt auch unsere Zukunft. Bertram steht loyal hinter unserem Familienunternehmen. So haben wir es geschafft, dass Wittenstein wächst, robuster geworden ist und aus der Corona-Zeit gestärkt herausgekommen ist.

Engineering 2036: Nachhaltigkeit – mehr als ein Buzzword?

Ich will dennoch einmal zurückschauen. Wittenstein hat mal als Dewitta angefangen und Nähmaschinen gebaut. Dann hat das Unternehmen umgestellt auf Getriebebau. Heute gehören zum Beispiel auch Elektromotoren, Software und Nanopositionierer zum Portfolio. Gibt es bei all dem Wandel noch ein verbindendes Element?

Hoffmann: Lassen Sie mich das Bild von Manfred aufgreifen: die Natur in unserem Weltgarten. Auf den ersten Blick wachsen da so viele verschiedene Pflanzen, die brauchen alle individuelle Behandlung, sonst gedeiht jede einzelne nicht optimal. Gleichzeitig ergibt sich dennoch ein harmonisches Bild. Sehr unterschiedliche Gewächse profitieren sogar voneinander.

Übertragen auf das Unternehmen heißt das: Wir profitieren davon, dass wir unsere Erfahrungen, unsere vielfältigen Perspektiven zusammenbringen können für das immer gleiche Thema: Wir bewegen. Wir bewegen bei niedrigen Temperaturen, in rauen Umgebungen, tief in der Erde und im All. Wir machen das höchst präzise und zuverlässig und das bis in den Nanobereich hinein. Das ist unsere Stärke: Wir realisieren Kundenwünsche, die unmöglich erscheinen – mit einem leidenschaftlichen Team. Der Erfolg kommt von den Menschen, die das verstehen und die nach anderen Menschen suchen, die das aus eigenem Antrieb immer wieder schaffen wollen.

Wie finden Sie diese Menschen?

Wittenstein: Das ist eine Führungsaufgabe höchster Qualität. Sie müssen es dann schaffen, dass sich diese Person mit all ihren Stärken, Zielen, Ideen und Vorstellungen entfalten kann. Für mich ist Bertram da ein Glücksgriff. Wir sind jetzt in einer Phase der Stabilität und können uns darum auf den nächsten Wandel vorbereiten, uns den Kernfragen widmen. Die betrachten wir aus verschiedenen Perspektiven, um dann die besten Lösungen für das Unternehmen zu finden.

Wittenstein Gruppe zeigt cybertronische und mechatronische Antriebstechnik

Welche sind das? Geht es auch um die nächste Generation im Familienunternehmen?

Wittenstein: Natürlich geht es auch darum, denn meine Kinder übernehmen Verantwortung für unser Familienunternehmen die nächsten 40 Jahre. Meine Kinder sind in den Aufbau der künftigen Struktur eng eingebunden. Wir beschäftigen uns intensiv mit den Rollen der nächsten Generation als Grundlage für die Zukunft des Unternehmens.

Hoffmann: Wir suchen gezielt nach Personen, die starke und vor allem personenunabhängige Governance-Ebenen gestalten und leben. Damit meinen wir die Ebenen der Unternehmensführung. Wo früher einer alles allein regeln konnte, stehen jetzt die Familie Wittenstein, der Aufsichtsrat und der Vorstand in einer engen Dreiecksbeziehung. Wir leben vor, wie ein vertrauensvolles Miteinander funktionieren kann. Der enge Austausch, den wir für uns beide beschrieben haben, muss zwischen diesen Governance-Ebenen optimal funktionieren.

Wenn sie beide in einigen Jahren zurückschauen: Woran würden Sie dann festmachen, dass es Ihnen gelungen ist, diese Pflöcke zu setzen?

Hoffmann: So denken wir zwei nicht. Wir blicken weit in die Zukunft und diskutieren Wittenstein 2040 und darüber hinaus. Wir werden nicht zurückschauen, sondern die Kreativität und die eigenen Gedanken der neuen Generation bewundern.


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Meilensteine aus 75 Jahren Unternehmensgeschichte
Bild: Wittenstein SE

Wittenstein: 75 Jahre in Bewegung

Unter dem Motto „75 Jahre in Bewegung“ feiert die Wittenstein SE 2024 ihr Firmenjubiläum. Am 7. Juli 2024 ab 11.00 Uhr sind alle Interessierten herzlich zum Tag der offenen Tür am Standort Igersheim-Harthausen eingeladen. Wittenstein bietet an diesem Tag u. a. Einblicke in seine Produktion, Führungen durch den Weltgarten und Informationen zu Möglichkeiten der Ausbildung.

Heute ist die Wittenstein SE ein weltweit erfolgreiches, innovatives Unternehmen und prägend für die cybertronische Antriebstechnik. Sie entwickelt, produziert und vertreibt unter anderem hochpräzise Servoantriebe und Linearsysteme, Servomotoren und -systeme sowie Nanotechnologie und Softwarelösungen – alles aus einer Hand. Im Ergebnis sorgt das Unternehmen mit Anwendungen vom Weltraum bis ins Innere der Erde zuverlässig für cybertronische Bewegung und erzielte damit im vergangenen Geschäftsjahr rund 500 Millionen Euro Umsatz bei 2.900 Beschäftigten an mehr als 40 Standorten weltweit.

Die Wittenstein Stiftung widmet sich der Förderung von Bildung und Erziehung sowie von Wissenschaft und Forschung. Auch der internationale Klassik-Gesangswettbewerb Debut, der MINT-Region Main-Tauber e.V. und der Erfinderwettbewerb „Kreative Köpfe“ für Kinder und Jugendliche gehören zum Engagement der Gesellschafter. (eve)

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