KEM Konstruktion: Herr Lang, auf der bauma im vergangenen Jahr präsentierte STW erstmals den Bereich „Future Tech“. Was hat es damit auf sich?
Stefan A. Lang: Mit Future Tech wollen wir zeigen, was heute schon in Sachen Hochautomatisierung möglich ist und was wir zusätzlich zu unserem bereits sehr umfangreichen Systembaukasten für mobile Maschinen erforschen und entwickeln. Neben konkreten Machbarkeitsstudien für zukünftige Technologien stellt Future Tech neue Vorserienprodukte in den Fokus, die wir ähnlich den Autoherstellern als Erlkönige bezeichnen. Damit ermöglichen wir einen Blick durchs Schlüsselloch der Innovationsarbeit bei STW. Auf der bauma haben wir erstmals unsere High-Performance-Controller-Familie HPX vorgestellt. Sie ist insbesondere für die Herausforderungen der Hochautomatisierung in mobilen Arbeitsprozessen entwickelt worden.
KEM Konstruktion: Entwickeln Sie solche Future-Tech-Lösungen nach einer bestimmten Methodik?
Lang: Wir denken so offen wie möglich, evaluieren unsere Märkte aus unterschiedlichen Perspektiven und identifizieren Zukunftstrends. Haben wir in einer gemeinsamen Bewertung durch unser Produktmanagement und R&D eine entsprechende Entwicklung als besonders zukunftsträchtig bewertet, entwickeln wir Demonstratoren, um die Herausforderungen an der tatsächlichen Applikation zu meistern. Wir gleichen die Potenziale mit unserer Expertise ab und entscheiden, in welcher Form wir Innovationen realisieren können, die den Marktbedürfnissen gerecht werden und Herstellern sowie Betreibern von mobilen Maschinen bei ihren täglichen Aufgaben unterstützen.
KEM Konstruktion: Wie kann so etwas aussehen?
Lang: Aus unserer Sicht geht der Trend zu Assistenzsystemen, die Prozesse vollautomatisieren. Dabei ist das Stichwort der „Autonomie“ in aller Munde, was sich aus einer Vielzahl an Gründen aber erst in einigen Jahren wirklich umsetzen lässt. Für die kommende Dekade wird nach wie vor der Mensch das zentrale Steuerelement bleiben und auch weiterhin die Verantwortung tragen, egal ob es sich dabei um eine einzelne von ihm bediente Maschine oder eine Maschinenflotte handelt. Gleichzeitig werden die Prozesse auf dem Feld oder der Baustelle deutlich effizienter, unter anderem durch zunehmende Digitalisierung und Vernetzung. Wichtig ist, zu betonen, dass ein Unternehmen diese branchenweiten Herausforderungen im Alleingang nicht lösen kann. Wir engagieren uns daher in einer Vielzahl von öffentlich geförderten Forschungsprojekten. Forschungsinstitute, Anwender, Maschinenhersteller und Zulieferer bündeln in diesen Projekten ihre Kräfte, um möglichst weitreichende Innovationssprünge realisieren zu können. Das geht bis hin zu Projekten, von denen wir wahrscheinlich erst in vielen Jahren profitieren werden. Beispielsweise engagieren wir uns im Forschungsprojekt KI4Boardnet, bei dem es um die Entwicklung von Architekturen, Komponenten und Entwurfswerkzeugen für das KFZ-Fahrzeugbordnetz der Zukunft geht. Dieser Trend wird noch einige Zeit brauchen, bis er in der Welt der mobilen Arbeitsmaschinen ankommt. Wenn es so weit ist, gehören wir allerdings zu den Experten, die Maschinenhersteller kompetent partnerschaftlich unterstützen können.
KEM Konstruktion: Was ist Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung bei der Entwicklung autonomer Systeme?
Lang: Mobile Arbeitsprozesse, die in Zukunft autonom sein sollen, werden meiner Meinung nach zukünftig auf den gleichen Technologien wie die der Automobilbranche zum autonomen Fahren aufsetzen müssen, da die Branche diese auf Grund des Umfangs nicht selbst entwickeln kann. Zum autonomen Fahren im öffentlichen Raum auf gut ausgebauten Wegen kommen dann noch Anforderungen fürs unwegsame Gelände wie auf Baustellen hinzu. Das autonome Fahren für mobile Maschinen ist also ungleich komplexer. Zudem ist eine mobile Maschine für einen Einsatzzweck, also einen bestimmten Arbeitsprozess gedacht, der dann ebenfalls autonom funktionieren muss. Die dafür notwendigen Technologien werden in großen Teilen gerade erst entwickelt und müssen dann noch mit dem autonomen Fahren vereint werden. Vollautomatisierung oder auch Autonomie bedingen zudem auch stets Fragen zur Haftung und Verantwortlichkeit. Zusätzlich sind ethische Fragen und gesellschaftliche Akzeptanz genauso abschließend zu klären beziehungsweise herzustellen, bevor wir uns in Richtung Autonomie bewegen können. Die Komplexität all dieser Themen zu reduzieren und aufzulösen, ist aus meiner Sicht die größte Herausforderung.
KEM Konstruktion: Sie sprachen den „Erlkönig“ HPX an. Was zeichnet diese Steuerung aus und wie unterscheidet sie sich zum bereits bekannten STW-Controller-Portfolio?
Lang: Die HPX-Plattform ist deutlich leistungsstärker als unsere bewährte ESX-Familie und bietet ein größeres Spektrum an Einsatzmöglichkeiten in der Hochautomatisierung. Unsere HPX-Plattform kann beispielsweise zur Verarbeitung von großen Datenmengen eingesetzt werden, wie sie typischerweise bei der Verarbeitung von Umfeldsensorik zur Objektdetektion und -klassifikation entstehen. Die Plattform ist somit das „Gehirn“ von Assistenzsystemen und übernimmt die intelligente Umfeldüberwachung. Der HPX gibt seine Ergebnisse an die nachgelagerten Steuerungen der ESX-Serie weiter, die darauf basierend dann beispielsweise die Antriebssteuerung der Maschine übernehmen.
KEM Konstruktion: In welchen Anwendungsfällen werden diese Technologien in näherer Zukunft zur Autonomie mobiler Arbeitsmaschinen beitragen?
Lang: „Quick-Wins“ und somit konkrete Anwendungsfälle für diese Assistenzsysteme finden sich zum Beispiel in der Kommunal- oder Landtechnik. Das kann beispielsweise das automatisierte Halten des optimalen Abstands zur Bordsteinkante während des Kehrprozesses einer Kehrmaschine sein oder die Analyse von Pflanzen auf dem Feld: Braucht eine Pflanze zusätzlichen Dünger oder Bewässerung? Dies kann mit unseren Automatisierungslösungen in Verbindung mit entsprechenden Kamerasystemen erkannt und die Maßnahmen können automatisiert gesteuert werden. Abschließend möchte ich festhalten, dass wir uns als Elektronikzulieferer in einer wahnsinnig spannenden Situation befinden. Wir haben die Möglichkeiten, um große Innovationssprünge zu realisieren und disruptive Technologien und Prozesse zu entwickeln. Wenn wir alle noch stärker über den Tellerrand schauen und künftig vielleicht sogar über Branchengrenzen hinaus gemeinsam an entsprechenden Lösungen arbeiten, könnten wir die großen Herausforderungen unserer Zeit – die Nahrungsmittelversorgung der wachsenden Weltbevölkerung, den zunehmenden Mangel an Arbeitskraft oder infrastrukturelle Challenges – effektiver und vor allem schneller bewältigen. Die Innovationskraft der Branche könnte noch viel stärker sein, wenn wir in einen offenen Dialog gehen würden. (sc)
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