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Gunter Beitinger zur CO2-Management-Software Siemens Sigreen

CO2-Management-Software
„Was Sigreen an sich so einzigartig macht“

Um die CO2-Emissionen eines Produktes aktiv beeinflussen zu können, müssen diese im ersten Schritt transparent gemacht werden. Mit der Software Sigreen stellt Siemens ein CO2-Management-Tool bereit, mit dem Emissionswerte entlang der Lieferkette managebar werden – einschließlich vertrauenswürdiger Abfrage, Berechnung und Weitergabe realer CO2-Fußabdrucksdaten eines Produktes. Dr. Gunter Beitinger, der „Erfinder“ von Sigreen, erläutert im Interview mit KEM Konstruktion|Automation, was das Softwaretool aktuell so „einzigartig“ macht.

Interview: Nico Schröder, Korrespondent KEM Konstruktion|Automation, Augsburg

Inhaltsverzeichnis

1. CO2-Emissionen in der Wertschöpfungskette
2. Beispiel: CO2-Emissionen von speicherprogrammierbaren Steuerungen
3. Lifecycle-Assessment (LCA)-Daten
4. Produkte CO2-neutral anbieten können
5. Dekarbonisierung beginnt mit vertrauenswürdigen Real-Daten
6. Vertrauenswürdige CO2-Emissionswerte entlang der Lieferkette
7. Den CO2-Fußabdruck eines Produktes softwarebasiert beeinflussen
8. Regularien und Reportingpflichten rund um Product Carbon Footprints
9. Die Estainium Association und ihre Beiträge zur Dekarbonisierung
10. Siemens-Sigreen-Software im Unternehmen einsetzen

KEM Konstruktion|Automation: Herr Dr. Beitinger, Sie sagen: „Bis zu 90 % aller CO2-Emissionen der Industrie entstehen nicht bei der Produktion, sondern entlang der Lieferketten.“ Ist das der Impuls und die Ausgangslage gewesen, Sigreen zu entwickeln?

Dr. Gunter Beitinger: Je nach Wertschöpfungstiefe und Position des Unternehmens in der Lieferkette können mehr als 90 % der CO2-Emissionen außerhalb des eigenen Betriebes entstehen. Das sehen wir beispielsweise hier bei Siemens an unserem Simatic-Portfolio. Natürlich kann der Prozentsatz auch bei 70 % oder 60 % liegen. Wir wollen jedenfalls auf ein entscheidendes Thema hinweisen – und zwar: Verantwortung für die eigene Lieferkette zu übernehmen.

CO2-Emissionen in der Wertschöpfungskette

KEM Konstruktion|Automation: Woran liegt es, dass bis zu 90 % aller industrieller CO2-Emissionen in der Wertschöpfungskette liegen? Und was folgt daraus?

Beitinger: Das liegt an den Zukaufteilen, also an den Modulen und Komponenten, die außerhalb des eigenen Einflussbereiches gefertigt werden. Durch die Kaufentscheidung ist man aber durchaus für diese Emissionen verantwortlich. Insofern werden vom Gesetzgeber und der Gesellschaft immer mehr Forderungen laut, dieser Verantwortung bei den Produkten gerecht zu werden.

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„Wir wollen auf ein entscheidendes Thema hinweisen – und zwar: Verantwortung für die eigene Lieferkette zu übernehmen“, sagt Dr. Gunter Beitinger.
Bild: Siemens

Beispiel: CO2-Emissionen von speicherprogrammierbaren Steuerungen

KEM Konstruktion|Automation: Wie sieht das produktseitig am Beispiel des Werkes in Amberg aus, wo Siemens speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) fertigt?

Beitinger: Unsere speicherprogrammierbaren Steuerungen werden modular – ergänzt und je nach Leistungsspektrum mit Input-, Output- und Analogmodulen – ausgestattet und können die jeweiligen Automatisierungsaufgaben übernehmen. Bei Produkten wie unseren SPS liegen tatsächlich über 90% der Emissionen, die entstehen, in der Lieferkette. Wenn wir unser Produkt also umweltfreundlich am Markt positionieren wollen, müssen wir diese Emissionen transparent machen, damit wir sie beeinflussen können. Die restlichen 10 % betreffen den Anteil an Emissionen, die im eigenen Betrieb entstehen, also durch den Bezug von Elektrizität und durch die Veredelung am eigenen Standort. Die 10 % sind im Verhältnis zum Gesamten recht wenig und verhältnismäßig leicht ermittelbar. Man kann beispielsweise auf die Stromrechnung schauen und kennt damit die Emissionen, die auf Elektrizität zurückgehen. Seine Prozesse muss man natürlich kennen.

Lifecycle-Assessment (LCA)-Daten

KEM Konstruktion|Automation: Auf welche Hürden stoßen Unternehmen bei der Ermittlung des Gros an Emissionswerten?

Beitinger: Zum einen müssen die Informationen vom Lieferanten bereitgestellt werden. Der steht dann meistens vor der gleichen Herausforderung wie man selbst. Die erste Hürde besteht also darin, ob er überhaupt entsprechende Informationen zu den Emissionen liefern kann. Sollte der Lieferant dies lösen können, eventuell durch auf sogenannte Lifecycle-Assessment (LCA)-Daten basierende Berechnungen, kann er eine Abschätzung liefern. Diesen Werten muss man am Ende allerdings vertrauen können. Das wäre gegeben, wenn der Lieferant ergänzend zu den berechneten Werten auch Hintergrundinformationen zu Prozessen, Datenquellen oder Ermittlungsverfahren, also zu seiner Lieferantenstruktur, preisgeben würde oder preisgibt. In der Regel wird er das allerdings nicht tun, da dies seine eigene Wettbewerbsfähigkeit einschränken könnte. Somit steckt man schon im zweiten Dilemma. Sollte das trotzdem gelöst werden – möglicherweise aufgrund von Machtverhältnissen oder Abhängigkeiten – muss man immer noch sicherstellen, dass die Daten, die der Zulieferer dann bereithält, aggregierbar sind. Dahinter steht folgende Frage: Hat der Lieferant wirklich die gleichen Regeln und Methoden angewandt, sodass man die Daten entlang der Lieferkette aufsummieren kann? Das wäre die dritte Hürde, die man nehmen muss.

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Mit Sigreen können Informationen zum Product Carbon Footprint (PCF) entlang bereits bestehender Geschäftsbeziehungen ausgetauscht werden.
Bild: Siemens

Produkte CO2-neutral anbieten können

KEM Konstruktion|Automation: Sehen Sie weitere Herausforderungen?

Beitinger: Es ist sehr aufwendig und die Verfügbarkeit von Expertenwissen spielt eine Rolle. Das ist aber lösbar. Nur diese drei Aufgaben, die mit den erwähnten Hürden verbunden sind, sind essenziell.

KEM Konstruktion|Automation: Aus dieser Einsicht heraus haben Sie eine Lösung erarbeitet, die nun unter dem Namen Sigreen am Markt verfügbar ist – eben aus dem eigenen Wunsch heraus, die Produkte, die Sie in den Werken fertigen, CO2-neutral anbieten zu können. Wie also schaffen Sie die notwendige Transparenz?

Beitinger: Hier gilt die Regel: Nur, was man misst, was man transparent macht, kann man aktiv beeinflussen. Und nur so lassen sich gezielt Maßnahmen ableiten. Ansonsten ist man im Blindflug. In der Regel werden heute produktbezogene Emissionswerte mithilfe der erwähnten Lifecycle-Assessment-Daten ermittelt. Es handelt sich dabei um in Datenbanken verfügbare Durchschnittswerte. Über einen Dreisatz kann man damit bereits den eigenen CO2-Wert abschätzen. Das ist ein guter Startpunkt – vor allem, wenn das Produkt physisch noch gar nicht existiert und man dies in der Design- beziehungsweise in der Konstruktionsphase machen will, aber keine realen Daten hat. Wenn mein Lieferant noch nicht in der Lage ist, mir Werte zu nennen, kann das ein sehr guter Start sein, weil man damit einen Anker gesetzt hat.

„Sehr viele Kundendiskussionen zum Thema CO2-Fußabdruck pro Produkt“

Dekarbonisierung beginnt mit vertrauenswürdigen Real-Daten

KEM Konstruktion|Automation: Inwieweit lassen sich mit Sigreen wirklich Emissionen reduzieren?

Beitinger: Von Durchschnittswerten müssen wir zu realen Daten kommen, um Maßnahmen ergreifen zu können, die nachhaltig wirken. Der CO2-Fußabdruck soll nachhaltig gesenkt werden. Entgegnen könnte man, dass in einem Produkt nun so viele Module und Komponenten existieren würden, dass man nicht alle berücksichtigen könne. Hier verweise ich auf das Pareto-Prinzip: 80–20 oder 70–30. Wenn man anfängt, kann man bei 20 bis 30 % der Komponenten 70 bis 80 % der Emissionswerte erfassen und abdecken, wenn man diese Werte beim Lieferanten anfragt. Über die Zeit kann man überlegen, wie weit man das vorantreibt. Man kann zumindest schnell für über 20 bis 30 % seiner Komponenten 70 bis 80 % des CO2-Fußabdrucks entlang der Lieferkette mit Realdaten abdecken und sich durch die gewonnene Transparenz Ziele setzen. Aus den Zielen heraus können Maßnahmen eingeleitet werden, deren Wirksamkeit überprüfbar wird. Diese Wirksamkeit kann durch Sigreen verifiziert werden, da Realdaten verifiziert von Lieferanten übermittelt werden können.

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Die Siemens-Software Sigreen bietet Mechanismen, um vertrauenswürdige CO2-Emissionswerte entlang der gesamten Lieferkette zu managen.
Bild: Siemens

KEM Konstruktion|Automation: Liegt die Besonderheit von Sigreen gerade in den gelösten Fragen zur Verifizierbarkeit?

Beitinger: Das ist es, was Sigreen an sich so einzigartig macht. Also um vertrauenswürdige CO2-Emissionswerte entlang der gesamten Lieferkette zu verfolgen, brauche ich bestimmte Mechanismen. Dabei geht es um Folgendes: Lieferanten wollen die Datenfreiheit nicht aufgeben und aus Wettbewerbsgründen keine vertraulichen Informationen austauschen. Gleichzeitig man muss diesen Informationen aber vertrauen können, also müssen sie verifiziert sein. Zusätzlich bedarf es der Möglichkeit, anzugeben, nach welchen Methoden diese Informationen zur Verfügung gestellt werden sollen, da Unternehmen beispielsweise nicht allein die Chemieindustrie, sondern auch die Automobilindustrie beliefern. Noch gibt es hier keine universellen Standards, weswegen Informationen entsprechend industriespezifisch weitergeben werden, um aggregierbar zu sein.

Vertrauenswürdige CO2-Emissionswerte entlang der Lieferkette

KEM Konstruktion|Automation: Welche Rolle spielen Zertifikate und Zertifizierungen?

Beitinger: Zertifikate sind für uns so wichtig, weil sie zum einen ermöglichen, dass Informationen weitergegeben werden, die vertrauenswürdig sind, ohne dass Details bekannt werden, ohne dass vertrauliche Informationen weitergegeben werden. Zum anderen können die verifizierbaren Zertifikate, die Verifiable Credentials, wieder zurückgezogen werden, sollte sich im Prozess etwas geändert haben. Die verifizierbaren Zertifikate werden von einer unabhängigen dritten Partei, von Akkreditierern, ausgestellt. Und das passiert über ein sogenanntes dezentrales Netzwerk. Hat ein Zertifikat seine Gültigkeit verloren, kann es mit neuem und verlässlichem Wert ausgestellt und versendet werden. Dem kann man wieder vertrauen – und hat eben die Sicherheit, seinen CO2-Fußabdruck immer aktuell halten zu können. Die Information des CO2-Wertes wird entlang bereits bestehender Geschäftsbeziehungen ausgetauscht, das Zertifikat aber über eine dezentrale Infrastruktur, wo man die Informationen mit Private Keys verschlüsselt und mit Public Keys verifizieren kann, die eben in dieser dezentralen Infrastruktur liegen. Wir nutzen das IDunion-Netzwerk beziehungsweise nennen wir es auch das Estainium-Netzwerk, weil wir dort eben einen sogenannten TSX, also einen Connector, eine Anbindung entwickelt und zum Patent gebracht haben, die die Verbindung zwischen Sigreen und dem dezentralen Netzwerk ermöglicht, sodass die Verifizierungszertifikate ausgestellt werden können. Der TSX – wir nennen ihn Trustworthy Supply Chain Exchange Connector – bildet ein wesentliches Differenzierungsmerkmal zu Lösungen, die wir bisher gesehen haben.

KEM Konstruktion|Automation: Was ist daten- und workflowmäßig erforderlich, um den CO2-Fußabdruck eines Produktes beeinflussen zu können?

Beitinger: Eingangs nutzen Sie eine Materialliste, in der die entsprechenden Detailinformationen zu Gewicht, Dimensionen und weiteren Details vermerkt sind. Auch die Lieferanten sind hinterlegt. Diese Materialliste, die aus unserer Teamcenteranwendung – unserem Backbone für das Engineering – bereitgestellt wird, wird über Sigreen abgegriffen. Anschließend kann man seine Anfrage direkt an die Lieferanten rausschicken, eben mit der Bitte, den CO2-Fußabdruck zu einem bestimmten Produkt, zu einer gelieferten Komponente zu bekommen. Was man im Vorfeld tun kann, sind erste Lebenszyklus, kurz: LCA-Berechnungen des CO2-Fußabdrucks, um eine Vorabschätzung und klare Indikation zu haben, auf welche Baugruppen man sich fokussieren sollte, weil sie „CO2-auffällig“ sind. So kann die Reise gezielt beginnen, um ein Produkt umweltfreundlicher zu bekommen. Deswegen sagen wir, es handelt sich um ein Product-Carbon-Footprint-Management-Tool, weil es eben diese Transparenz sowie Fokussierung und letztlich die Beeinflussung des CO2-Fußabdrucks ermöglicht.

The_facility_is_a_prime_example_of_advanced_product_automation_and_has_received_numerous_awards._The_Amberg_factory_already_combines_the_real_and_virtual_worlds:_Products_communicate_with_machines,_and_all_production_processes_are_optimally_integrated_and_controlled_via_IT.
Für den hohen Automatisierungs- und Digitalisierungsgrad sind Siemenswerke als Leuchtturmwerke etabliert. Sie zeigen gut, wie Technologien aus der vierten industriellen Revolution effizient genutzt werden können. Dies wiederum ist ein Ausgangspunkt für mehr Nachhaltigkeit.
Bild: Siemens

Den CO2-Fußabdruck eines Produktes softwarebasiert beeinflussen

KEM Konstruktion|Automation: Es wird nicht gang und gäbe sein, dass Lieferanten diese Daten bereithalten.

Beitinger: So ist es. Was wir allerdings sehen, ist ein wachsender Druck seitens Regulierungsbehörden, Interessensgruppen und unserer Gesellschaft allgemein, sodass die Awareness, die Bereitschaft bei den Industrieunternehmen da ist und viele vorbereitet sind. Es hängt aber auch von der Größe eines Unternehmens und davon ab, welche Produkte mit welchen Materialien ausgeliefert werden. Und zusammenfassend: Die Emissionen, die unter der direkten Kontrolle der Unternehmen stehen, also die Scope-1-Emissionen sowie die Emissionen aus der außerhalb des Unternehmens erzeugten gekauften Energie, also Scope 2, sind bekannt. Sie sind erfasst und können offengelegt werden. Damit werden die gesamten Fehler über die Kette bereits geringer und der Anteil an Realdaten erhöht sich. Das ist schon ein Mehrwert, wenn man in die Reise einsteigt. Darüber hinaus werden zunehmend die sogenannten Scope-3-Emissionen erfasst – die Emissionen entlang der Wertschöpfungskette. Vielleicht hat ein Unternehmen auch schon ein Umweltziel kommuniziert. Falls ja, findet man in den Unternehmen bereits Strukturen vor, die eine systematische Ermittlung und Bereitstellung der Daten eben ermöglichen.

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Dr. Gunter Beitinger hat Maschinenbau mit den Schwerpunkten Produktionssystematik und Fertigungsautomatisierung an der Universität Erlangen studiert und ist dort im Elektronikbereich promoviert worden.
Bild: Siemens

KEM Konstruktion|Automation: Und wenn dem nicht so ist?

Beitinger: Dann sollten die Unternehmen den Einsatz von Tools wie Sigreen zur Unterstützung in jedem Fall in Erwägung ziehen, da die Erfassung und Analysen dieser Daten und des Energieverbrauchs einschließlich der Endanwendung den Rahmen der manuellen Techniken immer sprengen. Durch den Einsatz geeigneter Softwarewerkzeuge kann sich ein Unternehmen viel Wiederholungsarbeit ersparen, weil die Daten systematisch erfasst werden.

Regularien und Reportingpflichten rund um Product Carbon Footprints

KEM Konstruktion|Automation: In welche Richtung entwickeln sich Regularien und Reporting-Pflichten mit Blick auf die komplexe Thematik Product Carbon Footprint aktuell?

Beitinger: Es existieren verschiedene Normen und Leitfäden, die definieren, wie ein Product Carbon Footprint (PCF) zu berechnen und zu berichten ist – unter anderem ISO 14067. Dann gibt es die übergreifende Umweltbewertung in Form von Ökobilanzen und Berichtsnormen. Insgesamt ist das für Unternehmen herausfordernd und teils belastend. Trotzdem haben die Unternehmen die Verpflichtung, regelkonform zu berichten. Somit ist die Awareness und die Suche nach softwaregestützten Lösungen sehr groß. Und Erlasse wie CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) durch die EU in 2023 erhöhen grundsätzlich den Druck. CBAM ist ein Meilenstein gewesen, weil dadurch ganz klar bestimmte Produkte oder vielmehr kohlenstoffintensive Güter mit entsprechenden Auflagen und Abgaben beim Import in die europäische Gemeinschaft belegt werden. Zement, Aluminium, Düngemittel und Wasserstoff sind darunter. Jeder weiß, dies ist nur der erste Schritt, auf diese Industriegüter zu gehen, die bekanntlich den größten Anteil der industriellen Emissionen adressieren. Man kann jetzt schon sagen, dass die Berichterstattung zu CO2-Emissionen Ausmaße wie das Finanzreporting bekommen wird und dem vom Aufwand her in nichts nachstehen dürfte.

Die Estainium Association und ihre Beiträge zur Dekarbonisierung

KEM Konstruktion|Automation: Welche Rolle spielt die Estainium Association im Zusammenhang mit Sigreen?

Beitinger: Die Estainium-Vereinigung wurde von mir 2022 gemeinsam mit Unternehmen, Start-ups und Hochschulen auf internationaler Ebene gegründet. Ich stehe der Organisation aktuell auch als erster Vorstand zur Verfügung. Grundsätzlich wollen wir einen Beitrag zur Dekarbonisierung der industriellen Lieferkette leisten. Hier gibt es noch wesentlich mehr Themen, die man außerhalb der Anwendung von Sigreen adressieren muss. Die industrielle Dekarbonisierung ist einfach ein interdisziplinäres Feld. Wir sind im Verein davon überzeugt, dass man ganzheitlich in einem vorwettbewerblichen branchen- und funktionsübergreifendem Ökosystem arbeiten sollte. Wir bieten den Unternehmen einmal an, bei der Infrastruktur für den Datenaustausch mitzuarbeiten und zu entwickeln. Den TSX-Connector beispielsweise haben wir in diesen Verein gegeben. Somit steht er erstmal allen Vereinsmitgliedern zur Verfügung. Und andere Lösungen können darauf aufgesetzt werden. Wir glauben, es kann nur gemeinsam gehen, also eine Firma oder eine Lösung alleine wird nicht die Dekarbonisierung der gesamten industriellen Lieferkette erreichen. Des Weiteren adressieren wir Unterstützung und Hilfe für Unternehmen, um deren Methodenunsicherheit aufzulösen. Uns geht es um Transparenz bei den Methoden zur Ermittlung von Product Carbon Footprints: Wie unterscheiden sie sich oder wie können sie ineinander übergeführt werden? Das sind damit verbundene Fragen. Wir wollen aber nicht normativ oder standardisierend unterwegs sein. Wir möchten Unternehmen befähigen, Regelwerke richtig und regelkonform anzuwenden.

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Dr. Gunter Beitinger ist der Entwickler von Siemens Sigreen und Senior Vice President Manufacturing bei Siemens.
Bild: Siemens

Die Entnahme von Emissionen aus der Atmosphäre ist ein weiterer wichtiger Aspekt.

Die reine Vermeidung und Reduzierung wird nicht ausreichen, um die Erderwärmung in dem Umfang zu reduzieren, sodass wir von weiteren Umweltkatastrophen verschont werden. Wir müssen also in Klimaschutzprojekte investieren, die aktiv zur Entnahme von Kohlenstoff beitragen. Diesem Thema stellen wir uns aktiv.

Wir haben Experten zusammengebracht, die das Thema Dekarbonisierung für alle Mitglieder begleiten und für Fragen und Antworten zur Verfügung stellen. Der Verein stellt also mit dem Estainium-Netzwerk eine offene und unabhängige Infrastruktur zur Verfügung, ermöglicht es Unternehmen, die Dekarbonisierung gemeinsam voranzutreiben und bewährte Verfahren offen auszutauschen – und zwar von der Entstehung der Emissionen bis zur dauerhaften Entnahme der Emissionen aus der Atmosphäre.

Siemens-Sigreen-Software im Unternehmen einsetzen

KEM Konstruktion|Automation: Sigreen wird über die digitale Business Plattform Xcelerator von Siemens angeboten. Welche Vorteile hat das?

Beitinger: Das Tool wird über Xcelerator angeboten, weil wir offene API-Schnittstellen haben. Dies ermöglicht es, Teamcenter oder andere Datenbanken und Datenquellen anzubinden, um die Informationen leicht und automatisiert zu importieren. Sigreen fügt sich nahtlos ins Siemens-Produkt-Portfolio ein, ist aber offen für andere Anbindungen. Übrigens ist Sigreen frei verfügbar, kostet in der Nutzung also nichts. Wir wollen, dass die Software genutzt wird und dass auch das Einladen und das Onboarden der Lieferanten hürdenlos ist. Die Grundfunktionen sind alle frei verfügbar. Unabhängig von der Größe des Unternehmens, wollen wir sicherstellen, dass das Tool nutzbar ist und den Austausch der Informationen als Beitrag zur Dekarbonisierung leisten kann.

KEM Konstruktion|Automation: Wie integrationsfähig ist die Software?

Beitinger: Wir bieten offene API-Schnittstellen an die man frei belegen kann. Darüber hinaus existieren Integrationsmöglichkeiten zum Siemens-Software-Portfolio sowie mit weiteren Partnern. Und diese werden weiter ausgebaut. Somit können Unternehmen Sigreen auch mit branchenspezifischen Lösungen sehr gut kombinieren und sich damit in die Systemlandschaft einbinden.

KEM Konstruktion|Automation: Welche Unternehmen können Sigreen einsetzen?

Beitinger: Die industriellen Lieferketten kreuzen sich, teilen sich, drehen Schleifen. Daher ist Sigreen an sich ist erstmal industrieagnostisch. Auf der anderen Seite können wir als Start-up innerhalb von Siemens, das seit etwa zwei Jahren auf dem Markt ist, nicht alle Industrien gleichzeitig und gleich intensiv bedienen und deren spezifische Anforderungen sofort im Detail erfüllen. Aktuell fokussieren wir uns sehr stark auf die Prozessindustrie, die Chemieindustrie, die Automobilindustrie und die Lebensmittelindustrie. Vor allem deren Regelwerke bilden wir heute bereits in Sigreen ab.

KEM Konstruktion|Automation: Wer sind die Anwender der Sigreen-Software in Unternehmen?

Beitinger: Produktmanager, Einkäufer, Werkleiter, das General Management sowie das Sustainability Management. Wir stellen diesen Anwendern mit ihren unterschiedlichen Anforderungen bei der Informationsaufbereitung und Darstellung spezifische Bedienermasken zur Verfügung.

KEM Konstruktion|Automation: Sind bereits Premiumfunktionen geplant?

Beitinger: Wir wollen in nächster Zeit Premiumfunktionen herausbringen, die zugebucht werden können. Das sind dann Produktivfunktionen, Spotfunktionen oder bestimmte API-Schnittstellen gegen eine geringe Lizenzgebühr oder Nutzungsgebühr.

KEM Konstruktion|Automation: Sigreen wird als Software as Service angeboten?

Beitinger: Ja, damit ist das Tool besonders frei zugänglich. Anwender registrieren sich, stimmen den Geschäftsbedingungen zu und haben dann auch die Möglichkeit, auf einen Playground zu gehen, um sich mit den Funktionalitäten vertraut zu machen.

KEM Konstruktion|Automation: Wie wird das Tool bisher angenommen? Wie viele Anwender nutzen es bereits?

Beitinger: Wir haben momentan über 500 Nutzer im Playground, die sich das genau anschauen. Und über 200 Firmen aus über 25 Ländern auf 5 Kontinenten nutzen die Plattform schon produktiv.

KEM Konstruktion|Automation: Welches Wissen setzt die Software voraus?

Beitinger: Ein gewisses Wissen im Bereich der Nachhaltigkeit wird vorausgesetzt. Wir bieten aber umfängliche und kostenfreie Onboarding-Kurse, damit neue Anwender Sigreen effizient einsetzen können. Ebenso ist die gesamte Sigreen-Applikation mit interaktiven Begleittexten und Hilfestellungen unterlegt, was deren Nutzung wesentlich erleichtert. Zudem bieten wir regelmäßig Events an, zu denen die Nutzer Fragen an unsere Customer Experience Center stellen können.

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