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Inhaltsverzeichnis
1. Vorteile der direkten Nutzung von Gleichstrom
2. DC-Systemkonzept existiert – Entwicklungsbedarf besteht
3. Fraunhofer IPA als Planungspartner
4. Batteriespeicher und Ladestationen geplant
5. Lastspitzen lassen sich deutlich reduzieren
Die Câbleries Lapp in den französischen Vogesen bilden das größte Werk der Lapp Gruppe mit weltweit 25 Produktionsstandorten. Es wurde mit der wachsenden Nachfrage beständig erweitert. Im Rahmen einer Neuorganisation der Fertigungslinien in den fünf Werkshallen sollen in den kommenden drei Jahren 95 % der Maschinen ihren Platz wechseln, außerdem wird eine sechste Halle gebaut. Der Spezialist für integrierte Kabel- und Verbindungstechnologie will damit die Produktivität unter dem Strich verdoppeln.
Das Unternehmen nutzt diese Gelegenheit aber auch, um die Energie- und Ressourceneffizienz zu optimieren. Eine Kabelproduktion ist energieintensiv, vor allem die Extrusionslinien zum Aufbringen von Ader- und Mantelmaterial benötigen viel Energie. Das Management von Lapp entschied daher, die Versorgung der neuen sechsten Halle und der benachbarten Halle 1 mit Gleichstrom (Direct Current – DC) zu konzipieren – und dabei eigene Technologie zu verwenden, denn Lapp ist Vorreiter in der Entwicklung der DC-Technologie und Gründungsmitglied der Open Direct Current Alliance des ZVEI e.V.
Vorteile der direkten Nutzung von Gleichstrom
- In jeder Fabrikhalle gibt es Gleichstrom-Verbraucher, etwa die LED-Beleuchtung, die Belüftung oder Gleichstrommotoren. Für sie muss die Netzwechselspannung (Wechselstrom, Alternating Current – AC) gleichgerichtet werden, was Wandlungsverluste bedeutet. Effizienter wäre es, wenn man sie direkt mit Gleichstrom versorgen würde.
- Darüber hinaus werden drehzahlgeregelte Motoren zum Beispiel in Förderanlagen, Schweißrobotern oder Servomotoren über Frequenzumrichter mit einem DC-Zwischenkreis betrieben. Hier kann direkt in den DC-Zwischenkreis eingespeist und eine Wandlungsstufe vermieden werden.
- Auch bei der Energiebereitstellung dominiert DC: Photovoltaikanlagen erzeugen und Batterien speichern immer Gleichstrom.
- Ein Gleichstromnetz würde es zudem erleichtern, Bremsenergie aus Motoren, etwa bei der dynamischen Bewegung großer Massen, zurückzugewinnen und direkt im Fabriknetz zu verwenden.
- Ein weiterer Vorteil ergibt sich durch den Wegfall der dritten Phase (bei DC: DC+ und DC- sowie Neutralleiter) und damit eines Leiters in den Kabeln und Leitungen sowie durch das höhere Spannungsniveau von aktuell 650 V: Der daraus resultierende geringere Leiterquerschnitt führt dazu, dass DC-Leitungen mindestens 25 % weniger Kupfer benötigen. Das steigert die Materialeffizienz und senkt die Kosten.
DC-Systemkonzept existiert – Entwicklungsbedarf besteht
Trotz all dieser Vorteile konnten sich Gleichstromnetze in der Industrie bisher nicht durchsetzen. Das hat einmal damit zu tun, dass das Thema jetzt erst aus der Forschung in die industrielle Umsetzung kommt und zweitens Stand heute noch nicht alle Komponenten für DC mit den notwendigen Zertifizierungen verfügbar sind – wie etwa DC-Abzweige oder AC-DC-Wandler. Hier haben das Forschungsprojekt DC-Industrie und sein Nachfolgeprojekt DC-Industrie2 wichtige Vorarbeiten geleistet. Die Forschungspartner haben Standards erarbeitet, wie Gleichstromnetze aufzubauen sind – das sogenannte DC-Systemkonzept.
Gleichstromnetze profitieren von weniger Spannungswandlungen
Lapp untersuchte dort, welche Auswirkungen Gleichstrom auf ein Kabel oder eine Leitung hat und was hier zu beachten ist. Die Ergebnisse sind vielversprechend:
- Neben dem abweichenden Farbcode zu AC-Kabeln nach EN 60445 und der reduzierten Anzahl der Phasenleiter, kann aufgrund der höheren Spannung auch häufig ein kleinerer Querschnitt verwendet werden.
- Darüber hinaus wurde der Einfluss von DC im Niederspannungsbereich auf das Isolationsmaterial untersucht. Die Normung (UL 758) sieht identische Prüfungen für AC- und DC-Leitungen vor. Das Isolationsmaterial ist im Niederspannungsfall gleich einsetzbar; bei einzelnen Materialien in Kombination mit einer sehr starken Feuchtigkeitsbelastung muss eine höhere Durchschlagfestigkeit gewährleistet werden.
Lapp hat als erster Hersteller ein umfassendes Portfolio von Anschluss- und Steuerleitungen des Typs Ölflex für DC im Angebot, die sich für unterschiedliche Einsatzzwecke von der festen Verlegung bis zur Dauerbewegung in Schleppketten eignen.
Fraunhofer IPA als Planungspartner
Mit dem Werk in Forbach möchte Lapp einen Piloten schaffen, an dem sich andere Fabrikplaner:innen orientieren können. Dazu ist das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart an Bord. Das IPA hat in einer Konzeptstudie mit einer Bestandsaufnahme der Erzeuger und Verbraucher im Werk und einem Stufenplan zur Einrichtung eines Gleichstromnetzes die Basis gelegt. Auch die Kosten und der ROI wurden dabei berücksichtigt. Demnach könnten 10 % der Verbraucher sofort mit Gleichstrom versorgt werden. Zusammengerechnet sind das pro Jahr 1,5 GWh.
Ein hohes Einsparpotential ergibt sich bei den Motoren in der Ablängerei, in der große Trommeln und somit Massen beschleunigt und abgebremst werden. Die Energie wird dort nicht mehr über Widerstände verheizt, sondern ins Netz rekuperiert.
Batteriespeicher und Ladestationen geplant
„Das Gleichstromnetz im Werk in Forbach ist zunächst eine Konzeptstudie“, betont Dr. Susanne Krichel, Leiterin Innovation and Advanced Technology bei Lapp. Als nächstes werde die Umsetzung stufenweise geplant und verfügbare Komponenten geprüft. Zunächst soll in Halle 6 „auf der grünen Wiese“ die DC-Netzinfrastruktur aufgebaut und in Halle 1 nachgerüstet werden. Dann erfolgt die Anbindung der Photovoltaik auf dem Dach mit der Gebäudetechnik. In den nächsten Schritten kommen weitere Verbraucher wie Ladestationen für E-Fahrzeuge hinzu, die die Maximalleistung der Photovoltaikanlage nutzen. „Langfristig könnten alle Stromverbraucher an das DC-Netz angeschlossen werden, wobei Rekuperation und eventuell notwendigen Batteriespeichern eine wichtige Rolle zukommt – wenn alles klappt wie geplant, würden auch die anderen Hallen auf DC umgerüstet“, so Eric Lebert, Technischer Leiter der Câbleries Forbach.
Lastspitzen lassen sich deutlich reduzieren
„Bei Gleichstrom gibt es kein Unternehmen, das alles kann“, fährt Susanne Krichel fort. Das Partnernetzwerk helfe, die weitere technische Entwicklung voranzutreiben. So arbeiten Unternehmen aus der ODCA an einem AIC-Konverter (Active Infeed Konverter), der das AC- und DC-Netz besser koordiniert und Lastspitzen mildert. Erfahrungen bei einem Anbieter von DC-Komponenten, der bereits eine komplette Fabrik auf Gleichstrom umgestellt hat, zeigen: Die maximale Spitzen(Peak-)leistung, die der Betrieb aus dem Netz bezieht, hat sich deutlich reduziert. Das Unternehmen spart damit bares Geld, weil es beim Stromanbieter günstigere Konditionen bekommt.
Eine Fabrik, die zu 100 % mit Gleichstrom arbeitet? Susanne Krichel hält das grundsätzlich für möglich, aber nicht für wahrscheinlich – die Zukunft gehöre hybriden Netzen sowie auf die Bedarfe der Fabriken angepassten Netzkonzepten. „Was ist machbar und was ist wirtschaftlich sinnvoll? Diese Fragen wollen wir in Forbach beantworten.“ (co)
Ein FAQ zu Themen der DC-Versorgung liefert die Open Direct Current Alliance des ZVEI hier…