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Inhaltsverzeichnis
1. Ein digitaler Zwilling für Primär- und Sekundärtechnik
2. Vorteile hinsichtlich Zeit und Effizienz zeigen sich bereits
3. Ein Modell für alle Nutzer als Single Source of Truth
4. Sekundärtechnik standardisieren
5. Grundlage für die technische Umsetzung der Energiewende
6. Zum Anwender
Verteilen war einmal. Über Jahrzehnte wurde Energie tatsächlich einfach in eine Richtung verteilt, von den kontinuierlich laufenden Kohle- und Atomkraftwerken über Umspannwerke bis – mehrfach heruntertransformiert – zu den Endverbrauchern. Aus dieser ruhigen „Einbahnstraße“ ist, um im Bild des Straßenverkehrs zu bleiben, ein belebtes Straßennetz in Innenstadtlage geworden. Der aktuelle Energie-Mix wechselt stündlich mit Wind und Wetter, eine verlässliche Grundlast gibt es kaum noch. Außerdem speisen Windkraft- und Solaranlagenbetreiber dezentral auf Mittel- und Niederspannungsebene ein, das Stromnetz arbeitet jetzt also im Zweirichtungsbetrieb. E-Auto-Ladestationen und Wärmepumpen sorgen für zusätzlichen Verbrauch, und auch die altbekannten Lastprofile mit dem „Peak“ am frühen Abend haben keine Gültigkeit mehr. Die Qualität der Versorgung muss aber immer gewährleistet sein – zu erkennen an der Einhaltung der Netzfrequenz von 50 Hz.
Die Netzbetreiber stehen damit vor einer Mammutaufgabe: Sie müssen ihre Netze für diese komplexen Anforderungen fit machen. Für die naturenergie netze GmbH in Rheinfelden gehören dazu der Neubau, aber auch die Modernisierung einiger bestehender Umspannwerke. Dabei besteht die Herausforderung nicht nur darin, die Werke an den steigenden Strombedarf anzupassen. Sie müssen vielmehr für eine weitaus größere Flexibilität ertüchtigt werden, was Energiequellen und -flüsse sowie die exakte Steuerung des Stroms betrifft.
Ein digitaler Zwilling für Primär- und Sekundärtechnik
Das Unternehmen hat sich frühzeitig darauf eingestellt und arbeitet aktuell an einem Pilotprojekt im Rahmen der Modernisierung einer Anlage. Der Umbau des Umspannwerkes Rheinfelden wird dabei mit einem digitalen Konzept geplant und projektiert. Neu ist die Vorgehensweise bereits bei der Vorarbeit. „Bevor wir in die Planung gehen, erstellen wir einen digitalen Zwilling des Umspannwerks, also ein digitales Abbild mit allen Daten sowohl für die stromführenden Komponenten – die Primärtechnik – als auch für die Steuerungsebene – die Sekundärtechnik – sowie natürlich für die Gebäude mit der gesamten Peripherie“, berichtet Rainer Beck, Koordinator im Bereich Netzentwicklung. „Dieser digitale Zwilling ist die Grundlage für unsere Umbauplanung.“
Diese Aufgabe ist auch deshalb anspruchsvoll, weil Primär- und Sekundärtechnik mit unterschiedlichen CAD-Software-Tools geplant werden. Lösbar wurde sie bei diesem Pilotprojekt dadurch, dass sich zwei Anbieter – entegra mit der Software-Lösung primtech für die Primärtechnik und Eplan für die Sekundärtechnik – in dem VDE-ETG-Arbeitskreis „Digitale Zwillinge für elektrische Energiesysteme“ auf eben das vorbereiteten, was naturenergie netze für den ersten (Vor-)Planungsschritt benötigte: die Zusammenführung von Primär- und Sekundärtechnik in einem einheitlichen Modell.
Vorteile hinsichtlich Zeit und Effizienz zeigen sich bereits
Für dieses bislang einmalige Vorhaben hatten deswegen auch entegra und Eplan nach einem innovativen Verteilnetzbetreiber gesucht, der als Dritter im Bund ein Pilotprojekt einbringt. Da kam der Kontakt zu naturenergie netze gerade recht – zumal es sich um ein komplexes Projekt handelt. „Wir werden hier die gesamte Sekundärtechnik in einem vorhandenen und sehr komplexen Umspannwerk erneuern – und das bei laufendem Betrieb“, so Beck weiter. Der Anreiz, sich an diesem Projekt zu beteiligen, liegt damit auf der Hand. „Die Planung und Umsetzung der Modernisierung würde normalerweise zwei bis drei Jahre dauern – mit der neuen Planungsmethodik wird es deutlich schneller gehen.“ Keine einfache Aufgabe, denn „wir müssen schließlich nachweisen, dass sich der Einmalaufwand, den wir investieren, schnell amortisiert“. Nach der ersten Projektphase der Vorplanung zeichnet sich aber bereits eine deutliche Zeiteinsparung beim Umbau von Umspannwerken ab – und das bei jedem Projekt.
Eplan fördert digitale Durchgängigkeit in der industriellen Automatisierung
Ein Modell für alle Nutzer als Single Source of Truth
Im ersten Schritt des Projektes wurden das Umspannwerk gescannt, die Typenschilder fotografiert und die erzeugten Primärtechnik-Daten mit denen aus dem System für das Asset Management abgeglichen. Als Ergebnis entstand ein valides, funktionales primtech-3D-Modell des Umspannwerks. Die in dem CAD-System für die Primärtechnik erstellten Datensätze wurden dann über eine Schnittstelle vollautomatisch nach Eplan exportiert und darauf basierend die Sekundärtechnik in diesem CAE-System geplant. Abschließend wurden die Daten aus der Sekundärtechnik in den digitalen Zwilling integriert. Diese Arbeiten sind nahezu abgeschlossen.
Mit der Dokumentation des Ist-Zustands wurde die Basis für den effizienten Austausch der Sekundärtechnik des Umspannwerks gelegt. „Das ist ein ganz wichtiger Schritt – alle Daten sind verifiziert“, erläutert Jan Oliver Kammesheidt, Global Vertical Market Manager Energy bei Eplan. „Grundsätzlich wird das Prinzip ‚Single Source of Truth‘ beachtet: Dabei bleiben die Daten in den ursprünglichen Systemen unangetastet und werden mit dem digitalen Zwilling verknüpft. So lassen sich Redundanzen vermeiden, die zukünftig problematisch werden könnten.“
Bei der Architektur des gemeinsamen Datenmodells haben die Beteiligten damit – ganz im Sinne des Zwillingsgedankens – eine besondere Infrastruktur verwirklicht. „Es gibt nicht ein führendes System, sondern nur verschiedene Sichten auf ein und dasselbe Modell“, betont Matthias Schuy, Business Development Manager bei entegra. „Wir integrieren hier Primär- und Sekundärtechnik eines Umspannwerkes in einem digitalen Zwilling – und dieser macht jeweils ein Fenster zu den passenden Systemen auf, sei es von primtech zu Eplan oder zu SAP. Damit erfüllt der digitale Zwilling eine seiner wesentlichen Funktionen – nämlich an zentraler Stelle Zugriff auf alle relevanten Informationen des Umspannwerks zu bieten.“ Dies legt auch die Grundlage für die „Single Source of Truth“.
Sekundärtechnik standardisieren
Erleichtert oder überhaupt erst möglich wurde die Dreierkonstellation von entegra, Eplan und naturenergie netze, weil der Verteilnetzbetreiber vor zwei Jahren die Software-Lösungen Electric P8 und Pro Panel von Eplan für die Planung der Sekundär-, sprich Steuerungstechnik eingeführt hat. Dafür verantwortlich war und ist Simon Rümmele, Projektleiter im Bereich Netzentwicklung: „Mit Eplan können wir die Standardisierung und ein effizienteres Engineering der Sekundärtechnik vorantreiben – und eine durchgängige Planung, die wir auch im Betrieb nutzen können: sowohl für die vorbeugende Instandhaltung als auch für Revisionen.“
Die Anwender in der Elektrizitätswirtschaft profitieren damit von Erfahrungen und Lösungen aus dem Maschinenbau. „Dort ist die Standardisierung und ‚Industrialisierung‘ der Steuerungs- und Schaltanlagentechnik fest etabliert“, so Jan Oliver Kammesheidt weiter. Bisher wurden Umspannwerke individuell geplant und als Unikat wie in einer Manufaktur gebaut. Der Bedarf an Modernisierungen und Neubauten, den die Energiewende bedingt, ist damit aber nicht darstellbar – mehr Standardisierung ist gefragt. „Mit dem gemeinsamen digitalen Zwilling für Primär- und Sekundärtechnik können wir diesen Prozess erheblich beschleunigen und ihn zugleich sicherer machen.“
„Wir möchten und müssen mehr digitalisieren, weil wir hier Chancen und Erleichterungen für die Zukunft sehen“, bestätigt Simon Rümmele aus Sicht von naturenergie netze. „Deshalb probieren wir neueste Technologien aus und werden in unserem Umspannwerk in Rheinfelden auch weitere Piloten einsetzen. Mit Rittal, dem Schwesterunternehmen von Eplan, haben wir auch einen starken Partner für den Umbau der ‚Hardware‘ – der gesamten Schaltschranktechnik – an Bord.“
Grundlage für die technische Umsetzung der Energiewende
Die Standardisierung, für die der gemeinsame digitale Zwilling von entegra und Eplan eine Voraussetzung schafft, stand schon länger auf der Agenda von naturenergie netze. „Wir können uns vorstellen, im 110-kV-Bereich zwei Standardkonzepte und -gebäude zu nutzen, auf deren Basis wir Varianten bilden“, fasst Rainer Beck die Erfahrungen zusammen. „Daran arbeiten wir auch mit den zentralen Primärzulieferern. Das wird ebenfalls Zeit und Planungsaufwand sparen. Und das müssen wir, denn wir werden gezwungen sein, einen Großteil unserer Umspannwerke an die veränderten Anforderungen anzupassen.“ Der digitale Zwilling und die Vorarbeiten, die entegra und Eplan leisten, ist dabei von Vorteil. „In partnerschaftlicher Zusammenarbeit erarbeiten wir hier wirklich eine Innovation, die dazu beiträgt, dass wir unsere Netze zukunftsfähig ausbauen können – mit hoher Effizienz.“
Nicht nur naturenergie netze wird von dem Projekt profitieren. „Die Verteilnetzbetreiber tauschen sich offen aus, weil sie nicht im Wettbewerb stehen“, so Jan Oliver Kammesheidt abschließend. „Schon jetzt ist das Interesse groß und ich bin sicher: Was wir hier und in der VDE-Arbeitsgruppe erarbeiten, werden viele Netzbetreiber für sich nutzen, um ihre Umbau- und Neubauprojekte schneller planen und umsetzen zu können.“ (co)
Mehr zu den Lösungen von Eplan für den Energiesektor…
Zum Anwender
Die naturenergie netze GmbH ist die Netzbetreiberin für Südbaden. Das Unternehmen macht Stromverteilnetze und kommunale Energieinfrastruktur fit für die Zukunft, um eine sichere Stromversorgung zu gewährleisten. Durch Modernisierung und Ausbau der entsprechenden Infrastruktur treibt sie auf diese Weise die Energiewende voran. Das Netzgebiet umfasst im Westen die Region südlich von Freiburg bis zum Hochrhein, im Osten vom Bodensee bis nördlich von Villingen-Schwenningen. Das Unternehmen gehört zur deutsch-schweizerischen naturenergie holding AG.