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Ein Potpourri an Möglichkeiten

Hochsiliziumhaltige Gusseisen mit Kugelgraphit für Leichtbauanwendungen
Ein Potpourri an Möglichkeiten

Für Leichtbauanwendungen sind Gusseisenwerkstoffe seit jeher prädestiniert. Hoch siliziumhaltige Gusseisen mit Kugelgraphit er- öffnen nun noch mehr Möglichkeiten: Bei gegebener Festigkeit bieten sie eine etwa doppelt so hohe Bruchdehnung wie konventionelle ferritisch-perlitische Sorten. Auch die Streckgrenzen liegen bei gleicher Festigkeit erheblich darüber.

Exklusiv in kem Die Autorin Dr. Christine Bartels ist Leiterin Zentrales Qualitätsmanagement/Forschung und Entwicklung der Claas Guss GmbH, Gütersloh

Wenn in den letzten Jahren ein Trend in der Konstruktion zu beobachten war, dann war es der zu immer leichteren, kompakteren Komponenten. Dieser Trend beherrscht schon längst nicht mehr nur den Automobilbau, sondern hat auch eine Vielzahl weiterer Branchen erreicht. So spielt Gewichtseinsparung beispielsweise auch im Landmaschinenbau heute eine bedeutende Rolle, wo zulässige Achslasten eine Grenze für immer größere und leistungsfähigere Erntemaschinen sind. Ebenso ist Leichtbau im Textilmaschinenbau wichtig, wo in Spulmaschinen sehr schnell rotierende Komponenten rasch abgebremst und ebenso schnell wieder auf ihre volle Betriebsdrehzahl beschleunigt werden.
Bionik: Ideengeber für Leichtbauansätze
Ansätze, diesen Anforderungen zu begegnen, liefert die Bionik, bei der die Konstruktionsprinzipien der Natur auf technische Aufgaben übertragen werden. Die Natur demonstriert in verschiedensten Bereichen Leichtbau par Excellence – unter anderem beim Knochenwachstum, wo Gewebe dort abgebaut wird, wo es nicht beansprucht wird, und dort verstärkt wird, wo es stark belastet ist. Analog werden bei der Topologieoptimierung in einem gegebenen Bauraum bei angreifenden Lasten die Hauptlastpfade analysiert. Nur hier wird tatsächlich Material benötigt. Bereiche, die nicht zur Lastübertragung beitragen, werden sukzessive eliminiert. So entsteht ein erster Designvorschlag, der anschließend in ein fertigungsgerechtes Bauteildesign überführt und mittels FEM noch einmal verifiziert werden muss.
Geht es darum, Spannungen in besonders hoch belasteten Bauteilbereichen durch nur geringfügige, lokale Geometrieänderungen zu reduzieren, zeigt die Shapeoptimierung Möglichkeiten auf: Mit geringen Veränderungen der Bauteiloberfläche werden lokale Spannungsspitzen reduziert, was die Lebensdauer schwingend belasteter Bauteile signifikant erhöht.
Die Ergebnisse der bionischen Bauteiloptimierung sind durch Freiformgeometrien charakterisiert und lassen sich nicht durch Fügen von Regelgeometrien aus Halbzeugen aufbauen. Sie sind umso besser umsetzbar, je weniger Restriktionen durch ein Fertigungsverfahren diktiert werden. Daher ist Sandgießen sehr gut zur Umsetzung bionischer Bauteiloptimierung geeignet. Mit diesem Fertigungsverfahren lassen sich Hohlräume, Durchbrüche, Wandstärkenübergänge und beliebige Freiformflächen darstellen und so die charakteristischen Elemente der Topologie- oder Shapeoptimierung in ein Bauteildesign übernehmen.
Gusseisen: attraktive Werkstoffe mit Leichtbaupotenzial
Gusseisenwerkstoffe sind vor diesem Hintergrund besonders attraktive Werkstoffe. Einer Vielzahl von positiven Fertigungseigenschaften wie beispielsweise eine geringe Gasaufnahme der Schmelze, eine geringe Neigung der Schmelze zu Reaktionen mit Luftsauerstoff oder eine geringe Tendenz zu Reaktionen mit dem Formstoff äußern sich vor allem in der hohen Wirtschaftlichkeit des Fertigungsverfahrens. Auch die Kosten für Einsatzstoffe sind moderat. Der im Vergleich zu anderen Gusswerkstoffen geringere Speisungsbedarf hat jedoch nicht nur eine wirtschaftliche Bedeutung auf Grund des geringeren Kreislaufanteils. Er führt auch zu weniger geometrischen Restriktionen, die vom Konstrukteur beachtet werden müssen.
Die Bandbreite der Gusseisenwerkstoffe ist groß. Sie reicht von den un- und niedrig legierten Gusseisen mit Lamellengraphit nach DIN EN 1561, über ferritisch-perlitische Gusseisen mit Kugelgraphit nach DIN EN 1563 und ausferritische Sorten mit stahlähnlichen Eigenschaften nach DIN EN 1564 bis hin zu hochlegierten austentischen Sorten für Sonderanwendungen (DIN EN 13835). Zudem existieren weitere legierte Gusseisensorten für spezielle Anwendungen.
Mit der neuen Ausgabe der DIN EN 1563 – Gusseisen mit Kugelgraphit – ist nun eine neue Gruppe von Werkstoffen in die Norm aufgenommen worden: hoch siliziumhaltige Gusseisen mit Kugelgraphit. Während bei konventionellen Spärogusswerkstoffen höhere Festigkeiten durch einen steigenden Gehalt an Perlit erreicht werden, liegt bei den hoch siliziumhaltigen Werkstoffen legierungsbedingt ein gleichmäßiges, überwiegend ferritsches, mischkristallverfestigtes Gefüge vor. Die Materialien zeichnen sich durch die für die jeweilige Festigkeit hohen Bruchdehnungswerte aus. Bei gegebener Festigkeit bieten sie eine etwa doppelt so hohe Bruchdehnung wie konventionelle ferritisch-perlitische Sorten. Auch die Streckgrenzen Rp0,2, die den Beginn der makroskopisch erkennbaren plastischen Verformung kennzeichnen, liegen bei gleicher Festigkeit erheblich über denen von ferritisch-perlitischen GJS-Werkstoffen. So liegt die Streckgrenze eines EN-GJS-600-10 sogar noch leicht oberhalb derer eines EN-GJS-700-2 – und das bei einer hohen Bruchdehnung. Die Kombination von hoher Streckgrenze und hoher Bruchdehnung eröffnet erhebliches Leichtbaupotenzial. Zwar werden noch nicht die Festigkeiten von ADI-Werkstoffen erreicht, dafür kann bei den hoch siliziumhaltigen Werkstoffen sowohl auf die Verwendung teurer Legierungselemente als auch auf eine aufwändige Wärmebehandlung verzichtet werden.
Interessant sind hoch siliziumhaltige Werkstoffe auch im Hinblick auf ihre mechanische Bearbeitbarkeit. Hier bieten sie insbesondere im Vergleich zu den konventionellen ferritisch-perlitischen Sorten EN-GJS-500-7 und EN-GJS-600-3 Vorteile. Bei letzteren ist der Einfluss der Abkühlgeschwindigkeit auf die mechanischen Eigenschaften ausgeprägter als bei anderen Sphärogusssorten, was vor allem bei Gussbauteilen mit deutlich unterschiedlichen Wandstärken und damit unterschiedlichen lokalen Abkühlgeschwindigkeiten eine Rolle spielt. Nach DIN EN 1563 darf die Härte des Werkstoffs EN-GJS-500-7 zwischen 170 und 230 HB schwanken. Innerhalb ein und desselben Bauteils kann es zu deutlichen Schwankungen von Festigkeit und Härte kommen. Hoch siliziumhaltige Werkstoffe weisen auf Grund des ferritischen Gefüges keine solchen ausgeprägten Härteschwankungen auf. Im Vergleich zu ferritisch-perlitischen Sorten werden die zulässigen Härteschwankungen etwa halbiert. Geringe Härteschwankungen ermöglichen das reproduzierbare Erreichen enger Maßtoleranzen in der mechanischen Bearbeitung. Auch ist der Werkzeugverschleiß bei der Bearbeitung der vorwiegend ferritischen Struktur geringer als im perlitischen Gefüge, dass die harte Zementitphase enthält.
Wo Streckgrenze, Schwingfestigkeit, Duktilität und gute Bearbeitbarkeit gefordert sind und Verschleißfestigkeit eine untergeordnete Rolle spielt, eröffnet die Gruppe der hoch siliziumhaltigen Werkstoffe neue Einsatzmöglichkeiten. Sie erweitert die Eigenschaften der etablierten Gusseisensorten, ermöglicht Kosteneinsparungen und bietet gute Voraussetzungen für kostengünstigen Leichtbau. Mit ihr bietet sich eine neue Gruppe von Werkstoffen, die hervorragend geeignet ist, bionisch optimierte Bauteile zu realisieren.
Claas Guss; Telefon: 05241 938-234; E-Mail: c.bartels@claasguss.de
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