Startseite » Leichtbau »

Neues aus der technotextilen Forschung

Leichtbau
Neues aus der technotextilen Forschung

Leichtbau mittels Faserverbundwerkstoffen oder textilbasierten Hybridverbunden: Hightech-Textilien sind häufig die Basis für Innovationserfolge. Unter dem Anwendungslabel Indutech werden auf der Techtextil 2015 im Mai in Frankfurt/M. laborwarme Ergebnisse für den Maschinenbau vorgestellt.

Der Autor: Michael Jänecke, Leiter der Techtextil und Texprocess, Messe Frankfurt Exhibition GmbH

Technische Textilien haben quer durch viele Branchen heute schon eine omnipräsente Gegenwart und in Verbindung mit Funktionalisierung, neuen Oberflächen oder im Materialmix auch eine große Zukunft. Sie ersetzen klassische Werk- und Einsatzstoffe wie Stahl oder Aluminium, integrieren Sensoren, Schalter oder Leuchtelemente in das Bauteil und verblüffen durch Materialkombinationen wie einem Hybridverbund zwischen Metallblech und thermoplastischem, endlosfaserverstärktem Kunststoff.
Ein solches 3D-Blech-Hybridgarn-Element samt Fertigungsverfahren, unter anderem zum Leichtbaueinsatz als tragende Struktur bzw. Außenbauteil im Fahrzeug- und Maschinenbau, wurde an der TU Dresden im Rahmen der vorwettbewerblichen Gemeinschaftsforschung entwickelt. Kennzeichen der Materialkomposition, die inzwischen „großes Interesse“ bei der Industrie gefunden habe, sind ihr geringes Gewicht, ausgezeichnete mechanische, akustische und wärmedämmende Eigenschaften sowie ein gutes Impactverhalten. Die drei Entwickler aus drei TU-Instituten betonen: „Aus produktionstechnischer Sicht sind die Lackierfähigkeit der Materialoberflächen und die gute Nachbearbeitbarkeit der thermoplastischen FKV-Komponente besonders vorteilhaft.“ Für die industrielle Nutzung ebenso ein Plus: die hohe Designfreiheit des Materials.
Die im Faserinstitut Bremen für den Leichtbau entwickelten CFK-Aluminium-Übergangsstrukturen, sogenanntes Schwarz-Silber, zielen hingegen auf solche Anwendungen im Maschinenbau wie Hydraulikelemente, Roboter-Gelenkarme oder Krafteinleitungen. Der Werkstoffverbund reduziert dabei Gewicht und Bauraum und minimiert die Fertigungsschritte. Im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden bisher drei solcher neuartigen Verbindungsstrukturen charakterisiert.
Glasgitter-Gewebe und Steifigkeits-Plus
Drei weitere Entwicklungen kommen aus Thüringen und Niedersachsen. Glasgittergewebe werden häufig in Verbindung mit verschiedenen Materialien zu Laminaten weiterverarbeitet. Sie dienen so der Verstärkung und Stabilisierung von Vliesen, Folien oder Papieren. Durch den Einsatz einer speziellen, unter Wärme verformbaren Appretur ist es der Vitrulan Technical Textiles GmbH aus Haselbach gelungen, Glasgittergewebe auch dreidimensional umzuformen. Das Verfahren unterstützt auch komplexe Anforderungen im Bereich des Leichtbaus, der Kunststoffverstärkungen, der Automobilzulieferindustrie und des Modell- und Formenbaus. Mit der Beschichtung, die bei Temperaturen bis 100 °C erfolgt, lassen sich Gewebe tiefziehen und in beliebige 3D-Strukturen umwandeln. Vitrulan stellt nach diesem Prinzip bereits Eckwinkel her. Ebenso lassen sich, wie auf der Techtextil gezeigt wird, Rundungen und Wölbungen bis hin zu Formen mit starken Radien erzeugen. Die nach dem Abkühlen dauerhaft stabilen Bauteile nehmen hohe Kräfte bei geringer Dehnung auf und können daher zur Verstärkung, Armierung und als Trägermaterial verwendet werden.
Ein ebenfalls auf Versteifung zielendes Forschungsergebnis arbeitet nach dem Luftballonprinzip: Je höher der Innendruck, desto steifer die Hülle. Die Hydroflex genannte Technologie der Bionic Composites GmbH aus Hannover basiert auf dem Prinzip, dass der im Inneren des dreidimensionalen, speziell aufgebauten Deckschichtlaminats eingesetzte Schaumkern bzw. das Sandwichbauteil selbst unter Überdruck steht. Das Institut für Textil- und Verfahrenstechnik aus Denkendorf hat dafür eine Verstärkungskomponente in Form von Gelegestrukturen für großserientaugliche Compositanwendungen entwickelt. Noch gibt es nur ein Demonstrator-Surfboard, das die Idee der „druckbeaufschlagten Schäume“ als allgemein gültiges Konstruktions- bzw. Herstellungsprinzip zur Erhöhung der Steifigkeit unter Beweis stellen soll. Durch einfache, flexible und kostengünstige Applikationen sollen sich jedoch bald neue Anwendungsfelder bis zum Automotive-Bereich ergeben.
Röhren in allen Formen und Größen
Auf der Techtextil will zudem die Wuppertaler Barthels-Feldhoff GmbH & Co. KG ihre Formenvielfalt bei Faserverbund-Bauteilen vorstellen. Entstanden sind sie mit Hilfe der RAM-Technologie (Robot Assisted Manufacturing), einer Fertigungsmethode zur Herstellung kundenindividueller Halbzeuge mittels automatisiertem Flechten. Dabei umwickelt der Industrieroboter eine permanente bzw. irreversible Kernkonstruktion. Der Faserwinkel des Verstärkungsmaterials ist von 20° bis 60° definierbar, Faserwinkeländerungen entlang des maximal 4,5 m langen Bauteils sind so möglich. Es lassen sich verschiedenste Geometrien wie z. B. röhrenförmige Komponenten, ein- oder mehrfach geknickt bzw. gebogen, mit ein- oder mehrfach wechselnden Durchmesserformen oder -größen realisieren. Die sogenannten Preforms finden sich unter anderem in der Medizintechnik, in der Automobilindustrie, im Sportgerätebau und im Maschinen- und Flugzeugbau wieder. Die Materialauswahl reicht von Carbonfasern über Glas-, Aramid- oder Basaltfasern bis zu beliebig konfigurierbaren Hybridstrukturen.
Resistent gegen 1000 Grad Strahlungswärme
Eine weitere technotextile Materialentwicklung zielt auf die Verbesserung der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA) von Industriearbeitern. Beispielsweise müssen Gießereiarbeiter nicht nur gut vor Hitze oder Glutspritzern geschützt sein, sondern sollen in ihrer Montur auch nicht übermäßig ins Schwitzen geraten. Unter dieser Prämisse hat das Inventex Spezialtextilwerk Funke aus Hof einen Verbundstoff für Schutzanzüge entwickelt. Das hochfeste synthetische Fasermaterial Kevlar ergibt zusammen mit Feuchtigkeit aufnehmender Merinowolle einen extrem hitzebeständigen Stoff, von dem auch flüssige Metallspritzer wie Wasser abperlen. Die reflektierende Aluminium-Oberschicht wird in einem geometrisch optimierten Muster mit dem Stoff verklebt. So widersteht der Anzug Temperaturen bis 400 °C in direktem Kontakt und bis zu 1000 °C Strahlungswärme, weist aber gleichzeitig die Elastizität einer Sportbekleidung auf und lässt Schweiß und Körperwärme nach außen durch.
Auch der rasant wachsende Laser-Markt rückt immer stärker in den Fokus der textilen Schutzexperten: Weil nicht nur der direkte Laserstrahl, sondern auch die nicht berechenbaren, vagabundierenden Strahlen schwere Verbrennungen hervorrufen können, wird in Hof aktuell mit Partnern eine Laserschutzbekleidung aus Aramid- und konventionellen Fasern sowie Chloropren-Kautschuk entwickelt.
Gurte, Seile und Bänder: Da geht noch viel mehr
Auch bei den eher klassisch zu nennenden Technischen Textilien wie Gurten, Seilen und Bändern ist das Materialpotenzial längst noch nicht ausgereizt. Diese Tausendsassa-Elemente, ohne die die industrielle Revolution kaum möglich gewesen wäre, haben heute ein Imageproblem: Obwohl sie in vielen Hightech-Anwendungen eine im wahrsten Wortsinne tragende Rollen spielen, gelten sie zu Unrecht als wenig innovativ. Dabei verlangt die Produktion dieser Textilelemente ein hohes materialwissenschaftliches und textiltechnisches Know-how, wie ein Beispiel aus Sachsen zeigt.
Textilforscher aus Chemnitz entwickeln derzeit hochfeste Fasertragseile für Aufzüge und wollen damit nach über 150 Jahren die Vormachtstellung von Stahl aushebeln. Ihr Argument: Textile Seile sind bis zu sieben Mal leichter als jene aus metallischen Legierungen. Das Problem angesichts neuer Höhen- und Tiefendimensionen bei Hochhäusern und der Gewinnung von Bodenschätzen: Tragseile aus Stahl kommen irgendwann an ihre Grenzen, denn mit jedem zu bewältigenden Meter nimmt die Eigenlast des Seils zu was gleichzeitig die Nutzlast verringert. Das macht es ab einer bestimmten Dimension nahezu unmöglich, überhaupt noch eine zusätzliche Last anzuhängen. Deshalb müssen künftige Seile vor allem eines sein: leicht, und zwar bei gleichbleibend hoher mechanischer Belastbarkeit. „Die Suche nach Maschinenelementen mit geringerem Eigengewicht – und damit natürlich auch geringerer Antriebsenergie – mit gleichen mechanischen Eigenschaften wie Stahl ist in vollem Gange“, sagt Markus Michael vom Institut für Fördertechnik und Kunststoffe der TU Chemnitz.
Das Hightech-Textil besteht vor allem aus thermoplastischem Kunststoff (Polyethylen) und Aramidfasern. Beides wird zunächst zu Garn und anschließend zu Litzen verdreht, um daraus das hochfeste Seil zu flechten. Laut Michael seien Ausrüstungs- und Wartungsaufwand bei textilen Seilen gegenüber Stahl weitaus geringer, was Zeit im Aufbau und Geld beim Unterhalt spare. I

Messe Techtextil
Als internationale Leitmesse für technische Textilien und Vliesstoffe startet die Techtextil zeitgleich mit der Texprocess am 4. Mai in Frankfurt/M. An vier Tagen werden Neuentwicklungen in zwölf Anwendungsbereichen gezeigt. Allein im Bereich Indutech zeigen weit über 600 Aussteller Neues für den Maschinen- und Anlagenbau. Zu den beiden Messen erwarten die Veranstalter etwa 40 000 Fachbesucher aus rund 100 Ländern.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Systems Engineering im Fokus

Ingenieure bei der Teambesprechung

Mechanik, Elektrik und Software im Griff

Video-Tipp

Unterwegs zum Thema Metaverse auf der Hannover Messe...

Aktuelle Ausgabe
Titelbild KEM Konstruktion | Automation 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts
Webinare

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper
Whitepaper

Hier finden Sie aktuelle Whitepaper


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de