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Gusseisen mit Kugelgraphit – Neue Freiheitsgrade bei der Substitution von Stahlguss- und Stahlschweißkonstruktionen

Neue, interessante Kugelgraphit-Gusswerkstoffe
Siron-Werkstoffe als Alternative zu Stahlguss

Eine neue Gruppe hochfester Gusseisen mit Kugelgraphit besitzt interessante Eigenschaften sowie hervorragende Gießbarkeit. Das eröffnet Konstrukteuren im Maschinen- und Anlagenbau neue Freiheitsgrade beispielsweise zur Substitution von Stahlguss- und Stahlschweißkonstruktionen.


Der Autor: Klaus Vollrath, Fachjournalist in Aarwangen/Schweiz

Inhaltsverzeichnis
1. Wesentlich höhere Streckgrenze …
2. … bei guter Zähigkeit
3. Gusseisen mit Kugelgraphit: Überlegene Gießbarkeit
4. Erfolgsgeheimnis dieses Gusseisens mit Kugelgraphit: Ferritgefüge
5. Bessere Bearbeitbarkeit und Warmfestigkeit
6. Neue Freiheitsgrade für Konstrukteure

„Dank intensiver Gemeinschaftsarbeit in den Bereichen Werkstoffentwicklung und Normung gibt es seit kurzem eine neue Familie von Eisengusswerkstoffen mit hervorragenden Gebrauchseigenschaften“, weiß Johannes Heger, Geschäftsführender Gesellschafter der HegerGuss GmbH in Enkenbach-Alsenborn. Die Werkstoffe, die sich insbesondere durch verbesserte Duktilität bei gleichzeitig hoher Festigkeit auszeichnen, füllen die Lücke zwischen den höherfesten Gusseisen mit Kugelgraphit und Stahlgusswerkstoffen. Aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften bieten sie sich für viele Aufgabenstellungen insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau als Alternative zu den beiden etablierten Werkstoffgruppen an. Ebenso geeignet erscheinen sie für viele Aufgabenstellungen, bei denen bisher bevorzugt Stahlblech-Schweißkonstruktionen zum Einsatz kommen. Beispiele sind insbesondere Gestelle oder kastenförmige tragende Elemente, die aufgrund ihrer Dünnwandigkeit bisher nicht als Stahlgussteile ausgeführt werden konnten.

Wesentlich höhere Streckgrenze …

„Ein entscheidender Vorteil der neuen Siron-Werkstoffe im Vergleich zu den etablierten höherfesten Gusseisen mit Kugelgraphit liegt zunächst in der deutlich höheren Streckgrenze“, ergänzt HegerGuss-Geschäftsführer Hartwig Haurand. So weist der (Siron) EN-GJS-600-10 eine Streckgrenze von beachtlichen 470 MPa auf, ein Wert, der erst vom höherfesten Gusseisen mit Kugelgraphit EN-GJS-800-2 mit 380 MPa erreicht wird. Dabei wird mit 10 % eine fünfmal höhere Bruchdehnung im Vergleich zum herkömmlichen Werkstoff erreicht.
Besonderes Augenmerk richtet man bei Heger auf eine Sorte, die in der Mitte zwischen den beiden neuen Werkstoffen GJS 500-14 und GJS 600-10 anzusiedeln ist. Intern bezeichnet man diese als Siron GJS 550-12. Hierfür hat man eine Reihe von technologischen Prüfungen zur Ermittlung der Dauerfestigkeit mithilfe der dynamischen Prüfung der Zugdruckwechselfestigkeit (ZDW) nach FKM-Richtlinie durchführen lassen. Dabei wurde ein wesentlich besseres Verhältnis von Zugfestigkeit zu Dauerwechselfestigkeit festgestellt als bei klassischem GJS: Bei einer durchschnittlichen Zugfestigkeit von 569 MPa (angegossene Probe) wurde eine Dauerfestigkeit von 246 MPa ermittelt, was einem Faktor von 0,43 entspricht. Bei herkömmlichen Gusseisen beträgt dieser lediglich 0,34.

… bei guter Zähigkeit

„Das eigentlich Interessante ist jedoch, dass Siron-Werkstoffe neben ihrer hohen Festigkeit zugleich erheblich höhere Duktilitätswerte aufweisen und sich daher als Alternative insbesondere zu Stahlguss anbieten“, freut sich J. Heger. Während die klassischen höherfesten Gusseisen mit Kugelgraphit lediglich Bruchdehnungen im einstelligen Prozentbereich erreichen, weisen die neuen Sorten diesbezüglich durchgehend zweistellige Werte auf. Ähnlich überlegen zeigen sie sich auch beim Bruchzähigkeitskennwert K1C. Diese Kombination aus hoher Streckgrenze und hoher Zähigkeit eröffnet dem Konstrukteur erhebliches Leichtbaupotenzial. Zudem sind sie auch ähnlich preisgünstig wie herkömmlicher Kugelgraphitguss, da weder teure Legierungselemente noch eine aufwendige Wärmebehandlung erforderlich sind.

Gusseisen mit Kugelgraphit: Überlegene Gießbarkeit

„Einer der entscheidenden Vorteile des neuen Gusseisens im Vergleich zu Stahlguss ist auch die sehr viel bessere Gießbarkeit“, sagt H. Haurand. Ähnlich wie beim Gusseisen mit Kugelgraphit weist der neue Werkstoff hervorragende Fließeigenschaften auf, sodass selbst sehr dünnwandige und verwickelte Formen mit langen Fließwegen problemlos gefüllt werden können. Zudem ist die Schwindung ebenso wie auch bei anderen Kugelgraphitgusseisen nur minimal, sodass keine aufwendigen Maßnahmen zur Nachspeisung ergriffen werden müssen. Dies senkt wiederum den Putzaufwand.
Der Unterschied ist erheblich, wie man am Beispiel einer Nabe für einen Bergbau-Radlader erkennen kann. Dieses Teil wurde früher in Stahlgussausführung hergestellt. Damals lag das Ausbringen wegen des hohen Speisungsaufwands bei lediglich rund 30 % der eingesetzten Schmelze. Bei der neuen Siron-Ausführung liegt das Ausbringen dagegen bei 82 %. Dazu trägt auch bei, dass im Gegensatz zum Stahlguss auf zusätzliche sogenannte Gussschultern, die später heruntergespant werden müssen, verzichtet werden kann. Weitere Vorteile, die erhebliche Kosteneinsparungen bedingen, sind die wesentlich niedrigeren Aufwendungen für das Gussputzen sowie der Entfall einer Wärmebehandlung. Der Gesamtkostenvorteil kann bei Teilen der hier gezeigten Kategorie zwischen 20 und 50 % liegen.

Ein Potpourri an Möglichkeiten

Erfolgsgeheimnis dieses Gusseisens mit Kugelgraphit: Ferritgefüge

„Herausragender Unterschied der Siron-Werkstoffe im Vergleich zu den üblichen Gusseisen mit Kugelgraphit ist das ferritische Gefüge“, weiß Johannes Heger. Erreicht wird dies durch eine Erhöhung des Siliciumgehalts der Legierung von den für Kugelgraphitguss typischen 2,5 % auf rund 3 bis 4 %. Das sich bildende Ferritgefüge erreicht Festigkeit und Härte durch Mischkristallverfestigung.
Bei den höherfesten Gusseisen mit Kugelgraphit liegt dagegen ein ferritisch-perlitisches Mischgefüge vor. Dabei gilt, dass höhere Festigkeit und Härte im Wesentlichen durch steigende Perlitgehalte erreicht werden. Dies geht jedoch zu Lasten der Zähigkeit. Weiterer Nachteil dieser Mischgefüge ist die Tatsache, dass ihre Zusammensetzung in erheblichem Maße durch die Abkühlgeschwindigkeit beeinflusst wird. Dies führt zu größerer Streuung der Eigenschaften und höherer Wanddickenabhängigkeit von Kennwerten wie Zugfestigkeit und Härte. Die entsprechenden Toleranzen sind bei Siron-Guss wesentlich enger. Dies erleichtert zudem auch das Einhalten engerer Maßtoleranzen bei der mechanischen Bearbeitung.

Bessere Bearbeitbarkeit und Warmfestigkeit

„Das durchgängig ferritische Gefüge weist noch weitere wesentliche Vorteile auf“, sagt H. Haurand. Hervorzuheben sei insbesondere die sehr gute Bearbeitbarkeit im Vergleich zum normalen Sphäroguss. Ursache ist das Fehlen von Perlit im Gefüge, dessen harte Zementitlamellen zu Verschleiß an den Bearbeitungswerkzeugen führen würden. Bei HegerGuss hat man die Erfahrung gemacht, dass die zur Bearbeitung von Siron-Gusseisen eingesetzten Werkzeuge in der Regel doppelt so hohe Standzeiten erreichen wie bei der Bearbeitung üblicher Kugelgraphit-Gusslegierungen.
Weiterer Vorteil des rein ferritischen Gefüges ist auch eine überlegene Warmfestigkeit. Grund hierfür ist die thermische Stabilität des Ferrits, der auch langzeitige Temperaturbeanspruchungen im Bereich von 600 bis 650 °C ohne wesentliche Gefügeveränderungen übersteht. Bei einem ferritisch-perlitischen Gefüge würde sich dagegen der Perlitanteil bei längerfristiger Einwirkung hoher Temperaturen zersetzen. Die Folge wäre ein Festigkeitsverlust des Bauteils.

Neue Freiheitsgrade für Konstrukteure

„Für Konstrukteure im Maschinen- und Anlagenbau eröffnen sich durch die neuen Werkstoffe interessante neue Freiheitsgrade“, verrät Johannes Heger. Aufgrund der hervorragenden Gießbarkeit können beispielsweise dünnwandige, großflächige Strukturen gegossen werden, die heute als Stahl-Schweißkonstruktion ausgeführt werden, weil sie wegen gießtechnischer Probleme gar nicht als Stahlgussteil realisiert werden könnten. Beispiele sind Rahmen, Gestelle oder Tragstrukturen etwa im Bereich schwerer Fahrzeuge. Belastungsgerechte Anpassungen von Wanddicken und Übergängen lassen sich bei solchen Gussteilen ungleich besser realisieren als durch Schweißen.

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