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Überschuss im Griff

Neue Speichertechnologien machen schwankenden Ökostrom berechenbar
Überschuss im Griff

Speicher sind für die Energiewende unerlässlich, denn sie machen den schwankenden Ökostrom berechenbar. Die deutsche Bundesregierung fördert daher neuerdings die Entwicklung und Markteinführung neuer Speichertechnologien. Beim Aufbau der Produktionen hilft das Fertigungstalent der Solarmaschinenbauer.

Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist ein hartes Stück Arbeit. Der Ökostrom braucht erstens neue Netze und zweitens Speicher, die Schwankungen der Solar- und Windstromproduktion abfedern können. In Stuttgart geht nun die weltweit erste Anlage ans Netz, in der Strom speicherbares Methangas erzeugt. Hinter dem Projekt stehen die Solarfuel GmbH, Stuttgart, und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Mit 250 kW Leistung erzeugt die Anlage 300 m3 pro Tag. Das Gas soll in das vorhandene Erdgasnetz strömen, das Heizungen, Kraftwerke und Tankstellen versorgt.

„Die Technik kann ein wichtiger Baustein künftiger Energieversorgung werden, denn mit ihr lassen sich riesige Speicherkapazitäten erschließen“, sagt ZSW-Projektingenieur Andreas Brinner. In deutsche Gasleistungen und unterirdische Kavernen passt eine Gasmenge mit einem Energiegehalt von 200 TWh. Das entspricht etwa einem Drittel des jährlichen Stromverbrauchs in Deutschland.
Ohne Langzeitspeicher wird es schwer, die erneuerbaren Quellen in der Zukunft auszuschöpfen: Solar- und Windenergie hängen von der Witterung sowie der Tages- und Jahreszeit ab. Je größer ihr Anteil an der Stromproduktion ist, desto stärker schwankt das Angebot. Speicher können Überschüsse aufnehmen und sie bei Bedarf wieder abgeben.
Allerdings sind die sogenannten Power-to-Gas-Anlagen nur eine Möglichkeit, den Ökostrom haltbar zu machen. Die Bundesregierung startete im Juli eine Speicher-Offensive mit vier Schwerpunkten. Insgesamt 60 Projekte aus den Bereichen „Wind-Wasserstoff-Kopplung“, zu dem auch die Power-to-Gas-Technik zählt, „Batterien in Verteilnetzen“, „Energiesystemanalyse“ und „thermische Speicher“ werden in den kommenden Jahren besonders staatlich gefördert. Die Höhe der Förderung ist noch unklar. Das Bewilligungsverfahren für die Projekte laufe noch, heißt es aus dem Umweltministerium.
Ökostrom zu Gas
Die Ziele der Speicher-Offensive sind jedoch klar umrissen. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Elektrolyseforschung. Erzeugen zum Beispiel Solarparks zu viel Elektrizität, können die Überschüsse in Elektrolyseure umgeleitet werden. Dort spaltet der Strom Wasser in Sauer- und Wasserstoff. Dieser kann entweder direkt als Treibstoff für Hybrid- oder Brennstoffzellen-Fahrzeuge genutzt oder – wie in der Anlage in Stuttgart – mit Kohlendioxid zu Methangas synthetisiert werden, das sich sehr gut im bestehenden Erdgasnetz speichern lässt.
Solarfuel will diese Systeme in zwei bis drei Jahren als kleine Einheiten mit 10 bis 20 MW Leistung auf den Markt bringen. „So können sie dezentral an Solar- und Windstandorten eingesetzt werden“, sagt Solarfuel-Ingenieur Stefan Rieke. Parallel verbessert die Industrie die Systemkomponenten. Siemens zum Beispiel entwickelt neuartige Elektrolyseure, die besonders gut mit erneuerbaren Energien harmonieren sollen. Ihr Kernstück ist eine spezielle, für kleinste Teilchen durchlässige Membran, wie sie auch in Brennstoffzellen eingesetzt wird.
„Herkömmliche Elektrolyseure reagieren nur im Minutenbereich auf ein veränderliches Stromangebot, die Membran-Variante schafft das in Millisekunden“, erklärt der Ingenieur Manfred Waidhaus vom Siemens-Geschäftsbereich Wasserelektrolyseure. Noch dieses Jahr sollen zwei Pilotanlagen starten. 2015 will Siemens mit Zwei-Megawatt-Anlagen auf den Markt kommen, 2020 könnten bereits 250-Megawatt-Systeme zur Verfügung stehen. Die größten Anlagen sollen am Ende den Strom von 100 großen Solar- und Windparks in Wasserstoff umwandeln.
Große Langzeitspeicher allein reichen für die Energiewende jedoch nicht aus. Zur Entlastung der Ortsnetze sind auch kleinere Speicher vonnöten, mit deren Hilfe mehr Ökostrom direkt am Erzeugungsort verbraucht werden kann. Dafür entwickeln etwa die auf Brennstoffzellen spezialisierte Firma Eisenhuth und die TU Clausthal neue Werkstoffe für sogenannte Redox-Flow-Batterien. Dieser Batterietyp wandelt elektrische in chemische Energie um und speichert sie in Tanks. „Ihr großer Vorteil ist, dass sie eine vergleichbare Energiedichte haben wie die bewährten Bleiakkus, aber zehn Mal länger halten“, erklärt Christopher Hebling, Bereichsleiter Energietechnik am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE).
Vormarsch der Lithium-Ionen-Akkus
Eine Alternative zu Blei- und Redox-Flow-Batterien sind Lithium-Ionen-Akkus. Sie können viel Energie in wenig Masse speichern und halten dank ihrer hohen Zyklenfestigkeit bis zu 20 Jahre. Einige Solarfirmen koppeln die kleinen Kraftpakete daher bereits mit ihren Modulen, um Solarbetreibern einen höheren Eigenverbrauch zu ermöglichen. Der Eigenverbrauch wird immer lukrativer. Die Kilowattstunde Solarstrom lässt sich in vielen europäischen Ländern derzeit für weniger als 20 Eurocent erzeugen. Steckdosenstrom kostet den privaten Endkunden hingegen oft mehr als 20 Cent – Tendenz steigend. Eigenverbraucher entlasten somit nicht nur das Netz, sondern können heute schon einige Cent pro Kilowattstunde sparen.
Bisher geht diese Rechnung geht aber nur ohne Batterie auf. Lithium-Ionen-Akkus für den Hausgebrauch sind noch recht teuer und zehren die Ersparnisse wieder auf. Laut ISE-Forscher Hebling kostet die gespeicherte Kilowattstunde Solarstrom momentan rund 40 Cent. Von diesem Preis machen die Speicherkosten gut die Hälfte aus. Doch Hebling glaubt, dass sich dank technischer Fortschritte und größerer Produktionen die Speicherkosten in den kommenden drei bis vier Jahren auf zehn Cent halbiert werden. „Wenn gleichzeitig der Haushaltsstrompreis weiter wie bisher um fünf Prozent pro Jahr steigt, werden sich Lithium-Ionen-Speicher schon ab 2015 lohnen“, sagt der Batterieforscher.
Einen guten Überblick über den Stand der verschiedenen Speichertechnologien bietet die Energy Storage – International Summit for the Storage of Renewable Energies vom 18. bis 19. März 2013. Bereits zum zweiten Mal bringt das zweitägige Event Forschung, Industrie, Energieversorger und Politik in Düsseldorf zusammen.
Die Hoffnung auf einen baldigen Durchbruch der Lithium-Ionen-Akkus ist nicht unbegründet, denn renommierte Batteriehersteller wie die Schweizer Leclanché, Panasonic aus Japan oder Varta aus Hannover wollen die Technologie für die Solarenergie weiterentwickeln und starten deren Massenproduktion. Leclanché zum Beispiel will ab diesem Herbst in einer umgerüsteten Magnetbandfabrik im badischen Willstätt eine Million Lithium-Titanat-Zellen pro Jahr produzieren. Das entspricht 20000 Speichern für Eigenheime.
Das ist die Gelegenheit für die Solarmaschinenbauer, ihre Expertise aus der Zellen- und Modulfertigung auch in die Batterieherstellung einzubringen. „Bisher werden für tragbare Elektronik wie Handys oder Laptops nur kleine Akkus gefertigt, doch sind für Hochleistungsanwendungen wie die Energiespeicherung Großbatterien nötig. Hier bietet sich Neueinsteigern ein nahezu unbestelltes Feld“, sagt Thilo Brodtmann, Geschäftsführer des VDMA-Fachbereichs Robotik + Automation. Nachholbedarf sieht er besonders bei der Automatisierung der Batteriefabriken. „Wir brauchen jetzt Innovation in der Produktion, um die Kosten zu senken.“
Neues Geschäft für Solarzulieferer
Ansatzpunkte für Neuerungen gibt es aus Brodtmanns Sicht reichlich. So müssten die einzelnen Prozessschritte, vom Walzen der Metallfolien über das Mischen der Chemie und Beschichten der Elektroden bis hin zur Formierung der Zellen, erst noch modifiziert werden. Zudem fehle es bei den Prozessen noch an Schnelligkeit. „Wir sehen noch viel Manufaktur. Ziel muss auch bei den Großbatterien eine Fertigung im Rolle-zu-Rolle-Verfahren sein“, sagt Brodtmann. Beim Qualitätsmanagement sind ebenfalls noch Verbesserungen möglich. Moderne Messtechnik kann Fehler und Schäden schon während der Herstellung erkennen, doch ist sie bisher kein Standard.
Die großen Automatisierungsspezialisten wie ABB, Bosch Rexroth, Manz oder Reis Robotics haben den Bedarf erkannt und positionieren sich bereits im aufkommenden Akku-Segment. „Wir glauben, dass wir dank unserer Expertise aus der Photovoltaikproduktion auch im Zukunftsfeld der Hochleistungsspeicher gut Fuß fassen können“, sagt Manz-Sprecher Axel Bartmann. Aber auch kleinere Spieler finden im Batteriegeschäft ihre Nische. Die hessische Isra Vision zum Beispiel bietet für die Akkuproduktion optische Verfahren an, die jeden einzelnen Fertigungsprozess genau abbilden. Kameras erkennen, wenn Beschichtungen Defekte und Unebenheiten aufweisen oder winzige Löcher, sogenannte Pinholes, die Separatoren der Batterien beschädigen. „Mit unserer Technik lassen sich in der Produktion Nullfehlertoleranzen erreichen“, verspricht Isra-Manager Martin Lehmköster. Welche Technologien die Ausrüster anbieten und welche Konzepte für die Speicherindustrie auf ihrer Roadmap stehen, werden sie vom 23. bis 26. Oktober 2012 auf der internationalen Fachmesse für solares Herstellequipment, solarpeq, und der parallel stattfindenden glasstec, Weltleitmesse für die Glasbranche, vorstellen.
Auf den Batterie-Zug dürften künftig noch viele weitere Zulieferer aufspringen, denn der Speicherbedarf wächst auch in anderen Feldern. Nach der aktuellen Studie „Zukunftsfeld Elektromobilität – Chancen und Herausforderungen für den Maschinenbau“ von VDMA und der Beratungsfirma Roland Berger werden im Jahr 2020 rund 40 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge einen elektrischen Antrieb haben. Durch neue Fabriken für mobile Batterien soll ein stattliches neues Geschäftspotential für neue Maschinen entstehen – die Verfasser der Studie stellen für 2020 ein Volumen von 4,8 Milliarden Euro in Aussicht. Die Energiewende bringt viele neue Perspektiven.
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Tel.: 0211 4560-404,
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