KEM Konstruktion: Frau Dr. Duwe, welche Ziele verfolgen Sie mit Festo Motion Terminal?
Duwe: Wir vergleichen die Entwicklung gerne mit dem Aufkommen der Smartphones vor rund zehn Jahren. Das hat den Markt der Mobilfunk-Endgeräte durcheinandergewirbelt – und genau diesen Schritt gehen wir nun in der Pneumatik mit Festo Motion Terminal in der Automatisierungstechnik. Das entscheidende Merkmal ist die neue Art der Funktionsintegration, kombiniert mit Software-Apps – das vereinfacht die komplette Wertschöpfungskette, denn es wird nur noch eine Hardware benötigt. Die Apps ermöglichen es, über 50 Einzelkomponenten zu ersetzen. Neueste Entwicklungen in Piezotechnik und Software machen dies möglich und katapultieren die Pneumatik in das Industrie-4.0-Zeitalter.
KEM Konstruktion: Das klingt verlockend – aber bislang wurde die Funktionsvielfalt ja unter anderem über eine hohe Zahl verschiedenster Ventile erreicht. Wie lässt sich diese Funktionsbreite ‚digitalisieren‘?
Duwe: Bisher war bei Ventilen die Funktionalität fest in der Hardware vorgegeben. Allerdings ist es möglich, alle Ventilfunktionen mittels einfachster 2/2-Wegeventile und einer pneumatischen Brückenschaltung umzusetzen, ähnlich der Wheatstoneschen Brücke in der Elektronik. Das war bisher aber sehr aufwendig und erforderte tiefe Kenntnisse in der pneumatischen Regelungstechnik – eine Arbeit, die nun unsere vorprogrammierten Motion Apps dem Kunden abnehmen. Die Integration von Elektronik und Programmierfähigkeit in die Ventilscheibe ist gegenüber bisherigen Ventilinseln mit fester Schaltlogik ein absolutes Novum. Damit wandeln wir das mechanische Bauteil erstmals in ein intelligentes cyber-physisches System um. Die smarten Ventile setzen unterschiedlichste Bewegungsaufgaben App-gesteuert um, und das immer mit derselben Hardware. Piezotechnologie sowie die integrierte Hub- und Drucksensorik eröffnen also gepaart mit der App-Ansteuerung ganz neue Perspektiven – dank der Fusion aus Mechanik, Elektronik und Software wird ein pneumatisches Produkt zur echten Industrie-4.0-Komponente und ermöglicht so eine flexible Produktion.
KEM Konstruktion: Welche Apps sind denn bereits verfügbar?
Duwe: Zunächst stehen zehn Funktionen über Motion Apps zur Verfügung; von der einfachen Änderung der Wegeventilfunktionen bis hin zu energieeffizienten Bewegungen, vom proportionalen Verhalten bis hin zur Leckage-Diagnose. Weitere Apps sind natürlich in Vorbereitung. Die Funktionszuweisung per Software bringt übrigens noch weitere Vorteile: Manipulationssicherheit und Know-how-Schutz, denn von außen ist den Ventilen nicht anzusehen, welche Funktionen sie ausführen. Gleichzeitig ist das Festo Motion Terminal ein teilweise selbstregulierendes System, mit dem Selbstoptimierung, Selbstkonfiguration und Selbstdiagnose möglich sind. Es kann sich autark an veränderliche Randbedingungen anpassen. Über unsere Automatisierungsplattform CPX können wir es an gängige Kommunikationsschnittstellen wie OPC UA anbinden und damit Industrie-4.0-fähige Schnittstellenstandards sicherstellen. Außerdem vereinfacht sich das Thema Wartung, da lange Ersatz- und Verschleißteillisten obsolet werden.
KEM Konstruktion: Können Sie uns ein Beispiel für eine App-gesteuerte Ventilschaltung beschreiben?
Duwe: Ein gutes Beispiel ist die Soft-Stop-Funktion, die ein sanftes Einfahren eines pneumatischen Zylinders in die Endlage ermöglicht. Bisher wurden Zylinder über einen mechanischen Stoßdämpfer abgebremst. Das Festo Motion Terminal steuert jetzt im Zylinder selbst die Luft intelligent aus und erzeugt bei Erreichen der Endlage einen Gegendruck, der den Kolben abbremst. Vorteile ergeben sich auch hinsichtlich der Energieeffizienz: Mit den Apps ‚Wählbares Druckniveau‘ und ‚Eco-Fahrt‘ lässt sich der Luftverbrauch flexibel an die Anforderungen anpassen. Dank wählbarem Druckniveau kann ein digital gewählter Druck die pneumatische Kraft auf das für die Applikation nötige Niveau begrenzen. Die Eco-Fahrt senkt den Druckluftverbrauch auf das nötige Minimalniveau, sofern keine Press- und Haltekräfte in der Endlage benötigt werden. Abhängig von der Applikation sind so Einsparungen von bis zu 70 Prozent im Vergleich zum Standardbetrieb möglich.
KEM Konstruktion: Was war bei dieser ‚Digitalisierung der Pneumatik‘ die größte Hürde für die Entwickler?
Duwe: Im Zentrum der Produktentwicklung stand die Integration von Hardware, Software und Services auf einer Plattform. Ziel war es, ein für den Kunden einfach und intuitiv konfigurierbares Produkt zu entwickeln, das sich flexibel an dessen Anforderungen anpasst. Eine tolle Basistechnologie dafür ist natürlich die Piezoventiltechnologie, die ein exaktes und proportionales Verhalten sicherstellt. Aber erst durch das bereits eingangs erwähnte Zusammenspiel von Elektronik, Mechanik, Softwareentwicklung und Regelungstechnik sowie die enge Zusammenarbeit mit unseren Digitalisierungsteams und IT-Infrastruktur-Experten konnten wir die Pneumatik digitalisieren (Anm. d. Red.: siehe dazu auch ‚Produkt und Produktion entstehen jetzt wirklich parallel‘, KEM Konstruktion 04/2017, S. 62 ff).
KEM Konstruktion: Wo steht die digitalisierte im Vergleich zur klassischen Pneumatik und zur elektrischen Automatisierung?
Duwe: Festo Motion Terminal behauptet sich in beiden Welten – Pneumatik und Elektrik. Es vereint die Vorteile beider Technologien und eröffnet für die Pneumatik ganz neue Bewegungsspielräume und Anwendungspotenziale. Deshalb wird die Standard-Pneumatik für zahlreiche Anwendungen weiterhin die Technologie der Wahl sein. Das Festo Motion Terminal ist primär dann sinnvoll, wenn hohe Flexibilität im Maschinenbau gefordert ist, sowie bei sehr komplexen Aufgaben, die heute servopneumatisch oder elektrisch gelöst sind. Zusätzlich richtet sich die neue Technologie an Kunden, die ihre Anlagen fit für Industrie 4.0 und das Internet der Dinge machen wollen. Sie ermöglicht es unseren Kunden durch Datentransparenz und die direkt im Ventil integrierten Sensoren, Prozesse produktiver und kontrollierbarer zu machen.
„Die Integration von Elektronik und Programmierfähigkeit ist gegenüber bisherigen Ventilinseln mit fester Schaltlogik ein absolutes Novum. Damit wandeln wir das mechanische Bauteil erstmals in ein intelligentes cyber-physisches System um.“