Die Lackieranlage Nifco des Unternehmens Venjakob Maschinenbau misst etwa 40 Meter und besteht aus elf einzelnen Systemen: Ihre Aufgabe ist die Oberflächenbeschichtung eines Werkstücks, um es etwa vor Korrosion oder Stößen zu schützen. Der Weg dahin führt über eine Reihe von Prozessschritten: Nifco verfügt über Komponenten zur Entstaubung und Ionisierung, zur Vorbehandlung durch CO2-Schneestrahlen (VEN Clean) sowie zur variablen Trocknung der Werkstücke nach der Lackierung (VEN DRY). Die verschiedenen Systeme mit eigener Funktionalität führen zu zahlreichen Schnittstellen und zu einer entsprechend hohen Komplexität. Diese Komplexität, die hohe Varianz der zu lackierenden Werkstücke sowie immer kleiner werdende Losgrößen stellen Venjakob vor die Herausforderung, verstärkt anpassungsfähige Anlagen zu entwickeln.
„Unser Ziel ist es, auch künftig stets optimale Ergebnisse hinsichtlich Lackierqualität und Ausbringungsmenge zu liefern“, erläutert Hubert Runschke, Leiter der Elektrotechnik bei Venjakob. „Beim Auswählen und Zusammenstellen der Anlagenkomponenten, aber auch beim Anpassen einzelner Prozessschritte, gilt es also, mögliche Störungen oder Probleme der Kunden vorherzusehen und diesen intelligent entgegenzuwirken.“ Durch die Zusammenarbeit mit dem Heinz Nixdorf Institut und der Fraunhofer-Projektgruppe Entwurfstechnik Mechatronik ergaben sich hier zahlreiche Handlungsoptionen und Stellhebel für die Weiterentwicklung des Gesamtsystems Lackieranlage.
Zusammenhänge analysieren
und Innovationspotentiale identifizieren
Grundlage für die Weiterentwicklung der Lackieranlage bildete die Analyse von Zusammenhängen zwischen den einzelnen Prozessschritten und Systemen. So dient etwa das Ionisieren und Entstauben dazu, ein mögliches Einlackieren von Staubpartikeln zu vermeiden. Erforderlich macht dies die oft elektrostatisch geladene Oberfläche von Kunststoffwerkstücken: Staubpartikel werden angezogen und setzen sich fest. Abhilfe schaffen sogenannte Ionisierstäbe, die die Ladung neutralisieren. Partikel werden anschließend problemlos von der Oberfläche abgeblasen; eine einwandfreie Lackierung ist möglich.
„Obwohl die prozessübergreifenden, aber auch -internen Zusammenhänge bei Venjakob bekannt sind, haben wir sie im Rahmen unseres Projektes visualisiert, um in bewährten Anlagen weitere Optimierungspotentiale zu identifizieren“, sagt Peter Iwanek, Projektleiter vom Heinz Nixdorf Institut. Hierzu erstellten die Projektpartner mithilfe der Spezifikationstechnik Consens und der Modellierungssprache Omega ein gemeinsames Systemmodell. Dieses bildet sowohl die Struktur als auch das Verhalten der einzelnen Komponenten des komplexen mechatronischen Systems Lackieranlage disziplinübergreifend ab: Alle am Projekt beteiligten Experten der verschiedenen Disziplinen (Konstruktion, Elektrotechnik, Vertrieb etc.) erhalten auf diese Weise eine verständliche Sicht auf das System. Auf Grundlage dieser disziplinübergreifenden Systemspezifikation war es möglich, in einem ersten Schritt Störungen oder ungewünschte Verhaltensweisen sowie deren Ursachen für das System Lackieranlage zu identifizieren. Fragestellung vor dem Hintergrund der Ionisierung war, warum es dennoch passieren könnte, dass sich noch Staubpartikel auf dem Werkstück befinden. Die Projektpartner identifizierten die potentiellen Störungen und ihre Ursachen und bereiteten sie systematisch auf. Für den Störfall einer unzureichenden Ionisierung wurde als Ursache etwa die mögliche Verschmutzung des Ionisierstabes oder eine falsche Einstellung des Netzteils in Abhängigkeit von dem jeweiligen Werkstück ermittelt.
Lösungen aus dem Kontext der Selbstoptimierung
Basierend auf dieser Störungsanalyse folgte in einem zweiten Schritt das Herausarbeiten von Maßnahmen, um diese zukünftig zu vermeiden. Ziel der Projektpartner war dabei der Einsatz von Technologien aus dem Bereich der Selbstoptimierung (beispielsweise virtuelle Sensorik, Condition Monitoring oder mathematische Optimierungsverfahren), die das Verhalten des Systems intelligenter machen sollen. Selbstoptimierende Systeme können ihr Systemverhalten autonom und flexibel auf sich ändernde Umfeldbedingungen anpassen oder auf Störungen reagieren. „Gerade unsere komplexen Lackieranlagen profitieren von den neuen Technologien der Selbstoptimierung, da zum Beispiel eine manuelle Überwachung von Zuständen der Anlage oftmals zeitintensiv ist“, betont Hubert Runschke.
Mit Kenntnissen über die physikalischen Zusammenhänge zwischen Störung und Ursache ermittelten die Projektpartner technische Möglichkeiten, um ungewünschte Verhaltensweisen und potentielle Störungen des Systems Lackieranlage zu vermeiden, zu detektieren oder auf diese zu reagieren. Besonderes Interesse galt dabei der Sensorik und den Fragen, was die bereits integrierten Sensoren leisten und welche Potentiale sich aus zusätzlicher Sensorik ergeben. Für die Ionisierstäbe ermittelten die Projektpartner gleich zwei mögliche Maßnahmen, um ein verbessertes Systemverhalten zu erreichen. So könnte künftig mit Condition-Monitoring-Ansätzen der Zustand der Stäbe kontinuierlich überwacht oder über die Integration zusätzlicher Sensorik deren Differenzladung über die Laufzeit erfasst werden.
Eine ganze Reihe von Potentialen der Selbstoptimierung stehen Venjakob Maschinenbau nun zur Weiterentwicklung seiner Lackieranlagen zur Verfügung. Unter Berücksichtigung von Unternehmensstrategie, Technologie- und Marktbetrachtung werden diese nun zu konkreten Handlungsoptionen ausgearbeitet und in eigenständige Projekte der unternehmensinternen Forschung und Entwicklung überführt.
Übrigens: Neue Erkenntnisse verbucht nicht allein der Industriepartner des Projekts: Auch die Wissenschaftler von Fraunhofer und Heinz Nixdorf Institut ziehen aus der Kooperation mit Venjakob ihren eigenen Nutzen, so wie es das Technologie- und Transferkonzept des Spitzenclusters it’s OWL beabsichtigt. Neben der Validierung ihrer Ansätze zur Identifikation von Potentialen der Selbstoptimierung – Fazit praxistauglich! – evaluierten sie die Tauglichkeit eines Software-Werkzeugs zur Systemmodellierung. „Wir haben das im Projekt entworfene Systemmodell in der Software Enterprise Architect mithilfe des Profils Consens4SysML abgebildet – in dieser Konstellation ein Pilotprojekt, mit dessen Ergebnis wir sehr zufrieden sind“, so Peter Iwanek. Nicht nur die Komponente Ionisieren sondern das gesamte gemeinsam erarbeitete Systemmodell der Lackieranlage ist nun rechnergestützt dokumentiert und steht Venjakob damit für weitere Projekte zur Verfügung. co
Info
Hintergrund
Im Technologie-Netzwerk it‘s OWL – Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe – entwickeln über 170 Unternehmen und Forschungseinrichtungen in 46 Projekten gemeinsam Lösungen für intelligente Produkte und Produktionssysteme. Das Spektrum reicht von intelligenten Automatisierungs- und Antriebslösungen über Maschinen, Fahrzeuge und Hausgeräte bis zu vernetzten Produktionsanlagen. Über ein innovatives Transferkonzept werden neue Technologien für eine Vielzahl von – insbesondere kleinen und mittelständischen – Unternehmen verfügbar gemacht. Ausgezeichnet im Spitzencluster-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gilt it´s OWL als eine der größten Initiativen für Industrie 4.0 in Deutschland.