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Spezielle Tools öffnen die Simulationswelt und machen Produktentwicklung und Prozesse effizienter

Simulation
Spezielle Tools erweitern und öffnen die Simulationswelt

Simulationstools unterstützen nicht mehr nur Ingenieure während der Konstruktion, sondern auch vorher schon den Designer und später den Techniker in der Produktion. So kommen neben der bekannten Abbildung der Physik rund um neue Produkte auch immer mehr Prozesssimulationen, etwa für 3D-Druck oder die ergonomische Montage auf den Markt.

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion

Laut einer VDMA-Studie ließen sich 2017 erst etwa ein Drittel der kleinen und mittelständischen Unternehmen von Simulationstools helfen. Grund sind fehlendes Personal und der hohe zeitliche wie auch monetäre Aufwand zur Einführung entsprechender Systeme. Hier wollen die Software-Hersteller Abhilfe schaffen und die Simulation „demokratisieren“, sprich breiter zugänglich machen und früher in die Produktentwicklung einbinden.

Etwa im Bereich Guss finden Produktentwicklung und Fertigung nicht selten in verschiedenen Firmen statt. Bis also der Gussexperte den ersten Blick auf die Zeichnung wirft, ist bereits viel Zeit investiert worden, ohne zu wissen, ob die Herstellbarkeit sicher gegeben ist. Auch Kunststoffspritzguss oder Tiefziehen sind solche häufig ausgelagerten Verfahren. „Hier können wir mit der Inspire-Plattform schon am Tag 1 die späteren Restriktionen aufzeigen. Auch additive Fertigung haben wir dabei im Portfolio: Jüngste Beispiele aus der Automobilindustrie zeigen, dass sich mit additiver Fertigung inzwischen auch Kostenvorteile gegenüber Druckguss realisieren lassen“, erklärt Mirko Bromberger von Altair. „In der Inspire-Plattform steckt bewährte Altair-Technologie. So kommt z. B. der Struktursolver OptiStruct in der Luftfahrt für Zertifizierungsrechnungen zum Einsatz und ist mit seiner Topologieoptimierung seit über 20 Jahren der Industriestandard. Um Inspire hinsichtlich der Bedienbarkeit für den Konstrukteur möglichst komfortabel zu machen, haben wir hier an ein paar Stellen die Komplexität reduziert und geben Erfahrungswerte vor, die in Hyperworks flexible Variablen sind.“ Da beide Plattformen offen konzipiert wurden, kann ein auf Inspire gestartetes Projekt später auch einfach in der größeren Hyperworks-Umgebung detaillierter untersucht werden. An seine Grenzen stößt die Inspire-Plattform, wenn etwa ein E-Motor ausgelegt und dafür Elektromagnetismus, CFD und Thermodynamik mit der Strukturmechanik gekoppelt untersucht werden sollen. Hier kommt weiterhin das Multiphysik-Optimierungsportfolio von Hyperworks zum Einsatz.

Simulation auch außerhalb des Ingenieurbüros

Auch Simulationshersteller Comsol will den Anwenderkreis erweitern: „Am Entwicklungsprozess ist ja nicht nur ein Ingenieur beteiligt, sondern Manager, Techniker aus anderen Abteilungen und auch Kunden bringen oft entscheidendes Feedback und Wissen ein. Daher sollten diese künftig auch von den Möglichkeiten der Simulation profitieren können“, sagt Sven Friedel, Geschäftsführer der Comsol Multiphysics GmbH in Zürich. Der erste Entwurf in der Simulation kann auf dem Tablet mit in ein Meeting genommen werden oder der Konstrukteur im Nachbarbüro gibt seine Meinung dazu ab, wo er noch Änderungen sieht. Ihm gibt der Simulationsexperte dann einfach die nötigen Knöpfe frei und er kann im Rahmen seiner Kompetenz mit dem Modell herumspielen.

Comsol hat seit der Version 5.0 bereits die Möglichkeit, entsprechende Apps aus der Simulationssoftware zu generieren und über Comsol Server zu verbreiten. Mit Version 5.4 ist man nun noch einen Schritt weiter gegangen: Der Comsol Compiler erstellt aus Simulationsmodellen völlig autarke Apps, die als einzelne Programme weitergegeben werden können. Sie laufen ohne Comsol-Lizenz auf allen Windows-, Linux- und Apple-Rechnern.

Neben der Produktentwicklung können die Apps aber auch am anderen Zyklusende eingesetzt werden: „Immer mehr unserer Nutzer geben ihren Kunden nicht mehr nur ein Datenblatt etwa zu einer LED, sondern ein App-Modell, mit dem sie die LED direkt in dem jeweiligen Anwendungsumfeld simulieren können“, so Friedel. Die Performance kann so einfacher und exakter beurteilt werden. Auch im Außendienst kann etwa der Planer einer Solaranlage direkt beim Kunden schon erste aussagekräftige Berechnungen anstellen und eine Comsol-App quasi als Auslegungstool verwenden.

Neu im Portfolio ist außerdem die Simulation von Verbundmaterialien: „Hier muss mit Multiskalen-Ansätzen gearbeitet werden, denn die Laminierung erfolgt im Submillimeter-Bereich, das endgültige Bauteil ist aber vielleicht 20 m lang. Hier wären klassisch Milliarden finite Elemente nötig, die Rechenzeit wäre exorbitant“, erklärt Friedel. Daher wird in einem ersten Schritt das Material selbst geschichtet und analysiert. Sind die gewünschten Eigenschaften erreicht, kann das Material virtuell auf jede Geometrie gelegt werden, vom Kfz-Chassis bis zum Windradflügel. Durch das Upscaling müssen dann nicht alle Elemente einzeln gerechnet werden.

Entlastung im Materiallabor

Das Fraunhofer SCAI geht mit ähnlichen Multiskalen-Ansätzen auf die Suche nach neuen Materialien: Die Anforderungen an den Werkstoff werden bis auf die atomare Ebene hinabgebrochen. Eine speziell entwickelte Software, Tremolo-X, berechnet dann, wie sich die Teilchen des Materials verhalten, wenn bestimmte physikalische Effekte auf sie einwirken. „Unser Ziel ist es, die Suche nach dem passenden Werkstoff abzukürzen. Oft dauert dieser Prozess zehn bis zwanzig Jahre“, sagt Jan Hamaekers vom Fraunhofer SCAI. „Die Idee ist, über virtuelle Prozesse die Anzahl der Kandidaten auszusieben, bis nur noch einige wenige übrig sind, die dann im Labor getestet werden.“ Dafür simulieren die Wissenschaftler auf atomarer- oder sogar auf Quantenebene virtuelle Teilchen und prüfen ihr Verhalten oder leiten aus vorhandenen Daten und Kenntnissen Vorhersagemodelle ab. Bei der Multiskalen-Modellierung wird zunächst auf Quantenebene die Chemie des Materials beschrieben. Diese Informationen werden auf immer gröbere Modelle übertragen, die Moleküle und deren physikalische Eigenschaften abbilden. „Will man zum Beispiel bei einer Lithium-Ionen-Batterie vorhersagen, wie gut das Elektrolyt ist bzw. wie schnell die Ionen diffundieren, simulieren wir zunächst die Teilchen auf der Quantenebene und sehen, was da für Reaktionen ablaufen. Dann gehen wir mit diesen Informationen auf die nächste Ebene und erhalten Aufschluss über die Dynamik, also wie sich die Partikel auf atomarer Ebene bewegen. Von hier können wir dann noch eine Skala nach oben gehen und uns anschauen, wie sich das Elektrolyt in der makroskopischen Welt verhält“, verdeutlicht Hamaekers. Auch Prozesse lassen sich so überprüfen und optimieren: Denn durch die Simulation der Aabläufe auf atomarer oder molekularer Ebene in einem virtuellen Reaktor lassen sich exakt die Stellen oder Parameter identifizieren, die optimiert werden können.

Absichtlich krumme Bauteile simulieren

Mit einer Kombination der Auslegungssoftware für E-Motoren Motor-CAD und der Simulation in Ansys will Cadfem künftige Elektromotoren schneller und besser auf ihre Aufgabe zuschneiden können. Das Verhalten eines Motordesigns in verschiedenen Einsatzprofilen wird in wenigen Minuten berechnet, sodass Produktentwickler schnell unterschiedliche Varianten durchspielen und ihr Design schrittweise verfeinern können. Mit Motor-CAD Lab erfolgt eine kombinierte Betrachtung der Effektivität mit dem Fahrzyklus, um die Eignung des Maschinendesigns für das geforderte Fahrprofil abzugleichen. Auf Basis eines solchen voroptimierten Entwurfs liefern weitergehende Betrachtungen per FEM-Berechnung detaillierte Aussagen über das physikalische Verhalten.

Ein weiteres von Cadfem und Ansys angegangenes Problem ist die bis vor kurzem noch nur über Umwege zu realisierende Prozesssimulation im 3D-Druck. „Das Verfahren erlaubt ja nicht beliebige Freiheiten, wie häufig gedacht. Auch hier gibt es Fertigungsrestriktionen“, erklärt Cadfem-Experte Christof Gebhardt. Ansys bildet den schichtweisen Auftragsprozess inklusive Erwärmung, Abkühlung und dem resultierenden Verzug nun virtuell ab. „Je nach Gewichtung der Kriterien können dann Maßnahmen abgeleitet werden: Ist die Formtoleranz vernachlässigbar, dafür aber die Oberflächengüte enorm wichtig oder soll in möglichst kurzer Zeit oder mit wenig Material gedruckt werden? All das hat Auswirkung darauf, wie das Bauteil für den Druckprozess optimiert wird“, erklärt Gebhardt. Hier spielen teilweise konkurrierende Faktoren wie Druck-Orientierung oder die Gestaltung der Supportstruktur eine große Rolle, da diese ja ebenfalls gezielt zur Wärmeabfuhr genutzt werden können.

Das Tool Additive Print zielt dabei auf den Anwender am Drucker ab, ein Dienstleister etwa, der das fertig entwickelte Bauteil möglichst optimal drucken soll. Der Idealfall ist aber natürlich, wenn bereits der Designer entsprechende Dinge mit berücksichtigt. Ihm hilft die Additive Suite, die Entwurf, Optimierung und auch den Druckprozess mit abbildet. So kann etwa die Topologieoptimierung schon berücksichtigen, wo später Stützen nötig sind. Das Bauteil stützt sich dann im besten Fall selbst.

Sollten trotz optimierter Ausrichtung und Stützen noch prozessbedingte Veränderungen wie Verzug auftreten, kann das eine Geometriekompensation lösen: Das Bauteil wird also absichtlich krumm oder gestaucht gedruckt und der Druckprozess selbst sorgt schließlich für ein möglichst perfektes Bauteil. Dafür müssen Material und Maschine einmal charakterisiert werden, indem man eine Referenzgeometrie druckt und diese wieder vermisst. Die Daten ermöglichen der Simulation jede Maschinen/Material-Kombinationen exakt abbilden zu können. Hier kann wahlweise mit einer relativ schnellen Vorablösung auf niedrigem Detaillevel gerechnet werden, wenn aber genaue Ergebnisse nötig sind, kann mit der Laserrichtung auch die Struktur innerhalb des Materials – ähnlich der Maserung von Holz – berücksichtigt werden.

Der virtuelle Mensch

Bisher waren die digitalen Menschmodelle – die es schon länger gibt – nur begrenzt einsetzbar zur wirklichen Prozessimulation. Mit einem neuen Modell soll die prinzipielle Durchführbarkeit von Montagen, die Erreichbarkeit der Teile und Orte und die dabei nötige Ergonomie nun realitätsecht simuliert werden können. Dabei wird auch berücksichtigt, dass nicht alle Menschen gleich gebaut sind: „Die menschlichen Unterschiede werden durch anthropometrische Datenbanken in der Software berücksichtigt“, erklärt Oliver Hermanns, Geschäftsführer der Fraunhofer-Ausgründung Flexstructures. Dabei wird auch der Sichtbereich überprüft, sprich, ob die von unten einzubauende Schraube für den Monteur auch gut sichtbar ist oder ob er sich beim Einbau dafür verrenken muss. Ein intelligentes Greifmodell ermöglicht es, Grifftypen zu definieren um festzustellen, ob beispielsweise Schläuche und Kabel mit den Fingern oder mit der ganzen Hand zu greifen sind. Außerdem überprüft das System, ob die elastischen Bauteile überhaupt montiert werden können, da neben der Länge für die endgültige Position auch der Einsteckvorgang zu kalkulieren ist. Auch die Belastung eines Kabels kann so während der virtuellen Montage sichtbar gemacht werden. Künftig sollen auch flächige Elemente wie Teppich dazukommen, etwa um zu prüfen, ob dieser ohne Knickstellen eingelegt werden kann.

Das biomechanische Menschmodell IMMA (Intelligently Moving Manikin in Assembly) besteht aus aus 82 starren Segmenten und 162 Freiheitsgraden. Die Gelenke sind darauf beschränkt, den Bewegungsumfang des Menschen zu simulieren. Der virtuelle Mensch ist bei seinen Tätigkeiten automatisch immer im Gleichgewicht, das Modell lässt einen schweren Zylinderkopf also näher am Körper heben, als dessen leichte Abdeckung. „Dieses menschliche Verhalten simulieren wir automatisch beinahe in Echtzeit“, versichert Hermanns. Da immer mehr Montageprozesse künftig kollaborativ mit Robotern ablaufen werden, beherrscht die Software auch solche Prozesse: Sie kann für die unterstützende Maschine den idealen Bewegungspfad errechnen und den Werker berücksichtigen, der dabei eventuell auch steuernd eingreift. „Aktuell arbeiten wir mit Partnern und Fraunhofer daran, auch die Muskeln mit zu simulieren, um dann etwa abbilden zu können, ob ein Werker eine schwere, schnell bewegte Last bequem abbremsen kann“, erklärt Hermanns. Künftig soll Motion Tracking in einer einfach zu realisierenden VR-Umgebung die Programmierung ersetzen, dabei wird auch sofort simuliert. So kann auch direkt mit Maßnahmen experimentiert werden, etwa was passiert, wenn der Werker erhöht steht oder wenn das Bauteil anders gegriffen wird.

Breitere Nutzerbasis, einfachere Bedienung

Die Simulation wird künftig immer mehr Bereiche virtuell unterstützen und langwieriges Trail&Error durch schnell generierte Fakten ersetzen. Ebenso wächst der Anwenderkreis kontinuierlich, was nicht überraschend ist: Jede hilfreiche Technologie, die zu Anfang sehr komplex in Bedienung und teuer in der Anschaffung ist, kommt irgendwann als einfach zu handhabende Lösung zur breiten Masse: Das Auto, die Fotografie, der Computer und das Internet sind nur einige Beispiele. Die Simulation wird einen ähnlichen Weg gehen, wenn auch nicht sofort im Alltag, wohl aber in immer mehr Arbeitsbereichen.

www.altair.com

www.cadfem.de

www.comsol.de

www.flexstructures.de

www.scai.fraunhofer.de

Viele der hier besprochenen Techniken werden von verschiedenen Softwareherstellern angeboten, auch wenn wir sie nur von einem erklären lassen. Wir setzten die Gewichtung so, wie sie die Unternehmen uns gegenüber selbst angeführt haben, sprich was man selbst als größte Neuerung betrachtet. Das im Text nicht erwähnte Discovery Live von Ansys, ebenfalls ein Tool für Nicht-Ingenieure, wird beispielsweise bereits von Endress+Hausser eingesetzt (Video):
http://hier.pro/a0SmN


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Überschneidungen

Viele der hier besprochenen Techniken werden von verschiedenen Softwareherstellern angeboten, auch wenn wir sie nur von einem erklären lassen. Wir setzten die Gewichtung so, wie sie die Unternehmen uns gegenüber angeführt haben, sprich was man selbst als größte Neuerung betrachtet. Das im Text nicht erwähnte Discovery Live von Ansys, ebenfalls ein Tool für Nicht-Ingenieure, wird beispielsweise bereits von Endress+Hauser eingesetzt (Video):

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