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Quasi gehämmerter Überzug

Kaltgasspritzen: Technologiesprung für oxidarme, dichte Schichten
Quasi gehämmerter Überzug

Quasi gehämmerter Überzug
Beim Kaltgasspritzen sorgt allein die kinetische Energie für eine dichte, fest haf-tende Schicht (Bilder: GTS)
Kaltgasspritzen bringt dichtere und oxidärmere Schichten denn je hervor. Der Werkstoff muss nicht mehr an- oder aufgeschmolzen werden. Allein die hohe kinetische Energie der Spritzpartikel sorgt für eine dichte Schicht oder Struktur. Die Gastemperatur liegt unter dem Schmelzpunkt des Beschichtungswerkstoffs, so gibt es keine unerwünschten Veränderungen des Materials. Der geringe Wärmeeintrag bringt nur eine sehr geringe Temperaturbelastung des Substrats mit sich und der Aufwand ist nicht höher als beim HVOF-Spritzen.

Die Autorin Simone Arends ist Mitarbeiterin der MM Mertig Marktkommunikation, München und erstellte den Beitrag im Auftrag der GTS e. V., Unterschleißheim und der SLV, München

Der Siegeszug des Thermischen Spritzens ist noch lange nicht abgeschlossen. Optimierte sowie neue Verfahrensva-rianten erschließen immer mehr Anwendungen.
Im Rahmen des 5. Kolloqui-ums für Hochgeschwindigkeits-Flammspritzen (HVOF) wurde im November 2000 in Erding die jüngste indus-trietaugliche Neuheit vorgestellt: das Kaltgasspritzen. Es führt die eingeschlagene Richtung weg von thermischer und hin zu kinetischer Energie konsequent weiter. Das Ergebnis: Dichtere und oxidärmere Schichten denn je.
Kein Aufschmelzen – keine Oxidation
Das Besondere am Kaltgasspritzen: Der Schichtwerkstoff muss nicht mehr an- oder aufgeschmolzen werden. Allein die kinetische Energie der Spritzpartikel sorgt für eine dichte Schicht oder Struktur. Schon beim HVOF genügt ein teilweises Aufschmelzen. „Kaltgasspritzen bedeutet eine konsequente Weiterentwicklung dieses Prozesses“, erklärt Thorsten Stoltenhoff, Mitarbeiter von Heinrich Kreye, Professor der Universität der Bundeswehr, Hamburg. Mit einer de Laval’schen Düse wird ein Gas auf Überschallgeschwindigkeit beschleunigt. Vor der Düse in den Gasstrahl injiziert, wird der pulverförmige Spritzwerkstoff auf das Substrat geschleudert. „Überschreiten die Partikel eine für den jeweiligen Werkstoff charakteristische Geschwindigkeit, bilden sie eine dichte, fest haftende Schicht“, erläutert Stoltenhoff. Vorheriges Aufheizen des Gasstrahls erhöht nicht nur dessen Strömungs- und Partikelgeschwindigkeit; die Erwärmung der Teilchen begünstigt deren Verformung beim Aufprall. Dabei liegt die Gastemperatur deutlich unter dem Schmelzpunkt des Beschichtungswerkstoffs, was unerwünschte Veränderungen des Materials vermeidet. Das wirkt sich positiv auf viele Schichteigenschaften aus, beispielsweise auf die elektrische Leitfähigkeit.
Hohe elektrische Leitfähigkeit
Zum Kaltgasspritzen eignen sich plastisch verformbare Metalle und Kunststoffe sowie Gemische mit plastisch verformbaren Anteilen. Das Spektrum der Metalle reicht von niedrigschmelzendem Zink bis zu hochschmelzendem Titan. Neben Korrosions- und Verschleißschutz wird das Verfahren in der Elektrotechnik und im Maschinen- und Anlagenbau besondere Aufgaben erfüllen. So sind Kupferschichten erzeugbar, die 90 % der elektrischen Leitfähigkeit von reinem Kupfer aufweisen. Das erklärt sich zum einen daraus, dass während des Spritzens offensichtlich keine Oxidation erfolgt: „Der Sauerstoffgehalt in der Schicht liegt bei nur 0,2 Gewichtsprozent – nicht mehr als beim unverarbeiteten Pulver“, erklärt Stoltenhoff.
Zum anderen unterscheidet sich die Dichte der Kupferschichten kaum von massivem Kupfer und entspricht den Anforderungen an Hochvakuumkomponenten. Gefügeaufnahmen zeigen keine Poren. Nur die letzte Partikellage ist etwas lockerer, was darauf hinweist, dass die hohe Schichtdichte durch eine Art Mikroschmieden entsteht: Nachfolgende Partikel hämmern den Überzug quasi fest.
Mit 140 bis 160 HV0,1 ist auch die Härte der Kupferschichten hoch. Die Haftzugfestigkeit einer auf Aluminium gespritzten Schicht wurde mit 35 bis 40 MPa gemessen. In Versuchen erzielte das Team um Kreye bei einer Spritzrate von3 kg Kupfer pro Stunde einen Spritzwirkungsgrad über 70 %. Die Anlagen können aber auch auf höhere Spritzraten ausgelegt werden, wenn es um die Beschichtung großer Flächen geht. „Als idealen Spritzabstand haben wir 20 bis 50 mm ermittelt“, berichtet Stoltenhoff. „Wichtig sind außerdem relativ kleine Partikel, bei Kupfer in der Größe von 5 bis 25 µm.“
Neue Anwendungen
Der geringe Wärmeeintrag beim Kaltgasspritzen belastet das Substrat nur wenig und thermisch induzierte Spannungen im Überzug werden weitgehend vermieden. So sind einige Zentimeter dicke Schichten herstellbar. Mit der Düsengeometrie lässt sich zudem der Querschnitt des Spritzstrahls stark variieren. Das ermöglicht endformnahes Spritzen freier Strukturen. Ein auf weni-ge Millimeter fokussierbarer Spritzstrahl erlaubt zudem die Beschichtung komplexer Werkstücke und erübrigt teilweise ein Abdecken von Bauteilbereichen. „Das Kaltgasspritzen ist aber nicht als Ersatz für etablierte Verfahren zu sehen, sondern als Ergänzung“, klärt Stoltenhoff auf. „Sie kann der Spritztechnik insgesamt neue Anwendungen erschließen – auch als formgebendes Verfahren und in der Verbindungstechnik.“ Kaltgasspritzen erfordert keinen höheren Aufwand als HVOF.
Es erfolgt in einer Lärmschutzkammer mit Luftabsaugung und Abluftreinigung. Die Lärmentwicklung ist jedoch deutlich geringer als beim HVOF. Anlagen zum Kaltgasspritzen sind derzeit auf einen Maximaldruck von 35 bar und Gastemperaturen bis zu rund 600 °C ausgelegt.
FundierteAusbildung
Um die Vorzüge von Spritzverfahren voll nutzen zu können, sind gut ausgebildete Fachkräfte nötig. Seit 1999 bildet die Schweißtechnische Lehr- und Versuchsanstalt SLV München, Niederlassung der GSI mbH zum international anerkannten „Europäischen Thermischen Spritzer“ aus. Auch neue Technologien wie das Kaltgasspritzen stehen auf dem Lehrplan. Bereits seit einem halben Jahrhundert fördert die SLV München schweißtechnische und verwandte Verfahren. Zu ihren Aktivitäten zählt die Organisation von Fachtagungen. So veranstaltet sie mit der GTS Gemeinschaft Thermisches Spritzen e.V., der Linde Gas AG, Höllriegelskreuth, und der Universität der Bundeswehr, Hamburg alle drei Jahre in Erding ein Kolloquium für HVOF – das nächste am 13./14. November 2003.
Ausführliche Informationen
Kaltgasspritzen
KEM 700
Anlagen inklusive Lizenz zum Spritzen
KEM 701
Ausbildung Euro-päischer Thermischer Spritzer
KEM 702
Kolloquium
KEM 703
Internet
SLV München
Universität der Bundeswehr Hamburg
CGT
www.crp-ag.de/cgt
Die Geburtstags-stunde
Als das Institut für Theoretische und Angewandte Mechanik der Russischen Akademie der Wissenschaften, Nowosibirsk, Mitte der 80er Jahre mit partikelbeladener Strömung im Überschallwind- kanal experimentierte, sollten eigentlich Erosionsvorgänge an Flugkörpern untersucht werden. Doch das Team um Professor Anatolii Papyrin entdeckte Überraschendes: Ab einer bestimmten Geschwindigkeit kehrt sich die abtragende Wirkung der Teilchen in sehr starke Haftung um. Mit dem Wissen wanderte Papyrin in die USA aus, wo er das Kaltgasspritzen entwickelte. Ein Konsortion mit der Beteiligung von Ford unterstützte ihn. 1995 wurde das Verfahren erstmals in den USA präsentiert. Dabei begegnete Papyrin Peter Heinrich von Linde Gas und Geschäftsführer der GTS e. V., und Professor Heinrich Kreye. Auf deren Betreiben riefen Universität und Gashersteller ein „Kompe-tenzzentrum Kaltgasspritzen“ ins Leben und untersuchten die neue Technik an zwei identischen Anlagen. Wäh-rend die Hochschule sich wissenschaftlichen Fragen widmete, kümmerte sich Linde um praktische Aspekte. „So haben wir den Prototyp der Gasheizung gebaut, mit der das Gas erwärmt wird“, so Werner Krömmer, bei Linde maßgeblich an der Weiterentwicklung des Verfahrens beteiligt. Ende 2000 schlug die Stunde der industriellen Nutzung des Kaltgasspritzens: Anlagen inklusive Lizenz zum Spritzen bietet die Cold Gas Technology GmbH, Ampfing, an.
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