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Mobilfunk für die mobile Maschine

5G CMM Expo zeigt Konzepte und reale Anwendungsfälle
Mobilfunk für die mobile Maschine

Vom 8. bis 10. Oktober 2019 fand in Hannover die 5G CMM Expo statt. Thematisch verbanden sich hier die Trends der mobilen Maschinen mit der dafür notwendigen drahtlosen Datenübertragung. Die rund 1000 Besucher bekamen einen Überblick, was 5G jetzt schon kann und in naher Zukunft möglich machen soll. Im Fokus standen deswegen auch schon realisierte Anwendungsfälle.

Autor: Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion

Inhaltsverzeichnis

1. Messe als Testfeld
2. Viel mehr als nur schnell
3. Frühe Aufklärung wichtig

 

Was wäre, wenn wir sagen könnten: 2025 stirbt niemand mehr auf europäischen Straßen“, fragt Colin Willcock etwas überspitzt ins Publikum. Der Vorstandsvorsitzende der 5G Infrastructure Association (5G IA) kommt mit europäischer Perspektive aus Brüssel nach Hannover, er hält einen Vortrag über die Potentiale der 5G-Technologie. Vor allem mobilen Maschinen könnte das einen unheimlichen Entwicklungsschub verleihen, auch das Autonome Fahren setzt auf den neuen Mobilfunkstandard. Dass so in guten fünf Jahren die Verkehrstoten auf Null sinken, ist natürlich sehr unwahrscheinlich, Willcock möchte aber eher aufzeigen, wie wichtig Visionen sind. Und davon gab es in Hannover einige, aber auch realistische Szenarien und bereits existierende Usecases wurden vorgestellt und diskutiert: An der 5G CMM Expo – Connected Mobile Machines – beteiligten sich gut 100 Unternehmen und Institutionen als Aussteller sowie bei Diskussionen und Breakout-Sessions zu einzelnen Industriesektoren. Als Partner der Deutschen Messe waren auch die Konradin Mediengruppe mit der KEM Konstruktion sowie der Verband Curpas mit an Bord. Letzterer vertritt die Interessen der rasant wachsenden Branche der Unbemannten Systeme, vom kommerziellen Drohnenpilot bis zum Hersteller hochautomatisierter Roboterfahrzeuge.

„5G wird einen großen Innovationsschub in der Industrie auslösen, da sich die Zahl der mobilen Maschinen und Anlagen exponentiell erhöht. Schon sehr bald wird das Internet mehr von mobilen Maschinen als vom Menschen genutzt“, prognostiziert Jochen Köckler, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Messe am zweiten Veranstaltungstag. So sieht das auch Reinhard Heister, Geschäftsführer VDMA Elektrische Automation: „Das Potential von 5G ist immens, besonders die lokalen Campusnetze ermöglichen neue Betreibermodelle auf dem Werksgelände, welche den Unternehmen mehr Autonomie und Sicherheit geben.“ Dafür hat sich die Bundesnetzagentur von der Industrie – etwa durch die 5G ACIA – davon überzeugen lassen, das Frequenzband von 3,7 bis 3,8 GHz nicht an die klassischen Netzbetreiber zu versteigern, sondern für die Industrie freizuhalten – ein absolutes Novum. Diesen 100-MHz-Bereich können Unternehmen auf gesonderten Antrag nutzen, um Netzwerke in eigener Verantwortung individuell auf den Produktionsablauf zuzuschneiden. Die Rahmenvereinbarungen dazu werden gerade in Berlin verhandelt, einige Experten befürchten, dass durch sehr hohe Preise aber nur zahlungskräftige Konzerne von den Campus-Lizenzen profitieren könnten. In ihren Vorträgen bezogen zwei der Großen aber eindeutig Stellung: Arjen Kreis, Leiter Automatisierungstechnik Karosseriebau bei Audi und Sander Rotmensen, Head of Product Management Industrial Wireless & Security Components bei Siemens plädierten für eine unbürokratische und günstige oder sogar kostenfreie Verfügbarkeit der 5G-Campus-Lizenzen. Denn nur so könnten auch KMUs einsteigen und global wettbewerbsfähig bleiben. Zudem ist die Kooperation von mittelständischer Zulieferindustrie und OEMs inzwischen so eng, dass es kaum Vorteile hätte, wenn der Teil der Prozesskette in den kleineren Betrieben nicht auf dem selben Level operieren würde, wie der restliche Teil.

Messe als Testfeld

Dass das DLR seit einiger Zeit nicht mehr nur auf die im Namen gesetzten Disziplinen fokussiert ist, dürfte hinreichend bekannt sein. Daher überrascht es nicht, dass der von den Forschern auf der Expo gezeigte Usecase auf einem E-Golf aufbaut: In der Messehalle 17 fährt dieser in einem scheinbar leeren Umfeld, seine Position wird dabei über 5G-Funk getrackt. Die Positionsdaten werden in Echtzeit an eine Verkehrssimulation übertragen; neben Häusern, Straßen samt Ampeln und Zebrastreifen sind dort auch rein digital existierende Fahrzeuge unterwegs. Der virtuelle Verkehr reagiert aber auch auf den realen Golf, die Simulationswelt wurde vom DLR-Team direkt über die leere Halle gelegt. Besucher der Expo konnten beide Welten kombiniert durch eine Microsoft Hololens betrachten: Wo eigentlich nur kahler Beton ist, fließt nun der Verkehr, inklusive dem realen Golf. Ziel des Systems ist es, 90 % der notwendigen Testszenarien für das Autonome Fahren künftig damit zu absolvieren. Aktuell muss man sich die benötigten Umgebungen entweder mühsam nachbauen oder im echten Verkehr suchen – Tests sind dann aber nicht dauerhaft möglich, Genehmigungen und andere Bürokratie macht das Ganze zudem nicht gerade effizient. Eine entsprechende 3D-Umgebung ist dagegen wesentlich schneller realisiert und beliebig oft bespielbar. Da auf dem Messegelände in Hannover aktuell ein 5G-Netz etabliert wird, eignet es sich künftig ideal für solche Testszenarien: Das 100 ha große Ausstellungsgelände soll sukzessive zu einem Multifunktions-Campus ausgebaut werden, der an 365 Tagen im Jahr als Testfeld für 5G-Echtzeit-Use-Cases zur Verfügung steht. Sämtliche Hallen, über 30 an der Zahl, sowie das Freigelände mit etwa 10 km Straßen und über 1000 Parkplätzen sollen bis Sommer 2020 mit dem neuen Mobilfunkstandard ausgerüstet sein und so ermöglichen, Anwendungen aus Industrie, Mobilität, Logistik, Smart City oder Gesundheit zu testen und zu demonstrieren, die ohne 5G nicht machbar wären. Ähnliche Projekte entstehen aktuell weltweit, die Häfen in Hamburg und Singapur etwa etablieren ebenfalls eine eigene 5G-Infrastruktur auf dem eigenen Gelände. Ziel ist es, sämtliche Fahrzeuge und Schiffe miteinander zu vernetzen und so die Abläufe noch besser koordinieren zu können. Aber auch die Daten zu Umwelteinflüssen können so direkt in Echtzeit von den Sensoren der hafeneigenen Schiffe übertragen werden. Südlich von Nürnberg auf etwa 30 km der Autobahn A9 hat zudem Ericsson mit BMW ein Testnetz aufgebaut. Da dort parallel die ICE-Trasse verläuft, ist auch die Deutsche Bahn als Projektpartner dabei. Denn mit 5G könnte durch das sogenannte Slicing einerseits das eher unkritische Entertainment-Angebot für die Reisenden bedient werden, während über die gleiche Technik die sicherheitsrelevante Steuerung der Züge oder autonome Fahrzeuge kommunizieren können. Die Partner erforschen nun, wie solche Netzwerke eingerichtet werden müssen.

Viel mehr als nur schnell

Die technischen Details machen die fünfte Mobilfunkgeneration so interessant für die Industrie: Die Gigabit-Bandbreite ist aber nur ein Argument, ebenso wichtig sind die kurzen Latenzzeiten von 1 ms, wodurch Kommunikation in Echtzeit möglich wird, sowie die hohe Verfügbarkeit. „LTE schafft hier 99,6 %, was im ersten Moment sehr gut erscheint. Eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,4 % bedeutet bei 365 Tagen aber schon 35 Stunden ohne Netz, die ich einfach hinnehmen muss, da die Technik eben so ist. Eine Verfügbarkeit von 99,9999 %, wie 5G sie bietet, ergibt gerade einmal eine halbe Minute Ausfall im Jahr“, erklärt Jussi Nevanlinna vom Technologiekonzern Qualcomm in seinem Vortrag. Siemens-Experte Sander Rotmensen gibt aber zu bedenken, dass wohl nicht alle Vorteile gleichzeitig zu haben sein werden: „Eine 20-Gbit-Verbindung bei einer Millisekunde Latenz wird erst einmal nicht realisierbar sein. Daher sollte man die Infrastruktur entsprechend der notwendigen Parameter planen. Die Campus-Netze sind hier ein wichtiger Baustein, da man unabhängig von externer Hardware der Provider ist.“ Deutschland geht hier mit großen Schritten voran, denn die Campus-Netze sind weltweit sonst nirgends realisierbar. Das Modell macht aber bereits Schule, in Frankreich, UK und Japan spricht man ebenfalls darüber.

Reelle IIoT-Produkte, die auf alle Vorteile von 5G setzen, sieht Rotmensen zudem nicht vor 2021: Das aktuelle Release 15 des 5G-Standards unterstützt bereits die hohen Datenraten. An den beiden folgenden durfte erstmals die Industrie mitplanen. Das für Juni 2020 angesetzte Release 16 soll die kurzen Latenzzeiten unterstützen, im Release 17 (2022) soll dann auch die Massive Machine Communication an Bord sein. Damit können innerhalb eines Netzwerks sehr viele Knotenpunkte angesprochen werden, etwa eine große Anzahl von Sensoren und Aktoren in einem Chemiewerk oder sehr viele Fahrzeuge in einem Verkehrssystem. Denn WLAN und Co. stoßen schon heute an ihre Grenzen, wenn diverse Mitarbeiter mit einem beruflichen Tablet im Netz der Produktion aktiv sind. Die Systeme von morgen aber werden viel größer gedacht, verdeutlicht Andreas Keiger, Executive Vice President des Bereichs IT Infrastructure bei Rittal: „Im Jahr 2020 rechnen wir mit 21 Milliarden vernetzten Sensoren und anderen Endpunkten wie mobilen Maschinen. Das wird einen unglaublichen Datenstrom erzeugen, den keiner mehr dauerhaft speichern kann. Wir müssen dann also den Keller aufräumen und lernen, welche Daten wann wichtig sind.“

Frühe Aufklärung wichtig

Dass es hier dringend Bedarf für Sicherheitslösungen gibt, verdeutlicht Dirk Kretzschmar, CEO der TÜV Informationstechnik GmbH: „Funknetze wie 5G können mit sogenannten Jammern gestört werden. Die Geräte sind nicht größer als eine Zigarettenschachtel und daher schwer zu finden.“ Die Reichweite solcher Geräte ist zwar gering, aber eben einfach anzuwenden. Kabelnetze dagegen müssen mit mehr Aufwand manipuliert werden. Diese sind aber nicht überall möglich, wie etwa in den Szenarien, die der Tiefbaukonzern Strabag plant. Auf Großbaustellen etwa für Autobahnen können Drohnen schon viele Vermessungsaufgaben übernehmen und so täglich den Baufortschritt dokumentieren. „Einerseits wird so das Controlling verbessert und eine wesentlich schnellere Reaktion auf eventuellen Verzug ermöglicht. Langfristig ist aber eine durchgehende Vermessung nötig, um hochautomatisierte Baufahrzeuge zu steuern. Denn im Vergleich zum Autonomen Auto im Straßenverkehr verändert der Bagger auf der Baustelle seine Umgebung“, erklärt Thomas Groeninger, Bereichsleiter Digitalisierung bei Strabag. Eine statische Karte des jungfräulichen Baugrundes und eine CAD-Datei der fertigen Baumaßnahme reichen hier nicht aus, die Maschine braucht stetig die aktuellen Maße der Umgebung, auch von der Arbeit anderer Maschinen. Baumaschinenhersteller Hamm hat bereits eine erste Studie einer autonomen Walze entwickelt, auf dem firmeneigenen Testgelände hat eine Schattenwalze – sie folgt automatisch einer Walze mit Fahrer – bereits 10.000 Stunden absolviert. Strabag-Experte Groeninger denkt bis zum autonomen Einsatz von komplexeren Maschinen wie Baggern aber eher in Dekaden, als mit kurzfristig verfügbaren Jahreszahlen zu spekulieren. Die Drohne-Analyse bestehender Straßenteile, die für Sanierungsaufträge ausgeschrieben sind, sieht er dagegen als sehr konkreten Anwendungsfall in seinem Geschäftsfeld: „Wer hier mehr weiß als die Konkurrenz, ist beim Schreiben des Angebots klar im Vorteil.“

Dass man sich aber auch mit Kritikern auseinandersetzen muss, weiß Tobias Miethaner, er ist Abteilungsleiter des Ressorts Digitale Gesellschaft im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: „In der Schweiz hat sich bereits eine Liste zur Nationalratswahl etabliert, ihr Name ist ‚5G ade’. Sie fordert einen sofortigen Stopp des 5G-Netzausbaus, da man vermeintliche Gesundheitsrisiken fürchtet.“ Die Kritiker plädieren stattdessen für mehr Glasfaser und nur dort auf 5G zu setzen, wo es notwendig ist. Dass dieser Weg zwangsläufig sowieso erst einmal beschritten wird, sehen die Experten in der Technologie selbst begründet: Die hohen Frequenzen benötigen für ein flächendeckendes Netz ein wesentlich engmaschigeres Feld aus Funkmasten. Daher wird beim 5G-Ausbau wohl mehr Wert auf die qualitative Auswahl der Hotspots gelegt als quantitativ möglichst schnell in die Breite zu gehen. Um kritischen Strömungen frühzeitig konstruktiv begegnen zu können, hält Miethaner etwa eine Clearing-Stelle für sinnvoll.

www.5gcmm.com

Weitere Infos zur 5G CMM Expo und viele der diesjährigen Vorträge sind als Video online verfügbar:

hier.pro/9GImH


Colin Willcock, Vorstandsvorsitzender, 5G IA
Bild: Deutsche Messe

„Wenn wir nicht zügig zu 5G wechseln, wird Europa datentechnisch ein Dritte-Welt-Land. Konnektivität entwickelt sich vom Luxus zum Menschenrecht.“

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