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Roboterschwärme entlasten den Feldarbeiter

Agrar-Robotik
Roboterschwärme entlasten den Feldarbeiter

Im Agrarbereich haben sich Start-Up-Roboter in Nischen etablieren können, die noch von viel Handarbeit dominiert werden. Doch auch große OEMs gehen bald mit völlig neuen Konzepten in Serie, die in der Landwirtschaft für disruptive Veränderungen sorgen könnten. Der Mensch fällt deswegen nicht aus dem System – im Gegenteil. Ein paar Hürden sind aber noch zu nehmen.

Tobias Meyer, freier Mitarbeiter der KEM Konstruktion

Im Jahr 2010 unterhielt sich Gaëtan Severac mit einem Gemüsebauern, der ihm dabei sein Leid bezüglich der täglichen Arbeit klagte: Auf dessen Feldern laufe noch vieles manuell, besonders die Unkrautbekämpfung nehme viel Zeit in Anspruch. Denn die Regulierung muss so früh wie möglich stattfinden und sehr regelmäßig erfolgen, da größeren Pflanzen mit mechanischen Verfahren nicht beizukommen ist, sie wachsen teilweise einfach wieder an. Anbaugeräte an Traktoren können inzwischen auch in der Reihe jäten, oft sind die Gemüsepflanzen – vor allem im sehr frühen Stadium – aber zu empfindlich oder aufgrund von gemischten Kulturen nur schwer mit einer einzigen Maschine zu pflegen, weshalb der Landwirt noch immer vielerorts mit einer klassischen Hacke durch sein Gemüse läuft und seine kleinen Pflänzchen händisch vom Beikraut trennt.

Für den jungen Ingenieur Severac war das der Schlüsselmoment, denn sein Spezialgebiet ist die Robotik: Er kann sich gut vorstellen, die schwere manuelle Arbeit der Landwirte an intelligente, autonome Maschinen zu delegieren. Zusammen mit Aymeric Barthes gründet er ein Jahr später das Unternehmen Naïo Technologies, entwickelt erste Prototypen und stößt auf immer mehr Interesse in der Branche. Während einer Präsentation vor Farmern und Organisationen im Jahr 2013 verkaufen sie die erste Maschine und stecken das Geld in die Serienproduktion. 2015 kämpfen bereits 30 der „Oz“ getauften Roboter gegen Unkräuter, komplett ohne Chemie.

Wenn der Roboter Arbeitsplätze schafft

Auch der französischen Wissenschaftlerin Maët le Lan von der Landwirtschaftskammer der Region Morbihan (Bretagne) fiel auf, wie viel Handarbeit noch in dieser landwirtschaftlichen Nische steckt: Bis zu 50% der Arbeitszeit verschlinge das Unkraut, neun von zehn Gemüsebauern leiden unter verschiedenen Beschwerden, die unter Muskel-Skelett-Erkrankungen zusammen gefasst werden, auch wenn sie noch vor dem 40. Geburtstag stehen. Die Forscherin stellte daher eine Studie auf die Beine, deren Titel übersetzt lautet: Wie man Arbeitszeit und Plackerei in der ökologischen Landwirtschaft reduziert. Eine zentrale Rolle spielt hier der Roboter, häufig wird der jedoch als Verdränger wahrgenommen und der Gedanke an gefährdete Arbeitsplätze ist nicht weit. „Eigentlich ist es aber anders herum, der Roboter verschafft dem Farmer endlich Zeit, in der er sich um Dinge kümmern kann, die Geld in die Kasse bringen, termingerechte Ernte und passende, frische Vermarktung etwa“, erklärt die Forscherin. Ein Landwirt, der den Oz im Einsatz hat, bestätigte ihr genau das – höhere Erträge, Zeit für bessere Vermarktung – und hat so nun erstmals soviel Einnahmen, dass man eine zusätzliche Kraft einstellen konnte. Der Roboter hat einen Arbeitsplatz geschaffen.

Eine Hürde zum großen Erfolg könnte die Skepsis der künftigen Nutzer gegenüber den Robotern sein, schließlich will niemand die Verantwortung über sein Geschäft an eine Maschine abgeben. Dazu wird es aber laut Philippe Jeanneaux nicht kommen, er forscht und lehrt zu Agrarwirtschaft sowie Farmmanagement an der Universität von Lyon: Seiner Ansicht nach ist auch diese Angst unbegründet, denn der Roboter wird dem Landwirt keine Entscheidungen abnehmen. Er fährt aufs Feld, sammelt dort – eventuell während seiner eigentlichen Arbeit im Unkraut – Daten zu Wachstum, Nährstoffen im Boden usw., die der Landwirt auswerten und danach entscheiden kann, wie die weitere Strategie ausgerichtet wird. Dann schickt er wieder den Roboter los, der das Ganze umsetzt.

Nische vs. Global Player

Dass gerade der flächentechnisch betrachtet als kleine Nische geltende Gemüsebau als Brutstätte für die ersten kommerziell verfügbaren Agrar-Roboter fungierte, hat mehrere Gründe: Wie bereits erklärt herrscht hier noch viel Bedarf, wirklich anstrengende Arbeit zu mechanisieren. Im klassischen Ackerbau ist mit Lenksystemen, Computersteuerung der Maschinen oder Pflanzensensoren für Spritzen und Streuer bereits vieles automatisiert. Der Sprung zum Roboter ist daher eher klein und für viele Landwirte kein wirklicher Grund, hier Geld zu investieren. Da von John Deere und Agco über CNH bis Kubota auch jeder große Konzern an autonomen Schleppern arbeitet, ist hier wenig Raum für völlig neue Player, die sich mit ihren Robotern erst noch beweisen müssen, was Qualität und Haltbarkeit angeht. Der kanadischen Saatspezialist Seedmaster etwa hat einen eigenen autonomen Geräteträger entwickelt, den DOT. Nachdem man realisierte, welches Potential autonome Sämaschinen in sich tragen, wandelte man die Technologie in eine Plattform, die jede landwirtschaftliche Aufgabe erfüllen können soll. Insgesamt zeigt das System, wo die Reise neben den autonom gemachten Standardtraktoren hingehen kann: Der 163-PS-Diesel versorgt die vier hydraulischen Radantriebe sowie das Arbeitsgerät mit Dampf, so können zum Beispiel eine 9 m breite Sämaschine, eine Spritze samt 4500-Liter-Tank oder eine 12-m-Walze und einige andere Geräte mit DOT betrieben werden, auch andere Hersteller sollen ihre Geräte für das System anpassen können.

Zudem kaufen sich die Global Player entsprechende Kompetenz in der Automatisierungstechnik auch einfach zu, Ende 2017 übernahm John Deere das 60-Mann-Start-Up Blue River für umgerechnet etwa 250 Millionen Euro. Das kalifornische Unternehmen entwickelt Bilderkennungssysteme, Robotertechnologie und lernende Maschinen, die Pflanzen erkennen, sie identifizieren und Maßnahmen punktuell durchführen. Vollflächige Behandlungen sollen so künftig nicht mehr notwendig sein und der Herbizidaufwand deutlich sinken. Nischenmärkte wie Gemüse, Obst und auch Wein sind für die großen Agrar-OEMs nicht völlig unwichtig, ihre Entwicklungsabteilungen konzentrieren sich aber natürlich mehr auf das Kerngeschäft, den großflächigen Ackerbau. Daher haben in den flächentechnischen Nischen die Start-Ups mehr Chancen, einen Markt zu erobern. Außerdem sind die kompakten Helfer im kleinteiligen Gemüsebau für ein Start-Up besser zu stemmen.

Der auf Reihenkulturen spezialisierte Oz von Naïo Technologies ist etwa kniehoch, wiegt 150 kg und kann mit verschiedenen Werkzeugen zur mechanischen Unkrautbekämpfung ausgestattet werden. In vier Stunden säubert er laut Hersteller 48 Reihen, jede 100 m lang, mit Lithium-Ionen-Batterien sollen bis zu zehn Stunden Einsatzdauer möglich sein. Während der Ernte kann der Roboter außerdem als autonomer Transporter im Feld eingesetzt werden, der etwa Erdbeer-Kisten für den Arbeiter trägt und bis zu 90 kg in einer Fuhre auch an den Feldrand liefert. Zudem wird er auch beim Setzen von Jungpflanzen verwendet, dabei kann er auch einen bis zu 300 kg schweren Wagen ziehen, auf dem der Pflanzer samt Vorrat sitzt.

Eine ähnliche Nische wie das Gemüse ist der Weinbau, die dortigen Herausforderungen sind vor allem steiles Gelände und darauf auch noch enge, oft verwundene Fahrgassen. Daher wurde der Pflanzenschutz in Frankreich noch bis 2016 auch vom Hubschrauber aus erledigt. Da das nun aber verboten ist, müssen Arbeiter in der Sommersonne in Schutzanzüge steigen und hinter schweren Raupentransportern zu Fuß über die Hänge steigen. Oder man überlässt das Ganze den Maschinen, Vitibot schickt die Raupe einfach allein los und beseitigt das Unkraut mechanisch, aber auch eine intelligente Sprüheinheit wird derzeit entwickelt. Außerdem kann auch ein zusätzlicher Mäher angebaut werden, der gleichzeitig die Grünstreifen im Weinberg stutzt. Das elektrisch angetriebene System mit dem passenden Namen Bakus soll Ende 2018 auf den Markt kommen.

Gesetzliche Hürden

Auch wenn viele der Roboter technisch bereits marktreif sind, können sie ihr potential noch nicht vollständig ausspielen: „Der Gesetzgeber erlaubt völlig autarken Maschinen noch keinen Alleingang auf dem Feld, daher muss hier global Rechtssicherheit geschaffen werden“, so Claes Dühring Jæger, er ist Chief Engineer beim dänischen Robo-Start-Up AgroIntelli. Daher brauchen die Roboter, auch wenn sie technisch bereits allein arbeiten könnten, immer noch einen Aufseher am Feldrand, der eingreifen kann, sollte doch einmal ein Fehler passieren und die Maschine durch den Nachbaracker marodieren wollen. Der eigentliche Sinn sei aber ja, den Menschen zu entlasten – und dessen Ausrutscher zu vermeiden. Dessen ist sich auch Gérard Danibert, Marketingdirektor für Traktoren bei Kubota Europe, bewusst: „Diese Maschinen dürfen natürlich nicht einfach so überall hingestellt werden, die Sicherheit geht hier vor.“ Daher wird derzeit die Norm ISO 18497 entwickelt, in der die Kriterien festgelegt werden, was einen Feldroboter als sicher gelten lässt.

Auch hinsichtlich Versicherung muss weiter gedacht werden: „Roboter können prinzipiell als Fahrzeug versichert werden und von ihnen angerichtete Schäden reguliert eine reguläre Haftpflicht – wie beim Traktor auch. Dennoch kommen neue Aspekte wie viel leichterer Diebstahl oder Missbrauch über Cyberattacken hinzu, die aktuell noch eingeschätzt werden müssen,“ erklärt Coralie Bos vom französischen Versicherer Groupama. Sie war im Vorjahr bereits auf der Fira (siehe Kasten), die dort gewonnen Erkenntnisse bewogen ihre Firma dazu, Agrarroboter in künftigen Policen zu berücksichtigen.

Leichter Schwarm statt schwere Boliden

Robotik-Professor Simon Blackmore von der britischen Harper Adams University zeigte mit dem Hands free Hectare-Projekt, dass es prinzipiell möglich ist, ein Feld ohne menschliche Arbeitskraft zu bewirtschaften. Blackmores Hauptargument für die Feldrobotik ist aber nicht die Einsparung von Arbeitskräften, sondern die Bodenschonung. Seiner Ansicht nach sind die Maschinen bisher nur deswegen immer größer geworden, weil so ein einzelner Arbeiter immer mehr Schlagkraft verliehen bekam. Denn dieser ist ein Kostenfaktor, es können also nicht einfach beliebig viele beschäftigt werden. Fällt der Mensch aber aus dem System, entstehen auf einmal völlig neue Möglichkeiten: Statt einer großen Maschine können viele kleine Roboter im Feld unterwegs sein und dort etwa säen, düngen oder Unkraut bekämpfen. Da sie nicht viel Gewicht mitbringen, schonen sie den Boden und können auch bei Nässe problemlos arbeiten. Fällt eine Einheit aus, kompensiert der vernetzte Schwarm die Lücke selbstständig, was das Arbeiten in den wettertechnisch oft engen Zeitfenstern stressfreier machen kann. Starke Bodenbearbeitung wäre mit den kleinen Schwarmrobotern zwar nicht drin, das wäre aber gar nicht nötig, denn nach Blackmores Ansicht gingen 90 % der in der Landwirtschaft aufgewendeten Energie sowieso nur in die Reparatur von Schäden, die nur da sind, weil mit sehr schweren Maschinen gearbeitet wird: Kommt also kein 300-PS-Traktor mehr auf den Acker, müsse man auch nicht mehr so tief pflügen.

Bis es zu solchen Szenarien kommt, muss es nicht mehr sehr lange dauern, denn auch große Hersteller haben das Potential erkannt: Fendt etwa forscht mit seinem 50 kg leichten Xaver daran, Mais mit Schwärmen von bis zu zwölf Robotern zu säen, das Ziel ist zusammen einen Hektar pro Stunde zu schaffen. Der Ablageort und Saatzeitpunkt für jedes Korn wird dabei genau festgehalten. So sollen nachfolgende Pflegearbeiten wie Pflanzenschutz oder Düngen präzise an der Einzelpflanze ausgeführt werden können. Ebenfalls kann so eine detailliert gesteuerte Sortenmischung geplant werden, in dem jeder Schwarmroboter mit anderem Saatgut befüllt wird.

Keine Ablösung sondern Unterstützung

Trotz immer mehr Robotik benötigt die Landwirtschaft nach wie vor gut ausgebildete Arbeitskräfte, in Planung, Service und Steuerung sind das aber wesentlich angenehmeren Positionen. Solche Veränderungen – auch wenn sie disruptiv erfolgen – sind auch in dieser so traditionell anmutenden Branche nicht neu: Im letzten Jahrhundert drängten der Mähdrescher und die Melkmaschine massenweise Knechte und Mägde von den Höfen, Sense, Dreschflegel und Melkschemel dienen heute nur noch als verklärende Andenken an eine eigentlich sehr anstrengende Arbeitswelt. Vielleicht gesellen sich Unkrauthacke und Flächenspritze in naher Zukunft schon dazu.

www.naio-technologies.com

Die Naio-Gründer veranstalten jährlich das International Forum of Agricultural Robotics (FIRA) in Toulouse, auf dem Wissenschaftler, Ingenieure und Anwender die Zukunft der Agrarwelt diskutieren:
www.hier.pro/6iAWn

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