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Auf die Mischung kommt es an

Widerstandsfähiger Polyurethan-Werkstoff mit breitem Einsatzspektrum als Material für Dichtungen
Auf die Mischung kommt es an

Polyurethan spielt eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Dichtungen, die unter besonders harten Bedingungen ihre wichtige Aufgabe erledigen. Nun ist es gelungen, einen Grundstoff für Dichtungen herzustellen, der eine deutlich höhere Lebensdauer aufweist als die bisher verwendeten Materialien.

Exklusiv in KEM Der Autor: Dr. Stephan Wolf, Head of Media Relations, Freudenberg Sealing Technologies GmbH & Co. KG, Weinheim

Dr. Jürgen Hieber ist ein Tüftler. Einer, der sich mit Chemikalien auskennt. Der im Labor so lange forscht, bis die Mischung stimmt. Drei Jahre lang hat der Leiter der Werkstoffentwicklung beim Dichtungshersteller Freudenberg Sealing Technologies im hessischen Werk Schwalmstadt ausprobiert, neue Rezepturen entwickelt, wieder verworfen, erneut gemischt, bis er die richtige Zusammensetzung gefunden hatte. Und jetzt ist er sich sicher: „Unsere neue Werkstoffgeneration ist das beste Polyurethan für Dichtungen, das je auf den Markt gekommen ist.“
Polyurethan kennt man sonst vor allem als Schaum für Türrahmen und Matratzen, auch in Farben und Klebstoffen kommt es häufig zum Einsatz. 1937 wurde Polyurethan von Otto Bayer entwickelt und trat danach seinen Siegeszug um die Welt an. Zwölf Mio. Tonnen werden jährlich verarbeitet – der Anteil, der für mechanische Komponenten genutzt wird, liegt bei rund 5 %. Doch gemäß dem Motto „selten sichtbar, aber immer unverzichtbar“ spielt Polyurethan eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Dichtungen, die unter besonders harten Bedingungen ihre wichtige Aufgabe erledigen. Denn im Vergleich zu Elastomeren verfügt es über eine viermal größere Widerstandsfähigkeit, exzellente Ozonbeständigkeit und hält auch den Belastungen mineralischer Flüssigkeiten gut Stand.
Kernkompetenz: eigene Werkstoffentwicklung
Vor 40 Jahren hat Freudenberg schon einmal Standards gesetzt, als es erstmals einen Werkstoff aus Polyurethan für seine Hochleistungsdichtungen auf den Markt brachte. „Wir haben’s erfunden“, reklamieren die Männer und Frauen von Freudenberg auch heute noch stolz, wenn es um den Stoff geht, der vor allem in Dichtungen für Schwerlastmaschinen wie Bagger oder Traktoren zum Einsatz kommt. Immer wieder wurde die Mischung, die mindestens ebenso geheim ist wie die einer amerikanischen Soda-Brause, verfeinert, den Erfordernissen des Marktes angepasst. Doch nun war der Zeitpunkt gekommen, um eine Kernkompetenz des Unternehmens wieder in den Vordergrund zu rücken: die eigene Werkstoffentwicklung. „Wir produzieren die Grundstoffe für unsere Dichtungen selbst und sind deshalb auch nicht von Zulieferern abhängig“, so Mathias Burkert, Produktmanager von Freudenberg Sealing Technologies in Schwalmstadt. So ist es gelungen, einen Grundstoff für Dichtungen herzustellen, der eine deutlich höhere Lebensdauer aufweist als die bisher verwendeten Materialien.
Die neue Polyurethangeneration wurde speziell für ein breites Einsatzspektrum konzipiert, ohne Schwächen in einem bestimmten Einsatzbereich zu zeigen. Der Werkstoff ist deutlich widerstandsfähiger gegen Wasser und hält auch großen Temperaturschwankungen stand. Das Einsatzspektrum liegt bei -40 bis +120 °C. Möglich wurde dies durch eine gezielte Modifikation der für die Temperatureigenschaften verantwortlichen PU-Komponenten, ohne Kompromisse hinsichtlich der übrigen Eigenschaften machen zu müssen. So wurde für den neuen PU-Werkstoff ein besonders günstiges viskoelastisches Verhalten erreicht, bei dem die Weichsegmente in einer großen Temperaturbreite ihre Flexibilität erhalten und sehr hydrolysebeständig sind. Andere wichtige Werkstoffeigenschaften wie Härte und Zugfestigkeit werden nicht nachteilig beeinflusst und sind mit den bewährten Polyurethan-Werkstoffen von Freudenberg vergleichbar. In der Praxis bedeutet dies, dass Dichtungen aus dem Werkstoff selbst bei tiefen Temperaturen flexibel und bei hohen Temperaturen ausreichend stabil sind. So kann die neue Polyurethan-Generation in einem großen Temperaturbereich eingesetzt werden.
Damit tragen die Entwickler den sich wandelnden Marktanforderungen Rechnung. Die Dichtungen kommen häufig in Bau- und Landmaschinen sowie in der Flurfördertechnik zum Einsatz. Zunehmend greifen die Betreiber in diesen Branchen auf Mietmaschinen zurück. Der Bagger steht also nicht mehr auf dem eigenen Bauhof, sondern wird bei Bedarf angemietet. Für die Maschine selbst bedeutet dies eine höhere Betriebszeit pro Jahr als bei ausschließlicher Eigennutzung, ähnlich wie bei Laufleistungen von Mietwagen. Auch die Vorsorge und der pflegliche Umgang mit den Geräten sind unter Umständen nicht so ausgeprägt wie bei einem Bagger, der im eigenen Fuhrpark steht. Da werden die Leistungsgrenzen gern häufiger ausgenutzt und die Maschinen an ihre Grenzen gebracht. Betriebssicherheit ist jedoch entscheidend, schließlich möchte niemand mit einem unzuverlässigen Gerät arbeiten. Deshalb braucht es Hochleistungsmaterialien, die solchen immensen Anforderungen gerecht werden und deutlich längere Laufzeiten ermöglichen. „Noch belastbarer sein, noch länger durchhalten – das sind die Ziele, die wir mit dem neuen Polyurethan erreichen“, so Burkert.
Universell einsetzbarer Werkstoff
Daneben erwartet der Markt, insbesondere die Hersteller von mobilen Arbeitsmaschinen, globale Lösungen. Gleichteile, die universell verwendbar sind und somit helfen, Kosten zu senken, sind Pflicht bei Neukonstruktionen. Diese Anforderungen erfüllt die neue Polyurethan-Generation als universell einsetzbarer Werkstoff. Bislang mussten Hersteller oft unterschiedliche Versionen für Komponenten wie Hydraulikzylinder vorhalten – je nachdem, in welchem Teil der Erde sie eingesetzt werden und mit welchem Medium das Hydrauliksystem betrieben wird. Denn eine Tieftemperaturdichtung hat andere Eigenschaften als eine Dichtung, die speziell für den Einsatz in tropischen Klimazonen konzipiert ist.
„Heute werden Baumaschinen für den weltweiten Einsatz entwickelt, sowohl in der Arktis wie auch in der Wüste müssen die Dichtungen funktionieren und über Jahre zuverlässig ihren Dienst tun“, erklärt Burkert. Die neue Polyurethan-Generation ist genau für solche Anforderungen ausgelegt. Sie dichtet bei Eiseskälte genauso gut wie bei sengender Hitze. So wie bei einem Einsatz in Indien, wo hohe Temperaturunterschiede und mangelhafte Wartung die Komponenten schnell verschleißen lassen. „Heiße Tage, kalte Nächte, da kann eine Dichtung schnell an ihre Grenzen gebracht werden“, so Hieber. Die Folge sind Ausfall der Maschinen, Verzögerungen bei der Fertigstellung der Arbeiten und hohe Folgekosten. Dies könne mit dem neuen Polyurethan vermieden werden. „Ein echter Kostenvorteil für unsere Kunden“, ergänzt Burkert.
Die weiteren Vorteile des neuen Werkstoffes liegen für den Entwickler Hieber auf der Hand. „Er ist in allen relevanten Bereichen anderen Polyurethanen überlegen“, sagt der promovierte Chemiker, der seit 1996 bei Freudenberg arbeitet. Beste Performance bei Hitze und Kälte, einsetzbar in mineralischen Hydraulikmedien bis 120 °C, Sicherheit gegen Beschädigung durch Hydrolyse, selbst bei Einsatz in heißem Wasser von bis zu 80 °C – dafür steht die neue Polyurethan-Generation. Während marktübliche Standard-Polyurethane hier oft schon nach wenigen Monaten Betriebszeit die Waffen strecken, hält er um ein Vielfaches länger und sichert somit die Einsatzfähigkeit der Maschinen.
Auch bei hohen Drücken sicher gegen Beschädigungen
Aber auch in puncto Druck ist der Werkstoff ein echtes Hochleistungsmaterial. In einem Vergleichsversuch bei 40 MPa und 100 °C mit unterschiedlichen Extrusionsspalten zeigen Dichtungen aus dem neuen Werkstoff keine nennenswerten Verschleißerscheinungen, während herkömmliche Dichtungen vorzeitig ausfallen. Die Zugfestigkeit geht weit über die bisherigen Möglichkeiten hinaus. Sie liegt um etwa 25 MPa und somit etwa 35 % über anderen Werkstoffen. „Damit kann viel mehr Druck auf die Zylinder gegeben werden als bislang“, so Hieber. Die Extrusionsfestigkeit, also die Sicherheit gegen Beschädigung durch hohe Drücke, konnten die Experten von Freudenberg Sealing Technologies noch einmal verdoppeln. Auf diese Weise ist auch sichergestellt, dass Beschädigungen durch auftretende Spitzendrücke, die insbesondere bei hochbelasteten Geräten wie Baumaschinen auftreten, vermieden werden und die Lebensdauer der Dichtungen steigt. In Summe erzielt die neue Polyurethan-Generation deutlich bessere Ergebnisse in allen relevanten Kriterien als bisher verfügbare Werkstoffe.
Für die Anwender des Dichtungsexperten sind dies alles gute Nachrichten. Denn sie können sich auf ein Produkt verlassen, das hohen technischen Anforderungen entspricht und lange, wartungsfreie Arbeitszyklen erlaubt. Und dies unter schwierigen Bedingungen in aller Welt. „Wir rechnen damit, dass unser Produkt mindestens drei bis viermal länger durchhält als andere“, so Entwickler Hieber. Für den 48-Jährigen ist die neue Polyurethan-Generation ein Meilenstein in der Geschichte von Freudenberg Sealing Technologies.
Und das Unternehmen mit Sitz in Weinheim an der Bergstraße vertraut auf den Erfolg der eigenen Forschung. Im nächsten Frühjahr wird in Schwalmstadt eine neue Fertigungsanlage in Betrieb genommen. Die Investitionen liegen bei mehr als 4 Mio. Euro. Eine wichtige unternehmerische Entscheidung für den Dichtungshersteller, der weltweit rund 13 000 Mitarbeiter beschäftigt und im vergangenen Jahr einen Umsatz von etwa 1,7 Mrd. Euro verzeichnen konnte. Freudenberg Sealing Technologies ist die größte Geschäftseinheit in der Freudenberg-Gruppe und Zulieferer, Entwicklungs- und Servicepartner für Anwender aus verschiedensten Marktsegmenten, beispielsweise der Automobilindustrie, der zivilen Luftfahrt, dem Maschinen- und Schiffsbau, der Lebensmittel- und Pharmaindustrie oder der Land- und Baumaschinenindustrie. Für Hieber ist mit der neuen Polyurethan-Generation ein wichtiger Abschnitt in seinem Arbeitsleben erfolgreich abgeschlossen worden. „So etwas macht man nur wenige Male im Leben“, sagt er. Dabei ist sich der Chemiker sicher, dass mit dem neuen Werkstoff ein Standard für die nächsten Jahre gesetzt wird. I

Info & Kontakt
Freudenberg Sealing Technologies
Mathias Burkert, Manager Product Marketing LC Fluid Power Industry
Tel.: 06691 208-273
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