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IAV und Trumpf setzen auf agiles Arbeiten

Agile Methoden
IAV und Trumpf setzen auf Agilität

Ob in der Automobilindustrie embedded Software entwickelt wird oder im Maschinenbau vernetzte, automatische Fertigungszentren: Agiles Arbeiten gibt den Unternehmen eine Methodik an die Hand, flexibel auf Änderungen der Anforderungen zu reagieren – gleichzeitig aber effizienter das Ziel zu erreichen. Gleichzeitig lassen sich auf diese Weise Entwickler verschiedener Disziplinen frühzeitig zusammenführen. Software-, Steuerung- und Prozessentwicklung können so in kurzen Abständen weitere Funktionen in Prototypen implementieren, testen und bewerten.

Dr. Barbara Stumpp, freie Journalistin, Freiburg

Agile Softwareentwicklung basiert auf dem lateinischen agilis für flink, beweglich. Beim agilen Programmieren erreichen selbstorganisierende Teams über ein iteratives und inkrementelles Vorgehen ein gutes Ergebnis – mit möglichst wenig bürokratischem Aufwand. Konventionell werden demgegenüber zu Beginn einer Entwicklung alle Anforderungen definiert – was aber zu dem Problem führt, dass bei Abschluss der Entwicklung das Ergebnis nicht mehr den Anforderungen entspricht, weil sich etwa Rahmenbedingungen geändert haben. Üblicherweise bleibt dann aber nur, den Schaden zu minimieren.

All diese Nachteile lassen sich mit agiler Softwarentwicklung vermeiden. Am weitesten verbreitet ist hier Scrum (Gedränge). Hier startet man nicht mit einer haargenauen Liste der Anforderungen, sondern mit einer Art Grobkonzept. Die Details erarbeitet das Team erst im Laufe des Projekts. Ein Ziel ist, dass der Kunde immer wieder ausführbare Software-Pakete bekommt, aber selbst zu einem späten Zeitpunkt in der Entwicklung noch weitere Wünsche äußern kann. Das Entwicklerteam trifft sich dazu fast täglich um die Arbeitsfortschritte und das weitere Vorgehen zu besprechen. Noch wichtiger: Es organisiert sich dabei selbst.

Scrum selber stellt nur wenige Regeln auf. Der Grundgedanke ist, dass industrielle Softwarentwicklung in der Regel komplex und schwer zu planen ist. Auch sind nicht unbedingt alle Anforderungen und deshalb auch Lösungsmöglichkeiten von Anfang an klar. Mit Hilfe von aufeinander aufbauenden Zwischenergebnissen lassen sich diese Probleme aber lösen. Eine gewisse langfristige Planung ist aber dennoch erforderlich, das sogenannte Product Backlog, das im Gegensatz zum konventionellen Vorgehen aber kontinuierlich verfeinert und verbessert wird. Parallel dazu gibt es einen Detailplan, das Sprint Backlog, das jedoch nur für die nächste Arbeitsphase (den Sprint) erstellt wird.

Entscheidend ist, dass das Projekt mit seinen Fortschritten und Problemen für alle dokumentiert wird – um für alle den ‚Durchblick‘ zu garantieren. Da Softwarepakete in gewissen Abständen zum Test an den Kunden geliefert werden müssen, bietet das auch den Vorteil, dass die Anpassung an die Kundenwünsche kontinuierlich erfolgen kann. Die Gesamtaufgabe wird also nicht weniger komplex, sie wird nur überschaubarer – aber darauf kommt es an. Normalerweise umfasst ein Scrum-Team drei bis neun Entwickler. Bei größeren Projekten ist dann ein weitergehendes Framework hilfreich, das mehrere Teams koordiniert (Scaled Agile Frameworks).

Schlanke Softwareentwicklung in der Automobilindustrie

Angesichts der Nachteile der konventionellen Vorgehensweise führt das agile Arbeiten im selbstorganisierten Team zu deutlichen Vorteilen, erläutert Sebastian Nimz, Project Manager Software & Algorithms Development bei IAV. „Auch wenn es aus Sicht des Projektleiters schwer ist, dass Risiko der Selbstorganisation zuzulassen, zeigt sich, dass es richtig ist.“ Das Team gleicht die Projektlast und sonstige Dinge wie Krankheit und Urlaub selbstständig aus und liefert terminsicher die vereinbarten Inhalte. Gegenüber der konventionellen Abwicklung, die den Projektleiter stark belastet, wird er beim Arbeiten in einem agilen Team entlastet – über Ziele, Risiken und die Produktvision wird offen gesprochen, so dass jeder im Team über den gleichen, aktuellen Wissensstand verfügt. So können auch alle Mitglieder jede Tätigkeit übernehmen.

„Dieses Konzept zu realisieren, macht erst einmal mehr Arbeit“, fährt Nimz fort. „Man führt den Wechsel in kleinen Schritten durch, um jeden Kollegen in seinem Tempo abzuholen – wobei von Vorteil ist, dass die Motivation sehr hoch ist, selbst wenn es nicht jedem leicht fällt, die neue Herangehensweise zu verinnerlichen.“ Das Ergebnis dieser Vorgehensweise spricht aber für sich: Der Kunde bekommt ein besseres Produkt, kann direkter auf die weiteren Entwicklungsschritte Einfluss nehmen und ein hochmotiviertes Team kann effizient Aufgaben übernehmen und Probleme lösen. „Auf diese Weise können wir dem Kunden schnell neue Inhalte liefern und gleichzeitig das Risiko für ihn minimieren.“

Da das agile Arbeiten nach Scrum nur eine Arbeitsmethode ist, sollte im Einzelfall gepüft werden, ob es wirklich der beste Weg zum Ziel ist. Anwendbar ist die Methodik in allen Bereichen, in denen ein Team an einem Produkt/Ziel arbeitet, unabhängig von Branche oder Unternehmen. „Ein empirisches Vorgehen, um die Aufgaben/Probleme einzugrenzen, ist für uns Ingenieure doch noch etwas Neues“, betont Sebastian Nimz.

Agile Produktentwicklung im Maschinen- und Anlagenbau

Eine andere Dimension des agilen Entwickelns kommt bei dem Maschinenbauer und Laserspezialisten Trumpf zum Einsatz. Im ‚Herzen‘ der Laserschneidmaschine TruLaser Center 7030 arbeitet zwar immer noch ein Laser, aber die Anlage kann automatisch den kompletten Bearbeitungsprozess erledigen – vom Rohblech bis zum fertig sortierten Teil. „Das Neue bei diesem Projekt war, dass hier mehrere sehr unterschiedliche Fachbereiche miteinander arbeiten mussten“, fasst Peter Epperlein, Projektleiter bei Trumpf, seine Erfahrungen zusammen. Daraus ergab sich auch, dass das Team sehr viel größer sein musste als typischerweise bei IAV. Über 100 Mitarbeiter aus den Bereichen Baureihe, Entwicklung, Einkauf, Produktion und Projektorganisation kamen bei Trumpf zusammen. Und die Komplexität des Produkts erforderte die sehr enge Zusammenarbeit von Mechanik-, Elektrik-, Steuerungs- und Softwareentwicklung. Diese Aufgabe lässt sich in einfachen kleinen Teams nicht mehr lösen, zumal auch neue Disziplinen – beispielsweise Data Mining, Machine Learning oder Funktionslogik – zu integrieren waren. Ein zentrales Produktowner-Team mit kaskadierten Teams sorgte deshalb für die Abstimmung und Planung der Themenfelder.

Bereits in der Konzeptphase nutzte Trumpf zudem virtuelle Prototypen, um die erarbeiteten Konzepte sofort auf ihre Leistungsfähigkeit hin überprüfen zu können. Das Ziel dabei war, die Bearbeitungskosten um 15 bis 30 % zu senken und gleichzeitig sicherzustellen, selbst komplexe Teile prozesssicher automatisiert schneiden zu können. Dazu entstanden im Vergleich zu einer ‚normalen‘ Laserschneidmaschine neue Maschinenkonzepte und Technologien:

  • Neu ist etwa die flächige Werkstückauflage mit dem ‚SmartGate‘, die sich beim Schneiden flexibel auf unterschiedlichste Teile einstellt und diese extrem schnell und sicher handhaben und ausschleusen kann.
  • Der ‚SmartLift‘ ermöglicht darüber hinaus mit über 150 Pins hohe Entnahmekräfte von bis zu 1 t.
  • Der ‚SortMaster Speed‘ nimmt diese Kräfte kontrolliert auf und entlädt sicher und schnell mit seinen über 2500 Minisaugern alles von filigransten bis zu großflächigen Teilen.

Damit beherrscht die TruLaser Center 7030 automatisiert den kompletten Bearbeitungsprozess: vom Beladen und Schneiden über das Entladen bis hin zum Sortieren von Fertigteilen – alles integriert in einer Maschine bei weitgehend automatisierter Programmierung. „Auf diese Weise kann die Anlage über weite Zeiträume selbständig und ohne Bedienereingriff arbeiten“, betont Epperlein. „Das und die Ausstattung mit allen notwendigen Schnittstellen und Funktionen macht sie zu einer idealen Industrie-4.0-Maschine.“

Während der Entwicklung liefen die Sprints jeweils über drei Wochen, um Anforderungen der Bereiche untereinander abzustimmen und die nächsten Schritte zu planen. In den Bereichen Software-, Steuerung- und Prozessentwicklung war es den Entwicklern auf diese Weise möglich, alle drei Wochen weitere Funktionen in den Prototypen zu implementieren, zu testen und zu bewerten. „Innerhalb der Sprints haben wir uns mitunter fast täglich abgestimmt; bei Sprintende gab es dann ein Review, anschließend eine Retrospektive, um zu hinterfragen, was im Sprint gut lief und was man – auch an der Methodik! – verbessern kann“, so Epperlein weiter. „Scrum ist eine Art Mindset, eine Art zu denken – ständig zu hinterfragen und zu optimieren.“

Auch mit Blick auf die Inbetriebnahme bietet das agile Arbeiten Vorteile: Folgte konventionell der Konzept- und Konstruktionsphase die Software-Inbetriebnahme, kann nun die Softwareentwicklung bereits früh in die Konzeptphase miteinbezogen werden. Auf diese Weise lassen sich die mechanischen Konzepte so abstimmen, dass sie der Software eine bessere Ausgangslage bieten. Dies war für viele Entwickler Neuland, denn sie mussten bereits in einer frühen Phase gemeinsam an einem noch unkonkreten Konzept arbeiten.

Fazit

Eine entscheidende Frage ist natürlich immer, ob sich die agile Entwicklung ‚rechnet‘. Allerdings ist dabei zu bedenken: Ein Projekt wie die TruLaser Center 7030 wäre laut Peter Epperlein ohne das agile Arbeiten nicht in der gleichen Zeit und nicht auf einem solch hohen Level der Vernetzung machbar gewesen. Zukünftig wird deshalb sowhl bei IAV als auch Trumpf Scrum kontinuierlich weiterentwickelt. Bei Trumpf sieht man neue Ansätze zusätzlich in der virtuellen Zusammenarbeit, was die Kooperation über verschiedenen Standorte und das Einbeziehen weiterer Bereiche erleichtern wird. So bereitet man sich bereits heute auf einen wichtigen Trend der Zukunft vor: nicht mehr die Funktionen einer einzelnen Maschine sind das zentrale Thema, sondern die Konzeption und Realisierung eines auf allen Ebenen vernetzten Gesamtsystems. co

www.iav.com

www.trumpf.com

Anlässlich der Tagung SYSLM 2018 des Lehrstuhls für Virtuelle Produktentwicklung (VPE) der TU Kaiserslautern können Besucher mehr zum ‚Digitized Engineering‘ erfahren. Sie findet am 17. Oktober 2018 in Kaiserslautern statt:

hier.pro/3P19p

Klassische Vorgehensweise bei der Softwareentwicklung (‚Wasserfall-Vorgehen‘)
Bild: IAV
Vorteile der agilen Softwareentwicklung (‚Agiles Vorgehen‘)
Bild: IAV

info

Industrie-4.0-Maschine

Bei Trumpf tritt mehr und mehr neben den Funktionen einer einzelnen Maschine die Konzeption und Realisierung eines auf allen Ebenen vernetzten Gesamtsystems in den Vordergrund (Industrie-4.0-Maschine). Die dabei auftretende Komplexität erfordert in der Produktentwicklung die sehr enge Zusammenarbeit von Mechanik-, Elektrik-, Steuerungs- und Softwareentwicklung, zumal neue Disziplinen – beispielsweise Data Mining, Machine Learning oder Funktionslogik – hinzukommen.

Mittels einer interaktiven Bedienoberfläche (Touchpoint) ermöglicht Trumpf eine intuitive Führung des Bedieners. Der Bediener wird informiert, wann er wieder gebraucht wird und kann so seine Einsätze an der Maschine besser planen und Zeit für andere Aufgaben gewinnen
Bild: Trumpf Gruppe/Oliver Graf

„Scrum ist eine Art Mindset, eine Art zu denken – ständig zu hinterfragen und zu optimieren.“

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