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Systems Engineering im Praxistest mit it‘s OWL-Querschnittsprojekt

Serie it's OWL – Teil 8
Projektbilanz zum Praxistest

Vor fünf Jahren starteten Engineering-Experten in Ostwestfalen-Lippe ein ambitioniertes Vorhaben: Systems Engineering sollte in einem großformatigen Querschnittsprojekt bei den mittelständischen Unternehmen der Region nicht nur bekannt gemacht, sondern auf ihre Bedarfe zugeschnitten und in die Praxis gebracht werden. Welche Schlüsse werden nun aus dem Projekt gezogen, dessen grundlegende These „Intelligente Technische Systeme benötigen Systems Engineering“ lautet?

Kirsten Harting, Kommunikation Produktentstehung, Fraunhofer IEM

Inhaltsverzeichnis

1. Herausforderungen in OWL
2. Erfolgsmodell Transferprojekt
3. Aufbau von Forschungskompetenzen und begleitender Aktivitäten
4. Die Arbeit geht weiter: Advanced Systems Engineering in it’s OWL
5. Hintergrund

 

Nachdem vor fünf Jahren das Querschnittsprojekt Systems Engineering in Ostwestfalen-Lippe gestartet wurde, sind die Methoden und Werkzeuge inzwischen in Wissenschaft und Praxis weiterentwickelt und erprobt sowie in 44 Transferprojekten mit einem Umfang von 100 Mio. Euro umgesetzt worden. Zeit, Bilanz zu ziehen, aus fünf Jahren Systems Engineering (SE) im Spitzencluster it’s OWL.

Herausforderungen in OWL

„it’s OWL war der einzige BMBF -Spitzencluster, der in der ‚Old Economy‘ unterwegs war. Wir Forscher kamen mit vielen frischen Ideen von der Universität und stießen auf Familienbetriebe mit Tradition und Verantwortung, mit gewachsenen und bewährten Strukturen“, erinnert sich Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu, Geschäftsführer des Spitzenclusters it’s OWL und heute Direktor am Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM und Professor für Advanced Systems Engineering an der Universität Paderborn. „Old Economy“ bedeutet in OWL eine zum Großteil mittelständische Unternehmenslandschaft aus Maschinen- und Anlagenbau, Automobilindustrie sowie Elektroindustrie. Viele Unternehmen verbanden mit der Einführung von SE zunächst Risiken. Zum einen sahen sie organisatorisch-finanzielle Herausforderungen, zum anderen die Unsicherheit, ob neue Prozesse und Methoden auf die Akzeptanz der Mitarbeitenden stoßen würden.

Oberstes Ziel des auf fünf Jahre angelegten Querschnittsprojekts Systems Engineering im Spitzencluster it’s OWL war es also, den bis dato wenig greifbaren Entwicklungsansatz auf die individuellen Bedarfe der Unternehmen anzupassen und eine einfache Anwendung zu ermöglichen. „Rückblickend gesagt: Uns Forschern hätte gar nichts Besseres passieren können, als auf die ostwestfälische Unternehmensrealität zu treffen. Unsere Ideen, Methoden und Werkzeuge mussten hier den Praxistest bestehen. Das Ergebnis ist anwendbares, ehrliches Systems Engineering“, so Prof. Dumitrescu.

Grundlage eines SE-Entwicklungsprozesses ist es, das Systemdenken aller beteiligten Ingenieure zu schulen. Die am Lehrstuhl für Strategische Produktplanung und Systems Engineering an der Universität Paderborn entwickelte Model-Based-Systems-Engineering-Methode CONSENS beruht auf grafischen Abbildungen und ermöglicht auch mittelständischen Unternehmen einen besonders einfachen Einstieg in das Thema. Die Anwendung von MBSE in der Unternehmenspraxis zeigte, dass die Potenziale enorm vielfältig sind. Sie reichen von vermeintlich simplen kartenbasierten CONSENS-Workshops auf Brownpaper bis zur kompletten digitalen Simulation einer Produktionskette. Zusätzlich zur technischen Perspektive auf Produkt und Prozess rückte beim Thema MBSE immer mehr auch der Mensch, die soziotechnischen Perspektive, ins Blickfeld.

Erfolgsmodell Transferprojekt

Das mit dem Industriepreis 2016 des Huber Verlag für Neue Medien ausgezeichnete Transferkonzept ermöglicht insbesondere mittelständischen Unternehmen einen einfachen Zugang zu praxiserprobten Technologien. Kernidee des Transferprojekts: Ein Unternehmen arbeitet über etwa vier Monate mit einer Forschungseinrichtung an einem Entwicklungsprojekt. Allein 44 Transferprojekte widmeten sich fokussiert dem Thema SE. Hierbei legten die Unternehmen unterschiedliche Schwerpunkte – von der Identifikation von Innovationspotenzialen im Engineeringprozess beim Armaturenhersteller ARI, über die Sensorik-Nachrüstung bestehender Produktionsmaschinen in einer Retrofitmaßnahme beim Wickelrohrfertiger Westaflex bis hin zur Entwicklung neuer Service- und Geschäftsmodelle beim Haushaltsgerätehersteller Miele. Die Ergebnisse stehen anderen Unternehmen zur Verfügung und wurden in drei übergreifenden Transfertagen dem gesamten it’s OWL-Netzwerk vorgestellt.

Am Fraunhofer IEM in Paderborn wird SE seit 2015 zudem auch in einem eigenen Labor verortet. Das Systems Engineering Live Lab (SE LIVE LAB) wurde seit 2015 als Transfer- und Forschungszentrum aufgebaut. Heute können Industrie und Forschung aktuelle Methoden und Werkzeuge testen, vergleichen und anwenden. Und in Workshops sowie Projekten können Unternehmen gemeinsam an Fragestellungen arbeiten und Erfahrungen austauschen.

Verschiedene Transferprojekte und wissenschaftliche Arbeiten beschäftigten sich gezielt mit den Möglichkeiten der softwaregestützten modellbasierten Entwicklung. Sie stellen den Nutzen verschiedener Werkzeuge für einen durchgängigen Entwicklungsprozess, aber auch den Bedarf nach skalierbaren, bedarfsorientierten Lösungen heraus. So entstanden CONSENS-Profile für etablierte Software-Werkzeuge wie Enterprise Architect und das japanische Projektmanagement-Tool iQUAVIS, die die simplen grafischen Modellierungsmethoden auf pragmatische Art digitalisieren.

Aufbau von Forschungskompetenzen und begleitender Aktivitäten

Der Bedarf und der enorme Nutzen eines anwendungsorientierten Forschungspartners für die Mechatronikentwicklung zeigte sich im erfolgreichen Aufbau eines Fraunhofer-Instituts. Anfang 2017 wurde in Paderborn das Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM mit der strategischen Ausrichtung Advanced Systems Engineering eröffnet. Auch in die Lehre findet das Thema Einzug: Seit 2017 baut Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu den Lehrstuhl zum Themenfeld Advanced Systems Engineering an der Universität Paderborn auf und führt damit die Arbeit von Prof. Jürgen Gausemeier fort.

Dass Systems Engineering in der Region OWL überzeugt, ist nicht zuletzt auch Ergebnis umfangreicher begleitender Aktivitäten. Im Rahmen des Personalentwicklungsprogramms lernten Entwickler mit langjähriger Berufserfahrung den Ansatz SE kennen. Gemeinsam mit Vertretern anderer Unternehmen der Region erhielten sie Einblicke in Methoden und Werkzeuge und übertrugen sie direkt auf ein Projekt im eigenen Unternehmen. Insgesamt nahmen über 40 Entwickler an drei mehrmonatigen Schulungen teil. Die Fachgruppe Systems Engineering bot ein weiteres regelmäßiges Austauschformat. In halbjährlichen Treffen zu wechselnden Themenschwerpunkten lernten die Teilnehmer verschiedene Methoden und Anwendungsbeispiele kennen und tauschten eigene Erfahrungen aus.

Ostwestfälisches SE wurde zudem auch auf internationaler Ebene sichtbar gemacht. So ermöglichten die it’s OWL Summer School für Studierende und die International Spring School on Systems Engineering für Doktoranden einen Austausch mit der Universität Twente, der Dänischen Technischen Hochschule oder dem Stevens Institute. Das Fraunhofer IEM pflegt darüber hinaus bereits seit dem Jahr 2012 den wissenschaftlichen Austausch mit der Technischen Universität Mara Malaysia. Aktuell wird ein malaysisches Innovationsnetzwerk im Bereich Systems Engineering und Medizintechnik nach dem Vorbild von it’s OWL aufgebaut.

Die Arbeit geht weiter: Advanced Systems Engineering in it’s OWL

„Intelligente Technische Systeme benötigen Systems Engineering“ – diese vor fünf Jahren formulierte These wird nicht nur im Spitzencluster it’s OWL heute entschieden bejaht. Seine Ergebnisse werden inzwischen in vielfältigen bundesweiten Initiativen weitergetragen. Dazu gehört die Beteiligung am Fachforum Autonome Systeme im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregierung, am Jahresgutachten 2018 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) sowie an einer Studie zum „Advanced Systems Engineering“ mit der acatech.

„Advanced Systems Engineering“ ist auch die Stoßrichtung, mit der Forschung und Industrie das Themenfeld im Spitzencluster it’s OWL ab 2018 weitertreiben. Dabei liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Digitalisierung nicht nur die Produkte von morgen verändert, sondern auch die Art und Weise, wie diese entwickelt werden. Die künftigen Herausforderungen an die Produktentwicklung sind erkannt: Der Trend zu autonomen Systemen mit dem für den Entwickler teils unbekannten Situationen im Lebenszyklus; die zunehmende Einbettung von Systemen in andere, teils unbekannte und dynamische Systeme, die soziotechnische Perspektive des „Teilsystems Mensch“ und die Möglichkeiten gänzlich neuer, gewinnbringender Services, die bereits mit dem eigentlichen Produkt mit- und weiterentwickelt werden. ik

www.its-owl.de


Info

Hintergrund

Im Technologie-Netzwerk it‘s OWL – Intelligente Technische

Systeme OstWestfalenLippe – entwickeln über 180 Unternehmen und Forschungseinrichtungen gemeinsam Lösungen für intelligente Produkte und Produktionssysteme. Das Spektrum reicht von intelligenten Automatisierungs- und Antriebslösungen über Maschinen, Fahrzeuge und Hausgeräte bis zu vernetzten Produktionsanlagen. Über ein innovatives Transferkonzept werden neue Technologien für eine Vielzahl von – insbesondere kleinen und mittelständischen – Unternehmen verfügbar gemacht. Ausgezeichnet im Spitzencluster-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gilt it´s OWL als eine der größten Initiativen für Industrie 4.0 in Deutschland. it’s OWL wird ab 2018 mit Förderung des Landes NRW und neuen Leitprojekten weitergeführt.

www.its-owl.de

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