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Die EU-Maschinenverordnung ist da – was muss ich jetzt tun?

Maschinensicherheit
Die EU-Maschinenverordnung ist da – was muss ich jetzt tun?

Die EU-Maschinenverordnung (MVO) ist Ende Juni 2023 verabschiedet worden und löst damit die Maschinenrichtlinie (MRL) ab. Einer der Auslöser für die Neufassung war, dass die industrielle Produktion zunehmend vernetzt ist – und damit auch die Cybersicherheit eine wichtige Rolle bei der Frage der Maschinensicherheit spielt, Safety und Security gehören zusammen. Anlagenbezogene Sicherheitskonzepte werden also immer wichtiger, um über die funktionalen Sicherheitsmechanismen in den Maschinen und Anlagen Ausfälle sowie mögliche Gefahrensituationen vermeiden zu können. Was das alles für Maschinenbauer bedeutet, haben wir Sicherheits-Experten verschiedener Unternehmen befragt.

 

Fragen: Andreas Gees und Michael Corban, Chefredaktion KEM Konstruktion|Automation

Inhaltsverzeichnis

1. Was ändert sich mit der EU-Maschinenverordnung gegenüber der Maschinenrichtlinie?
2. Bestehende Anlagen oder Retrofit – was bedeutet die EU-Maschinenverordnung dafür?
3. EU-Maschinenverordnung greift Cybersecurity und KI auf
4. Begrifflichkeiten und Hinweise rund um die EU-Maschinenverordnung
5. Websession „EU-Maschinenverordnung – fragen Sie einen Safety-Spezialisten“

Was ändert sich mit der EU-Maschinenverordnung gegenüber der Maschinenrichtlinie?

KEM Konstruktion|Automation: Was ändert sich aus Ihrer Sicht mit der EU-Maschinenverordnung für Maschinen- und Anlagenbauer sowie Betreiber – wer muss wie schnell aktiv werden?

Torsten Gast (Phoenix Contact): Die seit dem 29. Juni 2023 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte neue EU-Maschinenverordnung 2023/1230 bringt in der Tat einige Änderungen zur bisherigen EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG mit sich. Wesentliche Punkte sind zum Beispiel die Möglichkeit der digitalen Betriebsanleitung, Vorgaben zum Schutz gegen Korrumpierung oder die eingeführten Delegated Acts. Grundsätzlich muss jetzt niemand tätig werden, bleiben doch den Herstellern und Betreibern, die unter bestimmten Voraussetzungen auch die Rolle des Herstellers einnehmen, nun über 40 Monate Zeit, bis am 20. Januar 2027 mit der Stichtagsregelung nur noch die Konformitätserklärung zur EU-Maschinenverordnung 2023/1230 ausgestellt werden darf. Also alles ganz entspannt – mitnichten! Die verbleibende Zeit gilt es zu nutzen, um sich bereits heute mit den Änderungen auseinanderzusetzen. Einige von ihnen verursachen gegebenenfalls interne Prozessanpassungen, die Zeit benötigen.

Klaus Dürr (Pilz): Die neue EU-Maschinenverordnung gibt beispielsweise konkretere Vorgaben, wie mit wesentlichen Änderungen an einer Maschine sowie prüfpflichtigen Maschinen umzugehen ist: Wann wird ein Betreiber zum Hersteller? Darüber hinaus macht sie im Unterschied zur alten Maschinenrichtlinie neben der reinen Betrachtung der Safety das Schutzziel Cybersecurity verpflichtend. Das bedeutet, dass Bedrohungen der Cybersecurity die Sicherheitsfunktionen der Maschine nicht beeinträchtigen dürfen. Das zieht für einige Hersteller eine Überarbeitung ihrer bisherigen Sicherheitskonzepte nach sich. Ich empfehle daher jedem, sich frühzeitig mit den Änderungen sowie den Auswirkungen auf die eigene Herstellung von Produkten zu informieren, um Defizite beziehungsweise notwendige Überarbeitungen rechtzeitig anzugehen. Wer die Zeit gut nutzt, kann dem Stichtag zur verbindlichen Anwendung der Verordnung gelassen entgegensehen. Der in der Verordnung genannte Stichtag 14. Januar 2027 wurde inzwischen durch eine Berichtigung der EU auf den 20. Januar 2027 geändert.

Tobias Keller (Schmersal): Mit der neuen Maschinenverordnung 2023/1230 (EU-MVO) wird sich für den Maschinenbau einiges ändern. Dennoch gibt es keinen Grund, in blinden Aktionismus oder Panik zu verfallen. Vielmehr ist es wichtig, sich rechtzeitig mit den neuen Gegebenheiten auseinanderzusetzen. Der 20. Januar 2027 klingt weit weg, ist aber schneller da, als man denkt. Wir alle kennen das Weihnachtsprinzip! So war es auch mit der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG im Jahr 2006. Anfangs wurde die neue Maschinenrichtlinie mit großem Interesse zur Kenntnis genommen, dann flachte das Interesse ab. Im Jahr 2009 fielen dann viele aus allen Wolken, weil sie das Thema so weit nach hinten geschoben hatten, dass es dann doch wieder eine Überraschung war. Diesen Fehler sollte man besser nicht wiederholen und sich rechtzeitig mit den neuen Anforderungen beschäftigen. Es reicht aus, wenn man dies in den nächsten Monaten und Jahren kontinuierlich angeht und einen Umsetzungsplan erstellt. Dann ist auch der Stichtag 20. Januar 2027 kein Problem.

Tobias_Keller,_Global_Safety_Consulting_Coordinator_im_tec.nicum_der_Schmersal_Gruppe,_Wuppertal
„Wichtig ist, den Begriff ‚Bestandsschutz‘ richtig einzuordnen! Maschinen müssen zwar nicht stillgelegt werden, wenn es neue Verordnungen oder Richtlinien gibt, allerdings muss das Sicherheitskonzept immer auf dem Stand der Technik gehalten werden. Insofern kann es also doch erforderlich werden, eine Maschine um- oder nachzurüsten“, sagt Tobias Keller, Global Safety Consulting Coordinator im tec.nicum der Schmersal Gruppe, Wuppertal.
Bild: Schmersal

Franz Dold (Sick): Ab dem 20. Januar 2027 muss die Bewertung und gegebenenfalls die Konformitätserklärung nach der neuen Maschinenverordnung (MVO) erfolgen. Dies gilt für neue Maschinen und für Maschinen, die wesentlich verändert werden. Grundlegende Änderungen durch die MVO sind Anforderungen hinsichtlich künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit, sowie zusätzliche Anforderungen für autonome Maschinen oder kollaborative Anwendungen. Im Zuge des Inkrafttretens der MVO muss auch die Vermutungswirkung durch die Anwendung von harmonisierten Normen erneuert werden. Das stellt die Normengremien vor große Herausforderungen. Ungeachtet davon ändern sich derzeit wesentliche Normen. Für die notifizierten Prüfstellen sind eine Umstellung und eine Neubewerbung bereits vor dem Stichtag 20.01.2027 notwendig. Deshalb ist zu empfehlen, dass sich Hersteller und Betreiber frühzeitig mit den Neuerungen und Änderungen auseinandersetzen.

Michael Flesch (Turck): Die Maschinenverordnung gilt, genau wie die Maschinenrichtlinie, für neu in Verkehr gebrachte Maschinen, wenn diese unter beide Regelungen fallen. Daher gilt sie für Maschinenhersteller, aber auch für Händler und Einführer von Maschinen. Neu ist, dass die MVO jetzt auch für Betreiber gilt, die Maschinen wesentlich verändern. Alle Beteiligten sind gefordert, die Regelungen der MVO bis zum 20. Januar 2027 umzusetzen. Aus meiner Sicht dürften die Maschinenhersteller selbst bei der Umsetzung keine bis kaum Probleme haben, wenn sie sich heute schon nach der MRL gerichtet haben. Probleme bei der Umsetzung der MVO könnten eher Händler, Einführer und Betreiber bekommen. Hier kann ich nur empfehlen, sich entsprechend weiterzubilden und vorzubereiten.

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„Einige liebgewonnene Funktionen können mit Blick auf die Cybersecurity nicht mehr aufrechterhalten werden – etwa Default-Passwörter von Produkten. Sie müssen alle in individuelle Passwörter geändert werden“, sagt Michael Flesch, Produktmanager Safety-Systeme bei der Hans Turck GmbH & Co. KG, Mülheim an der Ruhr.
Bild: Turck

Bestehende Anlagen oder Retrofit – was bedeutet die EU-Maschinenverordnung dafür?

KEM Konstruktion|Automation: Welchen Einfluss hat die EU-Maschinenverordnung auf bestehende Anlagen oder das Retrofit? Was ist dabei zu beachten?

Gast (Phoenix Contact): Auf bestehende Anlagen oder das Retrofit hat die Verordnung erst einmal keinerlei Auswirkungen. Es gilt wie bisher zu ermitteln, ob eine Anlagen-/Maschinenmodernisierung zu einer wesentlichen Veränderung führt. Wenn ja, dann muss – wie bislang auch – die veränderte Anlage/Maschine nach der aktuellen Verordnung neu in den Verkehr gebracht werden. Neu ist, dass die EU-Maschinenverordnung 2023/1230 jetzt ebenfalls die Begrifflichkeit ‚wesentliche Veränderung‘ kennt und es so eine einheitliche europäische Vorgabe gibt, wie damit umzugehen ist. Bis dato wurde das Vorgehen rein national gelöst, in Deutschland mit dem bekannten Interpretationspapier 04/2015 (siehe Kasten ‚Begrifflichkeiten und Hinweise rund um die EU-Maschinenverordnung‘).

Dürr (Pilz): Die EU-Maschinenverordnung schafft mehr Klarheit, wann eine wesentliche Änderung an bestehenden Maschinen und Anlagen vorliegt und somit eine neue CE-Konformitätsbewertung durchgeführt werden muss. Dabei gilt, dass Anwender als Folge einer wesentlichen Veränderung zum Hersteller werden – mit allen Pflichten. Wann dies im Zuge eines Retrofits der Fall ist, ist im Kapitel II, Artikel 18 klar benannt.

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„Bei der Risikobewertung kommt zur Safety jetzt auch die Security hinzu. Ohne Security keine CE-Kennzeichnung! Für Hersteller von Produkten mit digitalen Elementen steht mit der Normenreihe IEC 62443 eine gute Orientierung bereit“, sagt Klaus Dürr, Vice President Standards Group bei der Pilz GmbH & Co. KG, Ostfildern.
Bild: Pilz

Keller (Schmersal): Die Betreiber von Bestandsmaschinen müssen sich wegen der neuen Maschinenverordnung keine Sorgen machen. Maschinen, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Verkehr befinden, können – unter Berücksichtigung des Stands der Technik – im Hinblick auf die Sicherheitstechnik problemlos weiterbetrieben werden. Ein persönliches Anliegen ist es uns, den Begriff ‚Bestandsschutz‘ richtig einzuordnen. Viele missverstehen diesen Begriff! Maschinen müssen zwar nicht stillgelegt werden, wenn es neue Verordnungen oder Richtlinien gibt, allerdings muss das Sicherheitskonzept immer auf dem Stand der Technik gehalten werden. Insofern kann es also doch erforderlich werden, eine Maschine um- oder nachzurüsten. Die Nachrüstung beziehungsweise das Retrofit hat grundsätzlich immer nach dem Stand der Technik zu erfolgen. Das heißt, dass die zum Zeitpunkt der Umrüstung geltenden rechtlichen Regelungen zu berücksichtigen und einzuhalten sind. Nach dem 20.01.2027 wären dies dann die neue MVO sowie die darunter harmonisierten Normen.

Dold (Sick): In die neue Maschinenverordnung wurde der oben bereits genannte Punkt ‚Wesentliche Veränderung‘ erstmalig aufgenommen. Dies ist der Fall, wenn ein Umbau zu neuen Gefährdungen führt oder bestehende Risiken erhöht und zusätzliche Schutzeinrichtungen erforderlich macht, die den Eingriff in die Steuerung beziehungsweise die Wiederherstellung der Stabilität oder Festigkeit betreffen. Liegt keine wesentliche Veränderung vor, muss der Betreiber natürlich trotzdem im Rahmen der Arbeitsmittelbenutzungsrichtlinie seiner Verpflichtung nachkommen, für die Sicherheit zu sorgen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Franz_Dold,_Head_of_Business_Unit_Safety_Solutions,_Sick_AG,_Waldkirch
„Grundlegende Änderungen durch die MVO sind Anforderungen hinsichtlich künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit sowie zusätzliche Anforderungen für autonome Maschinen oder kollaborative Anwendungen. Auch die Vermutungswirkung durch die Anwendung von harmonisierten Normen muss erneuert werden“, sagt Franz Dold, Head of Business Unit Safety Solutions, Sick AG, Waldkirch.
Bild: Sick

Flesch (Turck): Die MVO gilt für neue Maschinen. Daher sind bestehende Anlagen erst einmal nicht direkt betroffen, solange diese nicht wesentlich verändert werden. Wenn Betreiber Maschinen anpassen und ändern, müssen sie prüfen, ob diese Umbauten wesentlich sind oder nicht. Die Betreiber müssen dann die Konformität der Maschine im Sinne der MVO nachweisen. Das ist nicht neu, es gibt dazu ein Interpretationspapier mit dem Titel ‚Wesentliche Veränderung von Maschinen‘ (siehe Kasten ‚Begrifflichkeiten und Hinweise rund um die EU-Maschinenverordnung‘), das für wesentliche Änderungen schon jetzt unter der MRL herangezogen werden kann. Neu ist, dass der Begriff ‚Wesentliche Änderung‘ nun in die MVO aufgenommen wurde und Vorgaben zur Umsetzung enthält, wie sie auch bereits im Interpretationspapier zu finden waren.

EU-Maschinenverordnung greift Cybersecurity und KI auf

KEM Konstruktion|Automation: Digitale Technologien reichen von Software-Updates bis hin zur Cybersecurity oder Künstlicher Intelligenz (KI). Wie ändert sich dadurch der Prozess bezüglich der Risikobewertung? Welchen Einfluss haben darüber hinaus der Cyber Resiliance Act oder die EU-Richtlinie NIS2 auf den Prozess von Zertifizierung und CE-Kennzeichnung?

Gast (Phoenix Contact): In der Tat begründete sich die Überarbeitung der EG-Maschinenrichtlinie im Ursprung durch die Berücksichtigung neuer Technologien. In der finalen Version der Verordnung findet sich das Thema KI nur in Bezug auf die Sicherheitsbauteile wieder. Diese unterliegen dann einem bestimmten Verfahren zum Inverkehrbringen. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die ‚neuen‘ Themen – wie Software-Updates, Schutz gegen Korrumpierung oder KI – vom Maschinenhersteller bei der Erstellung der Risikobeurteilung betrachtet und bewertet werden müssen. Diesbezüglich wird auch die EN 12100 (Risikobeurteilung) revidiert. Die inhaltlichen Punkte des Cyber Resiliance Acts (CRA) sind teilweise noch in der Diskussion. Somit kann derzeit nicht bewertet werden, ob es ebenfalls einen Einfluss auf den CE-Konformitätsbewertungsprozess der EU-Maschinenverordnung 2023/1230 geben wird.

Torsten_Gast,_Director_Competence_Center_Services_im_Industry_Management_and_Automation_der_Phoenix_Contact_Deutschland_GmbH,_Blomberg
„Alles ganz entspannt – mitnichten! Die verbleibende Zeit bis 2027 gilt es zu nutzen, um sich bereits heute mit den Änderungen auseinanderzusetzen; einige von ihnen verursachen gegebenenfalls interne Prozessanpassungen, die Zeit benötigen“, sagt Torsten Gast, Director Competence Center Services im Industry Management and Automation der Phoenix Contact Deutschland GmbH, Blomberg.
Bild: Phoenix Contact

Dürr (Pilz): Die neue Maschinenverordnung listet im Anhang I, Teil A neu sechs Maschinenkategorien unter ‚potentially high risk machinery‘ – unter anderem in Bezug zur künstlichen Intelligenz. Für diese Kategorien können Maschinenhersteller nicht mehr eine Konformität in Verbindung mit einer harmonisierten Norm selbst erklären. In Zukunft muss dafür eine benannte Stelle hinzugezogen werden. Das ist bereits in der Risikobewertung zu berücksichtigen. Bei der Risikobewertung kommt zur Safety jetzt auch die Security hinzu. Ohne Security keine CE-Kennzeichnung! Für Hersteller von Produkten mit digitalen Elementen steht mit der Normenreihe IEC 62443 eine gute Orientierung bereit. In der untergeordneten Norm IEC 62443-4-1 werden etwa Anforderungen an einen sogenannten ‚Security Development Lifecycle Prozess‘ beschrieben.

Auf die CE-Kennzeichnung haben der Cyber Resilience Act sowie NIS2 im Zusammenhang mit der Maschinenverordnung erst einmal keinen Einfluss. Mit NIS2 müssen Unternehmen künftig vielmehr nachweisen, dass sie technische, operative und organisatorische Maßnahmen zum Schutz vor Security-Vorfällen ergreifen. Dazu gehört zunächst die Risikoanalyse von bestehenden Systemen auch in Produktionsumgebungen, also der OT (Operations Technology). Der Cyber Resilience Act richtet sich an Hersteller von Produkten mit digitalen Elementen, also eigentlich an fast jeden Maschinenbauer. Wie groß die Auswirkungen tatsächlich sein werden, hängt davon ab, welche Kriterien am Ende für die Einstufung der Produkte angelegt werden. Der Cyber Resilience Act, der ja momentan noch Entwurfsstatus hat, betrifft den gesamten Lebenszyklus eines Produktes. Das sind gegenüber den Vorgaben der Maschinenverordnung weitaus detailliertere Anforderungen. Der Hersteller muss künftig zunächst prüfen, ob er unter die jeweiligen Richtlinien/Verordnungen fällt und dann das Konformitätsverfahren entsprechend durchführen. Daher empfehle ich, den weiteren Verlauf der Normung zu verfolgen, um die Konzepte zur Cybersecurity schon im Vorfeld richtig auszulegen.

Keller (Schmersal): Die neue MVO trägt den rasanten Entwicklungen der letzten Jahre Rechnung, wozu die Cybersecurity zählt. In ihren Anwendungsbereich fallen zwar auch weiterhin unter anderem Maschinen und Sicherheitsbauteile. Allerdings wurden die Sicherheitsbauteile um den Aspekt der Software erweitert. Die neue MVO listet unter den potenziell hochrisikoreichen Maschinen (Anhang I) zusätzliche Maschinenkategorien auf, für die es aufgrund des Oberbegriffs der Cybersecurity künftig nicht mehr möglich sein wird, die Konformität ausschließlich auf Grundlage von harmonisierten Normen zu erklären. Hier müssen zusätzlich sogenannte ‚benannte Stellen‘ hinzugezogen werden. Neu ist ebenfalls, dass die Cybersecurity auch Auswirkungen auf die ‚Grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen‘ (GSGA) haben wird, die bislang in Anhang I zu finden waren und künftig in Anhang III aufgeführt werden. Das darin enthaltene neue Schutzziel ‚Schutz gegen Korrumpierung‘ (Anh. I; Pkt. 1.1.9.) bedeutet, dass Cyberbedrohungen keinen negativen Einfluss auf die Sicherheitsfunktionen einer Maschine oder Anlage haben dürfen. Das heißt für den Hersteller, dass er sein Sicherheitskonzept bezüglich Safety & Security überarbeiten und zukunftssicher machen muss.

Dold (Sick): Zusätzlich zu bekannten Risiken wurde auch das Risiko für eine bewusste (kriminelle) Korrumpierung der Sicherheitsfunktion hinzugenommen. Im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahren müssen entsprechende Safety- und Security-Risikoanalysen kombiniert und risikomindernde Maßnahmen umgesetzt werden. Da sich die Security-Bedrohungen ständig verändern, ist die Risikoanalyse dynamisch auf die neue Bedrohungslage anzupassen. Zur Erfüllung der neuen Maschinenverordnung, des Cyber Resilience Acts aber auch der NIS2-Richtlinie geben Normenwerke wie die IEC 62443 konkrete Unterstützung bezüglich der Prozesse und der funktionalen Umsetzung. Zuzüglich können in der Software auch Methoden der sogenannten künstlichen Intelligenz angewendet werden, womit es auch zur Anwendung des AI Act kommen kann. Damit wären drei Verordnungen CE-relevant und entsprechende Verpflichtungen könnten entstehen.

Flesch (Turck): Wir als Hersteller von Sicherheitsprodukten haben die Aufgabe, unsere Produkte sicher im Sinne der MVO aufzubauen. Hierzu müssen wir nach den neuesten Vorgaben zusätzliche Maßnahmen treffen, die ein einfaches Abhören oder Eindringen in unsere Geräte über das Maschinennetzwerk verhindern. Für das Maschinennetzwerk hat der Hersteller die entsprechende Verantwortung, für die nächste Ebene der Betreiber. Ein Hersteller von Maschinen wird durch die Betrachtung möglicher Gefährdungen in seiner Risikobeurteilung seinem Kunden weitere Hinweise in der Maschinendokumentation zur Absicherung des Maschinennetzwerks zum Standort hin mitgeben. Für die Umsetzung ist dann wiederum der Betreiber verantwortlich. Ob Komponentenhersteller, Maschinenhersteller oder Betreiber – mit diesen neuen Gefährdungen müssen wir uns alle auseinandersetzen. Jeder muss in seinem Rahmen versuchen, die Vorgaben umzusetzen. Das wird auch bedeuten, dass einige liebgewonnene Funktionen so nicht mehr aufrechterhalten werden können. Beispiele: Default-Passwörter von Produkten müssen alle in individuelle Passwörter geändert werden. Firewalls an Maschinen zum Firmennetz müssen eingerichtet und installiert werden, wer ist dafür verantwortlich? Abschalten von Webservern in den Produkten? Automatische Firmware-Updates, wie kommen wir an die Produkte ran? Es gibt noch viele offene Fragen, die wir mit unseren Kunden klären müssen.

Unsere Websession ‚EU-Maschinenverordnung – fragen Sie einen Safety-Spezialisten‘ liefert weitere Infos

Aktualisierung am 2.11.2023: Der in der Verordnung genannte Stichtag 14. Januar 2027 wurde durch eine Berichtigung der EU auf den 20. Januar 2027 geändert. Die entsprechenden Angaben in den Antworten wurden angepasst.


Begrifflichkeiten und Hinweise rund um die EU-Maschinenverordnung

EU-Maschinenverordnung (EU-MVO)

Die EU-Maschinenverordnung 2023/1230 (EU-MVO oder MVO) wurde am 29. Juni 2023 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und ist damit bereits in Kraft getreten. Sie löst die MRL ab. Als Verordnung bedarf sie keiner Umsetzung in nationales Recht – ist also bereits mit der Veröffentlichung gültig. Stichtag für die Anwendung ist der 20. Januar 2027 – nicht wie noch in der Verordnung genannt der 14. Januar 2027 – dieser wurde berichtigt.

Maschinenrichtlinie (MRL)

Maschinen mussten in Europa bislang den formalen sowie den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (MRL) entsprechen. Diese europäische Richtlinie ist/war anzuwenden auf alle Maschinen, auswechselbare Ausrüstungen und Sicherheitsbauteile, die erstmalig im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Verkehr gebracht werden.

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Den Überblick zu behalten, ist bei der Vielzahl an relevanten Texten nicht einfach.
Bild: Robert Kneschke/stock.adobe.com

Interpretationspapier ‧‚Wesentliche ‧Veränderung von Maschinen‘

Das Interpretationspapier zur Frage, wann Veränderungen an Maschinen so weitreichend sind, dass man danach von einer neuen Maschine sprechen muss, wurde von einer Arbeitsgruppe unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erarbeitet. Beteiligt waren die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft des Landes Baden-Württemberg als Richtlinienvertreter der Länder für die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG (MRL) in Abstimmung mit den Marktüberwachungsbehörden der Länder, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), einzelne Unfallversicherungsträger, der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sowie der VGB PowerTech e. V. als Fachverband für die Strom- und Wärmeerzeugung. Es ist als amtliche Bekanntmachung (Bekanntmachung des BMAS vom 09.04.2015, IIIb5-39607-3) im Gemeinsamen Ministerialblatt GMBl 2015, S. 183 veröffentlicht worden.

CE-Kennzeichnung ‧und ‧Konformitätserklärung

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Auf dem Weg zur CE-Kennzeichnung können Dienstleistungen von Safety-Spezialisten helfen.
Bild: Araki Illustrations/stock.adobe.com

Viele europäische Richtlinien schreiben vor, dass Produkte mit der CE-Kennzeichnung (auch fälschlicherweise ‚CE-Zeichen‘ genannt) versehen werden müssen. Wer eine CE-Kennzeichnung an einem Produkt anbringt, erklärt hiermit gegenüber den Behörden, dass das Produkt

  • allen geltenden europäischen Vorschriften entspricht und
  • den vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen wurde.

(Quelle: DGUV)

Cyber Resilience Act (CRA)

Hierbei handelt es sich um einen Vorschlag für eine Verordnung über Cybersicherheitsanforderungen für Produkte mit digitalen Elementen, bekannt als Cyber Resilience Act. Er baut die Vorschriften zur Cybersicherheit aus, um sicherere Hard- und Softwareprodukte zu gewährleisten.

NIS2-Richtlinie

Die NIS2-Richtlinie ist die EU-weite Gesetzgebung zur Cybersicherheit. Sie enthält rechtliche Maßnahmen zur Steigerung des allgemeinen Cybersicherheitsniveaus in der EU.

AI Act

Der Ansatz der EU für künstliche Intelligenz konzentriert sich auf Exzellenz und Vertrauen, mit dem Ziel, die Forschungs- und Industriekapazitäten zu stärken und gleichzeitig Sicherheit und Grundrechte zu gewährleisten.


Websession „EU-Maschinenverordnung – fragen Sie einen Safety-Spezialisten“

Im Rahmen unserer Websession mit dem Titel ‚EU-Maschinenverordnung – fragen Sie einen Safety-Spezialisten‘ lieferten wir Maschinen- und Anlagenbauern am Mittwoch, den 18. Oktober 2023 weitere Informationen rund um die EU-Maschinenverordnung und das Angebot an Safety-Dienstleistungen, um das Thema Maschinensicherheit schneller in den Griff zu bekommen – nicht zuletzt auch angesichts des Fachkräftemangels. Eine Aufzeichnung der Websession ist verfügbar.

Mit der neuen EU-Maschinenverordnung (EU-MVO) wird die Zertifizierung nicht einfacher. Hintergrund ist, dass unter anderem mit der Digitalisierung neue Gefahrenquellen hinzugekommen sind und damit eine Anpassung beziehungsweise Ablösung der Maschinenrichtlinie (MRL) erforderlich wurde. Insbesondere kleinere Maschinenbauer können sich mit einem Safety-Spezialisten an Bord freier dem eigenen Kern-Know-how widmen, für die Maschinensicherheit sorgen die Safety-Spezialisten.

Programm und Vortragende

Im Rahmen der Websession fanden die beiden folgenden Vorträge statt:

  • Die EU-Maschinenverordnung löst die Maschinenrichtlinie ab – was sind die wesentlichen Neuerungen, die Maschinenhersteller betreffen
    Dipl.-Ing. Leonhard Blümcke, Leiter des Fachbereichs Nahrungsmittel der DGUV und Abteilungsleiter bei der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe, spezialisiert auf Prävention im Bereich Maschinensicherheit.

    Dipl.-Ing._Leonhard_Blümcke,_DGUV
    Dipl.-Ing. Leonhard Blümcke, DGUV
    Bild: Blümcke
  • Mit maßgeschneiderten Lösungen sorgenfrei in die Zukunft
    Dipl.-Ing. (FH) Siegfried Wolf, Leiter tec.nicum academy & tec.nicum consulting, Schmersal Gruppe, zu Lösungen für den dynamischer und komplexer werdenden Maschinenbau und dem Angebot des tec.nicum der Schmersal Gruppe zu Turnkey Solutions und umfassenden Dienstleistungen.

    Siegfried_Wolf,_Leiter_tec.nicum_academy_&_tec.nicum_consulting,_Schmersal_Gruppe
    Siegfried Wolf, Schmersal Gruppe
    Bild: Schmersal

Aufzeichnung:

Eine Aufzeichnung der Websession ist kostenfrei nach vorheriger Anmeldung über diese Website verfügbar

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