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Philip Schmersal und Edgar Stadler im KEM-Portrait

Sicherheitsschaltgeräte
„Digitalisierung ist ein Thema von Netzwerkfähigkeit, Konnektivität und Daten“

„Digitalisierung ist ein Thema von Netzwerkfähigkeit, Konnektivität und Daten“
Edgar Stadler, Divisionsleiter Technik, und Philip Schmersal, Geschäftsführender Gesellschafter der Schmersal Gruppe
Die Sicherheitstechnik gewinnt in der Automatisierung weiter an Bedeutung. Ziel sind zuverlässig arbeitende Maschinen und Anlagen, bei denen neben der Produktivität vor allem die Sicherheit der Mitarbeiter im Vordergrund steht. Welchen Einfluss die Digitalisierung sowie die aktuelle Situation bei der Materialbeschaffung auf die Entwicklung des Unternehmens haben, erläutern Philip Schmersal, Geschäftsführender Gesellschafter, sowie Edgar Stadler, Divisionsleiter Technik, bei der K.A. Schmersal GmbH & Co. KG in Wuppertal.

 

Interview: Andreas Gees, stv. Chefredakteur KEM Konstruktion

KEM Konstruktion: Herr Schmersal, Sie sind Geschäftsführender Gesellschafter der gleichnamigen Unternehmensgruppe, können Sie uns die wichtigsten Unternehmensdaten nennen?

Philip Schmersal: Die Schmersal-Gruppe entwickelt und produziert rund 18.000 verschiedene Sicherheitsschaltgeräte und ist mit diesem Sortiment einer der größten Anbieter weltweit. Mehr als 1.900 Mitarbeiter in über 20 Ländern arbeiten daran, gemeinsam mit den Kunden zukunftsweisende, sicherheitstechnische Lösungen zu realisieren. Wir konzentrieren uns auf die drei Geschäftsfelder Aufzugstechnik, Automatisierungstechnik und Sicherheitstechnik. Neue Safety-Konzepte erfordern dabei Systemlösungen und es gilt, innovative Funktionsprinzipien zu integrieren und neue Wege der Datenkommunikation zu gehen. Schließlich führt auch das wachsende Normen- und Richtlinienwerk zur Maschinensicherheit zu neuen Herausforderungen bei Herstellern und Anwendern von Maschinen und Anlagen.

KEM Konstruktion: Die Digitalisierung verändert die Abläufe in der Industrie. Welche Herausforderungen sind damit konkret für einen Hersteller von Sicherheitstechnik für den Maschinen- und Anlagenbau verbunden?

Edgar Stadler: Die Digitalisierung ist vor allem ein Thema von Netzwerkfähigkeit, Konnektivität, Datengenerierung und deren Auswertung. Das sind Funktionalitäten, die wir in unsere Produkte integrieren und ständig ausbauen. Die digitale Transformation setzt eine durchgängige Kommunikationsfähigkeit aller unserer Komponenten voraus, und das gilt auch für weniger komplexe Geräte. Fast jedes Schaltgerät ist heute mit einem Mikroprozessor ausgestattet, auf dem in der Regel die Kommunikationsfähigkeit basiert. Ein zweiter Aspekt ist der wachsende Anteil von Softwarefunktionalitäten in den Geräten. Viele Funktionen, die früher in Elektromechanik oder Elektrik abgebildet wurden, werden heute mittels Software realisiert. Hinzu kommt, dass der Austausch von Daten und Dokumenten mit den Geräten in digitaler Form umfassender wird, und auch wir müssen unseren Kunden immer mehr Informationen zur Verfügung stellen. Moderne Geräte liefern eine Vielzahl von Daten, deren digitale Kommunikation wir mit entsprechenden Prozessen unterstützen müssen. Dabei geht es den Kunden vor allem um die vorausschauende Wartung. Die erforderlichen Daten dafür möchten wir den Kunden in bestmöglicher Form zur Verfügung stellen. Die meisten Geräte der Sicherheitstechnik können neben ihrer eigentlichen Sicherheitsfunktion (z.B. das sichere Abschalten) umfangreiche zusätzliche Informationen liefern. Schon heute bringen wir Sicherheits- und Messtechnik zusammen, weil Sicherheitssensoren auch Messgeräte sind. Darin besteht ein Benefit für den Kunden: Wir verkaufen nicht nur ein Sicherheitssgerät, sondern auch einen messenden Sensor.

KEM Konstruktion: Die Sicherheitstechnik lebt von der Maschinenrichtlinie. Aus der Maschinenrichtlinie wird die Maschinenverordnung. Was hat sich in der jüngsten Zeit, was wird sich dadurch in den kommenden Monaten bezüglich der Normung ändern? Welche Konsequenzen folgen daraus?

Stadler: Die kommende Maschinenverordnung soll sicherstellen, dass bei einer neuen Generation von Maschinen die Sicherheit der Bediener gewährleistet ist, aber auch Innovationen gefördert werden. Sie soll auch die sichere Integration eines KI-Systems in die Gesamtmaschine gewährleisten. Außerdem werden geltende Bestimmungen rechtlich klarer gestaltet und der Verwaltungsaufwand sowie die Kosten für Unternehmen reduziert, indem zukünftig auch digitale Formate für die Dokumentation zugelassen werden. Gleichzeitig soll das einheitliche Zusammenspiel mit den anderen CE-Vorschriften gewährleistet sein. Die alte Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird noch bis 2025 anwendbar bleiben. Die wichtigsten Normen für Schmersal im Bereich der Maschinensicherheit sind die IEC 61508 als Basisnorm, und daraus abgeleitet die Anwendungsnorm EN 62061 sowie die harmonisierte Norm im Sinne der Maschinenrichtlinie EN ISO 13849, die wir bei der Entwicklung unserer Komponenten berücksichtigen. In der Normung (z.B. IEC 62443) werden zukünftig analog zu den Sicherheitslevel (SIL) auch Securitylevel (SL) definiert. Dazu müssen die Hersteller für ein kommunikationsfähiges Produkt benennen, nach welchem SL das Produkt ausgelegt werden soll und vor allem die richtigen Industrial-Security-Fähigkeiten (engl. Capabilties) umsetzen, die es für die geplante Einsatzumgebung benötigt. Gerade dem Thema Security ist zukünftig permanent Aufmerksamkeit zu widmen.

KEM Konstruktion: Auf welchem Entwicklungsstand befindet sich die Sicherheitstechnik für die Mensch-Roboter-Kollaboration?

Schmersal: Der Bedarf an intelligenten Sicherheitslösungen ist in der Robotik stark wachsend, und die Zahl der eingesetzten Roboter steigt stetig. Anwendungen, in denen der Mensch mit Robotern kooperiert oder koexistent zusammenarbeitet, sind aktuell sicherlich die Mehrheit. Die Kollaboration wird sich für immer mehr Applikationen anbieten, wenn die Arbeitsgeschwindigkeit bei diesen Lösungen gesteigert werden kann. Es gibt dabei mehrere Anforderungen an die Absicherung zu erfüllen. Zum einen ist der Arbeitsbereich mit den Gefahr bringenden Gesamtbewegungsmöglichkeiten des Roboters abzusichern, zum anderen ist es eine Herausforderung, das Werkzeug im Tool Center Point zu überwachen, um eine Gefährdung des Menschen auszuschließen. Es gibt dabei taktile und nicht taktile Lösungen, die wir im Rahmen der Weiterentwicklung unseres Sicherheitsportfolios untersuchen. Taktil bedeutet, dass der Roboterarm mit Sensoren versehen wird, die bei einer Berührung des Roboters seine Bewegungen verlangsamen oder stoppen. Die nicht taktile Lösung ist wesentlich eleganter, da sie den Gefahrenraum beispielsweise mit optischer Sensorik überwacht und die Bewegung des Roboters sicher steuert, ohne dass ein direkter Kontakt erfolgt. Wir sind da allerdings noch in einer frühen Entwicklungsphase, aber gemeinsam mit Technologiepartnern in einem sehr interessanten Anwendungsbereich unterwegs, in dem wir präsent sein wollen.

KEM Konstruktion: Intensiv diskutiert wird zur Zeit auch das Thema Machine Learning. Wie schätzen Sie die Bedeutung dieser Technologie für die Maschinensicherheit ein?

Stadler: Dass Technologien aus der nicht sicheren Automatisierungstechnik auch in der Sicherheitstechnik genutzt werden, ist meist nur eine Frage der Zeit. Die neue Maschinenverordnung wird sich auch um die Integration von KI-Systemen in die Maschinen kümmern. Dass wir als Hersteller deshalb zukünftig KI-Methoden auch in sichere Sensoren integrieren, ist bei der Entwicklung von Sicherheitsgeräten bereits ein Thema. Im ersten Schritt werden das Algorithmen sein, die im Bereich des maschinellen Lernens angesiedelt sind. Ein weiterer Schritt wäre dann der Einsatz von Deep-Learning-Ansätzen, beispielsweise mit mehrschichtigen neuronalen Netzen. Lässt sich die Sicherheitstechnik in einer sicheren Cloud abbilden, ist die Voraussetzung für umfangreiche Machine-Learning-Prinzipien auch in der Sicherheitstechnik gegeben. Mit diesen Ansätzen könnten so sinnvolle Funktionen zur Steigerung der Robustheit und Erweiterung der Sicherheit geschaffen werden.

KEM Konstruktion: Maschinensicherheit geht heute weit über die Lieferung von Komponenten hinaus, welchen Umfang haben bei Schmersal das Projektgeschäft sowie der Service, welche Aktivitäten verfolgen Sie in diesem Bereich?

Schmersal: Das Servicegeschäft ist unser auch international am stärksten wachsendes Geschäftsfeld. Wir haben die Aktivitäten unter der Marke tec.nicum zusammengefasst und sehr viel in kompetente Mitarbeiter investiert. Damit stellen wir sicher, dass wir unsere Kunden auch weltweit optimal betreuen können. Neben der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb sicherheitstechnischer Geräte und Systeme bieten wir mit diesem Geschäftsbereich auch eine herstellerneutrale Beratung. Das Angebot des tec.nicum umfasst neben dem Consulting auch Engineering, Softwareentwicklung und Integration sowie vielfältige Dienstleistungen rund um die Schulung von Fachkräften. Unser Service-Angebot reicht von A bis Z: Wir bauen zum Beispiel auch Zäune und installieren die Sicherheitstechnik, und wir zertifizieren und dokumentieren die Projekte. Unser Ziel ist es, mit unserem umfangreichen Portfolio und dem Service ein One-Stop-Shop für Maschinensicherheit zu sein.

KEM Konstruktion: IO-Link Safety, AS-i-Safety at Work, Profisafe als ein Beispiel für sichere Ethernetprotokolle, OPC UA, wie beurteilen Sie die Entwicklung der Kommunikationstechnologien?

Stadler: Wer weltweit tätig ist, muss auch die international verbreiteten Technologien unterstützen. Wir bauen deshalb die Safety Fieldbox aus unserer Gateway-Produktlinie kontinuierlich aus, um alle relevanten Safety-Protokolle wie Profinet/Profisafe, Ethernet IP mit CIP Safety oder Ethercat/FSOE zu unterstützen. Dazu implementieren wir skalierbare und modulare Architekturen. Safety wird künftig zunehmend maschinenübergreifend zum Einsatz kommen. Ein Beleg dafür ist, das Safety in den Industrie-4.0-Kommunikationsstandard OPC UA integriert wurde. So hat u.a. die Profibus-Nutzerorganisation einen Standard für Safety over OPC UA definiert. Dieser Standard befindet sich in der Normierungs- oder Definitionsphase bei der PNO. Damit soll die Kommunikation von Maschinen und Steuerungen unterschiedlicher Hersteller, deren Kommunikation und die Programmierung der Sicherheitsapplikation, die ja ursprünglich proprietär ausgelegt sind, vereinfacht werden. Sicherlich wird auch die bidirektionale Kommunikationsschnittstelle IO-Link-Safety für funktionale Sicherheit weiter an Bedeutung gewinnen. IO-Link mit der Safety-Erweiterung bietet sich für die Komponenten an, in denen eine Ethernet-Schnittstelle zu hohe Hardware-Kosten verursacht. ASi-Safety ist für uns ein ganz wichtiger Bestandteil des Angebotsspektrums und auch Wireless-Lösungen sind in Zukunft vorstellbar. Bei Wireless-Lösungen ist die Robustheit ein zentrales Thema, das neben der Sicherheitsfunktion betrachtet werden muss. Sicherheitsprodukte sind nur dann gut und sicher, wenn sie auch robust und absolut zuverlässig funktionieren.

KEM Konstruktion: Schmersal bietet auch Schaltgeräte für den Ex-Schutz gemäß ATEX. Wäre Ethernet APL aus der Prozesstechnik auf der Basis von SPE auch ein denkbarer Ansatz für die Vernetzung von Sicherheitsschaltgeräten?

Stadler: Ethernet APL ist für uns weniger interessant, weil wir unsere Produkte vor allem in den Industrien und Branchen der Fabrikautomation vertreiben. Ethernet APL ist ein spezieller Standard für die Prozesstechnik, der aus den Single-Pair-Ethernet Aktivitäten abgeleitet wurde. SPE sehen wir aber durchaus als eine interessante Entwicklung an. Mit SPE haben wir eine Zwei-Draht-Leitung zur Verfügung, die sich z.B. als Alternative zu IO-Link bzw. zu IO-Link-Safety entwickeln könnte. Wir konzentrieren uns im Moment jedoch auf IO-Link-Safety. IO Link ist eine sehr gute Lösung, um Daten von weniger komplexen Produkten zu übertragen. Ein technischer Nachteil ist jedoch die Parallelverdrahtung auf der Basis der sternförmigen Netzwerktopologie. Single-Pair-Ethernet könnte damit mittelfristig zu einer Alternative für IO-Link werden.

KEM Konstruktion: Neben der Digitalisierung gewinnt das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung. Ziel in der EU ist es, den CO2-Ausstoß in den nächsten Jahren erheblich zu reduzieren. Welche Bedeutung hat für Sie das Thema Nachhaltigkeit? Wann wird Schmersal klimaneutral produzieren?

Schmersal: Natürlich können wir jetzt noch nicht sagen, ab wann wir klimaneutral produzieren werden. Doch auch wir haben auf dem Weg zur Klimaneutralität eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen. Wir arbeiten zur Zeit an einem Nachhaltigkeitsbericht nach den Standards der Global Reporting Initiative (GRI). Wir haben drei Solarparks eingerichtet, die unsere Fabriken mit Strom versorgen, und wir haben ein komplett klimaneutrales Verwaltungsgebäude errichtet. Unseren Fahrzeugpark haben wir weitgehend auf Elektromobilität umgestellt, und wir beteiligen uns an einem Kreislauf-Wirtschaftsprojekt hier in Wuppertal. Ziel des Projekts ist es, Kunststoffe weitgehend wiederzuverwenden. Kurz: Wir arbeiten an vielen verschiedenen Projekten, um hier voranzukommen.

KEM Konstruktion: Faktoren wie der Mangel an Fachkräften und die Versorgung mit Halbzeugen und Rohstoffen beeinträchtigen zur Zeit die wirtschaftliche Entwicklung. Wie sieht die Situation bei Schmersal aus?

Schmersal: Extremer Fachkräftemangel herrscht vor allem im Bereich des Softwareengineerings und bei IT-Fachkräften. Die Versorgung mit Elektronikkomponenten und Werkstoffen wie Kunststoffgranulat oder Stanzteilen ist aktuell eine enorme Herausforderung und bindet Ressourcen, um beispielsweise Alternativen zu qualifizieren. Speziell im Bereich Prozessoren haben wir enorme Preissprünge. Wenn Sie bis zu vier Prozessoren in einem Produkt haben, resultieren daraus erheblich gestiegene Herstellkosten. Das hat selbstverständlich auch einen Einfluss auf das Einkaufsverhalten des gesamten Wettbewerbsumfelds und trübt zusätzlich die Ergebnissituation.

Stadler: Auch die Volatilität bei der Beschaffung trägt ihren Teil dazu bei. Selbst zugesagte Lieferungen werden kurzfristig verschoben. Wir müssen dann sehr schnell reagieren, um kritische Lieferengpässe bei uns zu vermeiden. Oft sucht ein komplettes Entwicklungsteam nach alternativen Komponenten. Sind diese dann qualifiziert, könnten sie schon wieder vergriffen sein. Das bindet Mitarbeiterkapazitäten und verzögert wichtige Entwicklungsprojekte. Wir gehen davon aus, dass sich diese Situation noch über das gesamte Jahr 2022 hinziehen wird.

Weitere Details zum Service-Angebot:

hier.pro/AYtr9
Kontakt:
K.A. Schmersal GmbH & Co. KG
Möddinghofe 30
42279 Wuppertal
Telefon: +49 202 6474-0
info@schmersal.com
www.schmersal.com

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