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Losgröße 1 erfordert Transportsysteme 4.0 für Industrie 4.0

Werkstücktransport per Shuttle in der Industrie 4.0
Losgröße 1 erfordert Transportsysteme 4.0

Charakterisierte in der Vergangenheit oft der mechanische Aufbau eine Maschine, könnten künftig Transportsysteme 4.0 für die Industrie 4.0 diese Rolle einnehmen. Bei diesen kommen Maschinenbau und Automatisierung zusammen, so dass sich einzelne Shuttles gezielt steuern lassen. In der zunehmend kundenindividuelleren Fertigung bis hin zur Losgröße 1 lässt sich so auch der Weg zwischen den Bearbeitungsstationen flexibler und agiler nutzen. Und die Kosten sinken auf das Niveau der Serienfertigung, was diese Systeme auch aus ökonomischer Sicht hochinteressant macht.

 

Tobias Meyer, Fachjournalist, Zirndorf und Michael Corban, Chefredakteur KEM Konstruktion

Inhaltsverzeichnis

1. Leistungsfähige Basis für Maschinenbau 4.0
2. Fahreigenschaften
3. Trackverlegung
4. Weichen
5. Unabhängigkeit und Kooperation
6. Ausgewählte Lösungen im Überblick
7. B&R
8. Beckhoff Automation
9. HepcoMotion
10. Mitsubishi Electric
11. Rockwell Automation
12. Weiss Group
13. Mehr zu Transportsystemen der Automatisierer
– Beckhoff XTS, B&R Acopostrak, Rockwell iTrak & Co.

Transportsysteme mit unabhängig voneinander steuerbaren Shuttles geben dem Maschinen- und Anlagenbau ein hochflexibles Mittel in die Hand, um Losgröße 1 zu den Kosten der Massenproduktion real werden zu lassen – und erfüllen damit eines der Hauptziele von Maschinenherstellern und Anwendern. Dem entsprechend macht die Entwicklung bei den Systemen für den Werkstücktransport derzeit große Sprünge und die Anbieter – aufgrund der Komplexität der Systeme vor allem Automatisierungsunternehmen – bringen derzeit Jahr für Jahr interessante Innovationen auf den Markt. Zur SPS IPC Drives 2017 stellte beispielsweise die B&R Industrial Automation GmbH aus dem österreichischen Eggelsberg ihr Acopostrak vor, das ohne bewegte mechanische Elemente die Realisierung einer Weiche ermöglicht. Die Beckhoff Automation GmbH & Co. KG aus Verl folgte 2018 mit ihrem Xplanar, das erstmals das freie Verfahren in der Fläche ermöglicht.

Welches System sich für welchen Einsatzzweck eignet, hängt in hohem Maße von den Randbedingungen ab. Eine Rolle spielt sowohl was transportiert werden soll – und damit welches Gewicht, welche Geschwindigkeit und Beschleunigung sinnvoll sind – als auch der Grad der Individualisierung in der Fertigung. Hauptvorteil der einzeln ansteuerbaren Shuttles ist ja, dass der Anwender sie individuell über den Parcours schicken kann und eben keine fest vorgegebene Aneinanderreihung wie bei klassischen Werkstückträgersystemen beachtet werden muss. Gleichzeitig erklärt dies auch, warum im Anbieterfeld vorwiegend Automatisierer zu finden sind: Die steuerungstechnische Umsetzung erfordert tiefgehendes Know-how und entsprechend leistungsfähige Hard- und Software.

Erstaunlich ist, dass es heute dennoch gelingt, dem Anwender die Bedienung so einfach wie möglich zu machen. In den meisten Fällen genügt es, Start- und Zielpunkt anzugeben – den Rest erledigen die Programmier- und Parametrierlösungen automatisch (unter Berücksichtigung der Randbedingungen und damit möglicher Limitationen etwa bezüglich der maximalen Beschleunigung). Auch die Synchronisation mit Roboterbewegungen ist möglich, was etwa die Bearbeitung auf dem sich bewegenden Shuttle ermöglicht.

Leistungsfähige Basis für Maschinenbau 4.0

Mit den Shuttle-basierten Lösungen lassen sich also einzelne Werkstücke gezielt an unterschiedliche Bearbeitungsstationen führen. Losgröße 1 wird auf diese Weise in einer automatisierten Anlage beherrschbar. Dass selbst die Vordenker dieser Technik von den neuen Möglichkeiten fasziniert sind, zeigt unter anderem die Reaktion des Jacobs-Automation-Gründers Keith Jacobs auf LinkedIn anlässlich der Vorstellung von Acopostrak durch B&R. Für Jacobs repräsentiert diese Lösung die zweite Generation der ‚independent mover technology‘, die sich die Pioniere einst wünschten.

Transportsysteme mit unabhängig voneinander steuerbaren Shuttles bieten dem Maschinenbau eine technologische Basis für zukünftige, sehr flexible und damit leistungsfähige Maschinenkonzepte – sowohl bezüglich des mechanischen Grundaufbaus als auch der darauf aufsetzenden Antriebs- und Automatisierungstechnik. Mechanik und Automatisierung sind beide gleichermaßen Bestandteil der Transportsysteme 4.0, was wiederum bedeutet: Maschinen- und Anlagenbauer können vor allem punkten, wenn sie bereits in der Entwurfsphase disziplinübergreifend denken und arbeiten.

Genau genommen sind Transportsysteme für die Industrie 4.0 Fördereinrichtungen. Als Transport wird der außer- oder zwischenbetriebliche Verkehr bezeichnet – alles was intern von A nach B bewegt wird, läuft laut DIN 30781-1 (Transportkette) unter dem Begriff ‚Fördern‘. Die Abgrenzung über innerbetrieblichen und außerbetrieblichen Transport ist ebenfalls geläufig, wir verwenden hier dennoch das eigentlich unpräzise Wording ‚Transportsysteme‘ für sämtliche Produktbewegungen, da sich der Begriff Transportsystem in der Branche etabliert hat.

Die modernen modularen Systeme sind – zumindest teilweise – die Ablösung der altehrwürdigen Fließ- und Förderbänder sowie Karussells, deren Einschränkung vor allem in der schwachen Flexibilität liegt: Sie erlauben nur eine Geschwindigkeit und Richtung, Abweichungen benötigen ein zusätzliches Element. Moderne Transportsysteme dagegen arbeiten überwiegend mit Linearmotoren und bestehen typischerweise aus einer Schiene, auf der beliebig viele Shuttles – je nach Hersteller auch Mover oder Carriage genannt – unterwegs sind. Der Mindestabstand zwischen zwei Shuttles kann dabei sehr gering sein, ist wiederum aber vor allem individuell einstellbar. Die zu transportierenden Lasten werden vom Shuttle aufgenommen, was durch eine simple Ablagefläche realisiert werden kann. Darüber hinaus sind aber auch komplexe Szenarien möglich, bei denen mehrere Shuttles ein Werkstück an verschiedenen Punkten greifen oder andocken und es zusammen zum Ziel bewegen. Möglich ist gelegentlich auch das Klemmen, wobei die aufgewendete Kraft zwischen den beiden Shuttles präzise gesteuert und für Kurvenfahrten entsprechend angepasst werden muss.

Kennzeichen dieser modernen Transportsysteme sind unter anderem die Fahreigenschaften, daneben aber vor allem auch Besonderheiten bei der Trackführung:

  • Fahreigenschaften
    An beliebigen Positionen kann die Geschwindigkeit reduziert und vor allem synchronisiert werden, etwa wenn ein Roboter das transportierte Produkt greifen muss. Alle anderen Shuttles können zeitgleich mit hoher Geschwindigkeit weiterfahren, da alle unabhängig voneinander agieren. Die Produktivität ist somit deutlich höher als bei Fließband & Co, so dass der Transport wesentlich individueller und flexibler gestaltet werden kann. Hohe Beschleunigungen und Maximalgeschwindigkeiten von um die 4 m/s bringen Bewegung in die Anlage. Die nachfolgende Tabelle liefert die jeweiligen Daten einiger Hersteller.
  • Trackverlegung
    Die Schiene kann auch in komplexen Geometrien verlegt werden, wobei die Gleise in jeder Ausrichtung montiert werden können – flächig verlegt wie bei der klassischen Eisenbahn oder aber auch an der Wand montiert oder hängend über Kopf. Zudem können sogenannte Servicelinien realisiert werden. Sie fungieren wie eine Boxengasse an der Rennstrecke: Während der reguläre Transport auf dem Hauptgleis weiterläuft, können einzelne Shuttles auf die Servicelinie geschickt werden und dort etwa ihre Ladung bei einem Werker für Stichproben untersuchen lassen. Außerdem können auf der Servicelinie bei Bedarf auch neue, zusätzliche Shuttles auf die Bahn geschickt oder andere heruntergenommen werden – ohne den Betrieb anzuhalten.
    Durch die flexible Einzelsteuerung der Shuttles entfallen die bei klassischen Bändern nötigen Pufferzonen. Die Größe der Systeme und die Anzahl der Shuttles ist durch die Modulbauweise nicht begrenzt – häufig setzt nur die Leistungsfähigkeit des mit der Steuerung beauftragten PCs eine Grenze. Ganz neue Freiheiten bei der Fahrweggestaltung eröffnen Systeme, die in die Fläche gehen (derzeit Beckhoffs Xplanar). Allerdings wird der Anwender auch hier schon aus Kostengründen genau überlegen, wo er die erforderlichen Kacheln verlegen will und damit letztlich auch einen Fahrweg realisiert. Auf diesem ist die Flexibilität aber gegenüber der Schiene noch einmal deutlich höher.
  • Weichen
    Weichen funktionieren in zwei Richtungen: Sie können Produktströme trennen, um sie auf unterschiedliche Gleise und Richtungen zu verteilen oder aber das gezielte Mischen und Zusammenführen von Produktströmen ermöglichen. Durch die präzise Positionierung der Shuttles können mehrere Linien bei voller Geschwindigkeit zusammen auf ein Gleis fließen, da die Shuttles passende Abstände bereits kurz vorher einstellen und sich an der Weiche entsprechend des Reißverschlussprinzips vereinen – was deutlich besser und vor allem konstanter funktioniert als bei menschlichen Fahrern auf der Autobahn. Gezielt kann auch eine Sortierung erfolgen. Die Umsetzung ist unterschiedlich: Bei dem System der Mitsubishi Electric Europe B.V. aus Ratingen ändert etwa eine klassische Weiche die Transportrichtung, in dem das entsprechende Gleisstück mechanisch verschoben wird. Bei B&Rs Acopostrak dagegen fährt das während des Transports an einer Seite vom Track gehaltene Shuttle zwischen zwei parallel montierte Gleise und ‚wechselt‘ die Spur. Dieser Transfer erfolgt elektronisch gesteuert ohne mechanisch bewegte Elemente und kann auch bei hoher Geschwindigkeit vollzogen werden.
  • Unabhängigkeit und Kooperation
    Jedes Shuttle kann einzeln angesteuert werden und so auf der gleichen Schiene unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Beckhoff gibt beispielsweise an, in der Steuerung jedes Shuttle einfach wie eine klassische Achse zu behandeln. Daher sind auch Kooperationen mit anderen Automatisierungselementen recht simpel zu realisieren, etwa die Bewegung von A nach B und dort dann zusammen mit einer anderen Achse eine hochgenaue Positionierung für Pick&Place-Aufgaben. Allen Systemen gleich ist das Bestreben, die Programmierung so einfach wie möglich zu gestalten.
Übersicht zu Transportsystemen 4.0
Übersicht zu einigen derzeit am Markt angebotenen Transportsystemen Quelle: Konradin Mediengruppe basierend auf Angaben der Hersteller

Durch einen Stromanschluss auf dem Shuttle kann übrigens auch während des Transports eine Funktion ausgeführt – beispielsweise eine Spannvorrichtung oder ein Greifer genutzt werden. Zudem kann durch eine auf dem Shuttle installierte Einheit die Transportzeit selbst für einen kleineren Fertigungsschritt genutzt werden, etwa die Qualitätskontrolle: Fällt sie negativ aus, wählt das Shuttle sofort den entsprechenden Weg zur passende Maßnahme – Nacharbeit, weitere Prüfung, Ausschussbox etc. –, fällt sie positiv aus folgt der reguläre Weg durch die Fertigung.

Ausgewählte Lösungen im Überblick

Ein so dynamisches Umfeld wie das der Transportsysteme 4.0 lässt sich kaum umfassend beschreiben. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass insbesondere die Anbieter klassischer Werkstückträgerlösungen natürlich auch ihre Systeme weiter entwickeln. Schwierigkeiten macht auch die Zuordnung: Frei fahrende Shuttles können je nach Anwendungsfall auch eine Lösung sein; die Grenzen zu Fahrerlosen Transportsystemen verschwimmen dabei. In der folgenden Übersicht einiger Lösungen haben wir uns deswegen bewusst auf schienengeführte Shuttle-Lösungen konzentriert (prinzipbedingt allerdings Beckhoffs Xplanar mit hineingenommen, da hier die zugrundeliegenden Kacheln ebenfalls einen wenn auch zweidimensionalen Fahrweg bilden). Betrachtet wurden Lösungen folgender Anbieter:

  • B&R:
    Für die Transport-Technologie nutzt B&R das Fördersystem Supertrak des kanadischen Unternehmens ATS Automation. Die Kompetenzen beider Unternehmen ergänzen sich: ATS verfügt über eine langjährige praktische Erfahrung im Einsatz von Transportsystemen. B&R bringt sein Automatisierungs-Know-how und Kernkompetenzen in der Leistungselektronik, der Motorentwicklung und Software ein. Neben dem Supertrak, das unter anderem mit einer hohen Traglast beworben wird, hat B&R mit dem Acopostrak ein zweites System im Programm, das sich vor allem durch seine elektronische Weiche auszeichnet. Für den Transport in der Fläche gibt es das System als Acopostrak 6D.
  • Beckhoff Automation:
    Das Extended Transport System (XTS) wurde 2012 im Markt eingeführt und steht seit 2017 auch als Hygienic-Variante für die Lebensmittel- und Pharmaindustrie zur Verfügung. 2018 wurde dann das Xplanar vorgestellt, das sich von der Schiene trennt und Bewegungen in der Fläche erlaubt.
  • HepcoMotion:
    Das GFX Hepco Führungssystem für das Beckhoff XTS verwendet Linearmotortechnologie, um Mover auf einem Schienensystem zu verfahren. Jeder Mover ist individuell steuerbar, wodurch komplexe Hochgeschwindigkeits-Bewegungsprofile möglich werden, ohne die Positioniergenauigkeit zu beeinträchtigen.
  • Mitsubishi Electric:
    Das Linear Transfer System (LTS) von Mitsubishi Electric und der dazugehörige Smart Carriage wurden zusammen mit dem deutschen Automatisierungs- und Produktionstechnik-Spezialisten APT Automation entwickelt.
  • Rockwell Automation:
    Der Automatisierungskonzern hat inzwischen zwei intelligente Transportsysteme im Portfolio: Das von Jacobs Automation entwickelte iTrak; Rockwell übernahm die amerikanische Firma 2013 und integrierte die Transportlösung als eigenes Produkt. Mit Magnemotion und deren ähnlichem System akquirierte man 2017 einen weiteren Konkurrenten, der aber weiter unter eigener Marke als Tochter operiert.
  • Weiss Group:
    Der Systempartner für die Fabrikautomation hat neben Rundschalttischen, Handling-Einheiten und Delta-Robotern auch das lineare Transfersystem LS Hybrid im Angebot. Es ermöglicht die Kombination des bandgetriebenen simplen – weil konstanten und effizienten – Werkstücktransports mit dem kurven- und servogetriebenen (eCam-Technologie) sowie dem individuellen Verfahren einzelner Shuttles per Linear-Direktantrieb.

Mehr zu Transportsystemen der Automatisierer
– Beckhoff XTS, B&R Acopostrak, Rockwell iTrak & Co.



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