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Festos Plattform für Produkt und Produktion

Technologiefabrik Scharnhausen
Festos Plattform für Produkt und Produktion

Bei Festo sei Industrie 4.0 in der Praxis angekommen, lautete die Devise des Unternehmens bei der Eröffnung der Technologiefabrik Scharnhausen. Auffallend war bereits damals das bereichsübergreifende Zusammenspiel aller Abteilungen – nicht zuletzt von Produkt- und Produktionsentwicklung. Mit der Entwicklungsspezialistin Dr. Julia Duwe und dem Werksleiter Stefan Schwerdtle sprach KEM Konstruktion über die Erfahrungen mit der Technologiefabrik angesichts der Digitalisierung sowie die brandneue Plattform Festo Motion Terminal.

 

Michael Corban, Chefredakteur KEM Konstruktion

Neue Technologien, die schritthaltende Aus- und Weiterbildung sowie der Mensch im Mittelpunkt – auf diesen drei Säulen ruht die Ende 2015 von der Festo AG & Co. KG eröffnete Technologiefabrik Scharnhausen. „Dieses Konzept umzusetzen, war goldrichtig“, berichtet Stefan Schwerdtle, bei Festo Factory Manager Global Production Centre Scharnhausen, rund 1,5 Jahre nach der Eröffnung. Das zeige sich speziell an den Räumen, die mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel den bereichsübergreifenden Austausch ermöglichen. Diese sind im obersten Geschoss des Gebäudes platziert und verschiedenfarbig gestaltet. Sie erlauben sowohl einzelnen Mitarbeitern das effektive Arbeiten als auch interdisziplinären Teams eine intensive Kooperation. Neuentwicklungen, die Produktpflege sowie insbesondere die parallele Produkt- und Produktionsentwicklung stehen auf dem Progamm. „Besucher fragen uns meistens, ob es solcher Räume wirklich bedarf – aber für uns selber können wir längst Bilanz ziehen und sagen: Es war eine gute Entscheidung, eine Investition die sich rechnet und die so angenommen wird, wie wir uns das immer gewünscht haben“, so Schwerdtle weiter. Für den Factory Manager selbst werden damit auch Teambesprechungen deutlich einfacher, weil gegenüber der sonst üblichen Frontal-Präsentation eine ganz andere, konstruktive Atmosphäre entstehe.
„Als Anwender auf der Seite der Produktentwicklung kann ich das nur unterstreichen“, ergänzt Dr. Julia Duwe, Leitung Future Motion Solutions Management bei Festo. So fordere die Digitalisierung ja einerseits das Zusammenführen der verschiedenen Disziplinen wie Mechanik, Elektrotechnik und Software in Produktion und Entwicklung, habe aber andererseits immer mit den Menschen zu tun – beides zusammen könne man in Scharnhausen hervorragend praktizieren. „Die Entwicklung kommt sehr gerne ins Werk, da sich hier eine Plattform für den Austausch bietet.“ Festo gelinge auf diese Weise der Brückenschluss zwischen Produktentwicklung und Produktion – eine entscheidende Voraussetzung, um schnell mit den allerneuesten Technologien am Markt zu sein. „Durch die enge Zusammenarbeit und die Parallelisierung der Prozesse in laufenden Entwicklungsprojekten können wir bereits eine Fertigungsanlage aufbauen, während das finale Produkt – beispielsweise sein softwarebasierter Anteil – erst entsteht“, fährt Duwe fort.
Technologiesprung für die Pneumatik
Was konkret bei dieser Art der Innovationsfindung herauskommt, findet sich unter anderem in den Neuvorstellungen von Festo zur Hannover Messe 2017. „Durch die Verschmelzung von Hard- und Software ist uns ein regelrechter Technologiesprung gelungen“, ist Julia Duwe überzeugt. „Während der dreijährigen Entwicklungszeit entstand nicht nur eine intelligente pneumatische Automatisierungsplattform für die Industrie 4.0, sondern eine Schlüsselinnovation für die Fertigung der Zukunft – und zwar genau als Verschmelzung von Mechanik, Elektronik, Regelungstechnik und Software.“ Unterschiedlichste Ventilfunktionen lassen sich nun flexibel programmieren und über Motion Apps ansteuern – vergleichbare Möglichkeiten bot bislang nur die elektrische Steuerungstechnologie. „Das Festo Motion Terminal vereint die Funktionen von rund 50 Einzelkomponenten – und ist damit Türöffner und Enabler für Unternehmen, die ihre Produktion fit für Industrie 4.0 machen wollen.“
Mit der digitalisierten Pneumatik – sprich der programmierbaren Plattform für eine hochflexible und adaptive Automatisierung – können Maschinen- und Anlagenbauer nun wesentlich leichter individuell anpassbare Produkte realisieren; sie selbst können auf diese Weise neue Plattform- und Modulbauweisen anwenden. Aufwendige Hardwareänderungen vieler einzelner Komponenten entfallen und neue Funktionen lassen sich schnell und intuitiv auf dem Festo Motion Terminal programmieren. „Damit werden nicht zuletzt zusätzliche Services und neue Geschäftsmodelle möglich“, so Duwe weiter. „Die eingebaute Sensorik liefert in Echtzeit Daten aus dem Betrieb und schafft Einblick in die Vorgänge innerhalb einer Applikation.“ Die integrierte Intelligenz könne so bei abweichenden Parametern warnen, Störungen in den komplexen Abläufen würden sichtbar und nachvollziehbar. „Dabei ist die digitalisierte Funktionalität unsichtbar in einer ‚Black Box‘ geschützt, statt in sichtbaren Hardware-Elementen offengelegt zu sein – ein hoher Schutz des intellektuellen Eigentums ist so sichergestellt.“
Machine Learning ermöglicht adaptives Verhalten
Ein nicht uninteressanter Aspekt der neuen Technologie ist, dass sich auch adaptive Anlagen damit realisieren lassen. Durch die Auswahl entsprechender Motion Apps können die in Echtzeit erfassten Daten über Lernalgorithmen dazu genutzt werden, die pneumatischen Elemente an die jeweilige Aufgabenstellung anzupassen und zu optimieren. Präzise Bewegungsabläufe sowie sanfte Beschleunigungs- und Bremsvorgänge sind so dauerhaft realisierbar.
Dieses Beispiel zeige auch, dass sich Produkte heute nicht mehr so ‚fertigentwickeln‘ ließen, betont Dr. Julia Duwe. „Deswegen benötigen wir eine Plattform wie die Technologiefabrik Scharnhausen, damit wir nicht zuletzt eben auch das Feedback der Kunden am Markt berücksichtigen und unsere Produkte schnell anpassen können.“ Das gelinge nur auf Basis einer sehr engen Zusammenarbeit aller Beteiligten. „Und für uns in der Produktion ist es wichtig, dass uns in der Fabrik solch eine Marktrückmeldung schnell erreicht, damit der Bau von Betriebsmitteln oder die Programmierung einer Software für die Prüftechnik entsprechend modifiziert werden können“, schließt sich Stefan Schwerdtle an. „Da reicht bereits ein schneller Hinweis – eine E-Mail ist dafür inzwischen viel zu langsam, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Qualität der Information.“
Austausch mit den Kollegen von ‚nebenan‘
„Erstaunlich ist, dass die Zusammenarbeit auf allen Ebenen stattfindet“, erläutert Stefan Schwerdtle. So komme es vor, dass die Produktentwicker zunächst für sich allein beginnen, nach einiger Zeit aber plötzlich zusammen mit vier Produktions-Spezialisten arbeiten. „Die sind eben schnell greifbar und viele Aufgaben lassen sich auf diesem Weg wesentlich schneller und effizienter lösen.“ Das entscheidende Plus in Scharnhausen seien eben die Nähe und Möglichkeit, sich in kreativer Umgebung zusammenzufinden. „Hier kriegt man einfach mehr mit“, bringt es Dr. Julia Duwe auf den Punkt. Konzeptionell ist zudem sichergestellt, dass auch Kollegen aus angrenzenden Bereichen mit von der Partie sind, etwa aus dem Einkauf oder der IT. „Trotz vielfältiger medialer Möglichkeiten geht es eben am Ende immer darum, Menschen zusammenzubringen.“ Im Rahmen verschiedenster Projekte entstünden ja immer viele neue Ideen – nicht zuletzt in Kombination mit dem Feedback der Kunden. „Diese Ideen sind da – wir müssen es nur schaffen, sie freizusetzen“, so die Projektleiterin von Festo Motion Terminal. Das schaffe man nur durch die intensive Vernetzung aller Beteiligten.
Industrie 4.0 zu Ende gedacht
Anlässlich der Eröffnung der Technologiefabrik Scharnhausen sprach Festo vorsichtig davon, dass nun Industrie 4.0 in der Praxis angekommen sei. „Allerdings ist man nie fertig“, betont Schwerdtle. „Zudem müssen wir am Ende immer wirtschaftlich arbeiten – unabhängig von Industrie-4.0- oder Digitalisierungsumfeld.“ Bei der Bewertung all der Vorschläge aus diesem Bereich leiste deswegen der VDMA-Baukasten gute Dienste, gewissermaßen als Radarsystem. So gelänge es, wiederum fachübergreifend das Potenzial konkreter Vorschläge zu erfassen, um dann zu entscheiden, ob sich die Umsetzung lohne. „Auch anfangs abstrus erscheinende Ideen wie etwa ein Datenhandschuh in der Produktionslogistik konnten auf diese Weise begutachtet werden – und fanden schließlich den Weg in den täglichen Einsatz.“ Sah der klassische Arbeitsprozess noch vor, nach der Einlagerung eines Behälters einen Handscanner zu greifen, um die Daten einer Box zu erfassen, genügt nun ein Druck auf den Handschuh, um den integrierten Scanner zu aktivieren – auf Handscanner kann verzichtet werden. „Trotz meiner anfänglichen Zweifel muss ich klar feststellen: Unsere Mitarbeiter würden den Datenhandschuh nicht mehr hergeben wollen“, fasst der Werksleiter das Ergebnis zusammen. An diesem Beispiel erkenne man wiederum sehr deutlich, welche Rolle der Anwender spiele, ergänzt Duwe. „Dieser muss ein ‚neues‘ Produkt auch annehmen – genau auf diesen nutzerzentrierten Blick kommt es an.“ In treffender Weise habe deswegen der amerikanische Harvard-Professor Gary Pisano formuliert: „Your process shapes the product“ – der Prozess entscheide darüber, welches Ergebnis man erhalte. „Wenn Sie auf bekannten Wegen etwas ganz Neues hervorbringen wollen, zeigt die Erfahrung, dass das nicht funktioniert“, so Duwe weiter. „Hier müssen wir ‚ans Eingemachte‘ und den Prozess verändern, neue Wege der Zusammenarbeit suchen, damit ganz neue Lösungen für unsere Kunden entstehen.“
Was die Technologiefabrik Scharnhausen auszeichnet, ist dieser Experimentierwillen, die Suche nach neuen Lösungen. „Einer der kreativsten Bereiche im Werk bezüglich des Mitarbeiter-KVPs ist interessanterweise die Betriebsmittel-Konstruktion“, erläutert Schwerdtle. „Obwohl hier viele Tätigkeiten tägliche Routine sind, ist die Auslegung von Vorrichtungen ein sehr kreativer Prozess – hier lassen sich unsere Arbeitsabläufe optimieren.“ Auch das Thema Additive Fertigung beziehungsweise 3D-Druck bietet den Entwicklern einiges Potenzial – „übrigens nicht, weil wir vorgegeben haben, mit dem 3D-Druck zu arbeiten, sondern weil die Idee im Team entstand.“ In der Summe schafft dies dann auch die Voraussetzung für die ‚smarten‘ Produkte der Industrie 4.0: „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass ein smartes Produkt – ein intelligentes kommunizierendes Produkt – nur dann entsteht, wenn die Produktentwickler verschiedener Disziplinen miteinander kommunizieren“, so Dr. Julia Duwe abschließend. „Denn dabei handelt es sich ja immer um ein Zusammenspiel von vielen Disziplinen – und nur so können wir die Antworten auf die Herausforderungen der Digitalisierung finden.“
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