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Industrie 4.0 beflügelt das Qualitätsmanagement

„Das Spiel wird schneller“
Industrie 4.0 beflügelt das Qualitätsmanagement

Die Integration der Qualitätssicherung in die Produktion ist für Professor Robert Schmitt mit Blick auf Industrie 4.0 von besonderer Bedeutung. Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) entwirft ein Bild der Qualitätssicherung-Zukunft und erklärt, warum sich die DGQ und sein Lehrstuhl an der Quality Area auf der Metav 2016 in Düsseldorf engagieren.

 

Das Interview führte Nikolaus Fecht, Fachjournalist, Gelsenkirchen

KEM: Herr Prof. Schmitt, was bedeutet Industrie 4.0 für die Qualitätssicherung: Brauchen wir QS 4.0 oder reicht die bereits vorhandene computerunterstützte Qualitätssicherung aus?
Robert Schmitt: Durch die Umwälzungen der Industrie 4.0 werden mehr Daten anfallen, die schneller miteinander verknüpft werden: Das Spiel wird schneller. Lebte das bisherige Qualitätsmanagement von sorgfältig begründeten Kausalketten, so führt morgen vermutlich die Korrelation zahlreicher, zunächst scheinbar nicht zusammenhängender Größen zu schnelleren QS-Maßnahmen. Industrie 4.0 wird das Qualitätsmanagement auf jeden Fall beschleunigen.
KEM: Ihre Vita zeigt, dass Sie ein besonders enges Verhältnis zur Messtechnik und Qualitätssicherung in der Produktion besitzen. Was hat Sie mit Blick auf Ihr Berufsleben besonders bewegt und inspiriert?
Schmitt: Qualitätsmanagement darf nicht in zusätzlicher Kontrolle erstarren. Vielmehr sollte es den Menschen helfen, in der Wertschöpfungskette ihre Aufgaben gut zu erfüllen und insgesamt die Produktion zu verbessern. Ein so organisiertes Qualitätsmanagement ist Bestandteil jeder Führungsaufgabe.
KEM: Wenn die Werkzeugmaschine und die Produktion mit Hilfe von Sensorik mehr Daten erfassen kann: Was bedeutet das für die Signalverarbeitung mit Blick auf Echtzeitfähigkeit und das Bewältigen der dabei entstehenden enormen Datenmengen – Stichwort Big Data?
Schmitt: Es könnte uns erstmals gelingen, derzeit lückenhafte Regelkreise durch Rückkopplung technologisch zu schließen. Wir arbeiten eng mit Informatikern in Projekten zusammen, in denen es darum geht, Informationen nach Bedarf auf so genannte Wearables, etwa Brillengläser, zu projizieren. Dazu bedarf es echtzeitfähiger Systeme. Was technologisch so faszinierend erscheint, lässt Soziologen von der „Ironie der Automatisierung“ sprechen. Wenn ich der Rechenleistung eines modellgestützten Systems mehr Aufgaben übertrage, muss ich ein großes Fachwissen modellieren. Wenn das System steht, benötigt die Fabrik kurzfristig für exzellente Ergebnisse eigentlich weniger qualifizierte Mitarbeiter. Um aber ein Unternehmen auf der technologischen Höhe der Zeit zu halten, bräuchte es im Gegenteil eigentlich immer mehr Fachkräfte. Doch wegen der Automatisierung fehlen diese: eine zukunftsgefährdende Abwärtsspirale trotz hoher kurzfristiger operativer Exzellenz. Selbst wenn nun datengetrieben sehr schnelle Qualitätsverbesserungen möglich sind, etwa durch ein automatisiertes „Six Sigma in Minuten“, sollte ein Unternehmen das spezifische Wissen über den Kundennutzen der eigenen Produktion verstehen und Kunden tief in die Wertschöpfung integrieren können. Wenn es das nicht macht, wenn es sich nur auf operative Exzellenz verlässt, wird es sein Wissen verlieren und austausch-bar sein. Forschungseinrichtungen wie das WZL in Aachen können Ideen liefern, damit es nicht so weit kommt.
KEM: Welche Rolle spielen Qualitätsdaten, die in der Fabrik von morgen erzeugt werden?
Schmitt: Messgerätehersteller müssen sich überlegen, wer künftig der Herr über die Strukturen der Daten ist. Denn er bestimmt künftig das Geschäftsmodell. Und durch den fundamentalen Wandel der Digitalisierung, die besonders auch durch die Konsum-Elektronik getrieben wird, sind alle Anwender von Smartphones den bequemen Zugang auch zu komplexen Daten gewohnt. Sie wünschen sich einen vergleichbaren Bedienkomfort in der Werkstatt: Sie wollen Informationen auf einen Klick und eben nicht spezifische Geräte mit komplizierten Steuerungen bedienen. Ich wage daher zu bezweifeln, dass es in zehn Jahren noch die klassischen Bedienkonzepte und damit auch die Systeme für die computerunterstützte Qualitätssicherung (CAQ) geben wird. Schwer werden es dann auch Messgerätehersteller haben, die ihre Produkte nicht in die IT-Welt ihrer Kunden integrieren können. Die Botschaft lautet: Versteht das Geschäft und den Wert der Daten Eurer Kunden!
KEM: Wie können die verschiedenen Welten – also Shop Floor, Vernetzung sowie Hard- und Software – zusammenwachsen?
Schmitt: Das Besondere an Industrie 4.0 ist das Erstellen von Modellen als Abbild der realen Welt als digitaler Schatten. Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Ein Hersteller, dessen Produkte scheinbar austauschbar sind, tut vielleicht gut daran, eine Datenschnittstelle zum Planungssystem seines Kunden zu haben. Automatisiertes Auflösen der Stückliste nach Plan, Zusammenführen der Teile, Vormontage, automatisiertes Prüfen nach automatisch generierten Prüfplänen, Logistik und Hilfestellung bei der Endmontage mittels App: Das ist keine Zukunftsmusik mehr: Findige Unternehmen haben es schon erfolgreich umgesetzt. Macht man das gut, verschwimmen die Grenzen zwischen physikalischer und virtueller Welt. Hier können Hersteller in der Zusammenarbeit mit dem Kunden höheren Nutzen schaffen. Erfolgreich werden daher langfristig die Messgerätehersteller sein, die sich mit ihren Produkten nahtlos in die Anforderungen und Modellwelten ihrer Kunden einfügen lassen.
KEM: Lässt sich eine Werkzeugmaschine in eine Messmaschine verwandeln?
Schmitt: Vielleicht nicht so, dass die Werkzeugmaschine zur Messmaschine wird, aber wir und die Kollegen vom WZL und Fraunhofer IPT arbeiten an der Sensorintegration. Es kommt darauf an, den Großteil potenzieller Messfehler inline zu bestimmen und zu korrigieren. Allerdings muss hier auch etwas bei den Steuerungen geschehen, die bisher noch nicht für Messstrategien ausgelegt sind und strukturell keine Messaufgaben übernehmen können. Aber auch hier werden Apps auf leistungsfähiger Hardware die Landschaft verändern.
KEM: Was raten Sie einem Hersteller von Werkzeug- oder Messmaschinen?
Schmitt: Orientieren Sie sich bei Ihren Maschinen und Geräten an der Systematik der RAMI 4.0, der neuen Referenzarchitektur für Industrie 4.0. Wenn es uns nicht gelingt, dadurch auch in der Normung schnell am Markt zu sein, werden eben andere Player wie Suchmaschinenanbieter das Internet of things maßgeblich beeinflussen. Diese verfügen dann über einen gigantischen Datenschatz, der sich vermarkten lässt – einzigartige Expertise wird für jeden erschwinglich und reproduzierbar. Mit Blick auf die zahlreichen Funktionen eines Smartphones wird bald tendenziell kaum jemand noch hohe Preise für messtechnische Hardware, sofern sie nicht gerade hochgradig spezifisch ist, akzeptieren. Was zählt, ist Funktionalität – und die kommt aus den Daten.
KEM: Es muss unter Industrie 4.0 also zusammenwachsen, was in der Welt der Konsumenten heute schon zusammen gehört: Welche Rolle spielt da die Quality Area auf der Metav 2016?
Schmitt: Die Quality Area wird diese Entwicklung erlebbar machen. Unbestritten steht auf der Metav weiterhin die Werkzeugmaschine im Mittelpunkt. Aber offensichtlich kommt die Innovation für 4.0 auch aus der Messtechnik. Ich rate jedem Besucher, sich ein paar Stunden Zeit zu nehmen, um sich von der Sensor- und Messtechnik-Branche inspirieren zu lassen. Ich sehe es auch als Chance an, die funktional-organisatorischen Mauern zwischen den produzierenden und messenden Bereichen abzubauen. Produktivität ist eben mehr als kurze Zerspanzeit.
KEM: Und welche Unterstützung bietet Industrie 4.0?
Schmitt: Wer glaubt, dass Industrie 4.0 nun alle unsere Probleme löst und ihn von der Aufgabe entbindet, für die Produktion von morgen zu forschen, irrt. Es irrt auch, wer glaubt, dass sich Mitarbeiter ohne entsprechende Qualifikation einfach in die Fabrikwelt von morgen integrieren lassen. Aber die Quelle valider Daten ist die Messtechnik, sie bietet treibende Faktoren, um in Deutschland dank einer neuartigen Automatisierung wieder Dinge produzieren zu können, die sich angeblich hier nicht kostengünstig herstellen lassen. Das haben mittlerweile auch einige große internationale Konzerne entdeckt, die Deutschland zunehmend als Standort zum Forschen und Produzieren schätzen. Gerade vor kurzem hatten wir wieder Besuch von einem großen US-Konzern, dessen Vertreter uns sagten: „Hier kann man gut arbeiten, denn hier gibt es die hochqualifizierten und leistungsfähigen Netzwerke der kurzen Wege“. I
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