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Windkraftanlagen mit Blitzschutz

Numerische Simulationen zur Berechnung von Magnetfeldern bei Blitzeinschlag
Windkraftanlagen mit Blitzschutz

Bei einer 150 m hohen Struktur, die aufgrund der besseren Windverhältnisse meist auf einer Anhöhe platziert wird, ist die Frage nicht, ob, sondern wann ein Blitz einschlägt. Die Anzahl der direkten Blitzeinschläge in Windkraftanlagen hat sich aufgrund der größeren Abmessungen der Anlagen und des Trends, sie in rauen Umgebungen wie der offenen See einzusetzen, in den letzten Jahren deutlich erhöht.

Exklusiv in KEM Autor: Dr. Lars Fromme, Manager PR und Marketing bei der Comsol Multiphysics GmbH, Göttingen

Die maßgeblichen Faktoren für einen Blitzeinschlag sind Topografie und Geografie, die zu großen regionalen Unterschieden mit lokal sehr aktiven Gebieten führen. Bei einigen Anlagenstandorten treten bis zu zehn Blitzeinschläge pro Tag auf, typischerweise mit einem Einschlagpunkt in einem der Rotorblätter. In solchen Situationen können sowohl der Strom, der durch die Anlage fließt, als auch das dadurch induzierte Magnetfeld die elektronischen Komponenten in der Gondel mit dem darin untergebrachten Antriebsstrang der Windkraftanlage beeinträchtigen.
Für die Hersteller und Betreiber stellt daher die elektromagnetische Verträglichkeit ein zentrales Kriterium dar, da dieses direkten Einfluss auf potenzielle Kosten für Reparatur, Austausch und Ausfallzeiten einer Anlage hat. Die große Herausforderung für die Ingenieure liegt im Schutz der Anlagen vor Blitzeinschlagschäden durch optimale Positionierung von Schutzelementen sowie der Verbindungskabel zwischen diesen. Dadurch werden die Steuerungssysteme abgeschirmt und die Beanspruchung durch Blitzstrom und das damit verbundene Magnetfeld minimiert.
Der Blitzschutz wurde als Anforderung in die Normvorgaben der International Electrotechnical Commission (IEC 61400-24, überarbeitet in 2010) und die des Germanischen Lloyd Industrial Services (GL: 2010) aufgenommen. Innerhalb dieser beiden Normen ist es zudem vorgeschrieben, die Effektivität der installierten Blitzschutzsysteme zu dokumentieren. Die Norm GL: 2012 erfordert dabei eine eindeutig nachgewiesene Blitzschutzzone; die Norm IEC 61400-24 legt fest, dass die numerische Simulation ein akzeptables Mittel zum Nachweis darstellt.
Die Untersuchung von Stromfluss und Spannung
Zum Nachweis des Blitzschutzes stützen sich die Ingenieure neben ihren in der Praxis gewonnenen Erfahrungen meist aufdie Ergebnisse umfangreicher physikalischer Tests von Subkomponenten wie Rotorblättern, externer Sensoren sowie von Gesamtsystemtests der Gondel oder des Steuerungssystems. Keiner dieser Ansätze führt zu einer vollständigen und präzisen Aussage über Risiken und Konsequenzen, und alle sind kostspielig und zeitraubend. Eine umfassende Laboranalyse der gesamten Gondel kostet beispielsweise zwischen 400 000 und 500 000 Euro. Daher ist es wesentlich kosteneffizienter, den Einschlag als eine erste Iteration numerisch zu modellieren, was vom dänischen Beratungsunternehmen Global Lightning Protection Services A/S erfolgreich durchgeführt wurde.
„Die Kunden suchen vor allem in der Entwicklungsphase, in der sie über die Art und den Umfang des Blitzschutzes entscheiden müssen, unseren Rat“, sagt Søren Find Madsen von Global Lightning. „Es handelt sich um eine komplexe Entscheidung, bei der zahlreiche Variablen, wie die Art und der Winkel des Blitzschlags sowie der wahrscheinliche Strompfad, berücksichtigt werden müssen.“
Es ist auch für komplexe Strukturen möglich, zur Berechnung der Verteilung eines Gleichstroms einfache lineare Algebra einzusetzen. Das liegt daran, dass der Stromfluss in dem Fall nur von dem Widerstand der potenziellen Pfade abhängt. Da sich der Strom und die Spannung über die Zeit nicht ändern, treten keine gegenseitigen Kopplungen auf, bei denen der Stromfluss in einem Leiter eine Spannung in einem anderen induziert. Im Gegensatz dazu erzeugen Wechselströme oder Stromstöße gegenseitige Kopplungen, daher sind dann numerische Methoden zur Lösung der Maxwell-Gleichungen über die gesamte Struktur erforderlich.
„Wir haben festgestellt, dass es uns die Finite Elemente Methode mit Comsol Multiphysics ermöglicht, Kopplungen zu definieren und die direkten und indirekten Effekte, also eingeleitete und induzierte Ströme, auf abgeschirmte Kabel zu bestimmen“, erläutert Madsen. „Neben dem Kurzschlusswiderstand der abgeschirmten Kabel können wir die Spannungen an den Kabelenden untersuchen und so einen geeigneten Überspannungsschutz oder einen ausreichenden Level der Abschirmung wählen.“
Vorbereitung eines CAD- Modells für die Simulation
Der erste Schritt zur Simulation ist die Vorbereitung eines 3D- CAD-Modells der Strukturkomponenten der Windkraftanlage. „Da 3D-CAD-Modelle einen sehr hohen Detaillierungsgrad aufweisen, wäre deren Diskretisierung in der FEM-Modellierungsumgebung sehr aufwändig“, führt Madsen aus. „Um das magnetische Feld einer gesamten Windturbinengondel zu modellieren, müssen wir zunächst die Geometrie vereinfachen. Das Ziel ist, ausreichend Details für eine realistische Darstellung beizubehalten und gleichzeitig die Anzahl der Knoten so zu begrenzen, dass der numerische Aufwand im Rahmen bleibt.“
Dafür wird das CAD-Modell in Space Claim Engineer importiert, wo es sehr einfach editiert werden kann. „Wir entfernen kleine Details wie Bolzen, Muttern und Kanten, nicht rele- vantes Material, z.B. Fiberglas oder Kunststoff, und unnötige Informationen, wie sie in Produktionslabeln enthalten sind“, ergänzt Madsen. „In Bereichen von besonderem Inter- esse können wir einen hohen Detaillierungsgrad beibehalten. Anschließend verwenden wir Comsols Livelink für Space Claim, um die 3D-Geometrie der Turbinengondel in Comsol Multiphysics zu übertragen.“ Zusätzlich wird ein Luftraum um die Gondel definiert, um die Verteilung des Magnetfeldes um die Turbine herum berechnen zu können.
Breites Spektrum der Wellenformen
Die Blitzschutznormen beinhalten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen, die die relevanten Parameter eines Blitzes und die Frequenzcharakteristik typischer Blitzstrom-Wellenformen aufführen. Aus diesen Diagrammen können drei charakteristische Komponenten eines Blitzschlages abgeleitet werden. Diese sind der erste Stromstoß, der Folgestromstoß und der Langzeitstrom des Blitzes. Bei natürlichen Blitzen treten viele mögliche Kombinationen dieser Ströme auf, die Komponenten des Blitzes müssen jedoch individuell berücksichtigt werden, wenn der Spannungsabfall während des Ableitens eines Blitzes modelliert werden soll.
Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass die Frequenzcharakteristik eines Blitzstromes ein breites Spektrum von nahezu Gleichstrom bis hin zu einer Frequenz von einigen MHz abdecken kann. Darüber hinaus muss der Skin-Effekt berücksichtigt werden, da dieser wesentlichen Einfluss auf die Stromverteilung ausübt, wenn Materialien mit hoher Permeabilität und Leitfähigkeit, wie beispielsweise Eisen, eingesetzt werden sollen. Für einfache Berechnungen von Spannungsabfällen entlang der Leiter kann angenommen werden, dass der gesamte Strom im Querschnittsbereich zwischen äußerem Rand und Skin-Tiefe fließt. Durch die Verwendung der Impedanz-Randbedingung in Comsol Multiphysics ist es möglich, die Struktur der Gondel als Schalen zu behandeln und dabei den Skin-Effekt zu berücksichtigen. Vorteil davon ist, dass zur Berechnung nur die Oberfläche, anstelle des gesamten 3D-Volumens der Gondel vernetzt werden muss. Diese Vereinfachung ermöglicht es, auch auf sehr komplexer Geometrie speichereffizient genaue Ergebnisse zu berechnen.
„Wir führen in Comsol Multiphysics eine Reihe von Fallstudien durch, bei denen realistische Stromimpulse in die Fangeinrichtungen eingeleitet werden“, sagt Madsen. „Dabei können wir sowohl die Blitzeinschlagstellen als auch die Wellenformen variieren, um die Stromamplituden zu berechnen, das Magnetfeld innerhalb und um die Gondelstruktur herum abzubilden sowie die Stromverteilung und -dauer in den Strukturkomponenten aufzuzeigen. Wir können uns sehr leicht auf besonders interessante Bereiche konzentrieren, so dass die Entwickler den Mindestabstand empfindlicher Ausrüstung von stromleitenden Komponenten untersuchen können. Muss man ein Element auf einem oder zwei Eisenstäben innerhalb der Gondel befestigen, dann kann der Eisenstab, der am wenigsten Strom leitet, ausgewählt werden .“
Überzeugende Ergebnisse untermauern das Design
Global Lightning Protection Services A/S nutzt solche Ergebnisse, um Kunden bezüglich der erforderlichen Abschirmungen zu beraten. Mit fundierten Daten müssen sich die Kunden nicht länger allein auf die eher subjektiven Analysen, die in den IEC Normen vorgeschlagen werden, verlassen. In einigen Fällen führt dies zu einem starren Design, in anderen Fällen ermöglicht er eine größere Flexibilität. Ein Beispiel dafür war die Vorbereitung eines Designs für die Installation sowohl für einen Standort mit hohem als auch mit niedrigem Blitzschlagrisiko.
„Eine Möglichkeit wäre es gewesen, zwei Arten Rotorblätter herzustellen, je nach Umgebung“, erklärt Madsen. „Aber es ist deutlich kostengünstiger, wenn nur ein Design entworfen und produziert werden muss. Aus Sicherheitsgründen besteht eine Tendenz, das Design dem Standort mit dem höheren Risiko anzupassen. Wir unterstützten einen bestimmten Kunden bei der Auswahl der erforderlichen Elemente gemäß dem Worst-Case-Szenario. Darüber hinaus haben wir physikalische Tests durchgeführt, die die numerische Modellierung bestätigten. Innerhalb der mehrere Jahre umfassenden Entwicklungsphase wurden ca. drei Monate dafür benötigt, verlässliche Ergebnisse zu erzeugen, die zeigten, dass es sicher war, die Anzahl der Abschirmelemente der Turbine zu reduzieren. Dies führte zu massiven Kosteneinsparungen, da mehrere tausend Einheiten hergestellt werden sollten.“
Die positiven Rückmeldungen, die Global Lightning Protection Services A/S von branchenführenden Unternehmen aus China, Dänemark und Japan bekommen hat, fasst Madsen im Folgenden zusammen: „Unsere Kunden sind sehr beeindruckt von den erzielten Ergebnissen und sehen den Wert der Überprüfung vorgeschlagener Blitzschutzmaßnahmen zu einem Entwicklungszeitpunkt, zu dem es immer noch relativ einfach und kostengünstig ist, Design-Änderungen durchzuführen. Wir sind uns sicher, dass die numerische Modellierung eine wachsende Rolle bei der Auslegung von Blitzschutzmaßnahmen einnehmen wird.“
Comsol Multiphysics, Tel.: 0551 99721-0, E-Mail: info@ comsol.de
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